Erinnerungskultur - Was ist wichtig für die Deutschen?

Es geht um keinen Objektivismus, sondern um Subjektivismus. Wir wollen auch ähnliche Frage an anderen Foren stellen, nicht nur an historischen. Und wir werden es auch ein bisschen beschreiben.

Das ist natürlich ein ganz unsachlicher Ansatz, um eine Erinnerungskultur einer Nation darzustellen.
Historische Subjektivität in Aussagen von Zeitzeugen oder solchen, die ihre subjektive Ansicht im Bezug auf eine historische Erinnerungskultur der Deutschen beziehen oder darlegen, kann nicht den Anspruch an Erinnerungskultur im allgemeinen Ansatz haben.

Beispiel: Ein Zeitzeuge, der als angehöriger einer deutschen Minderheit z.B. aus den vertriebenen ehemaligen ostpreußischen Ländern nach 1945 berichtet, wird/kann subjektiv berichten, über eine Erinnerung, die bis heute im Bund der Vertriebenen einer Erinnerungskultur von Deutschen angehört, aber nicht im Fokus oder im Vordergrund der deutschen Erinnerungskultur steht!

Wird hier nicht stark Unterschieden, vor allem mit dem Aspekt der objektiven oder subjektiven Erinnerungskultur, werden auch alte subjektive Denkmuster außerhalb Deutschlands oder deren Nachbarstaaten als Anstoß negativer Erinnerungskultur bis heute in Genrationen weiter getragen, die mit der Ursprünglichen Kultur, an die letztlich erinnert werden soll, ob nun aus positiver oder negativer Erinnerung/Sichtweise, keine Verbindung mehr haben/tragen, außer der Nationalität.

Ein somit übertragener negativer Nationalgedanke oder härter Ausgedrückt, Nationalhass, wird auch über Generationen hinaus, keine Versöhnung bringen und keine objektive Erinnerungskultur.

Gruß
Historiker Neu
 
Den Stolz drauf, Deutscher zu sein, überlasse ich gern anderen.

@ Zustimmung zu dieser kritischen Sicht auf "Erinnerungskultur".

Das Thema wirft direkt die Frage auf: "Wessen Erinnerungskultur?" In der Regel ist eine Erinnerungskultur, die von "Oben" gedacht und geschrieben wird und als "Mythos" die konstruierte Identität ausmachen soll.

Die Erinnerungskultur von "Unten" sieht sicherlich anders aus und ist auch nicht so "heroisch".

Die Frauen beispielsweise, die ihre Ehemänner oder Kinder in Kriegen verloren haben. Oder die in miesen hygienischen Wohnbedingungen in den Arbeiterquartieren in den großen Städten wohnen mußten, werden eine noch ganz andere Form der "Erinnerungskultur" schreiben.

Wenn "Erinnerungskultur" überhaupt für die Zukunft noch eine Funktion haben soll, dann wird sie mehr denn je die Formen der Erinnerung in den Vordergrund stellen müssen, die ein friedliches Miteinander thematisieren und die individuelle Freiheit und soziale Gerechtigkeit betreffen.

Und das ist dann auch wieder eine Form von Ideologie, aber sie dient dem friedlichen Zusammenleben der Völker in Europa und der übrigen Welt.

Nationalistische Erinnerungskultur schafft lediglich eine Ausgrenzung von anderen Menschen und ist in seinen Spielarten immer die Basis einer auf Vernichtung anderer angelegter Ideologie.

Und es sind gerade Staaten im Osten, die derzeit am deutlichsten genau diese Mechanismen vorführen. Leider.

Deswegen wird man immer sehr aktiv um die "richtige Erinnerungskultur" kämpfen müssen und sehr kritisch Versuche betrachten müssen, sie als ausschließlich "nationalstaatliche Erinnerungskultur" zu interprtieren.
 
Um es aber auch deutlich zu sagen, es gibt natürlich Ereignisse, Ideen oder auch Personen, die einer "Erinnerungskultur" würdig sind.

Es sind vor allem die "Altruisten", die für Ideen gekämpft haben, die im Kern die Realisierung von Menschenrechten beinhaltet haben und in der Tradition der Amerikanischen oder der Französischen Revolution standen und in der "Deutschen Revolution" (1848/49) - dem "Vormärz 1848" - ihren prägnantesten und frühesten deutschen Ausdruck fanden.

Und sich in der Zivilcourage der "Mehrheitsparteien" 1920 in der Weimarer Republik fortgesetzt haben und in der Neugründung der Bundesrepublik ihrer neuesten Ausdruck gefunden haben.

Der "Erinnerungsort" in der "Erinnerungskultur" ist somit eher ein Konstrukt, der demokratisch verfasste Rechtsstaat.

Eine Bundesrepublik, die sozialen Frieden, eine individuelle Chancengleichheit (trotz enormer Defizite) und gleiche politische Partizipation (trotz deutlich unterschiedlicher realer Zugänge) verwirklicht hatte.

Und somit ist die Bundesrepublik, trotz ihrer Widersprüche und nicht optimalen politischen Kultur, als "Zivilgesellschaft" (Citizenship) ein positives "Objekt" für eine Erinnerungskultur.

Und wenn man mich persönlich fragt, auf was ich "stolz" bin, dann auf die Leistung Anderer, die im Rahmen und im Namen des Grundgesetzes in Karlsruhe (Bundesverfassungsgericht) "Recht" sprechen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Also wenn ich so überlege, dann erinnere ich mich, wenn ich an Deutschland denke, besonders an den Nationalsozialismus, an Bismarcks Sozialistengesetze, an die Unterdrückung in der DDR. Diese Ereignisse erzeugen bei mehr jetzt alle keine positiven Gefühle, wobei es aber schon Ereignisse gibt an die ich mich gerne erinnere und die sich "positiv anfühlen", das wäre der Start der Reformation im 16. Jahrhundert, der Versuch des Aufbau einer Räterepublik 1919, der Versuch eines Widerstand gegen den Nationalsozialismus durch die Bekennende Kirche. Jedoch verbinde ich diese 3 Ereignisse nicht mit Deutschland, ich bin auch nicht "stolz" darauf, sondern ich sehe, dass sozusagen als Vorbildfunktion.
 
Deutschland, als Erinnerungsort ist eh schwierig, da es ein Deutschland als Staat, mit Unterbrechungen eh erst seit 1871 gibt. Wenn ich auf das Gebiet des HRRdN gucke sehe ich Deutschland nur bis zum Nordteil der Alpen.
Was im Bewusstsein "Der Deutschen" haftet, hier aber noch nicht erwähnt worden ist, ist der 30-jährige Krieg, im Süden und Westen die Römische Besiedlung. Dann nicht zu Vergessen Hermann/Arminius. Und das Fränkische Reich eines Karl des Grossen.

Apvar
 
Nun,Deutschland ist nicht umsonst ein föderalistischer Staat - die Erinnerung an historische Ereignisse und auch deren Bewertung hängt daher sicherlich in starkem Maße von der Region ab,aus der jemand kommt und natürlich auch von der persönlichen Familiengeschichte.
Bei mir z.B. beginnen die wichtigen Ereignisse mit der Ankunft der Römer am Rhein und der Gründung der Stadt Mainz 38 v. Chr
-dann Fall der römischen Rheinlinie 406
-Karl d,Große 800
-Aufstieg der aus unserer Region stammenden Salier
-die Stauferkaiser Friedrich I Barbarossa und Friedrich II
-Aufstieg der Reichsstädte
- Gutenberg und der Buchdruck 1450
- Luther und die Reformation 1517
- 30jähriger Krieg 1618-48
- Pfälzischer Erbfolgekrieg 1688
- Französiche Revolution und Mainzer Republik 1793
- Revolution 1848/49
- Königgrätz 1866
- 1.Weltkrieg
- Nazidiktatur mit allen ihren Folgen+ 2-Weltkrieg
- Gründung der Bundesrepublik
-Deutsch-französische Freundschaft
- Gründung der EWG/heute EU
- 1957Zaphod wird geboren :D
- Mauerbau
-Mauerfall
-Euro-Einführung und Schengenabkommen/Grenzwegfall
 
Scorpio und thanepower stimme ich zum großen Teil zu.

Allerdings ist zu bedenken, dass sowohl Ethnologie als auch Völkerkunde und Soziologie herausgearbeitet haben, dass es, abgesehen von einer kleinen Bildungselite, so nicht funktioniert. Meiner Ansicht nach schon deshalb nicht, weil diese abstrakten Gedanken so nicht jeder nachvollziehen kann, und die Orientierung eher an Vorbildern und Beispielen, also mit einer Erinnerungskultur vorgenommen wird.

Der Großteil braucht verständliche Erklärungen, die ihm bisher oft durch staatliche Propaganda -im Positiven, wie im Negativen - vorgegeben werden. Ich habe bei zahlreichen Diskussionen gemerkt, dass Zweifel an der Geschichte des 3. Reichs am besten durch Beispiele ausgeräumt werden. Hier haben wir die Wewelsburg in der Nähe. Das dortige KZ als Beispiel kennt hier jeder. Nach Kriegsende durften diejenigen, deren Höfe zerstört waren, dort Baumaterial "holen". Wenn hier ein Zugezogener sagt, dass das mit den KZs (insbesondere in Bezug auf Wewelsburg kommt das recht häufig vor) nicht stimmt, dann ist das ein konkretes Beispiel, was niemand bezweifelt, und noch jeder verstanden hat. (Es gibt Beispiele, die unbedingt rechts außen bleiben wollen, "aber nicht so, nur eben deutsch bleiben", was ja schon deutlich die intellektuellen Fähigkeiten zeigt.)

Genauso ist doch aber eine politische Haltung im Positiven zu begründen. Früher gehörte zur 'Erinnerungskultur', dass Heinrich I., als er genug gerüstet hatte, statt des Tributs tote Hunde ins Ungarische Feldlager werfen lies. So etwas bewirkt wenig Gutes. Als 1999 bei der Ausstellung zum Treffen Kerl des Großen und Papst Leos 799 in Paderborn schon karikaturenhaft häufig, die Bezeichnung als 'pater europae' betont wurde, bekam man auf der Straße und in den Kneipen mit Bezug auf Europa das Wort vom Sachsenschlächter zu hören: Wir gehören dann ja wohl nicht dazu, sind ausgeschlossen. Damit hat diese Betonung im Paderborner Land zum Teil das Gegenteil bewirkt. Das wurde so auch gesagt. Das Ganze wirkte zudem unfreiwillig komisch, und der Normalbürger machte sich über die Reste des Bildungsbürgertums lustig, zumal es ganz offensichtlich darum ging EU-Fördergelder abzugreifen.

Dies zeigt, dass man eine 'Erinnerungskultur' nicht einfach steuern kann. Ein funktionierendes Beispiel zu finden, welches gleichzeitig historisch und unpolitisch genug ist, um hier gebracht werden zu können, ist naturgemäß schwierig zu finden. Man kann vielleicht an die Nachkriegszeit denken. Politischer Konsens war, dass es keine wirtschaftlich im Abseits stehende Minderheit geben dürfe, die sich leicht radikalisieren ließe, wenn man es modern ausdrückt. Über den Weg stritten sich dann CDU, SPD und FDP, was hier aber nicht weiter von Belang ist. Dem Vorwurf, dass "die da oben" (egal von welcher Partei) heute gegen 'den Kleinen Mann' agieren, und 'den' Parteien nicht zu trauen ist, kann kaum mit vernünftigen Argumenten begegnet werden. Eine Erinnerung an die vorgenannten Grundlagen deutscher Wirtschaftspolitik funktioniert aber in gewisser Weise. Es wird immer noch anerkannt, dass 'die' Parteien in dieser Tradition stehen.

Und damit sind wir auch bei einem, meiner Ansicht nach, besseren Begriff. Jeder sieht sich in einer Tradition. Und dabei können die Menschheit, Europa, Deutschland, die Herkunftsregion und der Heimatort durchaus alle ohne Konkurrenz integriert werden. Eine Tradition lebt auch von der Erinnerung an Vergangenes. Gleichzeitig gibt es keinen Zwang und keine Ausgrenzung: Jeder kann sich in die Tradition stellen, die er will.

Warum ist mir dieser Punkt so wichtig? Wir können nicht ohne Ideologie* leben. Daher können wir Ideologie nicht verteufeln, ohne uns selbst zu verteufeln. Aber wir können darstellen, dass ethische Forderungen an eine Ideologie existieren.

Aus der Formulierungsmöglichkeit** ergibt sich auch, das nationale Erinnerungskultur so möglich ist, dass es nicht in Nationalismus umschlägt. Dies meine ich nicht anders als thanepower es in Post #23 formuliert. (Nur sehe ich vielleicht etwas anders, dass es automatisch und logisch notwendig nationale Ansichten sind, wenn ein Bürger eines Staates über diesen Staat, ob nun negativ oder positiv reflektiert.)

Was ist dies nun mehr als das Jammern über die ach so fehlerhafte menschliche Vorstellungswelt? Geht es nicht ohne Sternenmoral? Ich sehe eher, dass es die Forderung ist, immer wieder dieselben Ereignisse möglichst entkleidet von ideologischer Interpretation zu erklären. Wenn man will, dass etwas im öffentlichen Bewusstsein ist, ohne missbraucht werden zu können, gibt es keine andere Wahl. Und das gehört zu den Aufgaben des Historikers.

Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass es nicht Ereignisse sind, sondern Errungenschaften wie das Grundgesetz und auch das Negative wie die Steuergesetzgebung, um nicht gleich wieder das Extremste zu nennen, die mir bei der Frage nach Deutschland in den Sinn kommen. Denn Erinnerungskultur ist nur ein Umweg dahin. (Und für die deprimierende Gewohnheit, das Schlechte in den Vordergrund zu stellen, habe ich eine zu positive Lebenseinstellung. Daher sehe ich die deutsche Kultur längst nicht so negativ wie Scorpio, stufe auch einiges, wie den Karneval als positiv ein, kritisiere dafür anderes, wie die PC***. Aber wer bei dieser Frage zuerst an positives denkt, kann mir nicht weis machen, in Deutschland sozialisiert worden zu sein.)

* Eine Erinnerungskultur ist notwendigerweise Ideologie, da sie eine geforderte abstrakte Aussage aus konkreter Erinnerung schöpfen will, und dies vor dem Hintergrund eines, vielleicht unbewussten, aber ohne Zweifel vorhandenen, Überbaus tut. Ich will mich hier nicht über den Begriff streiten, nur klar stellen, warum ich ihn hier so verwende.

**Das ist nicht im Sinne von Nominalismen oder Universalien zu verstehen, sondern in Bezug auf die formale Logik.

***Ja, ich halte das für den Anfang einer neuen Diktatur. Ob sich die Befürworter oder Gegner, die es beide von ganz links bis nach ganz rechts gibt, durchsetzen, bleibt abzuwarten.
 
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Scorpio und thanepower stimme ich zum großen Teil zu.

Allerdings ist zu bedenken, dass sowohl Ethnologie als auch Völkerkunde und Soziologie herausgearbeitet haben, dass es, abgesehen von einer kleinen Bildungselite, so nicht funktioniert. Meiner Ansicht nach schon deshalb nicht, weil diese abstrakten Gedanken so nicht jeder nachvollziehen kann, und die Orientierung eher an Vorbildern und Beispielen, also mit einer Erinnerungskultur vorgenommen wird.

Der Großteil braucht verständliche Erklärungen, die ihm bisher oft durch staatliche Propaganda -im Positiven, wie im Negativen - vorgegeben werden. Ich habe bei zahlreichen Diskussionen gemerkt, dass Zweifel an der Geschichte des 3. Reichs am besten durch Beispiele ausgeräumt werden. Hier haben wir die Wewelsburg in der Nähe. Das dortige KZ als Beispiel kennt hier jeder. Nach Kriegsende durften diejenigen, deren Höfe zerstört waren, dort Baumaterial "holen". Wenn hier ein Zugezogener sagt, dass das mit den KZs (insbesondere in Bezug auf Wewelsburg kommt das recht häufig vor) nicht stimmt, dann ist das ein konkretes Beispiel, was niemand bezweifelt, und noch jeder verstanden hat. (Es gibt Beispiele, die unbedingt rechts außen bleiben wollen, "aber nicht so, nur eben deutsch bleiben", was ja schon deutlich die intellektuellen Fähigkeiten zeigt.)

Genauso ist doch aber eine politische Haltung im Positiven zu begründen. Früher gehörte zur 'Erinnerungskultur', dass Heinrich I., als er genug gerüstet hatte, statt des Tributs tote Hunde ins Ungarische Feldlager werfen lies. So etwas bewirkt wenig Gutes. Als 1999 bei der Ausstellung zum Treffen Kerl des Großen und Papst Leos 799 in Paderborn schon karikaturenhaft häufig, die Bezeichnung als 'pater europae' betont wurde, bekam man auf der Straße und in den Kneipen mit Bezug auf Europa das Wort vom Sachsenschlächter zu hören: Wir gehören dann ja wohl nicht dazu, sind ausgeschlossen. Damit hat diese Betonung im Paderborner Land zum Teil das Gegenteil bewirkt. Das wurde so auch gesagt. Das Ganze wirkte zudem unfreiwillig komisch, und der Normalbürger machte sich über die Reste des Bildungsbürgertums lustig, zumal es ganz offensichtlich darum ging EU-Fördergelder abzugreifen.

Dies zeigt, dass man eine 'Erinnerungskultur' nicht einfach steuern kann. Ein funktionierendes Beispiel zu finden, welches gleichzeitig historisch und unpolitisch genug ist, um hier gebracht werden zu können, ist naturgemäß schwierig zu finden. Man kann vielleicht an die Nachkriegszeit denken. Politischer Konsens war, dass es keine wirtschaftlich im Abseits stehende Minderheit geben dürfe, die sich leicht radikalisieren ließe, wenn man es modern ausdrückt. Über den Weg stritten sich dann CDU, SPD und FDP, was hier aber nicht weiter von Belang ist. Dem Vorwurf, dass "die da oben" (egal von welcher Partei) heute gegen 'den Kleinen Mann' agieren, und 'den' Parteien nicht zu trauen ist, kann kaum mit vernünftigen Argumenten begegnet werden. Eine Erinnerung an die vorgenannten Grundlagen deutscher Wirtschaftspolitik funktioniert aber in gewisser Weise. Es wird immer noch anerkannt, dass 'die' Parteien in dieser Tradition stehen.

Und damit sind wir auch bei einem, meiner Ansicht nach, besseren Begriff. Jeder sieht sich in einer Tradition. Und dabei können die Menschheit, Europa, Deutschland, die Herkunftsregion und der Heimatort durchaus alle ohne Konkurrenz integriert werden. Eine Tradition lebt auch von der Erinnerung an Vergangenes. Gleichzeitig gibt es keinen Zwang und keine Ausgrenzung: Jeder kann sich in die Tradition stellen, die er will.

Warum ist mir dieser Punkt so wichtig? Wir können nicht ohne Ideologie* leben. Daher können wir Ideologie nicht verteufeln, ohne uns selbst zu verteufeln. Aber wir können darstellen, dass ethische Forderungen an eine Ideologie existieren.

Aus der Formulierungsmöglichkeit** ergibt sich auch, das nationale Erinnerungskultur so möglich ist, dass es nicht in Nationalismus umschlägt. Dies meine ich nicht anders als thanepower es in Post #23 formuliert. (Nur sehe ich vielleicht etwas anders, dass es automatisch und logisch notwendig nationale Ansichten sind, wenn ein Bürger eines Staates über diesen Staat, ob nun negativ oder positiv reflektiert.)

Was ist dies nun mehr als das Jammern über die ach so fehlerhafte menschliche Vorstellungswelt? Geht es nicht ohne Sternenmoral? Ich sehe eher, dass es die Forderung ist, immer wieder dieselben Ereignisse möglichst entkleidet von ideologischer Interpretation zu erklären. Wenn man will, dass etwas im öffentlichen Bewusstsein ist, ohne missbraucht werden zu können, gibt es keine andere Wahl. Und das gehört zu den Aufgaben des Historikers.

Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass es nicht Ereignisse sind, sondern Errungenschaften wie das Grundgesetz und auch das Negative wie die Steuergesetzgebung, um nicht gleich wieder das Extremste zu nennen, die mir bei der Frage nach Deutschland in den Sinn kommen. Denn Erinnerungskultur ist nur ein Umweg dahin. (Und für die deprimierende Gewohnheit, das Schlechte in den Vordergrund zu stellen, habe ich eine zu positive Lebenseinstellung. Daher sehe ich die deutsche Kultur längst nicht so negativ wie Scorpio, stufe auch einiges, wie den Karneval als positiv ein, kritisiere dafür anderes, wie die PC***. Aber wer bei dieser Frage zuerst an positives denkt, kann mir nicht weis machen, in Deutschland sozialisiert worden zu sein.)

* Eine Erinnerungskultur ist notwendigerweise Ideologie, da sie eine geforderte abstrakte Aussage aus konkreter Erinnerung schöpfen will, und dies vor dem Hintergrund eines, vielleicht unbewussten, aber ohne Zweifel vorhandenen, Überbaus tut. Ich will mich hier nicht über den Begriff streiten, nur klar stellen, warum ich ihn hier so verwende.

**Das ist nicht im Sinne von Nominalismen oder Universalien zu verstehen, sondern in Bezug auf die formale Logik.

***Ja, ich halte das für den Anfang einer neuen Diktatur. Ob sich die Befürworter oder Gegner, die es beide von ganz links bis nach ganz rechts gibt, durchsetzen, bleibt abzuwarten.

Eine kollektive Erinnerungskultur gerät leicht in Gefahr, ideologisch vereinnahmt zu werden. Es wird ein "Wir-Gefühl" erzeugt, das aber fast zwangsläufig zum Konstrukt wird, da "wir" alle Individuen sind. Die kulturelle Identität wird daher je nach Region, Sozialisation, Bildungsniveau, Konfession, Weltanschauung, politischer Einstellung, Herkunft ganz unterschiedlich ausfallen. Ein Bayer wird eine andere haben, als ein Hanseat, ein Katholik wird die Reformation anders beurteilen, als ein Protestant, und einem Atheisten oder Agnostiker ist sie vielleicht ganz wurst. Ein Rheinländer wird den Karneval anders beurteilen als jemand, der in einer Region aufgewachsen ist, wo der Karneval ein Kulturimport ist. unterschiedliche Wurzeln, unterschiedliche Einkommensverhältnisse, unterschiedliche Mentalitäten werden zu unterschiedlichen Erinnerungskulturen führen. Und beim "Wir-Gefühl" wird es immer welche geben, die dabei außen vor bleiben und andere, die sich vom Kollektiv
nicht vereinnahmen lassen wollen, weil sie ausgegrenzt werden oder sich ausgegrenzt fühlen.

Was PC angeht, so bin ich der Meinung, dass es ein Widerspruch in sich ist und politisch und korrekt nicht zusammen passen. Es liegt in der Natur der Sache, dass selbsternannte Gralshüter korrekten Sprachgebrauchs übers Ziel hinausschießen. Man mag "Gutmenschen" belächeln, die Mohrenköpfe, Negerküsse und Zigeunerschnitzel aus dem Sprachschatz ausmerzen wollen und in der FußgängerInnenzone im Dritte Weltladen einkaufen, was sich die meisten der arm Gemachten, der Unterprivilegierten gar nicht leisten können. Ob die aber der Diktatur eher den Weg bereiten, als die Das_wird_man_ja_wohl_noch_sagen-dürfen- Fraktion halte ich für zweifelhaft. Von den Opfern der NSU waren die meisten deutsche Staatsbürger. Es wurde aber von "Dönermorden" gesprochen, so als ob es um Fast Food und nicht um Menschen ging. Sonder SEKs trugen die Namen "Halbmond" und "Bosporus", Familienangehörige wurden schikaniert und observiert. Obwohl Deutsche Staatsbürger, blieben Enver Simsek und Hallit Yozgat beim deutschen "Wir-Gefühl" außen vor.
Eine Aristokratin, die sich seit einigen Jahren gerne als katholische Christin aufspielt und allen Ernstes die Seuche Aids damit erklärte, dass "Der Schwarze eben gerne schnackselt" wurde mit dem Aachener Karnevalsorden "Wider den tierischen Ernst" u. a. für gerade diese Äußerungen ausgezeichnet, die ebenso dümmlich wie rassistisch sind. "Neger" zu sagen hat sie sich wegen der PC- Diktatur wohl nicht getraut, aber selbst simpel gestrickte "echte Deutsche" haben kapiert, was gemeint war. Beim Mainzer Karneval hielt ein Redner während der NS- Zeit einmal eine originelle pointierte Büttenrede über den Hering/deutschen Volksgenossen, der sich mit der Diktatur prächtig arrangiert hat. Bei verschiedenen Prunksitzungen feiert sich der warmgesessene Mittelstand selbst, und klopft sich bei platten Witzchen auf die Schenkel. man muss nicht unbedingt zu einer kleinen Bildungselite gehören, wenn man da lieber auf Distanz geht und sich nicht vereinnahmen lassen will, wenn "Wir" Papst und Weltmeister werden. Wenn der "kleine Mann" sich von den staatstragenden Parteien verraten fühlt und der "Wutbürger" sich enttäuscht abwendet von der parlamentarischen Demokratie, liegt das zum großen Teil nicht daran, dass "der kleine Mann" zu dumm ist, sondern daran, dass "die Politik" seine Interessen nicht vertritt, sondern die einer plutokratischen selbst ernannten Elite. Was soll die wachsende Zahl der arm gemachten, der Ausgegrenzten wählen? Welche Partei vertritt die Interessen der Arbeiterinnen bei Schlecker? Was soll ein Hartz IV- Empfänger wählen?
 
Scorpio und thanepower stimme ich zum großen Teil zu.

Allerdings ist zu bedenken, dass sowohl Ethnologie als auch Völkerkunde und Soziologie herausgearbeitet haben, dass es, abgesehen von einer kleinen Bildungselite, so nicht funktioniert.
Ethnologie = Völkerkunde, Europäische Ethologie/Kulturanthropologie/ Volkskunde als Sozialwissenschaft versteht unter Kultur die Summe der Dinge und Produkte, die eine gemeinschaft hervorbringt. Kultur beschränkt sich nicht auf Literatur, Musik, Architektur oder Kunst, einen Sozialwissenschaftler wird u. U. die Kulturgeschichte des kochens, backens genauso interessieren wie Hausbau, Erzählforschung oder selbst Toiletten

Daher sehe ich die deutsche Kultur längst nicht so negativ wie Scorpio, e.

Damit keine Missverständnisse aufkommen, von der deutschen Kultur halte ich sehr viel, auch wenn ich Kulturpessimist bin. Ich bin Deutscher und schreibe Deutsch. Deutsche Federbetten vermisste schon Heine, natürlich gab er zu den deutschen Träumen, die man darin erlebt, einige Sarkasmen zum Besten. Deutsche Wasserhähne aus denen man notfalls trinken kann, ohne wie im Mittelmeerraum eine Chlorintoxikation zu bekommen habe ich schon oft schmerzlich vermisst, und wie die Franzosen es schaffen, ihre Notdurft stehend in diesen Dingern zu verrichten, die es auf Campingplätzen und Rastplätzen gibt, wird mir immer ein Rätsel bleiben.

Kultur, umfasst auch Esskultur, und wenn ich auf Horst Lichter und andere Schnitzelwender, die derzeit so omnipräsent im fernsehen sind, wollte ich als Epikureer auf all die deutschen regionalen Spezialitäten, die vielen Brotsorten ungerne verzichten.
 
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Ich finde sowohl die Frage als auch die Antworten höchst spannend, auch wenn es die Einwände gegen die Methodik gab - ich habe da so meine Zweifel, ob diese Einwände berechtigt waren, suggerieren sie doch, daß man unter Berücksichtigung richtiger Methodik zu einem richtigen Ergebnis kommen könnte.
Spannend ist es, weil in der Frage nach dem ersten Gedanken gefragt wurde, nicht nach dem wichtigsten, welcher unter langem Nachdenken und Abwägen ausgesucht werden soll. Das kann sich decken, muß es aber nicht. Und es ist zwar schwierig, diese Frage in einem Forum zu stellen, dessen Mitglieder sich permanent mit Geschichte beschäftigen, also zu fast jedem Punkt auch bereits mindestens eine Meinung haben, aber deshalb auch als Puzzleteil so wichtig.
Und spannend zwei sind die Antworten, weil sie oftmals aus "typischen Reflexen" bestehen (in Gänsefüßchen, weil es sich dabei natürlich nicht um einen biologischen reflex, sondern um ein erworbenes Verhaltensmuster handelt.)

Um nun nicht nur von außen urteilend dazustehen, gebe ich auch meinen Mostrich dazu:

Meine erste Assoziation mit der Geschichte eines Landes sind in der Regel die Wirkungen, die von diesem Land ausgehen, und dazu zählen für mich weniger die Ereignisse (Pfälzischer Erbfolgekrieg? Echt? Würde man mich dazu befragen, stünde ich völlig auf dem Trockenen), sondern vielmehr die Ideen. Ich stelle mich also unter das Banner, welches Scorpio entrollte - meine ersten Gedanken sind Kant, Schiller, Marx, Heine, Tucholsky ...
 
(Pfälzischer Erbfolgekrieg? Echt? Würde man mich dazu befragen, stünde ich völlig auf dem Trockenen)
Damals haben die Franzosen an Mosel und Rhein ein paar Burgen und Schlösser zerstört, welche dann 150-200 Jahre später "wiederentdeckt" wurden. Das war quasi der Auslöser der bis heute andauernden Rheinromantik. =)

Ernsthaft: die Franzosen betrieben damals eine recht systematische Politik der Verbrannten Erde. Und wenn du die ganzen Schlösser und Burgen vor allem westlich des Rheins siehst, dann taucht dort immer wieder folgendes Datum auf: 1689 durch die Franzosen im Pfälzer Erbfolgekrieg zerstört (beinahe langweilig).

Mit der Bevölkerung wurde i.d.R. relativ glimpflich verfahren, sie wurde "nur" vertrieben. Ob es tatsächlich dauerhaft wüst gebliebene Orte aus dieser Zeit gibt, deren Bewohner nicht zurückkehrten, kann ich allerdings nicht sagen.
 
Als Heidelberger muss ich sagen, dass der Pfälzische Erbfolgekrieg und seine Folgen und Auswirkungen auf die Region hier immer vorhanden bzw. die Erinnerung daran gepflegt wird.

Hier insbesondere sind neben der Romantik auch die Erinnerungen an den 2 Weltkrieg und die Amerikaner, die hier ihre Hauptbasis hatten, sehr präsent. Vielen Heidelbergern, insbesondere den Älteren, fehlt nun irgendetwas. Das Stadtbild wurde von den Amerikanern geprägt, was nun fehlt.
 
"Erinnerungskultur", was ist das eigentlich? Sind es Orte und Ereignisse oder ist es die zusammenhängende Deutung von Ereignissen?

Wenn man sich einige Beiträge ansieht, dann ist die Erinnerungskultur ein Flickenteppich von historischen Ereignissen, die auf einer Zeitachse auf das Gebiet von "Deutschland" projiziert wird.

Das ganze erfolgt überwiegend zusammenhanglos und ebenso ist auch die Liste der Ereignisse bzw. der Orte, die zur "Erinnerungskultur" gehören, eher zufällig.

Ist das so? Oder ist es nicht so, dass es - wie von Brissotin bereits angemerkt - eine lokale bzw. regionale Identität gibt, die sich auf die jeweilige auch räumlich begrenzte Geschichte beziehen. Und zu dieser Geschichte ergibt sich nicht selten auch ein persönlicher Bezug, da man diese Orte auch selber kennt.

Oder ergibt sich die "Identität" für das "HRR" bzw. für "Deutschland" als abstrakte übergeordnete Identität, als Ergänzung der regionalen Bezüge, oder ersetzt die übergeordnetet Identität die anderen Formen?

Und an diesem Punkt setzt die "Mythenbildung" (sie können auch real sein) der nationalen Geschichtsschreibung ein, die durch eine "Narration" einen "Roten Faden" durch die Geschichte legt. Die ein - wünschenswertes - Selbstbild der Deutschen erschafft und damit zusammenhängend "Bilder" des Nationalcharakters anderer Nationen zeichnet. Und diese "Erzählung" stellt die Bezüge der Ereignisse her und interpretiert sie entsprechend.

Sehr deutlich beispielsweise in der Geschichtsschreibung der früheren sozialistischen Länder / DDR, die die Geschichte als eine Abfolge von Klassenkämpfen interpretierte und historische Ereignisse einem rigiden Raster bei der Interpretation unterwarf. Und das stellt nur eines der offensichtlichen Beispiele dar, die beliebig erweitert werden könnten.

Und diese "Narration" thematisiert Ideologien bzw. auch Werte. Und dieses komplexe Bild der Umwelt ist m.E. die "Erinnerungskultur". Und diese unterliegt einer massiven Revision wie man leicht in den letzten 150 Jahren erkennen kann.

Insofern stellt sich die Frage, welche Werte eine Erinnerungskultur in den Vordergrund stellen will. Sind es die nationalistischen Traditionen, die durch die Erinnerungskultur in die Zukunft fortgeschrieben werden, oder sind es die universalistischen Werte, die letztlich eine "europäische Kulturleistung" sind?

An der Art der "Erinnerungskultur" können wir m.E. erkennen, wie wir uns die Zukunft vorstellen bzw. auch wie wir sie uns wünschen.
 
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Wenn ich an die offiziellen Staatsakte im Bundestag zur Erinnerung denke, da ist nicht viel bei der Bevölkerung hängen geblieben.
17. Juni, 20. Juli und der Volkstrauertag. Und der wird auch immer weniger besucht. Habe den Verdacht, das viele gar nicht wissen warum er überhaupt ist und sind sogar sauer das die Disko am Sonntag morgen die Musik ausstellt, früher als üblich.

Apvar
 
Im aktuellen Spiegel gibt es ein Interview mit Neil MacGregor über sein Verhältnis zu Deutschland. Darin geht es zum großen Teil um Erinnerungskultur in D, vergleichend auch zu GB und F.

MacGregor war Leiter des British Museum und geht jetzt nach Berlin, Gründungsintendanz des Humbold-Forums.
 
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"Wenn sich D. mit seiner Vergangenheit beschäftigt, sieht man es als Pflicht an, ... düstere Kapitel auszuleuchten. .... mit der Absicht, dass sich diese nie wiederholen dürfen.

GB und F betrachten ihre Vergangenheit so, dass sie sich in Zukunft genau wie früher verhalten können."

Das Zitat trifft den Tenor des Interviews ganz gut. Ich glaub, er mag uns, hält uns aber für ein bischen seltsam.


Er hat zu dem Thema auch in einem Buch und einer Ausstellung referiert : "Deutschland. Erinnerungen einer Nation". (das ist jetzt aus einer Amazon-Rezession geklaut)

Im Buch greift er Erinnerungswürdiges heraus und entwickelt daraus herum Geschichten und Geschichtliches. z.B.

Gutenbergbibel
Berliner Reichstag
Märchen
Hanse
Preussen
Luther
Technik
Ästhetik
Ess- und Trinkgewohnheiten (10 One People, many sausages)
das Buchenwaldtor mit "Jedem das seine".

Klingt ganz witzig
 
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Interessant. Wir haben also seiner Meinung nach eine negative Erinnerungskultur im dem Sinne, dass wir uns negative Aspekte der Geschichte als Mahnung heranziehen und die positiven "ausblenden", während Großbritannien und Frankreich es vice versa ist.
 
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