Frauen die sich als Männer verkleiden

Mir fällt da eine Romanfigur ein, die Landstörtzerin Courasche von Grimmelshausen. Der Buchtitel heißt vollständig: Landstörtzerin Courasche, wie sie anfangs eine Rittmeisterin, hernach eine Hauptmännin, ferner eine Leutnantin, Marketenderin, Musketiererin und letztlich eine Zigeunerin abgegeben.


Im Zweiten Kapitel:

Ich dachte: Was für fremde Reden sind mir das!
Sie aber kriegte eine Schere und schnitt mir mein goldfarbenes Haar auf der rechten Seite hinweg; das auf der linken ließe sie aber stehen, in aller Maß und Form, wie es die vornehmsten Mannspersonen damals trugen.
"So, meine Tochter", sagte sie, "wenn ihr diesem Strudel mit Ehren entrinnet, so habt ihr noch Haar genug zur Zierde, und in einem Jahr kann euch das andere auch wieder wachsen."
Ich ließe mich gern trösten, denn ich bin von Jugend auf genatured gewesen, am allerliebsten zu sehen, wenn es am allernärrischsten herging. Und als sie mir auch Hosen und Wams anzogen, lernten sie mich weitere Schritte tun, und wie ich mich in den übrigen Geberden verhalten sollte ...

Dies bin ich schuldig zu melden, daß mich ein teutscher Reuter für einen Jungen mitnahm, bei dem ich die Pferde warten und fouragiern, das ist stehlen helfen sollte. Ich nennete mich Janco und konnte ziemlich teutsch lallen ...
 
Ja die hab ich auch gefunden, aber das is ja ne Heilige... und in der Vorlesung ging es um Lesen und Schreiben im Mittelalter und den Zugang von Frauen dazu, zumindest im diesem Teilabschnitt der Veranstaltung. Und irgendwie is der der Prof eben auf diesen Namen mit Hildegard von Schönau gekommen. Vielleicht habe ich ihn auch falsch notiert, aber da war was in die Richtung, von wegen dass sich Frauen als Männer verkleiden, angelehnt eben an die Päpstin, die das ja auch tun muss (das Beispiel hat er angeführt in dem Sinne, dass Frauen das ja gerade nicht tun mussten). Aber in dem anderen Beispiel ging es eben darum, dass eine Frau sich aus kriegerischen Absichten verkleidet hatte.

Mit satten vier Jahren Verspätung und ohne Hoffnung, dass du das jemals lesen wirst: Du meintest Hildegunde von Schönau, die sich tatsächlich als Mann verkleidet und ein Leben als Mönch geführt haben soll: https://de.wikipedia.org/wiki/Hildegunde
 
Mit satten vier Jahren Verspätung und ohne Hoffnung, dass du das jemals lesen wirst: Du meintest Hildegunde von Schönau, die sich tatsächlich als Mann verkleidet und ein Leben als Mönch geführt haben soll: https://de.wikipedia.org/wiki/Hildegunde

In einem Hausbuch über Heilige, auf das ich allerdings keinen direkten Zugriff mehr habe, wurde sie als Hildegard von Schönau bezeichnet. Handelt es sich möglicherweise um eine Heilige, die unterschiedliche Namen hat?
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Zu meiner ursprünglichen Frage:
Tannhäuser, Lukullus, Ravenik - vielen Dank für Eure Hinweise.:winke:

- Clodius und der Bona Dea-Skandal
- Ulrich von Liechtenstein und die Fahrt als "Frau Venus"
- Vom Chevalier d'Eon (1728-1810) habe ich noch nie etwas gehört.
 
Nein, sie hieß schon Hildegunde/Hildegund/Hildgundis oder dergleichen, da das auch der Name ist, der in ihrer ältesten Vita Verwendung findet. Wenn in jenem Hausbuch von Hildegard die Rede ist, dann handelt es sich um einen Fehler.
 
Danke, Imperator. Ich halte es auch für wahrscheinlich, dass sie in dem Hausbuch einen Fehler gemacht haben.
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Um nochmal zum früheren Thema hier zurückzukehren. Das Motiv von der Frau, die als Mann verkleidet, Abenteuer im historischen (Unterhaltungs-)Roman erlebt, ist im 21. Jahrhundert sehr beliebt. Warum eigentlich aber ist noch niemand im historischen Roman des 21. Jahrhunderts auf die Idee gekommen, einen Mann als Frau verkleidet, Abenteuer erleben zu lassen. Zu wenig Potential, zu unglaubwürdig oder haben wir es hier mit dem genderbedingten "Vorurteilen" zu tun?
 
Wohl zu wenig Potential. Die weiblichen Leser würde so ein Roman vermutlich nicht ansprechen.
Außerdem, wovon sollte so ein Roman eigentlich handeln? Ein Mann als Nonne? In den meisten Zeiten hätte es nicht allzu viele Möglichkeiten gegeben, wie ein Mann als Frau verkleidet interessante Abenteuer erleben könnte. Die Palette möglicher Handlungen wäre also recht überschaubar.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wohl zu wenig Potential. Die weiblichen Leser würde so ein Roman vermutlich nicht ansprechen.
Außerdem, wovon sollte so ein Roman eigentlich handeln? Ein Mann als Nonne? In Zeiten, in denen Männer die Gesellschaft dominierten, hätte es nicht allzu viele Möglichkeiten gegeben, wie ein Mann als Frau verkleidet interessante Abenteuer erleben könnte. Die Palette möglicher Handlungen wäre also recht überschaubar.

Handlungen würde es genug geben, allerdings könnte ich mir gut vorstellen, dass das Haupthindernis für einen solchen Roman damit zusammenhängt, dass es zu heikel ist, da offensichtlich die Gefahr besteht, dass ein Romanheld, der in Frauenkleider schlüpft, als positive Figur nicht ernstgenommen wird.

Frauenfiguren, die sich als Mann verkleiden, sei es zu ihrem Schutz, sei es, um ein Ziel zu erreichen, solange sie nicht ernsthaft das Patriarchat gefährden, eindeutig Sympathien genießen. (Underdogs, die sich trotz Einschränkungen nicht unterkriegen lassen, sind gewöhnlich Sympathieträger/innen, ebenso mag die Verkleidung in einer Notlage "verzeihlich" sein.)
 
Mal jenseits aller "Historischen" Romane: Welchen Vorteil sollte es für Männer bringen, sich durch Verkleidung in die Rolle der benachteiligten Frau zu begeben?
 
Irgendein zum Tode verurteilter Jakobit aus dem Tower, ja.

Edit: und natürlich The Young Pretender himself: Bonnie Prince Charly (Carles Edward Stuart) auf der Flucht vor den Rotjacken, begleitet von Flora MacDonald, die später selbst einen britischen Soldaten ehelichte, der in den Kolonien kämpfte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gab da einen der als Frau verkleidet aus dem Knast entfleuchte, aber das war eine sehr kurzzeitige Angelegenheit.

Die besten Romane schreibt das Leben:

Ein von seinen Anhængern erarbeiteter Fluchtlan sah vor, dass Napoleon sich als Frau verkleiden sollte, um unerkannt auf ein Schiff zu kommen, das ihn nach der Niederlage bei Waterloo nach Amerika bringen sollte.
Nicht zu letzt deswegen hat er wohl drauf verzichtet: Welch unruehmliches Ende, wære er erwischt worden.

Gruss, muheijo
 
Mann flüchtet halt nicht ...:still: und schon gar nicht in Frauenkleidung.:autsch:
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Ein beliebter "plot" ist doch: Heldin Johanna, Maria Leonore etc. kommt bei einem Überfall auf die heimatliche Burg an Männerkleidung, legt diese an und kann dank ihr Entkommen, worauf sie auf an der Universität in Prag, Wien oder Bologna als Student unterkommt ...

Zum Vergleich: 12. oder 13. Jahrhundert: Held Leonhard hat keine Lust, den Kreuzzug, den Krieg gegen die ... etc. mitzumachen. Da sein Vater aber nur Ritter als Söhne dulden, verkleidet er sich als Mädchen und taucht im nahe gelegenen Frauenstift unter, wo er endlich auch die Chance hat, Dinge wie Lesen, Schreiben und Ähnliches zu lernen, was er schon immer wollte.

Ich könnte mir zumindest vorstellen, dass der erste "plot" ganz gut ankommen, obwohl er schon ziemlich abgegriffen sein dürfte.

Der zweite "plot" allerdings (vielleicht sehe ich das allerdings auch nur als Frau so): Was ist das für ein fragwürdiger Held, der sich vor einem "ehrenvollen" Krieg zu drücken versucht und stattdessen lieber schreiben und lesen lernen will? (Wobei noch hinzu kommt - ein Mann unter Frauen kann für die Frauen gefährlich sein, eine verkleidete Frau unter Männern dagegen ...)

Eigentlich könnte ich mir sogar vorstellen, dass so eine Geschichte, auch bei ernsthaften Gestaltung, durchaus gelungen sein kann, wenn sich ein/e Autor/in dieses Stoffes annimmt, der/die eine gute Geschichte erzählen kann.
Und mit Blick auf den Zeitgeist müsste doch eigentlich ein Held, der nichts vom Krieg hält, durchaus in sein.

Aber vermutlich sitzen gewisse "Vorurteile" doch tiefer, als wir es gerne wahrhaben wollen.
 
Der zweite "plot" allerdings (vielleicht sehe ich das allerdings auch nur als Frau so): Was ist das für ein fragwürdiger Held, der sich vor einem "ehrenvollen" Krieg zu drücken versucht und stattdessen lieber schreiben und lesen lernen will?
Das Problem ist wohl vor allem: Was soll der Held im Frauenkloster erleben, womit man einen Roman füllen kann? Lesen und schreiben lernen ist ja ganz nett, aber mit Beschreibungen davon kann man kein Buch füllen. Allenfalls könnte man eine Art Krimi (wie in "Der Name der Rose") daraus machen, und natürlich könnte er eine heimliche Affäre mit einer "Mitschwester" haben. Aber die möglichen Handlungen wären trotzdem eher überschaubar.

Und mit Blick auf den Zeitgeist müsste doch eigentlich ein Held, der nichts vom Krieg hält, durchaus in sein.
Mag sein, aber trotzdem taugt er vermutlich nicht als Identifikationsfigur. Weibliche Leser haben wohl lieber eine Heldin, und männliche Leser? Wer einen Mittelalterroman liest, will wohl auch "Mittelalterliches" geboten bekommen und nicht einen Helden, der sich bewusst vor allem Einschlägigen drückt.
 
...Mag sein, aber trotzdem taugt er vermutlich nicht als Identifikationsfigur. Weibliche Leser haben wohl lieber eine Heldin, und männliche Leser? Wer einen Mittelalterroman liest, will wohl auch "Mittelalterliches" geboten bekommen und nicht einen Helden, der sich bewusst vor allem Einschlägigen drückt.

Wobei sich natürlich auch die Frage stellt, wie mittelalterlich das "Mittelalterliche" ist, was in den meisten "Mittelalterromanen" gezeigt wird?:autsch:
Und ein "Held", der sich bewusst vor allem Einschlägigen drückt und dazu noch Frauenkleidung anlegt ....:gelbekarte::winke:
 
Was Frauen anging, die sich als Männer verkleideten, kam mir gerade noch La Maupin in den Sinn, eine sehr wilde Dame des 17. Jahrhunderts. Sie verliebte sich in ein junges Mädchen, entführte sie aus einem Kloster und fackelte, um die Flucht zu decken, den ganzen Konvent ab. Später verlegte sie sich auf Operngesang und Schwertkampf und beförderte in einem Duell drei Männer nacheinander ins Jenseits:
https://en.wikipedia.org/wiki/Julie_d'Aubigny
 
Habe den Thread – beginnt ja am 26.06.2011 – durchgelesen.
Habe ich es überlesen?

Es gibt bei wiki eine: „Liste als Mann verkleideter weiblicher Militärpersonen“.

Beginnt im Mittelalter und endet im 20. Jahrhundert.
Wenn ich richtig gezählt habe sind es 71 Frauen!

Beethoven muss das auch imponiert haben.
Immerhin, er komponierte zu Dunckers Schauspiel „Eleonore Prochaska“ eine Schauspielmusik.


 
Um kurz zur Belletristik zurückzukehren: Die Novelle „Gustav Adolfs Page“ von Conrad Ferdinand Meyer fällt mir da ein. Dort verkleidet sich die Hauptheldin, Gustl Leubelfing, nicht als junger Mann, weil sie männliche Privilegien will, sondern weil sie sich schwärmerisch in den König verliebt hat und ihm dadurch nahe sein kann.
Wäre es umgekehrt, also ein junger Mann verkleidet sich als Mädchen, um der Königin nahe zu sein, käme es mit starker sexueller Konnotation oder klamaukig rüber.
 
Gehört vielleicht nicht ganz hierher, trotzdem finde ich es interessant, auch wenn es sich um ein zwittriges Geschlecht handelt. Es ist aus einer Chronik:
„Zu St. Annaberg starb vor wenigen Jahren, anno 1695 im September, im Hospital eine 70jährige Person, welche zeitlebens in Weiberkleidern gegangen, mit Namen Charitas Zeumerin, hatte aber ein männlich Gesicht und Rede und um das Kinn einen ziemlich angeflogenen Bart. Ihr Vater war weiland zu Zwönitz Schulmeister gewesen, aber wegen des Deliriums, womit er behaftet, dimittieret worden. Dieser hatte nebst anderen gar seltsam gestalteten und albernen Kindern auch diese Charitas gezeuget, welche sich mit weiblichen Verrichtungen und sonderlich dem Klöppelwerk genähret. War sonst eine fromme und in der Heiligen Schrift wohlbelesene Person, welche, da sie Armuts halber in das Hospital genommen worden, die darinnen Lebenden immer zu strafen pflegte, mußte dagegen, weil ihr endlich das Gehör entfallen, viel darüber leiden. Ob man nun immer wegen des sexus einige Vermutung hatte, so entdeckte doch erst der Tod, was 70 Jahre vor denen, die nicht ihre allernächsten Blutsfreunde gewesen, war verborgen geblieben. Es fand sich, daß sie utriusque sexus membra gehabt, daher noch unterschiedliche Zweifel entstanden, wie man sich bei Abkündigung der Leiche und bei Verlesung des Lebenslaufs zu verhalten hätte. Zumal man hernach wollte bekräftigen, daß sie niemals fluxu muliebre laborieret und mehr männlichen Geschlechts wäre erkannt worden. Dieweil sie sich aber als ein Weibsbild aufgeführet, mit weiblicher Handarbeit genähret und jederzeit für ein Weibsbild gehalten worden, wurde sie auch mit dem weiblichen Prädikat zur Erde bestattet.“
 
In gefühlt jedem historischen Roman, der im Mittelalter spielt und darin sich eine Frau in Männerkleidern zeigt, kommt der Prozess gegen Johanna von Orleans zur Sprache, die u.a. deswegen verurteilt wurde.

Mir ist bewusst, dass das Tragen von Männerkleidern seitens einer Frau (oder bspw. auch das Tragen von standesattributiver Kleidung durch niedere Stände) unter Zeitgenossen als Infragestellung der gottgewollten Ordnung gelten konnte und mindestens mit Geldbuße bedroht war.

Trotzdem habe ich diesen Aspekt des Urteils gegen Johanna – wie auch, dass ihr zu Last gelegt wurde, ein Banner und Waffen geführt zu haben – nie so ganz verstanden, denn Johanna war all dies von ihrem Herrn gestattet worden. Zählte dieser Umstand gar nichts? Oder zählte er in diesem Falle nichts, weil die englische Partei Karls (VII.) Herrschaftsrechte nicht anerkannte? Überhaupt, selbst Zeitgenossen Johannas scheinen kein schlechtes Bild von historisch verbürgten Frauen wie Johanna von Belleville, Johanna von Flandern oder Hedwig von Polen gehabt zu haben, die Männerkleidung, sogar Rüstung trugen. Erstere wurde von den Engländern regelrecht verehrt.

Darum die Frage: Gehe ich falsch in der Annahme, dass das pro-englische Gericht einfach nur irgendeinen Vorwand suchte, um Johanna verurteilen zu können?
 
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