Uniformität in der Kunst

Nergal

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Liege ich damit richtig wenn ich sage dass die Kunst, eigentlich überall auf der Welt, festen Regeln in der Darstellung von Mensch und Natur unterworfen war und sich erst in etwa seit der Renaissance (in Europa) langsam von diesen strengen Vorgaben, sagen wir mal, emanzipiert hat?

Das ganze fiel mir besonders auf als ich kürzlich auf AliExpress auf einige Werke eines modernen chin. Künstlers gestoßen bin. Er malt hauptsächlich wunderschöne Tuschebilder von Frauen. Für einen kurzen Augenblick habe ich mich gefragt ob das fürher so exisitert haben konnte, und ich habe gleich eine Bildsuche gestratet und festgestellt dass die alten chin. Tuschebilder usw. wirklich entsetzlich einheitlich und nicht der Natur nach gemalt worden sind. Keine Halsmuskeln wie der Kopfneiger usw. sind sichtbar, die Köpfe sind unnatürlich rund usw. Das selbe gilt für Japan, und natürlich für die Buchmalerie in Europa, dir griech. Ikonen usw.

Wieso hat sich die Kunst oft so entwickelt, auch mit absolut unnatürlichen Standards?
Was ich in einem Anderen Thread angesprochen habe, dass die Kunst in Europa seit der Antike bis hin zur Renaissance einen Qualitätsverlust erlitten hat, scheint auch hier von Bedeutung zu sein. Die Künstler der Antike haben zwar vermutlich auch ihre Modelle eine, gewissen Standards zugeneigte, Maske tragen lassen, aber trotzdem sehen wir dort auch viele einzigartige Individuen. Diese sind fett, häßlich, vom Leben gezeichnet, mit verkniffenem Blick, fröhlich oder besorgt, aber doch einzigartig wie die Vorbilder.

Gibt es einen Begriff für diese Uniformität?
 
Generell: Ein "Theoretisieren" über dieses sehr komplexe Thema ohne Bezüge auf entsprechende Autoren ist kaum zielführend. Viele Künstler haben "Theorien der Kunst" entwickelt, die in der Regel zu einer Rechtfertigung ihrer Kunst nützlich war. Mit Taine, Guyau, Plechanow, Simmel Weber Cassirer, Panofsky, Hauser oder Adorno liegen dennoch eine Vielzahl von alternativen Analysen vor, die einen Zugang zur Kunst und ihrer Bedeutung für die Gesellschaft ermöglichen.

Wäre es nicht sinnvoll oder sogar zwingend, diese komplexe Fragestellung in einen kunsthistorischen oder kunstsoziologischen Kontext einzubinden?

Liege ich damit richtig wenn ich sage dass die Kunst, eigentlich überall auf der Welt, festen Regeln in der Darstellung von Mensch und Natur unterworfen war und sich erst in etwa seit der Renaissance (in Europa) langsam von diesen strengen Vorgaben, sagen wir mal, emanzipiert hat?

"Uberall auf der Welt" durch die Jahrhunderte hindurch? Sorry, aber das ist gelinde gesagt doch etwas zu ambitioniert. Es ist der komparative Querschnittvergleich der regionalen Kunststile, also auch der in den entlegendsten Winkeln der Erde, also auch zu den Mayas oder den Aborigines. Und ist zudem eine Längsschnittbetrachtung über die Epochen der Entwicklung von Kultur seit der Antike, also beispielsweise auch die Entwicklung der arabischen oder indischen Kultur. Überflüssig anzumerken, dass der "Renaissance"-Begriff lediglich westliche Einteilung von Epochen als Allgemeingültig annimt und kaum als universale Kategorie zur Beschreibung der Entwicklung in anderen Ländern ohne weiteres hilfreich ist.

Insofern wäre es wohl mehr als angebracht, die zu vergleichenden Perioden und die zu vergleichenden Regionen präziser zu fassen, damit halbwegs sinnvolle Aussagen überhaupt erst möglich werden.

Wieso hat sich die Kunst oft so entwickelt, auch mit absolut unnatürlichen Standards?

Hat sie das? Alleine durch Deine Behauptung, ohne ausreichende Hinweise auf entsprechende seriöse Untersuchungen, kann kaum diese "Tatsachenbehauptung" als erwiesen angesehen werden. Wo ist also die empirische Untersuchung, die genau dieses belegt?

Was ich in einem anderen Thread angesprochen habe, dass die Kunst in Europa seit der Antike bis hin zur Renaissance einen Qualitätsverlust erlitten hat, scheint auch hier von Bedeutung zu sein.

Nur weil Du das angenommen, bzw. behauptet hast, muss es nicht so gewesen sein. Zumal Dein "Kunstbegriff" sich in einem relativ einfachen "Naturalismus" handwerklicher Fertigkeiten erschöpft, den bespielsweise ein Hauser (Soziologie der Kunst) anders definieren würde. Eine möglichst realistische Abbildung ist kein ausreichendes Kriterium die "Qualität" von Kunst zu beschreiben (vgl. auch beispielsweise W. Benjamin dazu)

https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Kunstwerk_im_Zeitalter_seiner_technischen_Reproduzierbarkeit

In Deiner Sicht werden m.E. wichtige Aspekte nicht angemessen gewürdigt. Das Erzeugen von Kunst ist eingebettet in politische und/oder sakrale Vorstellungen, zumindest über lange Perioden galt das für Europa seit dem früheste Mittelalter.

Insofern waren ästhetische Standards ja nicht isoliert möglich zu entwickeln, sondern spiegelte in starkem Maße das politisch-soziale Normensystem oder das sakrale Weltbild wieder.

Und die Aufgabe wäre doch, den Einfluß dieser Normen auf die Kunst zu rekonstruieren. Und möglicherweise auch den Punkt zu bestimmen, ab welchem Zeitpunkt eine Rückkopplung stattfand und die Kunst zunehmend ein Realität erzeugen konnte, die zu einer Reflektion bestehender Sichten anregte. Also das, was bei Dir als "Emanzipation" bezeichnet wird.

https://de.wikipedia.org/wiki/Theorie_der_Kunst

https://de.wikipedia.org/wiki/Kunstsoziologie
 
Zuletzt bearbeitet:
Wieso hat sich die Kunst oft so entwickelt, auch mit absolut unnatürlichen Standards?

[…]

Gibt es einen Begriff für diese Uniformität?
Wenn ich die »unnatürlichen Standards« richtig verstehe, wunderst Du Dich, wie sich eine ganze Gesellschaft an eine bestimmte, später seltsam anmutende Darstellungsweise klammern kann? Und warum sich in der Antike keine bestimmte, seltsam anmutende Darstellungsweise herausgebildet hat?

Der gesuchte Begriff heißt »Stil«, unabhängig davon, ob er gefällt, oder nicht, und ob man ihn als ›natürlich‹, bzw. als korrekt abgebildet empfindet. Er ist das Produkt einer Mode, die wiederum dem Zeitgeist entspringt, Sorgen, Freuden und die Einstellung einer Gesellschaft beinhaltend, und wird ebenfalls aus einem Zeitgeist heraus angeguckt.

Am Besten zwei ähnliche Beispiele, um die Möglichkeit zu verdeutlichen, wie sich absonderliche Darstellungen in eine Gesellschaft als Norm einschleichen können:

Nehmen wir die Formensprache von männlichen Halbwüchsigen, deren Idealbild schon wegen des Alters sehr junge Frauen bevorzugt, auch wenn sie diese als Erwachsene darzustellen versuchen. Diese in der Darstellung unerfahrene junge Männer bilden ihre Idealfrauen dementsprechend übertrieben ab: mit knabenhaften Hüften, überlangen Hälsen und Extremitäten, und den langgezogenen Proportionen entsprechend mit viel zu kleinen Köpfen. Hier kommt die Verbreitung ins Spiel: hatten diese Jugendliche früher keine Plattform, so bietet ihnen heute das Internet diese Möglichkeit. Durch die Verbreitung entwickelt sich ein moderner Manierismus; man kopiert sich gegenseitig, bis auch erwachsene Künstler (einer eher Kindsfrauen bevorzugenden Gesellschaft) die absurde Darstellungsweise übernimmt. Schließlich entstehen sogar Trickfilme mit solchen Figuren (z.B. Avatar), die sich extremer Popularität erfreuen.

Gehen wir gut 400 Jahre zurück. Der Macho der Renaissance steht auf Kindsfrauen; er gibt zwar vor, der Jungfräulichkeit zu huldigen, in Wahrheit aber können seine bevorzugten Frauen kaum jung genug sein, da er sich ansonsten dominiert fühlt; das begehrte Frauenbild ist zerbrechlich und äußerst feingliedrig. Die Malerei erweist sich bei manchen als lukrativ, wird populär und immer mehr Menschen versuchen sich in dieser Kunst. Bald wird die Darstellung der Idealfrau übertrieben, sodass gegen die 16. Jahrhundertwende Figuren mit überlangen Hälsen und Extremitäten, sowie mit winzigen Köpfen entstehen. Der Künstler, der gefallen will, muss diesen »unnatürlichen Standard« beliefern.


Beide Beispiele haben eins gemeinsam: weder die Künstler, noch ihr Publikum waren zu ihrer Zeit über den Grund der Absonderlichkeit ihres Geschmacks bewusst. Die verzerrten Darstellungen galten für eine ganze Gesellschaft als schön.

Dem gegenüber stehen bewusste Übertreibungen in der Darstellung des Körpers, was z.B. aus religiösen, sexuellen, klassistischen, oder gar aus politischen Gründen erfolgt sein kann. Sonderformen, wie das Groteske, oder die Karikatur sind nicht mal immer als solche zu identifizieren und beinhalten mehrere Aspekte.

Übrigens: auch in der Antike finden sich anhaltende Übertreibungen. Da denke ich z.B. an die übergroßen Augen dorischer Figuren, die bereits an assyrischen und hethitischen Skulpturen zu sehen sind.
 
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Zumal Dein "Kunstbegriff" sich in einem relativ einfachen "Naturalismus" handwerklicher Fertigkeiten erschöpft, den bespielsweise ein Hauser (Soziologie der Kunst) anders definieren würde. Eine möglichst realistische Abbildung ist kein ausreichendes Kriterium die "Qualität" von Kunst zu beschreiben (vgl. auch beispielsweise W. Benjamin dazu)
Hm… die generelle Frage nach Kunst würde ich aus der Diskussion weglassen. Das Streben nach naturgetreuer Abbildung kann als wichtiger Aspekt der darstellenden Kunst betrachtet werden und auffällige Abweichungen zu berechtigten Fragen veranlassen.

Stilisierung, d.h. die Reduktion der Formensprache, gab's zwar auch früher, sowohl als Mittel zur Verstärkung von Aussagen, als auch aus Unvermögen, bzw. aus rein technischen Gründen. Vieles davon lässt sich auch auf Traditionen zurückführen, z.B. auf die frühere Verwendung eines anderen Materials. Das Thema wäre zu vielfältig, um hier einbezogen zu werden; jedenfalls hab ich Nergals Frage so verstanden, dass er sich die Frage bei naturalistischen Abbildungen stellt, d.h. bei seltsam anmutenden naturalistischen Abbildungen… :grübel:
 
Also ich denke dass sich Künstler und Publikum doch über den Grund für ihren Geschmack und die Verzerrung bewußt gewesen sein müßen.
Betrachten wir heute nur einen Teilaspekt der Kunst, etwa die japanischen Mangas dann sehen wird dass die Darstellung der Augen etwa, nicht natürlich ist, aber ein Comic, ein Zeichentrickfilm hat bekannte Grenzen in denen er sich bewegt, und große Augen gelten als niedlich. Dazu sei aber noch mal gesagt dass es sich nur um einen Teilaspekt handelt der selbst nich mal so uniform ist wie man denkt, und dass die naturalistische Abbildung der Welt anders gehandhabt wird. Das also die Verzerrung und der Grund dafür den Konsumenten nicht bewußt waren, das finde ich nicht wirklich einsehbar.

Im weiteren verstehe ich natürlich dass bestimmte Änderungen vorgenommen wurden um verständliche Aussagen über eine Person zu treffen, so wie dies auch bei den von mir genannten antiken Werken der Griechen und Römer der Fall war wo man bei Cäsars Büste etwa idealtypische und nicht absolut Individuelle Züge abgebildet hat wie man das auch bei den griechischen Athleten tat, welche dem Ideal entsprechend abgeändert wurden und den, im Athletenthread angesprochenen, "Mikropenis" haben weil eine natürliche Darstellung als humoristisch galt, und ein zeichen für Dummheit war. Ob dies aber für jede Form der Vereinheitlichung gilt...?

UNd ja das mit dem Qualitätseinbruch werde ich wohl noch andernorts weit genauer erfragen müßen, wenn sich was ergibt werde ich es verlinken.
 
Stilisierung, d.h. die Reduktion der Formensprache, gab's zwar auch früher, sowohl als Mittel zur Verstärkung von Aussagen, als auch aus Unvermögen, bzw. aus rein technischen Gründen.
Das würde ich so nicht sehen-zu großer Detailreichtum führt oft dazu,dass ein Bild oder eine Zeichnung unübersichtlich wird -eine stilisierte Darstellung mit der Beschränkung aufs Wesentliche hat meist bessere Wirkung. -das haben schon die alten Höhlenkünstler begriffen und praktiziert,
 
Hm, aber auch bei einer stilisierten aufs wesentliche beschränkten Darstellung kann man das Niveau der künstlerischen Fähigkeiten erkennen.
 
Hm, aber auch bei einer stilisierten aufs wesentliche beschränkten Darstellung kann man das Niveau der künstlerischen Fähigkeiten erkennen.
...du verzeihst mit hoffentlich, dass ich irgendwelche Augen in irgendwelchen Comic-Mangas nicht ernst nehme :winke:


Stilisierung bedeutet noch lange nicht Uniformität! Man sehe:
1. Musik 1. Hälfte 19. Jh.
Schumann, Mendelssohn, Chopin - in hohem Maße subjektiv stilisiert sind alle drei, aber jeder der drei ist unverwechselbar (!!)
2. Musik 2. Hälfte 19. Jh.
Wagner, Verdi, Mussorgski - hier gilt dasselbe
3.Malerei 2. Hälfte 19. Jh.
Monet, Böcklin, Repin - dito

Uniformität der Kunst bzw. den Künsten zu unterstellen, ist eine oberflächliche Primitiveinordnung (!)
 
Das würde ich so nicht sehen-zu großer Detailreichtum führt oft dazu,dass ein Bild oder eine Zeichnung unübersichtlich wird -eine stilisierte Darstellung mit der Beschränkung aufs Wesentliche hat meist bessere Wirkung. -das haben schon die alten Höhlenkünstler begriffen und praktiziert,
@zaphodB ...wenn das stimmt, dann wäre Altdorfers detailreiches Gemälde von der Alexanderschlacht kein Kunstwerk sondern Pfusch :rofl:...oder wenn du´s moderner brauchst, dann Kokoschkas Windsbraut oder Salzburg

Nebenbei: Reduktion bedeutet nicht zwangsläufig Verzicht auf Detailreichtum (man denke an die hochkomplexen mus. Kleinformen der Romantik (Preludes, Skizzen, Charakterstücke etc.))
 
Altdorfers detailreiches Gemälde von der Alexanderschlacht ist vielleicht nicht unbedingt Pfusch, aber detailreich ? es sind eher stilisierte Massenszenen mit stereotypen Figuren-die Rösser z.b. sehen fast alle gleich aus
Ausserdem-wo ist eigentlich Alexander- wenn er es nicht dazu geschrieben hätte das es die Alexanderschlacht ist könnte es ein beliebiges Schlachtengemälde sein

Dürer hätte vermutlich Alexander in den vordergrund gestellt,die Massemszenen im Hintergrund nur angedeutet und damit den besseren Effekt erzielt.
 
Das Detailreichtum von Altdorfers Alexanderschlacht steht stark in der Tradition der spätgotischen Malerei. Die Absicht, möglichst detailliert zu überliefern, war bereits vom Stil gegeben und wurde durch das Motiv nochmals multipliziert; Schlachtenbilder (inkl. Seeschlachten) ähnelten noch eine ganze Weile den ›Wimmelbildern‹ der Zeit um 1500. Bei der Alexanderschlacht ging es aber Altdorfer in erster Linie um die ›musikalische‹ Bewegungen der Massen, sodass die Szene zur danza furiosa wird, als wäre sie vom Himmel choreographiert. (Noch deutlicher ist diese Intention in seinem früheren Sieg Kaiser Karls des Großen vor Regensburg.)

Doch auch der ungarische Secondo Dürer hätte da vmtl. kaum die ›selektive Unschärfe‹ gewählt. Die reduzierte stilisierte Darstellung war auch nicht sein Ding, wie dies z.B. Die vier Apokalyptischen Reiter oder der Sternenfall vorführen.
 
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