Die Kolonialgreuel der "zivilisierten" Staaten als Vorboten der Greuel in Europa?

Naja, ein besonderer Pazifist war der Herr Wissmann nicht...

Was wird Wissmann Pazifist gewesen sein.

Aber diese friedliche Afrikadurchquerung hat meines Wissens schon Aufsehen erregt.

Ich habe mal Peters eigenen Bericht gelesen von der Emin-Pascha-Such-Expedition.
Da wird der Weg "freigeschossen". Doch ganz anders und ein Gegensatz zu Wissmann.
 
Wissmann war als preußischer Offizier ganz sicher kein Pazifist, alles andere zu behaupten wäre lächerlich. Er war aber ein an der Kultur des Landes interessierter Mann mit viel Forschergeist, ganz anders gelagert als Carl Peters, dem es um Landgewinn und Ruhm für Deutschland (und sich selbst) ging. Peters wollte unsterblich werden. Wissmann seine Pflicht erfüllen.
 
Nee nee
schon den Carl Peters.
Ich such nachher mal das Büchlein raus.
Hab meine Bücherregale über Pfingsten sortiert. Das wird jetzt der Härtetest.:devil:

OT:
Härtetest bestanden. Habe es innert 4 Minuten gefunden. Meine Frau Gemahlin ist genial.

TT:
Aber die Erinnerung trog nicht.
Er hat sich den Weg freigeschossen. "..48 Tote, alle traf die Kugel von vorn..." als "Repressalie" werden toten Gegnern die Köpfe abgeschnitten, usw. usf.
Ein bemerkenswertes Beispiel eines großen Schweines.
Der am Lagerfeuer Schopenhauer diskutiert.
 
Es wurden ja eine Vielzahl von Kolonialvereinen und -organisationen gegründet, die die Kolonialfreundlichlichkeit, bzw. -begeisterung im Reich fördern wollten. Darunter wieder eine Vielzahl, die aus Wirtschaftkreisen entstanden sind oder von ihr unterstützt wurden. Gemeinsame Schnittmengen waren durchaus Imperialismus/Kolonialismus, auch (unterschiedlich stark ausgeprägt) Rassismus. Aber Militarismus oder gar Antisemitismus waren meines Wissens eher die Ausnahme.
Dein Einwand, dass es mehr Vereine der Kolonialbewegung gab als nur den „Alldeutschen Verband“, trifft freilich zu. Dem "Alldeutschen Verein" kommt nur deshalb so ein großes Gewicht bei, weil er der einflussreichste und der folgenreichste Verein war, der in Zusammenhang mit der Kolonialbewegung gegründet wurde.

Da es bei dem (deutschen) Kolonialismus auch um die Verbreitung der (deutschen) „Zivilisation“/“Kultur“ ging, beschäftigte sich diese Bewegung naturgemäß auch damit, was in den Kolonien als „deutsche Zivilisation“ verbreitet werden sollte, was die zu verbreitende „deutsche Kultur“ ausmachte und was zu dieser gehörte und was eben nicht. Hier entwickelten sich Denkmuster von einem Leitbild der eigenen Kultur sowie Denkmuster der Ausgrenzungen (Bsp.: das Bestreiten der Zugehörigkeit jüdischer Schriftsteller zur deutschen Kultur). Diese Denkmuster wurden auch auf andere Bereiche übertragen. So errichtete die „inneren Mission“ der evangelischen Kirche in Deutschland „Arbeiterkolonien“ in denen „Arbeitsscheue“, „Bettler“ etc. – bei denen es sich wohl um die „deutschen Eingeborene“ handelte - zur Arbeit „erzogen“ wurden. Mir scheint, dass Kolonialisierung, Leitbild von der eigenen Zivilisation/Deutschtümelei und Ausgrenzung/Rassismus/Antisemitismus in einem engeren Zusammenhang standen.
Als kleiner Nachtrag zum Thema inwiefern Leid von Engeborenen in den Kolonien von der Bevölkerung im "Mutterland" nachempfunden wurde.
In seiner Rede zu den von Bebel geschilderten Morden Peters sagte der Direktor der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt Dr. Kayser vor dem Reichstag am 13.03.1896 folgendes:
„Wir beklagen diese Thatsache endlich und am allermeisten im Interesse der Menschlichkeit. Ich kann Ihnen erklären – und erkläre dies ausdrücklich im Auftrage des Herrn Reichskanzlers -, dass in unseren Schutzgebieten das Leben eines Schwarzen nicht minderwerthig ist“
40 Jahre später war die Auffassung Peters, Schwarze und Juden seien minderwertig, die Auffassung der Regierung.
 
In seiner Rede zu den von Bebel geschilderten Morden Peters sagte der Direktor der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt Dr. Kayser vor dem Reichstag am 13.03.1896 folgendes:
„Wir beklagen diese Thatsache endlich und am allermeisten im Interesse der Menschlichkeit. Ich kann Ihnen erklären – und erkläre dies ausdrücklich im Auftrage des Herrn Reichskanzlers -, dass in unseren Schutzgebieten das Leben eines Schwarzen nicht minderwerthig ist“
40 Jahre später war die Auffassung Peters, Schwarze und Juden seien minderwertig, die Auffassung der Regierung.
Der Kolonialismus als Wellenbewegung für rassistische Ideen und Praktiken?

1. Mit dem Aufbau des Empires entwickelten sich rassistische Vorstellungen, die Landraub und Vernichtung der Einheimischen umfassten. Mit diesem geistigen Rüstzeug ausgestattet, sanken die Hemmschwellen jedenfalls bestimmter Gruppen von Kolonialisatoren und stieg deren Bereitschaft Gewalt auszuüben bis hin zur Bereitschaft Kolonialgreuel zu begehen. Der Rassismus wurde sozusagen in die Welt hinausgetragen.

2. Umgekehrt wirkte der Kolonialismus in die "Mutterländer" aber auch zurück. Dort entstanden politische Gruppierungen, die die Bereitschaft für eine imperiale Politik förderten und dabei auch das oben beschriebene geistige Rüstzeug verbreiteten - mit Folgen für die inneren Verhältnisse der Mutterländer.

George Monbiot schrieb in der Zeitung "Der Freitag" am 13.10.2012 über das "Das Gift des Empires": Kolonialismus ? Das Gift des Empires ? der Freitag
 
Wie würdest Du das sehen: wirkte das in allen imperialen Gesellschaften gleichermaßen für die inneren Verhältnisse?

Der Artikel und einige der Kommentare scheinen das so anzunehmen.
 
Wie würdest Du das sehen: wirkte das in allen imperialen Gesellschaften gleichermaßen für die inneren Verhältnisse?

Der Artikel und einige der Kommentare scheinen das so anzunehmen.
"Gleichermaßen" ist ein schwieriges Wort.

Zunächst einmal kam es wohl bei allen Mutterländern zu Rückwirkungen. Wie sich diese dort auswirkten, hängt freilich auch von dortigen Gegebenheiten ab. Parallelitäten wird man aber finden können, insb. was die Rechtfertigung imperialer Gewalt in den Kolonien angeht. Hier dürfte das Bild von der überlegenen Rasse bzw. Herrenrasse, die berechtigt ist, unterlegene bzw. minderwertige Rassen zu erziehen und züchtigen, überall zu finden sein.

Tiefergehend dürfte die Frage sein, ob ein Imperium mit Kolonien in Übersee nicht auch Veränderungsprozesse in den Mutterländern Richtung Imperialismustauglichkeit erforderten. Auch hier dürften Parallelen zu finden sein (Militarismus, Flottenaufbau, Nationalisierung der Arbeiterschaft, etc.).

Die in Deutschland entstandene Idee vom "Lebensraum im Osten", könnte sich als eine Idee vom "Imperialismus in Europa" und somit als eine besondere Spielart des Kolonialismus darstellen: die Eroberung neuer "Lebensräume" sollte zur Entgrenzung Deutschlands und somit zur immerwährenden Hegemonie führen, die sich in einem "tausendjährigen Reich" ausdrücken würde mit der Besonderheit, dass "weiße Europäer" in den eroberten Lebensräumen die Rolle angeblich "minderwertiger" Einheimischer einnehmen würden, denen das Land weggenommen werden darf und die versklavt und vernichtet werden könnten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie würdest Du das sehen: wirkte das in allen imperialen Gesellschaften gleichermaßen für die inneren Verhältnisse?

...

@silesia

Soziologische Rückwirkungen des Kolonialismus sind m.E. in den "Mutterländern" sehr schwer nachweisbar.

Da kann man bei den ökonomischen Rückkoppelungen noch relativ sauber argumentieren, wahrscheinlich auch bei den politischen. Soziologische und schon gar psychologische Rückkoppelungen können m.E., alleine schon weil die seinerzeitige statistische "Erhebungspraxis" aus heutiger Sicht mehr als unsicher ist, faktisch nicht nach gewiesen werden.

Da müßte man in die Einzelfallanalyse einsteigen und Biographien z.B. von Soldaten analysieren und rekonstruieren die in den Kolonien stationiert waren. Hinzu kommt, daß der Kolonialismus viele Facetten aufweist, religiöse, politische, ökonomische, auch aufklärerische und im späten 19. Jh. auch rassistische.

Aus meiner Sicht, das nächste Problem, welchen soziologischen "Resonanzboden" wähle ich als "Meßlatte" aus.

Viele Fragen, keine Antworten.

M. :winke:
 
Angesichts dessen, daß Kitcheners Feldzug dem von von Trotha nicht unähnlich war

Man kann den Bogen deutlich weiter spannen. Mit Hull, Hyslop und van Heyningen kann argumentiert werden, dass das Auftreten von Konzentrationslagern am Ende des „fin de siecle“ ein generelles Phänomen des Kolonialismus bzw. Imperialismus war. Es sind im wesentlichen „bürokratische Modelle“, die während des Krieges auf Kuba (1897-98) durch General Weyler zu Konzentrationslagern geführt haben oder auch durch die US Amerikaner auf den Philippinnen. (v. Heyningen, Pos. 66)

In diesem Kontext formuliert Heyningen: „Germany was different only in that it was at the extreme end of a continuum, unmoderated by the kind of civilian controls that Britain possessed.“ (v. Heyningen, Pos. 79)

Es ist somit durchaus zutreffend, dass militärisch verursachte massenhafte Tötungen auch im Umfeld von Demokratien auftraten. Es ist aber auch zutreffend, dass die Kritik der medialen und parlamentarischen Öffentlichkeit zeitnah oder wenigstens nachträglich die kolonialen Verbrechen offen benannt hatte und zu einem entsprechenden Druck auf die Exekutive geführt hat.

Dieser Funktion konnte der Reichstag in Deutschland nicht nachkommen, obwohl frühzeitig kritische Stimmen (SPD etc.) gegen eine brutalisierte Kriegsführung zu vernehmen waren. Ohne die Dominanz des Militärs, der Rolle des Militärkabinetts und die direkte und uneingeschränkte "Kommandogewalt" von KWII über das Militär hätte es in DSWA keinen Genozid unter der Verantwortung von Leutwein gegeben!

Im Deutschen Reich nahm der Kanzler diese Aufgabe war und stützte sich - parlamentarisch und ethisch - dabei auf die "technische Rationalität" der Mittelschichten und ihrer politischen und administrativen Repräsentaten.

Eine These, die beispielsweise von Steinmetz (The Devil`s Handwriting) oder von Bönker (Militarism in a Global age) in Abgrenzung zur "Sonderwegthese" vertreten.

Kitchener initiated plans to flush out guerrillas in a series of systematic drives, organised like a sporting shoot, with success defined in a weekly 'bag' of killed, captured and wounded, and to sweep the country bare of everything that could give sustenance to the guerrillas, including women and children ... It was the clearance of civilians—uprooting a whole nation—that would come to dominate the last phase of the war. (Pakenham, Thomas, The Boer war, 1979).

Das ist ein gutes Beispiel für „selektives“ zitieren. Bei Pakenham steht: „In early March, Kitchener decided to break the stalemate by a double sweeping operation: to flush …..[siehe oben]….sustance to the guerillas: not only horses, but cattle, sheep, women and children. [dann wurde von beorna weggelassen] But were could the women and children be put, if removed from their homes?“

Zwei wichtige Aspekte werden durch die Auslassungen betroffen. Es ist zum einen die Politik der „verbrannten Erde“, die sich nicht gegen Frauen und Kinder als Guerillas gerichtet hatte, wie beornas Zitation impliziert, sondern gegen eine Region insgesamt. Zum anderen ging es „lediglich“ darum, eine Region für die Kriegsführung durch die Buren unbrauchbar zu machen (ein Vorgehen, dass in DOA nachgeahmt wurde), allerdings ungeachtet der verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung, um die sich Kitchener nicht kümmerte. Und die Frage implizierte, wohin die Frauen und Kinder verbracht werden können. Und zum Aufbau der zivilverwalteten Konzentrationslager geführt hatte.

Allerdings ist beorna in der Kritik an Kitchener insofern zuzustimmen – und da folge ich explizit auch Pakenham – dass Kitchener ein ziemlich beschränkter Militär war, der in seinen Persönlichkeitsstrukturen in der Tat einem v. Trotha ähnlich gewesen sein könnte.

Frauen und Kinder in den Konzentrationslagern
Women & Children in White Concentration Camps during the Anglo-Boer War, 1900-1902 | South African History Online

in Britischen KZs mehr als dreimal soviele Buren starben wie Herero und Nama in deutschen KZs

Von v. Heyningen wird eine entsprechende Datenbank zu den britischen Konzentrationslagern gepflegt und aktualisiert.

Ansonsten ist dieser Vergleich wenig aussagekräftig, da die meisten Herero bereits vorher in der Omaheke gestorben sind.

Die Ursachen für die hohen Verluste bei der Zivilbevölkerung in den Konzentrationslagern sehen Hyslop (S. 259) und Heyningen (Pos. 80) in der Haltung von Kitchener. Und kontrastieren die Inkompetenz des Militärs Kitchener mit der planerischen Kompetenz eines Milner, der als Britischer Hochkommisar für Süd-Afrika für eine deutliche Verbesserung der sanitären bzw. humanitären Situation in den Konzentrationslagern gesorgt hatte.

Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass trotz der Kriegsgreuel eine relativ rasche Aussöhnung zwischen den Buren und dem Common Wealth mögllich war. Auch mit der Konsequenz dass ein Smuts eine herausragende politische Rolle am Ende des WW1 für das Commonwealth gespielt hatte.

British Concentration Camps of the South African War 1900-1902

daß es eine Vielzahl von KZs gab, in denen Schwarze interniert waren.

Ein wichtiger Aspekt, der bisher historisch nicht ausreichend untersucht worden ist, trotz erster Studien, die zu dem Thema publiziert worden sind, wie Heyningen konstatiert (vgl. beispielsweise Warwick)

Die Rolle der Schwarzen im Buren-Krieg und den Konzentrationslagern
Role of Black people in the South African War | South African History Online

Hyslop, Jonathan (2011): The invention of the concentration camp. Cuba, Southern Africa and the Philippines, 1896-1907. In: South African Historical Journal 63 (2), S. 251–276.
Pakenham, Thomas (2003): The Boer War. London: Abacus.
van Heyningen, Elizabeth (2010): A tool for modernisation? The Boer concentration camps of the South African War, 1900-1902. In: South African Journal of Science 106 (5-6), S. 52–61.
van Heyningen, Elizabeth (2013): Concentration Camps of the Anglo-Boer War. Auckland Park: Jacana Media.
Warwick, Peter (2004): Black people and the South African War, 1899-1902. Cambridge: Cambridge University Press
 
Zuletzt bearbeitet:
Zitiert man andere einfach so in einem thread an dem der andere nicht teilgenommen hat? Wäre anständig gewesen, wenn du mich wenigstens daraufhin gewiesen hättest.

Man kann den Bogen deutlich weiter spannen. Mit Hull, Hyslop und van Heyningen kann argumentiert werden, dass das Auftreten von Konzentrationslagern am Ende des „fin de siecle“ ein generelles Phänomen des Kolonialismus bzw. Imperialismus war. Es sind im wesentlichen „bürokratische Modelle“, die während des Krieges auf Kuba (1897-98) durch General Weyler zu Konzentrationslagern geführt haben oder auch durch die US Amerikaner auf den Philippinnen. (v. Heyningen, Pos. 66)

In diesem Kontext formuliert Heyningen: „Germany was different only in that it was at the extreme end of a continuum, unmoderated by the kind of civilian controls that Britain possessed.“ (v. Heyningen, Pos. 79)
Die zahlen zB für die Philippinen gehen bis zu 1 Millionen Opfer. Ich schätze mal, daß ist ebendso übertrieben, wie bei Hereros und Nama. Deutschland da als "extreme end" zu bezeichnen ist schon abenteuerlich!

Es ist somit durchaus zutreffend, dass militärisch verursachte massenhafte Tötungen auch im Umfeld von Demokratien auftraten. Es ist aber auch zutreffend, dass die Kritik der medialen und parlamentarischen Öffentlichkeit zeitnah oder wenigstens nachträglich die kolonialen Verbrechen offen benannt hatte und zu einem entsprechenden Druck auf die Exekutive geführt hat.
Ach, es gab keine Kritik in Deutschland? Hat man zB von Trothas Befehl nicht zurückgenommen?

Dieser Funktion konnte der Reichstag in Deutschland nicht nachkommen, obwohl frühzeitig kritische Stimmen (SPD etc.) gegen eine brutalisierte Kriegsführung zu vernehmen waren. Ohne die Dominanz des Militärs, der Rolle des Militärkabinetts und die direkte und uneingeschränkte "Kommandogewalt" von KWII über das Militär hätte es in DSWA keinen Genozid unter der Verantwortung von Leutwein gegeben!
Schau, da schreibst du es selbst! Sicher waren im Generalstab Scharfmacher, trotzdem wurde von Trotha ebend von diesen nachher auch gebremst. Zudem ist gar nicht gesagt, daß unter von Leutwein das ganze anders ausgegangen wäre. Wahrscheinlich hätten sich einige ergeben und hätten überlebt. Vielleicht hätte der Krieg aber auch noch länger gedauert. Wer weiß. Wenn ich mich recht erinnere, war Leutwein verantwortlich beim Khauas-Mbanderu-Aufstand. Die waren nahezu bedeutungslos danach, wissen aber vermutlich nur wenige. Paßt auch nicht so ins Bild, da andere Herero deutlich profitierten.

....

Das ist ein gutes Beispiel für „selektives“ zitieren. Bei Pakenham steht: „In early March, Kitchener decided to break the stalemate by a double sweeping operation: to flush …..[siehe oben]….sustance to the guerillas: not only horses, but cattle, sheep, women and children. [dann wurde von beorna weggelassen] But were could the women and children be put, if removed from their homes?“

Zwei wichtige Aspekte werden durch die Auslassungen betroffen. Es ist zum einen die Politik der „verbrannten Erde“, die sich nicht gegen Frauen und Kinder als Guerillas gerichtet hatte, wie beornas Zitation impliziert, sondern gegen eine Region insgesamt. Zum anderen ging es „lediglich“ darum, eine Region für die Kriegsführung durch die Buren unbrauchbar zu machen (ein Vorgehen, dass in DOA nachgeahmt wurde), allerdings ungeachtet der verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung, um die sich Kitchener nicht kümmerte. Und die Frage implizierte, wohin die Frauen und Kinder verbracht werden können. Und zum Aufbau der zivilverwalteten Konzentrationslager geführt hatte.
Na, konntest du dich für meinen Vorwurf wegen selektiver Quellen endlich revanchieren?
Einen Punkt sprichst du aber nicht an. Hererofrauen standen dicht hinter ihren Männern, feuerten sie an, versorgten sie, plünderten und verstümmelten die Toten und Gefangenen. Von Burenfrauen und- kindern ist mir das so nicht bekannt.

Von v. Heyningen wird eine entsprechende Datenbank zu den britischen Konzentrationslagern gepflegt und aktualisiert.

Ansonsten ist dieser Vergleich wenig aussagekräftig, da die meisten Herero bereits vorher in der Omaheke gestorben sind.

Die Ursachen für die hohen Verluste bei der Zivilbevölkerung in den Konzentrationslagern sehen Hyslop (S. 259) und Heyningen (Pos. 80) in der Haltung von Kitchener. Und kontrastieren die Inkompetenz des Militärs Kitchener mit der planerischen Kompetenz eines Milner, der als Britischer Hochkommisar für Süd-Afrika für eine deutliche Verbesserung der sanitären bzw. humanitären Situation in den Konzentrationslagern gesorgt hatte.
Was hat der Umstand, daß wahrscheinlich mehr Menschen außerhalb der Lager gestorben sind, mit dem Aussagewert zu tun? Und wie unterscheidet sich die Haltung Kitcheners zB von der von Trothas? gab es bei der Planung der deutschen Lager nicht auch Inkompetenz? Waren nicht viele gefangene schon durch typhus und Ruhr dem Tode geweiht? Hat man nicht auch auf deutscher Seite versucht die humanitäre Lage zu verbessern?


Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass trotz der Kriegsgreuel eine relativ rasche Aussöhnung zwischen den Buren und dem Common Wealth mögllich war. Auch mit der Konsequenz dass ein Smuts eine herausragende politische Rolle am Ende des WW1 für das Commonwealth gespielt hatte.

British Concentration Camps of the South African War 1900-1902


Ein wichtiger Aspekt, der bisher historisch nicht ausreichend untersucht worden ist, trotz erster Studien, die zu dem Thema publiziert worden sind, wie Heyningen konstatiert (vgl. beispielsweise Warwick)

Die Rolle der Schwarzen im Buren-Krieg und den Konzentrationslagern
Role of Black people in the South African War | South African History Online
Na, da hab' ich ja dann mal was richtig gemacht.
 
Beispiel: Philippinen

Die zahlen zB für die Philippinen gehen bis zu 1 Millionen Opfer.
Ob 250.000 oder 600.000 oder 1.000.000 Tote – "Die Opferzahlen sind äußerst umstritten und beziehen sich zumeist nur auf die Jahre 1899 bis 1902. Eine Gesamtschätzung, die auch die Moro-Kriege [bis 1913] mit einbezieht, bleibt ein Desiderat der Forschung." [1] Bemerkenswert, dass die "Forschung" in diesem Fall nach mehr als einem Jahrhundert kaum voran gekommen ist. Woher rührt das offensichtliche Desinteresse?

... US Amerikaner auf den Philippinnen ...
Es ist somit durchaus zutreffend, dass militärisch verursachte massenhafte Tötungen auch im Umfeld von Demokratien auftraten. Es ist aber auch zutreffend, dass die Kritik der medialen und parlamentarischen Öffentlichkeit zeitnah oder wenigstens nachträglich die kolonialen Verbrechen offen benannt hatte und zu einem entsprechenden Druck auf die Exekutive geführt hat.
Druck auf die Exekutive hat die SPD im Reichstag auch gemacht, wie Du richtig geschrieben hat.

Wie sah das in USA aus? [2] Ein Senatsausschuss befasste sich 1902 damit, wobei es "den Kriegsbefürwortern unter den Senatoren (gelang), die Armee von systematischen Verfehlungen freizusprechen. Das Verhalten der US-Truppen wurde vor allem mit dem Verweis auf die angeblich degenerativen Einflüsse einer unzivilisierten Umwelt und die Brutalität eines als barbarisch portraitierten Gegner entschuldigt." Der Befehl eines Generals "I want no prisoners. I wish you to kill and burn. The more you kill and burn, the better you will please me" wurde später von einem Militärgericht "als emotionale Reaktion auf ein zuvor an amerikanischen Soldaten begangenes Massaker" entschuldigt. (Smith hieß der Mann, nicht Trotha.) Danach ging es weiter wie bisher, d.h. der öffentliche Druck, soweit davon überhaupt reden kann, bewirkte gar nichts.

Und weiter: "Trotz gelegentlicher öffentlicher Entrüstung über Massaker" konnte sich in den USA "eine relativ homogene Deutung des Krieges durchsetzen", besser gesagt, die Erinnerung wurde "von vielen Zeitgenossen verschämt verdrängt", und allzu kritische Stmmen sahen sich "dauerhaft dem Verdacht des mangelnden Patriotismus ausgesetzt".

Erst anläßlich des Vietnamkrieges erinnerten sich manche an den vergessenen Krieg. Aber auch weiterhin fand er "in den meisten Schulbüchern und college textbooks nicht statt". Und 2002 – das ist nun fast schon Tagespolitik – bezeichneter ein bekannter US-Publizist den Philippinenkrieg als "one of the most successful counterinsurgencies waged by a Western army in modern times"...

Soviel zum "zeitnahen oder wenigstens nachträglichen" Benennen der Verbrechen in diesem Fall.


[1] Frank Schumacher: Der Kolonialkrieg auf den Philippinen (1899-1913), in: Klein/Schumacher, Kolonialkriege. Hamburg 2006, S. 109-144, hier S. 114 f.
[2] Das Folgende auch nach Schumacher.
 
Ob 250.000 oder 600.000 oder 1.000.000 Tote – "Die Opferzahlen sind äußerst umstritten und beziehen sich zumeist nur auf die Jahre 1899 bis 1902. Eine Gesamtschätzung, die auch die Moro-Kriege [bis 1913] mit einbezieht, bleibt ein Desiderat der Forschung." [1] Bemerkenswert, dass die "Forschung" in diesem Fall nach mehr als einem Jahrhundert kaum voran gekommen ist. Woher rührt das offensichtliche Desinteresse?
Ich kann nur vermuten. Für die einen sind es wahrscheinlich zu viele Tote um die Zahl genau zu ermitteln, für die anderen zu wenig.

Druck auf die Exekutive hat die SPD im Reichstag auch gemacht, wie Du richtig geschrieben hat.

Wie sah das in USA aus? [2] Ein Senatsausschuss befasste sich 1902 damit, wobei es "den Kriegsbefürwortern unter den Senatoren (gelang), die Armee von systematischen Verfehlungen freizusprechen. Das Verhalten der US-Truppen wurde vor allem mit dem Verweis auf die angeblich degenerativen Einflüsse einer unzivilisierten Umwelt und die Brutalität eines als barbarisch portraitierten Gegner entschuldigt." Der Befehl eines Generals "I want no prisoners. I wish you to kill and burn. The more you kill and burn, the better you will please me" wurde später von einem Militärgericht "als emotionale Reaktion auf ein zuvor an amerikanischen Soldaten begangenes Massaker" entschuldigt. (Smith hieß der Mann, nicht Trotha.) Danach ging es weiter wie bisher, d.h. der öffentliche Druck, soweit davon überhaupt reden kann, bewirkte gar nichts.

Und weiter: "Trotz gelegentlicher öffentlicher Entrüstung über Massaker" konnte sich in den USA "eine relativ homogene Deutung des Krieges durchsetzen", besser gesagt, die Erinnerung wurde "von vielen Zeitgenossen verschämt verdrängt", und allzu kritische Stmmen sahen sich "dauerhaft dem Verdacht des mangelnden Patriotismus ausgesetzt".
Danke für die Ausführungen. Ich kann, bei aller berechtigten Kritik an dem deutschen Verhalten in DSWA, daher auch nicht nachvollziehen, wenn man dieses Verhalten so deutlich schärfer kritisiert wird, als das anderer Kolonialmächte.

Erst anläßlich des Vietnamkrieges erinnerten sich manche an den vergessenen Krieg. Aber auch weiterhin fand er "in den meisten Schulbüchern und college textbooks nicht statt". Und 2002 – das ist nun fast schon Tagespolitik – bezeichneter ein bekannter US-Publizist den Philippinenkrieg als "one of the most successful counterinsurgencies waged by a Western army in modern times"...

Soviel zum "zeitnahen oder wenigstens nachträglichen" Benennen der Verbrechen in diesem Fall.


[1] Frank Schumacher: Der Kolonialkrieg auf den Philippinen (1899-1913), in: Klein/Schumacher, Kolonialkriege. Hamburg 2006, S. 109-144, hier S. 114 f.
[2] Das Folgende auch nach Schumacher.
Ich kenne einen Philippino, der lobt noch heute das amerikanische Eingreifen. Es scheint, als hätte die US Öffentlichkeitsarbeit ganze Arbeit geleistet, zumindest in der pro-amerikanischen Elite.
 
...off-topic?

Man kann den Bogen deutlich weiter spannen. Mit Hull, Hyslop und van Heyningen kann argumentiert werden, dass das Auftreten von Konzentrationslagern am Ende des „fin de siecle“ ein generelles Phänomen des Kolonialismus bzw. Imperialismus war.
@thanepower
durch deine - meiner Ansicht nach etwas arg verunglückte - Formulierung scheinst du andeuten zu wollen, dass u.v.a. Claude Debussy, Alexander Skrjabin, Maurice Maeterlinck, Rainer Maria Rilke, Thomas und Heinrich Mann, Hugo von Hofmannsthal, Paul Verlaine, Anton Cechov, Oscar Wilde und noch so mancher andere in irgendeiner Weise mit "dem Auftreten von Konzentrationslagern" in Verbindung gebracht werden können - - sollte das der Fall sein, muss klar gestellt werden, dass das fürchterlicher Unsinn*) wäre!

Ich nehme an, du wolltest was ganz anderes sagen: nämlich dass erstmals Konzentrationslager gegen Ende des 19. Jhs. eingerichtet wurden, und das nicht etwa in den Kernländern der Kolonialmächte, sondern in den Kolonialgebieten.

Allerdings ist auch hierzu noch etwas zur Präzision zu bemerken: der Begriff Konzentrationslager taucht erstmals in spanischer Sprache auf, im span.-kuban. Krieg bzw. kubanischen Unabhängigkeitskrieg 1868-98 (vermehrt im Jahr 1896) - campos de reconcentración. Diese inhumane Praxis (wie auch ein paar Inseln) übernahmen 1900 die USA von den Spaniern, um phillipinische Guerilleros zu internieren. Ob im us-englischen zu dieser Zeit der Begriff concentration camp schon verwendet wurde, weiß ich nicht, aber die Briten richteten im Burenkrieg 1899-1902 Konzentrationslager ein und bezeichneten diese als concentration camps. 1904 tauchte dann als dt. Version erstmals offiziell der Begriff Konzentrationslager auf.
=> das allerdings fasst nur die Begriffsgeschichte kurz zusammen - in der Praxis sollen konzentrationslagerartige Einrichtungen schon vor der Mitte des 19. Jhs. in den USA (siehe trial of tears) und im span.-kuban. Krieg (kuban. Unabhängigkeitskrieg) 1868-98 von den Spaniern schon Ende der 60er Jahre (vermehrt dann 1896) eingerichtet worden sein. Die Praxis des zaristischen Russlands, Verbannte in Sibirien zu internieren (schon von Dostojewski und Cechov literarisch beschrieben), wird erstaunlicherweise nicht mit den Konzentrationslagern Ende des 19. Jhs. verglichen.

__________________
*) zwar erwähnt der in diesem Fall von eher wenig Kenntnis charakterisierte Tante Wiki Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Fin_de_Si%C3%A8cle völlig grundlos Gobineau, aber dieser war schon 1882 bei seinen Ahnen und sein Machwerk Essai sur l'inégalité des races humaines ist von 1853-55 - das hat mit fin de siecle, Jugendstil, Symbolismus, Dekadenzliteratur, Wiener Sezession etc. nichts zu tun! Und dass einige, nicht alle (!), der Maler, Literaten und Komponisten des fin de siecle Wagner rezipierten, hatte einzig musik- und kunsttheoretische Gründe.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank für die Präzisierungen. Dennoch, es ist durchaus keine "verunglückte" Formulierung, sondern ein gängiger Bezug in der Historiographie zur Kennzeichnung dieser Periode. Man findet ihn durchaus häufiger zur Kennzeichnung der Periode vor 1914 als Ende des "langen Jahrhunderts" und dem damit zusammenhängenden "Kultupessimismus" (vgl. z.B. von Hellfeld: Das lange 19. Jahrundert, S. 190ff) )Auch geprägt in starkem Maße durch seine kulturellen Bezüge und insofern sind Deine Hinweise natürlich absolut berechtigt.

Bei Piper (Nacht über Europa) oder Tuchmann (Der stolze Turm) wird dieses Empfinden der "Finalität" und der Zwang zur Durchtrennung der politischen, sozialen und kulturellen Widersprüche deutlich und umfangreich beschrieben. Und auch die vielfältigen Ansätze der "Reformbewegungen", die aus den verkrusteten Strukturen ausbrechen wollten.

Frank Schumacher (in Klein (Hrsg.) Kolonialkriege) stellt in seinem Beitrag über die Philippinen (jschmidt wies bereits darauf hin) die Vorbildfunktion von General Weyler hin und die anschließende Übernahme dieser Art der Kriegsführung (verbrannte Erde und Konzentrationslager für die umgesiedelte Bevölkerung) auf den Philippinen und in Süd-Afrika hin.

Dabei rechtfertigten sich die US-Amerikaner explizit auch unter Hinweis auf die Vorgehensweise in Süd-Afrika.
 
Vielen Dank für die Präzisierungen. Dennoch, es ist durchaus keine "verunglückte" Formulierung, sondern ein gängiger Bezug in der Historiographie zur Kennzeichnung dieser Periode.
...dann müsste die Historiographie nachweisen können, (ich wiederhole mich) dass u.v.a. Claude Debussy, Alexander Skrjabin, Maurice Maeterlinck, Rainer Maria Rilke, Thomas und Heinrich Mann, Hugo von Hofmannsthal, Paul Verlaine, Anton Cechov, Oscar Wilde und noch so mancher andere in irgendeiner Weise mit "dem Auftreten von Konzentrationslagern" in Verbindung gebracht werden können. ...auf diesen Nachweis bin ich sehr gespannt ;) Der Kulturpessimismus in schöngeistigen Literatenzirkeln ist mit Sicherheit nicht der Architekt spanischer campos de reconcentración, amerikanischer & britischer concentration camps und deutscher Konzentrationslager.
Aber vermutlich reden wir aneinander vorbei: ich verwende fin de ciecle als literatur-, musik- und kunsthistorischen Begriff (das ist auch die häufigste, um nicht zu sagen normale Verwendung)
 
Um das Mißverständnis dennoch zu beleuchten und auch, weil es wichtig ist für das Verständnis der politischen Entwicklung nach 1871 vor allem auch in Deutschland, auch im Hinblick auf die „These zur Kontinuität“ vom Kaiserreich zum 3. Reich.

Was gesagt wurde:
Man kann den Bogen deutlich weiter spannen. Mit Hull, Hyslop und van Heyningen kann argumentiert werden, dass das Auftreten von Konzentrationslagern am Ende [neu eingefügt als zusätzliche Erklärung:der zeitlichen Periode] des „fin de siecle“ ein generelles Phänomen des Kolonialismus bzw. Imperialismus war.

Was als – vermeintlicher – Gegensatz formuliert wurde, aber eigentlich keiner ist. :friends:
...dann müsste die Historiographie nachweisen können, (ich wiederhole mich) dass u.v.a. Claude Debussy, Alexander Skrjabin, Maurice Maeterlinck, Rainer Maria Rilke, Thomas und Heinrich Mann, Hugo von Hofmannsthal, Paul Verlaine, Anton Cechov, Oscar Wilde und noch so mancher andere in irgendeiner Weise mit "dem Auftreten von Konzentrationslagern" in Verbindung gebracht werden können. ...auf diesen Nachweis bin ich sehr gespannt ;) Der Kulturpessimismus in schöngeistigen Literatenzirkeln ist mit Sicherheit nicht der Architekt spanischer campos de reconcentración, amerikanischer & britischer concentration camps und deutscher Konzentrationslager.


Mit meiner obigen Darstellung ist in keiner Weise eine Kausalität formuliert worden, sondern das „Fin de Siecle“ wurde als historische Periode, die ca. von 1870 / 1890 (der Beginn wird unterschiedlich in der Literatur definiert) bis 1914 reichte. Es ist für mich somit nicht nachvollziehbar, warum Künstler für das „Auftreten“ von Konzentrationslagern verantwortlich sein sollten. Vielmehr spiegelt sich in ihren Arbeiten die Wahrnehmung der Brüche wider und sie versuchen durch ihr - unter anderem - künstlerisches Schaffen diese Entwicklung zu beschreiben und zu analysieren (vgl. die sehr gute Darstellung in Schorske)

Die Beschreibung auf Wiki ist dabei durchaus hilfreich und erklärt die Verwendung im Rahmen der historischen Einordnung des Begriffs, der zwar auch durch künstlerische Strömungen geprägt ist, aber mittlerweile für die Gesamtheit der politischen, der sozialen, der ökonomischen, der philosophischen und natürlich auch der kulturellen Entwicklungen steht (vgl. die Einführung von M. Saler in Saler (Ed): The Fin de Siecle World)

Und diese Einflussgrößen werden als erklärende Konstrukte herangezogen, um den spezifischen Gang der Historie in dieser Periode zu beleuchten.

Wicki: „Obwohl der Begriff in Frankreich geprägt wurde ….wird Fin de Siècle auch gesamteuropäisch [Was nicht korrekt ist, da er mittlerweile global eingeordnet wird] zur Kennzeichnung der allgemeinen Befindlichkeit vor dem Ersten Weltkrieg verwendet. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stand in dem Bewusstsein, dass eine Epoche endgültig vorbei war.

Die eigenständige Bezeichnung dieser kurze Periode als „Fin de Siecle“ ist gerechtfertigt, da sie das Verbindungsglied ist zwischen einer noch aristokratisch geprägten Welt und dem Ankommen in der Moderne nach dem WW1 bildet. In ihrem Entstehen spiegelt sich, so Saler, die Ablehnung der moralischen und kulturellen normen der victorianischen Epoche wieder. (Saler: Introduction in Saler (Ed): The Fin de Siecle World, Pos. 487)

Das Fin de Siecle wird vielmehr als historischer Vorläufer und auch Ideengeber für die nach dem WW1 einsetzende Moderne angesehen (vgl. Chronologie des Fin d Siecle in Marshall, Pos. 181). Die Moderne führt eine Vielzahl von Fin de Siecle-Strömungen fort und radikalisiert bestimmte Ansichten, die durch die Erfahrungen des menschenverachtenden Zynismus des WW1 erklärt werden können. Diese Mischung aus pre-WW1 Strömungen und neuen radikalen Vorstellungen ist dann auch die Basis für die Formulierung von faschistischen bzw. NS-Ideologien als ein möglicher Ausdruck modernistischer Weltbilder spielen, so beispielsweise u.a. Payne.

http://www.geschichtsforum.de/f72/paris-den-20ern-50253/

In diesem Sinne erklärt beispielsweise A. Mayer diese Veränderungen(S. 189 ff), indem er den drastischen Wandel der ökonomischen Verhältnisse auf die sozialen Strukturen und die kulturellen Strömungen betrachtet. Die offizielle „Hochkultur“, so seine These und damit nähert er sich Saler an, spiegelte dabei die Werte und die Konventionen der „alten feudalen Ordnung“ wider. (S. 189).

Vor diesem Hintergrund setzte die Veränderung von Sichtweisen ein, die sich parallel aus einer Vielzahl von Impulsen gespeist wurde. Besonders dominierten kulturelle Strömungen , naturwissenschaftliche, medizinische Erkenntnisse und philosophische bzw. intellektuelle Diskurse diese Veränderung. Sie waren aber auch ambivalent in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und spiegelten das zwiespältige Erbe der Aufklärung bzw. der Französischen Revolution wider. Zum einen die emanzipativen ethischen Wertvorstellungen, die radikal nicht begründbare Normen in Frage stellte. Anderseits „The Enlightment translated these religious and secular strands of perfection into the vocabulary of rational progress.“ (Alexander, Pos 187).

Und damit wurden Vorstellungen der „Protestantischen Ethik“ zur Grundlage politischer Rationalität und Verwaltungshandlungen gemacht. Diese angeblich „neutralen“ und „objektiven“ „technokratischen Weltbilder, die dann im Rahmen von „Sozial-Engineering“ die Welt verbessern sollten konnten sich immer damit rechtfertigen, dass ihre Ziele „rational“ seien und der menschlichen Zivilisation dienen würden.

Exkurs: Eine Sichtweise, die Anfang des zwanzigsten Jahrhundert ideologisch übergreifend eine Rolle gespielt hatte. Zum einen diente sie als „zivilisatorischer Auftrag“ der Legitimation in den Kolonien, plakativ zusammengefaßt in „The white men`s burden“ und mußte auch als Rechtfertigung beispielsweise für die USA und GB für die Einrichtung der Konzentrationslager dienen (vgl, dazu ausführlich Moses, Chapter 8, Empires, Native people, and Genocide). Zum anderen diente diese Sicht als Basis, um die gerechtere Gestaltung von Gesellschaften voranzutreiben, vor allem aus der Perspektive linker Parteien.

Im Mittelpunkt dieser neue Ideen standen dabei Paris und Wien (vgl. Schorske), aber mittlweile wird die Frage nach der Wirkungsmacht der Strömungen des Fin de Siecle auch für den restlichen Teil der Welt als globales Phänomen gestellt, so beispielsweise die Beiträge zur globalen Bedeutung in Saler.

Bei Marshall wird ein ergänzender Überblick über die vielfältigen Brüche des Fin de Siecle im Vergleich zur vorherigen Epoche gegeben. Tradierte Sichten auf die Rollen der Geschlechter werden in Frage gestellt und weichen einer Diskussion über die „Neue Frau“ und parallel dazu fand eine Diskussion über „Sexualität“ statt. Eingerahmt in die neue Bedeutung der Psychologie, die mit Freud eine neue Perspektive auf das Verhalten von Menschen aufzeigte.

Möglich wurde diese neue breite gesellschaftliche Diskussion im Fin de Siecle durch neue Formen der massenmedialen Aufbereitung, die parallel liefen zur industriellen Entwicklung.

In diesen Kontext gehören auch die neuen Gesellschaftsentwürfe, die zum einen die radikalen neuen Gesellschaftsentwürfe im linken Spektrum, seien es sozialistische oder anarchistische Entwürfe (vgl. Marshall)

Als Beispiele können dienen: Die Veränderungen der Sichten im Fin de Siecle betreffen wie oben angesprochen auch die Formen der „Körperlichkeit“.

Entwickelten die „Suffragetten“ ein neues Bild der modernen Frau, so prägte eine extreme und aggressive „Maskulinität“ das Selbstverständnis der männlichen Eliten. In besonderem Maße waren davon das Selbstverständnis der Militärs betroffen. In diesem Kontext argumentiert beispielsweise Heuser (Reading Clausewitz), dass die radikale offensive Ausrichtung der militärischen Planung der Generalstäbe (DR und F als besondere Beispiele) u.a. auch eine Ursache in den sozialpsychologisch determinierten Selbstkonzepten dieser Generation hatte. Konzepte zur Verteidigung waren „unmännlich“ und auch „unehrenhaft“ (selbst Clausewitz wurde reinterpretiert an diesem Punkt, um dem Einwand zu begegnen)

Ähnlich beschreibt Patterson den aufkommenden „Navalismus“ in den USA als ein Ergebnis der veränderten Rahmenbedingungen des politischen, sozialen und kulturellen Diskurs. Für die Periodisierung wählt er den Begriff des „Fin de Siecle“, obwohl parallel diese Periode auch als „Gilded Age“ bzw. „Progressive Era“ bezeichnet wird.

[url]https://en.wikipedia.org/wiki/Progressive_Era[/URL]

Es ist letztlich die Entscheidung des Autors, welche Begriflichkeit er für die zeitliche Einordnung wählt, allerdings werden die gleichen Entwicklungen beschrieben.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Personen wie Mussonlini oder Hitler ihre primäre Sozialisation im Umfeld des Fin de Siecle erlebten und ihre politische sich dann in der beginnenden Moderne nach dem WW1 formte und verfestigte. Sie prägten mit ihren politischen Zielsetzungen und Handlungen dann teilweise die „Moderne“, aber wurden zunächst von ihr politisch geprägt. Durch die Komplexität der Ereignisse, die Alexander als die „Dark side of modernity“ beschreibt.

Alexander, Jeffrey C. (2013): The dark side of modernity. Cambridge, UK, Malden, MA: Polity Press.
Marshall, Gail (2007): The Cambridge companion to the fin de siècle. Cambridge, New York: Cambridge University Press
Mayer, Arno J. (2010): The persistence of the old regime. Europe to the Great War. London, Brooklyn: Verso.
Moses, A. Dirk (2008): Empire, colony, genocide. Conquest, occupation, and subaltern resistance in world history. New York [u.a.]: Berghahn Books
Patterson, Lewis J. (2013): New manifest destiny: the rise of navalism in Fin de siècle America: Fort Leavenworth, KS : US Army Command and General Staff College.
Payne, Stanley G. (1995): A history of fascism, 1914-1945. Madison: University of Wisconsin Press.
Saler, Michael T. (2015): The fin-de-siècle world. London, New York:
Schorske, Carl E. (1981): Fin-de-siècle Vienna. Politics and culture. New York: Vintage Books.
 
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