Geschichte und Identität

Man weiß auch, warum man in Dtld. den 3. Oktober feiert. Aber im Grunde genommen ist das doch - Vorsicht, Behauptung! - für den überwiegenden Teil der Bevölkerung nur ein willkommener Anlass zum Ausschlafen.

Ich glaube, diese Behauptung traf jedenfalls auf den 17.Juni, den "alten" Nationalfeiertag Deutschlands zu.
In Norwegen kann man nicht ausschlafen, und man læsst sich uebrigens auch nicht volllaufen. Man muss das nuechtern ertragen!
Insgesamt zumindest bessere Chancen, irgendwann irgendetwas mitzubekommen.
Dass es Ignoranten und vøllig Dessinteressierte geben mag, ok.
Wir muessen ja auch damit leben, dass es Menschen gibt, die Politik nicht interessiert. Wahrscheinlich besteht sogar ein Zusammenhang zwischen Politik- und Geschichtsinteresse.

Gruss, muheijo
 
Eine Irritation in diesem Zusammenhang könnte vielleicht auch das ungenaue Wort »Identität« verursachen, übernommen aus der Psychologie, als handelte es um ego identity. Dabei geht es um group identity, d.h. um das Zusammengehörigkeitgefühl. Doch auch hier muss man zwischen cultural identity und power identity unterscheiden.

Beim power identity geht es um Dominanz, entweder um sie zu behalten, oder um sie zu erlangen, während beim cultural identity um die geistige Einordnung in die Gruppe geht, betreffend sowohl Neuankömmlinge, wie auch Ansäßige.

»Identität« in diesem Zusammenhang beinhaltet sowohl Stolz, als auch eine gewisse Zurückstellung der Eigenpräsentation, zugunsten von sozialen Bindungen, inkl. Teilnahme an gemeinsamen Ritualen, auch wenn man diese belächelt.


Die »militärisch ausgerichtete Erinnerungskultur« in Großbritannien spricht sicherlich beide Aspekte an; ein Bisschen cultural identity, indem ein Ritual gepflegt wird (was die Briten besonders lieben), sowie das power identity eines ehemaligen Weltreiches.


In Bezug auf Deutschland will ich aber das Traditionsbewusstsein in der Schweiz hervorheben, das je skurrilere Züge aufweist, umso mehr gepflegt wird. Dabei geht es weniger um die Präsentation nach draußen, sondern eher darum, eine Behaglichkeit zu bewirken, was durchaus auch gelingt. Da geht es nicht um siegreiche Helden, sondern um die Erinnerung an eine gemeinsame Kultur, welche die Leute zueinander näher bringt, sie stolz macht. Der kollektive Stolz wird hier nicht zum gemeinsamen Schwerterklirren, sondern zum Positiven genutzt: man fühlt sich heimelig – eigentlich genau das, was m.M.n. den Deutschen abhanden gekommen ist.

In dieser Beziehung könnte Deutschland wahrscheinlich noch viel lernen. Ihr Problem ist (vermute ich mal aus dem Ausland) das Fehlen einer geschichtlichen »Identifikationsmöglichkeit«. Die NS-Zeit hat ihnen quasi den kulturellen Boden unter den Füßen weggezogen; einerseits sind damit diese Jahre kulturell tabu, und andererseits ist auch die Beschäftigung mit der von der NS-Propaganda herausgestellten deutschen Traditionen (unabhängig davon, wieviel hinzugedichtet wurde) problematisch.

Dennoch beinhaltet Geschichte auch »Identität«, d.h. Kultur, die zu vermitteln nun mal die Aufgabe der Bildungsstätten ist. Dabei ist der Geschichtsunterricht in Deutschland sicherlich mehr gefordert als anderswo (wobei anzumerken sei, dass ich ihn in Deutschland nicht kenne), indem er im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viel cultural identity vermittelt. Bsp: es gibt wohl kaum ein Land mit soviel herausragenden historischen Bauten, die viel zu wenig bekannt sind…
 
Ich glaube da ist Deutschland speziell, wegen dem 2. Weltkrieg wird die Geschichte immer sehr kritisch gesehen und zwar nicht nur die Nazizeit. Irgendwie schämen sich die Deutschen stolz auf die Geschichte zu sein wie es die Franzosen oder Briten sind.
 
Ich glaube da ist Deutschland speziell, wegen dem 2. Weltkrieg wird die Geschichte immer sehr kritisch gesehen und zwar nicht nur die Nazizeit. Irgendwie schämen sich die Deutschen stolz auf die Geschichte zu sein wie es die Franzosen oder Briten sind.
Na das liegt ja klar auf der Hand, für die Nazizeit gibt es nix, was mit Stolz auf die deutsche Nationalität zusammenpasst. :S

Interessant ist der Kontext Stolz und Deutsch! Da wird leider sofort die Assoziation zum Nationalismus (Vom Kaiserreich bis zu den Nazis) in seiner negativsten Form gezogen. Das will sich als Deutscher keiner ans Bein heften (also bisher, neue Strömungen mal außen vor).
 
Nun gut die ganze deutsche Geschichte besteht ja nicht nur aus der Nazizeit.

Nö, das nicht, aber die 12 Jahre mörderische Diktatur wiegen schwer. Dabei kommt alles, was in deutscher Geschichte auf Stolz der deutschen Identität spielt, immer wieder in die Richtung extremer Nationalismus und dass kommt nicht von den Deutschen selbst, sondern, daß wird von den europäischen Nachbarn in der Geschichte bis heute in Zusammenhang gestellt.

Ich würde dann auf die Regionalität der Tradition verweisen. In Westdeutschland länger gepflegt, im Osten nach der sozialistischen Diktatur wieder aufgeflammt.
Das macht die Historische Identität unabhängiger von einer "Gesamt" Deutschen und ist dennoch tief verwurzelt.
 
Ich würde dann auf die Regionalität der Tradition verweisen. In Westdeutschland länger gepflegt, im Osten nach der sozialistischen Diktatur wieder aufgeflammt.
Das macht die Historische Identität unabhängiger von einer "Gesamt" Deutschen und ist dennoch tief verwurzelt.

Genau an den "Lokalpatriotismus" habe ich heute auch gedacht. Nur: So richtig funktioniert das auch nicht (mehr), jedenfalls auf Lænder-Ebene, weil einige, eigentlich die meisten Bundeslænder im Grunde keine "Geschichte" haben/hatten. Einem Bayern glaube ich seinen Stolz auf die Heimat gern - bei konstruierten Lændern wie "Nordrhein-Westfalen" (oft auch "NRW" genannt) oder Niedersachsen sehe ich das ueberhaupt nicht.
Vielleicht ist das der beste "Beweis", dass nationale/regionale Identitæt eben auch Geschichte braucht.

Gruss, muheijo
 
Wenn ich so über das eigene Geschichtsverstændnis der Norweger nachdenke, komme ich zu folgender Einschætzung:

Norwegen ist ein schønes Beispiel, dass ausgeprægter Nationalismus nicht zwingend militærischen Karakter haben muss.

Dieses Beispiel scheint mir eine wunderbare Überleitung zu einem Punkt, der nach meiner Auffassung viel zu wenig Beachtung findet. Und aus der sich auch die Frage beantworten läßt, ob Nationalismus gleich Nationalismus ist. Und ob eine streng gepflegte eigenen Identität überhaupt die Bezeichnung Nationalismus zwangsläufig verdienen muß

Es gibt da ein interessantes System: NUTS - Nomenclature des unités territoriales statistiques. Laut wikipediea ist dies "eine hierarchische Systematik zur eindeutigen Identifizierung und Klassifizierung der räumlichen Bezugseinheiten der amtlichen Statistik in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union."

Wenn man sich mit diesem System ein wenig befaßt, so kann man interessante Schlußfolgerungen ziehen oder zumindest auf interessante Gedanken kommen.

Denn während in einem normalen Gespräch Nationalstaat gleich Nationalstaat ist unterscheidet NUTS doch deutlich genauer und aufklärender.

Die höchste und größte Ebene ist NUTS-0, auf dieser befinden sich in Europa folgende 15 Nationlstaaten:

Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Spanien, Ungarn, das Vereinigte Königreich und die Türkei.

Auf der Ebene NUTS-1 liegen 93 historisch oder kulturell gewachsene Regionen (zum Beispiel die deutschen Bundesländer, oder Schottland und Wales) aber auch künstlich zugeschnittene Verwaltungseinheiten. Allerdings liegen auf dieser Ebene und darunter (NUTS-2 und -3) auch noch zusätzlich zu den 93 Regionen 21 (National)Staaten:

NUTS-1
Dänemark, Finnland, Irland, Kroatien, Portugal, Slowenien, Slowakei Tschechien, Norwegen, Schweiz

NUTS-2
Estland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Albanien, Mazedonien, Serbien, Island

NUTS-3 Zypern, Montenegro, Lichtenstein


Auffällig ist schonmal, daß sämtliche Nachfolgestaaten der Pentarchie (außer Russland, welches im NUTS-System nicht erfaßt ist) sich auf der Ebene 0 befinden. Frankreich, Großbritannien, Österreich und Ungarn, Deutschland. Aber auch alle weiteren Staaten, Belgien, Bulgarien, Griechenland, Italien, Niederlande, Polen, Rumänien, Schweden, Spanien und die Türkei haben gemein, daß Sie sich problemlos in kleinere Einheiten mit fester eigener Identität aufspalten lassen könnten. Bayern, Brandenburg, Sachsen, Tirol Schottland, Wales, Bretagne, Normandie, Katalonien, Andalusien Venetien, Lombardei etc. pp. Sämtliche dieser weiterführenden Unterteilungen befinden sich im NUTS-System dann auf Ebene-1

Ich behaupte, daß es den Menschen allgemein weniger Unbehagen bereitet durch einen Ort mit der Beflaggung gemäß Ebene NUTS-1 zu laufen (egal ob Staat oder Teil eines Staates) als durch einen Ort mit Flaggen der Ebene NUTS-0


Vielleicht später dazu mehr.

Zusammenfassend möchte ich behaupten, daß uns eine starke Bindung an die Symbole der Staaten und Gebilde auf der Ebene NUTS-1 eher als Identitätsbewußtsein erscheint und uns dadurch Sympathie abverlangt. Eine vergleichbare Bindung auf der Ebene NUTS-0 von uns aber als Nationalismus in negativem Beigeschmack wahrgenommen wird. Mir geht es zumindest so.

---

Noch kurz etwas zum Thema Identität und Geschichte. Ich glaube nicht, daß sich aus der Geschichte eines Landstriches oder auch einer Familie zwangsläufig eine Identität ergibt. Ich meine, daß sich daraus eher eine Vielzahl an Möglichkeiten für die Ableitung und Begründung verschiedener Identitäten ergeben.

Im 19. Jh., in einer Zeit in der sich nicht nur "Deutsche" sondern viele "Völker" auf dem Weg zum eigenen Nationalstaat nach ethnischen Gesichtspunkten machten war eine affirmative Geschichtsschreibung an der Tagesordnung. Alles war darauf ausgerichtet "seinen" Nationalstaat als historische Selbstverständlichkeit, als zwangsläufige Konsequenz der bisherigen Entwicklungen erscheinen zu lassen. Heute nach den schrecklichen Kriegen des 20. Jh. bezieht der "Deutsche" seine Identität vornehmlich aus gebrochenen Ereignissen, aus den Zäsuren mit negativen Folgen in der Geschichte. Das ist durchaus nicht unproblematisch. Wir leben in Deutschland in einem Staat, daß für seine Entstehung und Legitimation eine bestimmte Deutung der Geschichte dringend benötigte und befinden uns heute in einer Zeit, die diese Deutung und Herleitung mehrheitlich ablehnt, sie zur Legitimation also nicht zur Verfügung steht.

Mir als regional verwurzelter Mensch, ja vielleicht auch Regionalist (auch nur eine Idee von Identität) ist das relativ gleich. Deutschland ist für mich nur eine Idee, die ihre Zeit und Funktion hatte und nun aber bitte erkennen darf, ausgedient zu haben. Identität ziehe ich aus meiner unmittelbaren Region. Aus Brandenburg.

In jedem Falle ein interessantes Thema, das mit etwas mehr Zeit gründlich diskutiert werden könnte...
 
Dieses Beispiel scheint mir eine wunderbare Überleitung zu einem Punkt, der nach meiner Auffassung viel zu wenig Beachtung findet. Und aus der sich auch die Frage beantworten läßt, ob Nationalismus gleich Nationalismus ist. Und ob eine streng gepflegte eigenen Identität überhaupt die Bezeichnung Nationalismus zwangsläufig verdienen muß

Es gibt da ein interessantes System: NUTS - Nomenclature des unités territoriales statistiques. Laut wikipediea ist dies "eine hierarchische Systematik zur eindeutigen Identifizierung und Klassifizierung der räumlichen Bezugseinheiten der amtlichen Statistik in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union."

Wenn man sich mit diesem System ein wenig befaßt, so kann man interessante Schlußfolgerungen ziehen oder zumindest auf interessante Gedanken kommen.

Denn während in einem normalen Gespräch Nationalstaat gleich Nationalstaat ist unterscheidet NUTS doch deutlich genauer und aufklärender.

Die höchste und größte Ebene ist NUTS-0, auf dieser befinden sich in Europa folgende 15 Nationlstaaten:

Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Spanien, Ungarn, das Vereinigte Königreich und die Türkei.

Auf der Ebene NUTS-1 liegen 93 historisch oder kulturell gewachsene Regionen (zum Beispiel die deutschen Bundesländer, oder Schottland und Wales) aber auch künstlich zugeschnittene Verwaltungseinheiten. Allerdings liegen auf dieser Ebene und darunter (NUTS-2 und -3) auch noch zusätzlich zu den 93 Regionen 21 (National)Staaten:

NUTS-1
Dänemark, Finnland, Irland, Kroatien, Portugal, Slowenien, Slowakei Tschechien, Norwegen, Schweiz

NUTS-2
Estland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Albanien, Mazedonien, Serbien, Island

NUTS-3 Zypern, Montenegro, Lichtenstein


Auffällig ist schonmal, daß sämtliche Nachfolgestaaten der Pentarchie (außer Russland, welches im NUTS-System nicht erfaßt ist) sich auf der Ebene 0 befinden. Frankreich, Großbritannien, Österreich und Ungarn, Deutschland. Aber auch alle weiteren Staaten, Belgien, Bulgarien, Griechenland, Italien, Niederlande, Polen, Rumänien, Schweden, Spanien und die Türkei haben gemein, daß Sie sich problemlos in kleinere Einheiten mit fester eigener Identität aufspalten lassen könnten. Bayern, Brandenburg, Sachsen, Tirol Schottland, Wales, Bretagne, Normandie, Katalonien, Andalusien Venetien, Lombardei etc. pp. Sämtliche dieser weiterführenden Unterteilungen befinden sich im NUTS-System dann auf Ebene-1

Ich behaupte, daß es den Menschen allgemein weniger Unbehagen bereitet durch einen Ort mit der Beflaggung gemäß Ebene NUTS-1 zu laufen (egal ob Staat oder Teil eines Staates) als durch einen Ort mit Flaggen der Ebene NUTS-0


Vielleicht später dazu mehr.

Zusammenfassend möchte ich behaupten, daß uns eine starke Bindung an die Symbole der Staaten und Gebilde auf der Ebene NUTS-1 eher als Identitätsbewußtsein erscheint und uns dadurch Sympathie abverlangt. Eine vergleichbare Bindung auf der Ebene NUTS-0 von uns aber als Nationalismus in negativem Beigeschmack wahrgenommen wird. Mir geht es zumindest so.

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Noch kurz etwas zum Thema Identität und Geschichte. Ich glaube nicht, daß sich aus der Geschichte eines Landstriches oder auch einer Familie zwangsläufig eine Identität ergibt. Ich meine, daß sich daraus eher eine Vielzahl an Möglichkeiten für die Ableitung und Begründung verschiedener Identitäten ergeben.

Im 19. Jh., in einer Zeit in der sich nicht nur "Deutsche" sondern viele "Völker" auf dem Weg zum eigenen Nationalstaat nach ethnischen Gesichtspunkten machten war eine affirmative Geschichtsschreibung an der Tagesordnung. Alles war darauf ausgerichtet "seinen" Nationalstaat als historische Selbstverständlichkeit, als zwangsläufige Konsequenz der bisherigen Entwicklungen erscheinen zu lassen. Heute nach den schrecklichen Kriegen des 20. Jh. bezieht der "Deutsche" seine Identität vornehmlich aus gebrochenen Ereignissen, aus den Zäsuren mit negativen Folgen in der Geschichte. Das ist durchaus nicht unproblematisch. Wir leben in Deutschland in einem Staat, daß für seine Entstehung und Legitimation eine bestimmte Deutung der Geschichte dringend benötigte und befinden uns heute in einer Zeit, die diese Deutung und Herleitung mehrheitlich ablehnt, sie zur Legitimation also nicht zur Verfügung steht.

Mir als regional verwurzelter Mensch, ja vielleicht auch Regionalist (auch nur eine Idee von Identität) ist das relativ gleich. Deutschland ist für mich nur eine Idee, die ihre Zeit und Funktion hatte und nun aber bitte erkennen darf, ausgedient zu haben. Identität ziehe ich aus meiner unmittelbaren Region. Aus Brandenburg.

In jedem Falle ein interessantes Thema, das mit etwas mehr Zeit gründlich diskutiert werden könnte...

Ich habe noch nie von dem NUTS-System gehört, aber nach etwas lesen scheint es mir mehr administrative Strukturen zu erfassen. Das ist besonders deutlich bei der Ebene NUTS-1 zu erkennen, die z.b. in Deutschland exakt den Bundesländern entspricht. In diesem Strang wurde schon mit recht darauf verwiesen, dass die Bildung dieser in den meisten Fällen wenig mit Regionalidentität oder gewachsener Tradition zu tun haben. Ebenso entspricht die Ebene NUTS-3 in Deutschland einfach derjenigen der Landkreise. Ich denke, dieses NUTS-System sagt eher etwas über die Komplexität und Tiefe der Administration in einem Land aus.
Dass es verschiedene Nationalismen gibt und man allzuschnell in die Perspektive des eigenen Landes abgleitet, ist normal. Der deutsche Nationalismus ist im Sinne der 3-Elemente-Lehre z.B. sehr stark davon geprägt, dass es nur ein einziges Staatsvolk, eben das Deutsche gibt. In den meisten Ländern der Welt ist das aber gar nicht der Fall.
 
Aber wie sehen das eigentlich die Menschen draußen im Lande? Ist denen Geschichte eigentlich wichtig? Hat Geschichte für den Otto-Normal-Bürger, der sein Selbstwertgefühl nicht aus den unterstellenten heroischen Taten eines historisch gar nicht mehr fassbaren Vorfahren zieht, überhaupt einen identitätsbildenden Moment?

Welche Bedeutung hat das - neben der offiziellen Erinnerung - für die Bevölkerung?

Ich meine eher, welche Bedeutung das für den Einzelnen hat.

Die Frage selbst birgt ein gewisses Problem - wie wirkt sich Gruppenidentität auf den Einzelnen aus? Das kann man natürlich nur individuell beantworten, woraus man zwar individuelle Identitäten bekommt, das Erschließen einer Gruppenidentität ist dann aber immer eine Konstruktion.

Ist der deutschen Bevölkerung Geschichte wichtig? Es gibt einen riesigen Markt - Filme, Zeitungen, Reportagen, Vereine, Museen, ja, im Internet soll es sogar ein erfolgreiches Geschichtsforum geben. Der Markt, das Interesse, die Beteiligung und die Auseinandersetzung sind doch da.

Ist das identitätsstiftend? Die Identität des Einzelnen ist eine Summe vieler Bausteine, zu denen neben genetischer Vorlage und der jeweiligen Sozialisation eben auch Erfahrungen gehören, die zu Interessen führen können, die sich aber auch wieder entfernen können, es gehören das Erleben der Umwelt mit dazu, die Erzählungen wie auch die Nichterzählungen der Großeltern, und alles wird durchdrungen von einem kollektiven Gedächtnis, das sich aus der steten Reproduktion bestimmter Erinnerungen speist - wer sein ganzes Leben immer wieder von Nationalsolzialismus und Weltkrieg erzählt bekommt, ist irgendwann dadurch beeinflußt.
Natürlich ist also die Identität geschichtsbegründet. Und dies bleibt sie auch, wenn der Einzelne nicht mehr jeden Aspekt stets greifbar parat hat. Der 20. Juli 44 zum Beispiel ist ein Tag, von dem jeder schon einmal gehört hat. Selbst wenn der Einzelne nicht mehr genau weiß, wo die Wolfsschanze eigentlich war, wer Stauffenberg war oder wie das ganze ablief, ist die Reproduktion der Erinnerung an diesen Tag ein Baustein auch der individuellen Identität. Ob man die Wichtigkeit dabei messen kann, sei dahingestellt, sehr wichtig, ein bischen wichtig, das ist nicht bedeutsam, zumal sich die Wichtigkeit auch verändern kann. Aber die Frage, wie man sich zum Nationalsozialismus positioniert, wenn man davon liest, hört, sieht, ist ein Identitätsmerkmal des Einzelnen.

Es wurde das Beispiel des 3. Oktober angeführt. Wird Identität erst dann sichtbar, wenn sich der Einzelne den ganzen Tag mit Tränen in den Augen fahnenschwenkend auf der Straße bewegt. Oder ist im Gegenzug das Ausschlafen an jenem Tag ein Indiz für Geschichtsvergessenheit und geistiger Lethargie ("ist mir doch egal"). Nein, denn auch wenn sich der Einzelne nicht den ganzen Tag mit dem Thema beschäftigt, weiß er doch, worum es geht, und in einem darauf abzielenden Gespräch wird man - in der Regel - Meinungen und Positionierungen bekommen, die anzeigen, daß die Identität des Einzelnen auch von Feiertagen geprägt ist.

Was bedeutet Identifizierung? Zunächst einmal nicht immer unbedingte Zustimmung. Scorpio hat eine ganze Reihe von Namen aufgeführt mit der Frage, ob sich heute noch jemand mit diesen Leuten identifizieren würde. Was bedeutet es, wenn dies nicht der Fall ist. Man muß ja Goethe nicht lieben (ich zum Beispiel fand Hermann und Dorothea unsäglich langweilig) und kann trotzdem sagen, von ihm beeinflußt zu sein. Außerdem wäre die Grenze zwischen Gruppen- und Einzelidentität ja dort anzusetzen, wo man sagen muß, daß nicht alle dieser berühmten Leute von allen Leuten heutzutage noch gleichermaßen geachtet, verehrt oder sonstwie bemerkt werden, aber jeder einzelne dieser Namen hat für Einzelne eine Bedeutung, die auch in Negation, also Ablehnung oder Desinteresse, ausgedrückt werden kann.

Zustimmung schließlich ist auch eine Frage unterschiedlicher Ebenen. es wurde weiter oben dargelegt, wie ein FDJler eine Rede gehalten hat, an die er sich eine halbe Stunde später nicht mehr erinnern konnte, weil er damit nur eine lästige und von oben auferlegte Pflicht absolvierte. Dieses Bild allerdings untermauert eine Vorstellung von einem "Staat dort oben" und einem "Volk dort unten", bei dem die durch Kollektivierung des kulturellen Gedächtnisses angestrebte Gruppenidentität keineswegs beim Einzelnen ankommt. Ich habe da so meine Zweifel. Schließlich ist ein Staat ja die Organisationsform der Gesellschaft, und somit sind beide durchdrungen, eben von den jeweiligen Vorstellungen, denn das, was staatlich organisiert wird, kommt ja von einzelnen Protagonisten, die ihrerseits wieder in eine Gesellschaft eingebunden sind, mögen sie auch abgeschottet in Wandlitz gesessen haben.

Ich als FDJler war übrigens durchaus überzeugt von dem, was ich tat. Ich habe als Kind nicht in Frage gestellt, was man mich lehrte, und auch wenn ich Jugendlicher Tendenzen einer Abwehrhaltung entwickelte, so waren mir doch die Schlagworte - Frieden, Gerechtigkeit, Völkerverständigung - ebenso verständlich wie ihre historische Legitimation - Antifaschismus, Ausbeutung -, und zwar ohne daß ich als 14jähriger nun genau hätte sagen können, wo die Unterschiede und Entwicklungen zwischen Lassalle und Bebel lagen. Das haben wir in der Schule zwar gelernt, aber es hat mich überhaupt nicht interessiert. Wenn man mich damals nach der Bedeutung der Geschichte für mich gefragt hätte, so wäre meine Antwort gewesen : nach Napoleon nur noch langweilig. Alles versank im Grau der Geschichte der Arbeiterbewegung, der Geschichte, die für mich als DDR-Kind eigentlich hätte identitätsstiftend sein sollen. Trotzdem hat mich der Geschichtsunterricht nicht von meinen Interesse für Geschichte abbringen können. Dies vielleicht als Schlußwort zu den Gedanken, warum Geschichtsbewußtsein und Identität Widersprüche unter einen Hut bringen müssen.
 
Ich habe noch nie von dem NUTS-System gehört, aber nach etwas lesen scheint es mir mehr administrative Strukturen zu erfassen. Das ist besonders deutlich bei der Ebene NUTS-1 zu erkennen, die z.b. in Deutschland exakt den Bundesländern entspricht. In diesem Strang wurde schon mit recht darauf verwiesen, dass die Bildung dieser in den meisten Fällen wenig mit Regionalidentität oder gewachsener Tradition zu tun haben. Ebenso entspricht die Ebene NUTS-3 in Deutschland einfach derjenigen der Landkreise. Ich denke, dieses NUTS-System sagt eher etwas über die Komplexität und Tiefe der Administration in einem Land aus.
Dass es verschiedene Nationalismen gibt und man allzuschnell in die Perspektive des eigenen Landes abgleitet, ist normal. Der deutsche Nationalismus ist im Sinne der 3-Elemente-Lehre z.B. sehr stark davon geprägt, dass es nur ein einziges Staatsvolk, eben das Deutsche gibt. In den meisten Ländern der Welt ist das aber gar nicht der Fall.

So wie ich das sehe, ist das System auch darauf angelegt, tvinnefossen meinte, wenn ich das richtig verstanden habe, auch mehr, dass daraus abgeleitet werden kann, dass viele Identitäten sich eher auf Regionaler Ebene befinden, die am ehesten den Verwaltungsstrukturen auf den unter NTUS-0 befindlichen Ebenen zu finden sind.

Die Frage selbst birgt ein gewisses Problem - wie wirkt sich Gruppenidentität auf den Einzelnen aus? Das kann man natürlich nur individuell beantworten, woraus man zwar individuelle Identitäten bekommt, das Erschließen einer Gruppenidentität ist dann aber immer eine Konstruktion.

Ist der deutschen Bevölkerung Geschichte wichtig? Es gibt einen riesigen Markt - Filme, Zeitungen, Reportagen, Vereine, Museen, ja, im Internet soll es sogar ein erfolgreiches Geschichtsforum geben. Der Markt, das Interesse, die Beteiligung und die Auseinandersetzung sind doch da.

Ist das identitätsstiftend? Die Identität des Einzelnen ist eine Summe vieler Bausteine, zu denen neben genetischer Vorlage und der jeweiligen Sozialisation eben auch Erfahrungen gehören, die zu Interessen führen können, die sich aber auch wieder entfernen können, es gehören das Erleben der Umwelt mit dazu, die Erzählungen wie auch die Nichterzählungen der Großeltern, und alles wird durchdrungen von einem kollektiven Gedächtnis, das sich aus der steten Reproduktion bestimmter Erinnerungen speist - wer sein ganzes Leben immer wieder von Nationalsolzialismus und Weltkrieg erzählt bekommt, ist irgendwann dadurch beeinflußt.

Geschichte hat meiner Meinung nach einen prägenden Einfluss auf die Identifikation. Gewisse Einstellungen bzw. Ansichten, die im Zuge von geschichtlichen Ereignissen entstanden sind, werden oft von den heute lebenden Menschen geteilt bzw. das Verhalten daran angepasst. Das können selbst kleine Dinge sein, wie z.B. Ansichten der Bundesbank bzw. der Vertreter hinsichtlich der Inflation. Eben Erfahrungen, die aufgrund der Hyperinflation entstanden sind.
 
So wie ich das sehe, ist das System auch darauf angelegt, tvinnefossen meinte, wenn ich das richtig verstanden habe, auch mehr, dass daraus abgeleitet werden kann, dass viele Identitäten sich eher auf Regionaler Ebene befinden, die am ehesten den Verwaltungsstrukturen auf den unter NTUS-0 befindlichen Ebenen zu finden sind.



Geschichte hat meiner Meinung nach einen prägenden Einfluss auf die Identifikation. Gewisse Einstellungen bzw. Ansichten, die im Zuge von geschichtlichen Ereignissen entstanden sind, werden oft von den heute lebenden Menschen geteilt bzw. das Verhalten daran angepasst. Das können selbst kleine Dinge sein, ......


Ja, genau so würde ich das auch sehen.
 
... aber nach etwas lesen scheint es mir mehr administrative Strukturen zu erfassen. Das ist besonders deutlich bei der Ebene NUTS-1 zu erkennen, die z.b. in Deutschland exakt den Bundesländern entspricht. In diesem Strang wurde schon mit recht darauf verwiesen, dass die Bildung dieser in den meisten Fällen wenig mit Regionalidentität oder gewachsener Tradition zu tun haben.....

Ja, das ist richtig, NUTS ist ein rein statistisches Mittel, welches dazu dient, vergleichbare Räume zu schaffen. Interessant finde ich aber dennoch, daß es auch als Ansatz dienen kann unterschiedliche Betrachtungen von Identität zu erklären. Sämtliche Staaten bei denen uns auch ein massenweises Zeigen von National-Staatssymbolen nicht negativ auffällt liegen auf NUTS-1 oder drunter. Sämtliche ehemalige Großreiche liegen auf NUTS-0 eine regionale Identität reicht bei jenen nicht aus, um das nationale Gebilde zu erklären, dazu braucht es eben mehr, etwas das mehrere Regionen umspannt und gemeinschaftlich abdeckt. Die daraus entstandenen nationalen Symbole und Handlungsweisen wirken auf Dritte in der Regel bedrohlich

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Dass es verschiedene Nationalismen gibt und man allzuschnell in die Perspektive des eigenen Landes abgleitet, ist normal. Der deutsche Nationalismus ist im Sinne der 3-Elemente-Lehre z.B. sehr stark davon geprägt, dass es nur ein einziges Staatsvolk, eben das Deutsche gibt. In den meisten Ländern der Welt ist das aber gar nicht der Fall.

Jein! In den einzelnen Gliedtaaten die sich am Ende in einem Deutschen Reich zusammenfanden, war zuvor ethnische Homogenität die meiste Zeit der Existenz dieser Länder ebenfalls nicht gefordert bzw. hatte nur eine untergeordnete Bedeutung. Brandenburg-Preußen war bis zur aufkommenden Deutschtümelei ein multiethnischer, multikultureller Staat, gleich einer Willensnation, in der es zwar eine starke Staatsfacon gab, sie sich aber nicht über ein Deutschsein definierte, das kam erst im 19. Jh. immer stärker hinzu.

Für Europa meine ich schon, daß ethnische Homogenität ein Augenmerk beim Erstarken der Nationalbewegungen war und aus dieser Motivation heraus die meisten Staatsgründungen der jüngeren Geschichte von statten gingen. Es ging höchstens darum wie man diese Homogenität definierte (z.B. Balkan - Wer ist Serbe, wer nicht....). Persönlich bin ich sogar der(Minder-)Meinung, daß z.B. Deutschland das Ergebnis einer Pan-Bewegung ist, welche sich in der damals machbaren geographischen Ausdehnung zu einem Staat formierte. Gemeinsamer Nenner war wohl ausschließlich die Sprache. Zur Unterstützung wurde eine affirmative Geschichtsbetrachtung herangezogen, welche rückwirkend viele Ereignisse in Mitteleuropa umdeutete und eine (nach meiner Einschätzung nicht vorhandene) Kontinuität, ja sogar ein "deutsches Sendungsbewußtsein" vorgaukelte.

Daß das im Rest der Welt anders war, ist nicht weiter verwunderlich, weil die Staaten z.B. im Nahen Osten und in Afrika am Reißtisch unter Berücksichtigung der Interessen der Kolonial-/Hegemonialmächte, vor allen anderen Großbritanniens und Frankreichs entstanden. Die Staaten dort gründeten sich nicht aus einem eigenen Verständnis heraus als Ergebnis einer Nationalbewegung oder als Nachfolger eines Herrschaftsgebildes, sie wurden ohne Rücksicht auf Traditionen, Volksstämme bzw. Ethnien und Historie nur nach Interessenlage europäischer Mächte gegründet.
 
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