Gaskrieg im Ersten Weltkrieg

Marlon

Mitglied
Hallo zusammen,

meine Frage:
Gab es im Ersten Weltkrieg von Seiten Deutschlands auch einen Gaskrieg gegen die Zivilbevölkerung. Ich habe in einer Note des französischen Außenministers Clemenceau gelesen, dass er Deutschland vorwirft, auch einen Gaskrieg gegen Frauen und Kinder geführt zu haben, um die Moral der Franzosen zu brechen. Dazu habe ich jedoch bisher keine Infos gefunden.

Herzlichen Dank für die Antwort!
Marlon
 
Hallo zusammen,

meine Frage:
Gab es im Ersten Weltkrieg von Seiten Deutschlands auch einen Gaskrieg gegen die Zivilbevölkerung. Ich habe in einer Note des französischen Außenministers Clemenceau gelesen, dass er Deutschland vorwirft, auch einen Gaskrieg gegen Frauen und Kinder geführt zu haben, um die Moral der Franzosen zu brechen. Dazu habe ich jedoch bisher keine Infos gefunden.

Herzlichen Dank für die Antwort!
Marlon

Giftgas wurde im 1. Weltkrieg von den kriegführenden Mächten ausschließlich im Frontbereich eingesetzt. Gas hatte nur eine begrenzte Haltbarkeit, und der Einsatz der Waffe setzte mäßigen Wind mit erwünschter Windrichtung voraus. Ein Wechsel der Windrichtung führte immer wieder zu Gaskranken in den eigenen Reihen.

1914 hatten die Franzosen erstmals Tränengas eingesetzt, was die Pariser Polizei bereits vor dem Krieg verwendete.

Da sich Giftgase in großer Menge herstellen lassen und die deutsche chemische Industrie führend war, war es kein Zufall, dass die Deutschen Vorreiter in der chemischen Kriegführung führend waren. 1915 blies man erstmals im April am Ypernbogen Chlorgas ab. die Anfangserfolge waren beachtlich, in nur wenigen Minuten eroberten die Deutschen Langemark, ein entscheidender Durchbruch blieb aber aus.

da das Blasverfahren zu windabhängig war, ging man 1916 zu Gasgranaten mit Phosgengas über. Auf französische Phosgengranaten hin entwickelten die Deutschen Grünkreuzgranaten, die Diphosgen enthielten und mit einem grünen Kreuz markiert waren.

Gasabwehrwaffen waren anfangs rudimentär, in Berichten britischer Veteranen liest man oft, dass die Soldaten Taschentücher, auf die sie zuvor uriniert hatten, als improvisitäre Gasmasken verwendeten. Bis in den Sommer 1916 hatten aber alle kriegführenden Nationen Gasmasken entwickelt, die effektiv schützten.

Bei einem der größten Gasangriffe bei Fleury nahe Verdun 1916 verschossen die Deutschen mehrere tausend Gasgranaten, die aber auf Seiten der Franzosen nur zu wenigen Gaskranken führten, da die Atemschutzmasken effektiv gegen Phosgengas schützten.

Um den Gegner dazu zu zwingen, die Maske abzunehmen, entwickelten die Deutschen den Maskenbrecher Clark oder Blaukreuz, das mit Phosgen Grünkreuz vermischt wurde. Während der Flandernschlacht 1917 setzten die Deutschen Blaukreuz und ein noch gefährlicheres Giftgas: Yprit oder Lost´, das wegen seines penetranten Geruchs nach Senföl Senfgas genannt wurde.

Innerhalb weniger Tage verloren die Briten und ihre Verbündeten fast eine ganze Division ca 15.000 Mann an Gaskranken.

Der größte Gasangriff wurde aber nicht an der Westfront, sondern am Isonzo vorgetragen. Blau- und Grünkreuzgranaten hatten den deutschen Durchbruch bei Karfreit sehr unterstützt, das vergaste Gelände konnte ohne jeden Widerstand besetzt werden.

Grün- und Blaukreuz hatten verhältnismäßig kurze Haltbarkeit im Gelände, während Gelbkreuz (Senfgas) sich lange hielt. Außerdem greift es die Haut und die Augen an und kann zu zeitweiser Erblindung führen.

Während Grün- und Blaukreuz für den Angriff gedacht war, so diente Gelbkreuz mehr der Verteidigung. Bei niedrigen Temperaturen kristallisierte Senfgas. Die Soldaten trugen Partikel davon in ihre Gräben und Unterstände wo es bei höherer Temperatur gasförmig wurde. Viele Spätfolgen von Giftgasen und Chemikalien machten sich erst nach Jahren bemerkbar.
Britische Munitionsarbeiterinnen bekamen gelbe Hautfarbe von Chemikalien, dass sie Kanarienvögel genannt wurden. Viele der noch jungen Frauen konnten keine Kinder mehr bekommen.

Insgesamt brachte Giftgas keine Bewegung in die Gräben wie Fritz Haber gehofft hatte, aber es machte den Krieg brutaler. Wenigen Waffen fühlten sich die Soldaten so ausgeliefert.
 
Mir ist kein Fall bekannt in dem im ersten Weltkrieg die deutsche Seite Giftgas absichtlich gegen Zivillisten eingesetzt hätte. Die frontnahen Bereiche wurden damals auch evakuiert, so dass auch ein versehentlicher Angriff unwahrscheinlich ist.

In der Zwischenkriegszeit wurde Giftgas von den Briten 1919 in Russland gegen die Bolsheviken und 1920 gegen aufständische Araber im Irak eingesetzt (https://www.theguardian.com/world/2003/apr/19/iraq.arts) von den Spaniern in Marokko 1921 gegen die Rifkabylen und 1935 in Abessinien durch die Italiener. Mangels klarer Fronten ist es wahrscheinlich dass dort zahlreiche Zivillisten zu Schaden gekommen sind. In Marokko waren eindeutig die Dörfer in der aufständischen Gegend das Ziel.
 
Ja, die Presse und die links:

.. und 1920 gegen aufständische Araber im Irak eingesetzt

...theguardian.com/world/2003/apr/19/iraq.arts...

Kurze Korrektur: wird bzgl. der RAF verneint, obwohl der Gaseinsatz (bzw. die Prüfung dazu) von Churchill jedenfalls grundsätzlich freigegeben war:
CAC, CHAR 16/52, Churchill to Trenchard, 29 Aug. 1920.
Churchill folgt da den schlichten Empfehlungen der "Fachabteilungen".

Von der Army ist die Freigabe und Lieferung von Gasmunition nicht bekannt.

"Churchill even authorised the Royal Air Force to investigate the use of mustard gas against ‘recalcitrant natives’. Although the Air Force wisely did not, by the end of the revolt over 8,400 Arabs would be dead."
Barr, Line in the Sand, 2011.
Rutledge, Enemy on the Euphrat - The British Occupation of Iraqand the Great Arab Revolt 1914–1921, 2014.

Das "Nachdenken" über Gaseinsatz wird (wieder mal von Ferguson, natürlich ohne akzeptable Quellenprüfung) kolportiert, hätte eingesetzt werden können, wenn es hätte geliefert werden können. Ferguson konzentriert sich lieber dann aber auf "erste" Terroreinsätze.

Hier wird einiges an Literatur "inventarisiert", wieder mal ohne das anschließend bewerten zu können:
https://en.wikipedia.org/wiki/Alleged_British_use_of_chemical_weapons_in_Mesopotamia_in_1920
 
Ja, die Presse und die links:



Kurze Korrektur: wird bzgl. der RAF verneint, obwohl der Gaseinsatz (bzw. die Prüfung dazu) von Churchill jedenfalls grundsätzlich freigegeben war:
CAC, CHAR 16/52, Churchill to Trenchard, 29 Aug. 1920.
Churchill folgt da den schlichten Empfehlungen der "Fachabteilungen".

Von der Army ist die Freigabe und Lieferung von Gasmunition nicht bekannt.

"Churchill even authorised the Royal Air Force to investigate the use of mustard gas against ‘recalcitrant natives’. Although the Air Force wisely did not, by the end of the revolt over 8,400 Arabs would be dead."
Barr, Line in the Sand, 2011.
Rutledge, Enemy on the Euphrat - The British Occupation of Iraqand the Great Arab Revolt 1914–1921, 2014.

Das "Nachdenken" über Gaseinsatz wird (wieder mal von Ferguson, natürlich ohne akzeptable Quellenprüfung) kolportiert, hätte eingesetzt werden können, wenn es hätte geliefert werden können. Ferguson konzentriert sich lieber dann aber auf "erste" Terroreinsätze.

Hier wird einiges an Literatur "inventarisiert", wieder mal ohne das anschließend bewerten zu können:
https://en.wikipedia.org/wiki/Alleged_British_use_of_chemical_weapons_in_Mesopotamia_in_1920
Das war auch mein Kenntnisstand. Im oben verlinkten Artikel wird es jedoch als Tatsache angegeben, dass obwohl die RAF entgegen der üblichen Versionen keine Gasbomben verwendet hat obwohl dieses erörtert und authorisiert wurde, die Army dieses bereits vorher getan hätte.
 
Frage: Wurde im Weltkrieg in Mesopotamien oder auf dem Sinai und Palästina Giftgas eingesetzt?
 
...
Insgesamt brachte Giftgas keine Bewegung in die Gräben wie Fritz Haber gehofft hatte, aber es machte den Krieg brutaler. Wenigen Waffen fühlten sich die Soldaten so ausgeliefert.
(Hervorhebung durch mich)

Der spätere Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber feiert den ersten großen tödlichen Giftgas-Angriff des Ersten Weltkriegs am 22.04.1915 in seiner Villa.
Am Morgen danach begeht seine schöne und kluge Frau Clara Immerwahr Selbstmord.
 
Eine "Anfrage" für Gaseinsatz stammte schon aus 1916. Offenbar wirkte hier zunächst die Abschreckung, der Gegner würde ebenfalls mit dem Einsatz beginnen. Jedenfalls gab es Bedenken unter der britischen Truppe.

General Murray ließ sich dann in der 2. Gaza-Schlacht im April 1917 rd. 4000 Gasgranaten besorgen, um sie zum Durchbruch durch die osmanischen Stellungen einzusetzen. Sie wurden nur teilweise und in einem recht kleinen Abschnitt verschossen und als "ineffektiv" bewertet, bei rd. 30 Minuten Verschuss.*

"The other surprise weapon, poison gas, had no effect on the battlefield. The hot climate caused it to evaporate, and the strong winds dispersed it. Murray told the authors of the official history that "the 3,000 gas shells" used had " no more effect in that atmosphere than squibs would have had." **

Der Einsatz in der 3. Gaza-Schlacht war quantitativ intensiver, wohl ebenso ohne großen Effekt.

Der für Meggido geplante Großeinsatz im September 1918 wurde dann sogar abgesagt, da die osmanischen Truppen ohnehin kurz vor dem Zusammenbruch standen. Der Bestandsaufbau hatte da bereits rd. 100.000 Gasgranaten erreicht.**

Özdemir, Ottoman Army 1914-1918, Desease + Deaths, bringt keinen Hinweis auf Verluste der Osmanischen Armee durch Gasangriffe.


* TNA, WO95/4634, War Diary of 54th Division General Staff, April 1917, Appendix 10: Memorandum from Brigadier-General G. P. Dawnay, Brigadier-General, General Staff, Eastern Force, regarding the use of gas shells, 17 April 1917;
TNA, WO95/4634, War Diary of 54th Division General Staff, April 1917, Appendix 10: ‘Report on Operations Carried Out by 54th Divisional Artillery Between 16 April and 21 April 1917’.

** Woodward, Hell in the Holy Land, World War I in the Middle East.

*** Angaben nach Kitchen, The British Imperial Army in the Middle East - Morale and Military Identity in the Sinai and Palestine Campaigns, 1916–18
 
Im Mai 1917 setzte übrigens auch die russische Armee erstmals Gas ein (nach osmanische Quellen, Bestätigung aus russischen Beschreibungen habe ich nicht in der Literatur gefunden).

Erickson, Ordered to Die, Ottoman Army 1914-1918:

"May was a quiet month in the Turkish sector, but in June the Russians renewed the offensive. These attacks were no more successful than previous endeavors, but continued without respite throughout the remainder of the month. In this intense battle, the twenty-four artillery batteries in the Turkish 20 th Infantry Division sector expended forty-three thousand artillery shells. The fighting intensified even more and on July 1 the Turks came under gas attack from Russian artillery shelling. This was a new experience for the soldiers of the XV Corps, but the lines continued to hold."

Erickson zitiert auch türkische Quellen zu dem ersten britischen Gaseinsatz ein Monat zuvor an der Gaza-Front:

"General Fahri Belen, Birinci Cihan Harbinde Turk Harbi 1917 Yili Hareketleri, IV Ncu Cilt (Ankara: Gnkur. Basimevi, 1966). There were no apparent effects from the British gas attack. Dr. Yigal Sheffy suspects that adverse climatic conditions dissipated the gas."

Die Schilderung deckt sich mit der britischen Bewertung. Weiteres wird auch bei Erickson, einem Standardwerk zur Osmanischen Armee im Weltkrieg, nicht erwähnt. Gaseinsätze hatten keine Bedeutung, wie er nochmals im Resümee ("Myth 5" zu Osmanischen Verlusten im Weltkrieg) im Gegensatz zur europäischen Westfront erwähnt.
 
da das Blasverfahren zu windabhängig war, ging man 1916 zu Gasgranaten mit Phosgengas über. Auf französische Phosgengranaten hin entwickelten die Deutschen Grünkreuzgranaten, die Diphosgen enthielten und mit einem grünen Kreuz markiert waren.

Wenn ich Tante Wiki zum Thema Grünkreuz folge, war dies die allgemeine Kennzeichnung für Lungenkampfstoffe. Also auch Chlor und der ganze andere Zoo an Lungenkampfstoffen wurde grün gekennzeichnet.
Das Problem bei Gasmasken ist bis heute, das die Filter nur eine Begrenzte Kapazität haben und wenn sie ein mal mit einem Stoff kontaminiert sind auch nur mit diesem Stoff wieder in Berührung kommen dürfen. Die Hauptreinigungswirkung kommt durch A-Kohle in den Filtertern. Und sie nimmt viel an Stoffen auf. Und wenn ein anderer Stoff kommt, kann der erste ausgetragen werden.
Um die Wirkung der Kampfstoffe zu erhöhen wurde später im Krieg Buntschiessen durchgeführt, so das in einem Angriff mehrere Stoffklassen verwendet wurden und die Filter recht schnell durchschlugen, also unwirksam wurden.

Apvar
 
Gab es im Ersten Weltkrieg von Seiten Deutschlands auch einen Gaskrieg gegen die Zivilbevölkerung.

Ich habe auch nirgends Hinweise gefunden, dass Gas gegen die Zivilbevölkerung, egal in welcher Form, ob Blasverfahren oder per Artillerie verschossen, eingesetzt wurde. Allerdings kann ich mich an eine Doku erinnern (leider habe ich vergessen, welche das war), bei der zeitgenössische Filmaufnahmen gezeigt wurden, wie in einem französischen Kindergarten das Aufziehen und Tragen von Gasmasken geübt wurde. Also gab es zumindest Befürchtungen, dass ein solcher Einsatz stattfinden könnte bzw. frontnahe Gebiete bei Gasangriffen in Mitleidenschaft gezogen werden könnten.

Weiß jemand, inwieweit Maßnahmen ergriffen wurden, um die Zivilbevölkerung vor
Gasangriffen zu schützen? Vielleicht auch in anderen Ländern in Frontnähe?

Der spätere Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber feiert den ersten großen tödlichen Giftgas-Angriff des Ersten Weltkriegs am 22.04.1915 in seiner Villa.
Am Morgen danach begeht seine schöne und kluge Frau Clara Immerwahr Selbstmord.

OT, aber interessantes Detail. In Karlsruhe, wo Fritz Haber lehrte, gibt es in unmittelbarer Nähe zur Technischen Hochschule einen Fritz Haber Weg. Die Benamung ist allerdings nicht unumstritten. UStA und DGB Nordbaden fordern eine Umbenennung in Clara-Immerwahr-Weg: https://ka.stadtwiki.net/Fritz-Haber-Weg

Clara Haber protestierte schon 1914 und öffentlich gegen die Forschung an Kampfgasen und nannte die Projekte ihres Mannes "Perversion der Wissenschaft".
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Mai 1917 setzte übrigens auch die russische Armee erstmals Gas ein (nach osmanische Quellen, Bestätigung aus russischen Beschreibungen habe ich nicht in der Literatur gefunden).

Erickson, Ordered to Die, Ottoman Army 1914-1918:

"May was a quiet month in the Turkish sector, but in June the Russians renewed the offensive. These attacks were no more successful than previous endeavors, but continued without respite throughout the remainder of the month. In this intense battle, the twenty-four artillery batteries in the Turkish 20 th Infantry Division sector expended forty-three thousand artillery shells. The fighting intensified even more and on July 1 the Turks came under gas attack from Russian artillery shelling. This was a new experience for the soldiers of the XV Corps, but the lines continued to hold."

Erickson zitiert auch türkische Quellen zu dem ersten britischen Gaseinsatz ein Monat zuvor an der Gaza-Front:

"General Fahri Belen, Birinci Cihan Harbinde Turk Harbi 1917 Yili Hareketleri, IV Ncu Cilt (Ankara: Gnkur. Basimevi, 1966). There were no apparent effects from the British gas attack. Dr. Yigal Sheffy suspects that adverse climatic conditions dissipated the gas."

Die Schilderung deckt sich mit der britischen Bewertung. Weiteres wird auch bei Erickson, einem Standardwerk zur Osmanischen Armee im Weltkrieg, nicht erwähnt. Gaseinsätze hatten keine Bedeutung, wie er nochmals im Resümee ("Myth 5" zu Osmanischen Verlusten im Weltkrieg) im Gegensatz zur europäischen Westfront erwähnt.

Der Autor ist nicht ganz unumstritten, und es kommt immer wieder vor, dass Zeitzeugen in Oral History Berichten chronologische Fehler unterlaufen. Trotzdem erscheint mir die Beschreibung eines größeren Gasangriffs an der Ostfront im Jahre 1916 doch recht schlüssig. Die Rede ist von Paul Ettighofer, der in seinen autobiographischen Kriegsmemoiren "Gespenster am Toten Mann" einen großangelegten Gasangriff der Russen bei Illuxt nahe Dünaburg beschreibt. Ettighofer war Elsässer und erlebte als Kriegsfreiwilliger die Kämpfe im Artois 1915 um die Lorettohöhe nahe Arras. Ende 1915/Anfang 1916 wurde seine Einheit an die Ostfront verlegt. Er berichtet, dass die "Wackes"(Elsässer) als unsichere Kantonisten galten und zahlreichen Schikanen ausgesetzt waren. Wenn er sich nicht chronologisch vertan hat, müsste der Gasangriff bei Illuxt im Frühjahr/Sommer 1916 stattgefunden haben, jedenfalls bevor Teile seiner Einheit als Verstärkung nach Galizien verlegt wurden, als Brussilows Offensive die Ostfront ins Wanken brachte. Die Russen bliesen Gas ab. Bereits vorher verbreiteten sich durch Überläufer Gerüchte über einen bevorstehenden größeren Gasangriff. Es wurden bei den Deutschen Dienstvorschriften erlassen, wie man sich bei Gasangriffen zu verhalten hatte und Soldaten, die ohne Gasmaske erwischt wurden, mussten mit Disziplinarstrafen rechnen. die Russen wendeten das Blasverfahren an, und Ettighofer schreibt, dass die Russen Reisigbündel anzündeten, um die Windrichtung und -Stärke zu prüfen. Dadurch wurde natürlich der Gegner gewarnt, und das Überraschungsmoment ging verloren.
An der Westfront wurden 1916 zuerst bei Verdun Gasgranaten eingesetzt. Eine Gasgranate, die in unmittelbarer Nähe explodierte, war weitaus gefährlicher, da es keine Frühwarnung gab. die Deutschen verschossen in den Kämpfen um Fleury die bis dahin größte Menge an Grünkreuzgranaten, allerdings blieb der Erfolg weit hinter den Erwartungen zurück, da die Franzosen anscheinend recht wirksame Gasmasken entwickelt hatten. Insgesamt hatten die Franzosen wohl nur 400 Gaskranke als Verluste, obwohl die deutsche Artillerie mehr als 40.000 Gasgranaten verschoss.

Ettighofer beschreibt aber auch sehr anschaulich, dass die neuentwickelten Gasmasken zwar wirksamer schützten, das atmen aber sehr stark behinderten. Die Masken waren nie ganz dicht waren, so dass die meisten Soldaten trotz Gasmasken leichte Gasvergiftungen erlitten. Soldaten, die einen Gasangriff über sich ergehen lassen mussten, litten Qualen wie ein Ertrinkender.
Wie viele Soldaten an Spätfolgen durch Gasvergiftungen bleibende Gesundheitsschäden bis zum Tod erlitten lässt sich bestenfalls schätzen. Auf allen Seiten aber wirkten sich Gasangriffe äußerst traumatisch aus. Kaum eine Waffe hinterließ bei den Soldaten ein ähnliches Gefühl des hilflos-ausgeliefert seins. Zu den Qualen durch tagelangen Artilleriebeschuss, der ein völlig neues Kriegstrauma- die Kriegszitterer- erzeugte, kamen noch die Qualen der Atemnot und das Gefühl des Erstickens.
Wilfried Owen beschreibt in einem Gedicht anschaulich wie ein Gasvergifteter buchstäblich in seiner vergifteten Lungenflüssigkeit ertrinkt. Die Hoffnung seines Erfinders, den Krieg zu verkürzen und wieder den Bewegungskrieg zu ermöglichen, konnte Giftgas nicht erfüllen. Aber alle die Gaskrieg miterlebten wurden dadurch stark traumatisiert.
Als die Deutschen 1915 bei Ypern einen größeren Durchbruch verbuchen konnten und in einer Viertelstunde Langemarck eroberten, packte selbst manche deutsche Offiziere das Entsetzen. Ein Offizier schrieb treffend. "Man wird uns zuerst als Barbaren beschimpfen- und dann wird man uns nachahmen." Bald darauf kam die neue Waffe wie ein Bumerang zurück auf ihre erfinder, bei meist vorherrschendem Westwind waren die Deutschen an der Westfront im Nachteil, und bei Loos starteten die Briten schon im Mai 1915 einen Gasvergeltungsangriff.

Literatur Paul Ettighofer, Gespenster am Toten Mann S.96-99.
 
Als Hinweis: mein Zitat oben - siehe Kontext, in #6 - bezieht sich auf Giftgaseinsatz an den Fronten des Nahen Osten, also ggü. der Osmanischen Armee.

Es ging mir nicht um die Ostfront im Ersten Weltkrieg und die Russische Armee insgesamt.
 
Als Hinweis: mein Zitat oben - siehe Kontext, in #6 - bezieht sich auf Giftgaseinsatz an den Fronten des Nahen Osten, also ggü. der Osmanischen Armee.

Es ging mir nicht um die Ostfront im Ersten Weltkrieg und die Russische Armee insgesamt.
Ich hätte deinen Beitrag vielleicht aufmerksamer lesen sollen.
 
Ist schon ok. Ich war selbst durch das Zitat irritiert, und musste erst schauen, worauf sich das bezogen hatte.

Ich wollte nur nicht den Eindruck stehen lassen, ich hätte behauptet, die zaristische Armee hätte Giftgas erst 1917 eingesetzt, 2 Jahre nach der deutschen Armee.
 
Die Herstellung von Giftgas ist ja auch so furchtbar leicht, und jede Innovation kam kurz darauf wie ein Bumerang auf ihre Erfinder zurück, und Erfinder stellten sich in den Dienst des Militärs. Kriegsmaschinen haben zwar schon Archimedes und Leonardo Da Vinci konstruiert, aber das waren keine Massenvernichtungswaffen. Fritz Haber war meines Wissens nie Soldat, jedenfalls kein Offizier. 1915 wurde er Hauptmann in der deutschen Armee, und auf der Gegenseite analysierten Wissenschaftler den Inhalt deutscher Gasgranaten.
 
Danach wäre die Datierung von Ettighofer bzgl. russischer Gaseinsätze fraglich:

Main, Gas on the Eastern Front During the First World War (1915–1917)
http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/13518046.2014.963437?journalCode=fslv20

Erst mal danke für den Link!
Ich erinnere mich nicht mehr, wo ich das gelesen habe, aber es soll der deutsche Gasangriff bei Ypern auch nicht der erste gewesen sein. Angeblich hatte man mit Gas auf deutscher Seite schon im Winter 1914/15 an der Ostfront experimentiert, aber die Kälte soll die Wirkung der Waffe eingeschränkt haben. Darauf soll das deutsche Oberkommando die Verwendung von "Nies- und Reizgasen" kritisiert haben, und man wünschte sich eine tödliche, durchschlagende Wirkung.
Könnte es sein, dass man mit Tränengas experimentierte, das die Pariser Polizei schon vor dem Weltkrieg nachweislich eingesetzt hat? Das sollen die Franzosen schon 1914 an der Westfront eingesetzt haben. Das habe ich mal in einem alten Schmöker gelesen:
Paul Schreckenbach/J. J. Weber, Der Weltbrand illustrierte Geschichte Berlin (?) 1920.

Allerdings würde ich der Schwarte keine allzu große historische Objektivität und wissenschaftliche Qualität zutrauen, dazu war es einfach noch zu zeitnah. Die Erfahrung lehrt, dass im Krieg so viel gelogen wird, dass manche mit der Zeit an die eigene Propaganda glauben, und das traf weiß Gott nicht nur auf die Deutschen zu.
 
Ich erinnere mich nicht mehr, wo ich das gelesen habe, aber es soll der deutsche Gasangriff bei Ypern auch nicht der erste gewesen sein. Angeblich hatte man mit Gas auf deutscher Seite schon im Winter 1914/15 an der Ostfront experimentiert, aber die Kälte soll die Wirkung der Waffe eingeschränkt haben. Darauf soll das deutsche Oberkommando die Verwendung von "Nies- und Reizgasen" kritisiert haben, und man wünschte sich eine tödliche, durchschlagende Wirkung.
Könnte es sein, dass man mit Tränengas experimentierte, das die Pariser Polizei schon vor dem Weltkrieg nachweislich eingesetzt hat? Das sollen die Franzosen schon 1914 an der Westfront eingesetzt haben. Das habe ich mal in einem alten Schmöker gelesen (...)
1904 hatten bei der Belagerung von Port Arthur die japanischen Truppen einen "unterirdischen Gasangriff" praktiziert: man hatte es unbemerkt geschafft, eine Mine bis zu einem Grabenkoffer vorzutreiben und leitete Abgas (von Verbrennungsmotoren?) in das Festungswerk bzw. den Bunker, womit man die Besatzung teils tötete, teils heraustrieb - so jedenfalls die beiden Bände von Gen. Schwarcz über die Belagerung.
Im späten 19. Jh. kursierten im dt. Kaiserreich Abhandlungen über den Einsatz von Gas in der Kriegführung, auch hatten Chemiker auf diesem Gebiet schon allerlei erforscht - darüber hab´ ich daheim einen Aufsatz; sowie ich zurück bin in 14 Tagen, kann ich da genaueres mitteilen
Es sieht so aus, als sei der I Weltkrieg nicht der Beginn von Gasangriffen.
 
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