Partisanenkrieg im Ersten Weltkrieg?

Es ist zu unterscheiden zwischen einem abstrahierenden Generalstab, der ausschließlich in militärischen Kategorien denkend auf dem Reißbrett einen Feldzugplan, "militärisch pragmatisch" ohne Beachtung von Neutralität und politischer Dimension entwarf (ohne eine politische Führung - wie von Scorpio dargestellt), ...

und Eskalationen aus einer dem Schema von 1871 entspringenden und folgenden Vorstellung von Volkskrieg, gemischt mit Franktireurphobien und für Massenheere typischen, unkontrollierten, spontanen und auf "unterer" Ebene ablaufenden Gewaltspiralen.

Hierzu maßgeblich:

Horne/Kramer: Deutsche Kriegsgreuel 1914 - Die umstrittene Wahrheit:

"Das Verhalten der deutschen Soldaten gegenüber der feindlichen Zivilbevölkerung folgte im wesentlichen einem festen Muster. Dieses ergibt sich aus den größeren Zwischenfällen ... 84 von ihnen, das sind 65 Prozent, standen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen. Ob die Deutschen nun überzeugt waren, daß Zivilisten sich an dem Gefecht beteiligt hatten, oder ob dies nur ein Vorwand war, um andere Motive (Wut über Rückschläge, Rache für hohe Verluste) zu kaschieren, das Schicksal der Zivilisten war mit den Kämpfen eng verknüpft. In 29 Fällen (22 Prozent) wurde der Zwischenfall durch eine »Panik« entweder ausgelöst oder verschärft, das heißt durch eine unkontrollierbare und hysterische Reaktion der deutschen Truppen, die von den Offizieren nur mit Mühe unter Kontrolle gebracht wurde. Panikreaktionen trugen zu einigen der schwersten Zwischenfälle bei (Warsage, Visé, Aarschot, Andenne, Löwen, Lunéville) und hingen in 19 von 29 Fällen nicht mit einem Gefecht zusammen...
Demnach drängt sich der Schluß auf, daß das eigentliche Phänomen in dem deutschen Glauben an einen Volkskrieg bestand, ein außerordentlicher Fall von kollektiver Autosuggestion, wie er in einem modernen Heer seinesgleichen suchen dürfte. Eine Million Männer wurden von einem Wahn erfaßt, der die Vorstellung eines Franktireurkriegs für die Wirklichkeit hielt. Die deutschen Greuel waren das symptomatische Resultat der mobilisierenden Macht dieser Wahnvorstellung..."

Bdaian Das erklärt bestimmt auch die äußerst humane Vorgehensweise der demokratischen Armee der USA auf den Philippinen einige Jahre zuvor

Ich musste bei der von @silesia beschriebenen Gemengelage die zu Übergriffen gegen Zivilisten in Belgien und deinem Beitrag eher an das Massaker von My Lai 1968 während des Vietnamkrieges denken. Im März 1968 erhielt eine Einheit unter dem Kommando von Oberstleutnant Frank Barker den Auftrag das Dorf My Lai einzunehmen und nach Guerillieros des Vietcong zu durchsuchen. Die zivilen Bewohner galten US- Militärs als Sympathisanten und potenzielle Unterstützer des Vietcong. Die Soldaten begannen die Frauen des Dorfes zu vergewaltigen und brachten fast alle der 500 Einwohner um und erschossen das Vieh. Kaum einer der Soldaten verweigerte den Gehorsam, allerdings intervenierte ein Helikopterpilot, der drohte, auf die Soldaten der Einheit Barkers zu schießen, wenn die Übergriffe nicht eingestellt würden. Lt. Colonel Barker wurde für das Massaker nicht zur Verantwortung gezogen, und es versuchte das US- Militär zunächst, die Greuel zu vertuschen, doch wurden sie durch den Journalisten Seymour Hersh bekannt, der dafür 1970 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Der Bericht Hershs trug wesentlich dazu bei, dass sich die Einstellung der amerikanischen Öffentlichkeit zum Einsatz in Vietnam änderte.
 
Ja, das sind typische Gewalteskalationen "vor Ort", Beispiele für die "entgrenzte Gewalt", häufig in Verbindung mit versagender Disziplin und temporär nicht greifenden Hierarchien.

Blättert man in Kriegstagebüchern deutscher Einheiten im Polen- oder Ostfeldzug, dann war es vorwiegende Sorge kommandierender Stellen, dass solche Entgrenzungen die Disziplin der Truppe insgesamt schwächen, und damit die Kampfkraft. Das war ein (rein militärisches, zynisch wirkendes) Motiv, solche Gewaltentgrenzung der "Truppe vor Ort" zu verhindern.

Einen völlig anderen Aspekt hat thanepower zutreffend mit Hinweis auf Hull angeführt: Gewaltentgrenzung als systematischer Aspekt, ebenso Horne/Kramer. (Zu dem Philippinen-Vergleich mag man sich mal zu der folgenden Beschreibung eine fiktive Debatte im Kaiserreich im September 1914 zu der Gewalteskalationen in Belgien und Nordfrankreich vorstellen)

Unterschiedlich sind eben die Reaktionen darauf. Analog zur folgenreichen Vietnam-Debatte (ob man das tatsächlich vergleichen kann, sei mal dahingestellt) hier ein zeitgenössisches kritisches Beispiel zum Krieg der USA in den Philippinen aus Harris, God's Arbiters - Americans and Philippines 1898-1902 sowie Paul Kramer, The Blood of Government - Race, Empire, The United States and The Philippines, mit zahlreichen Hinweisen zur Diskussion 1899/1902 über "moralische Degeneration" und zur rassistisch und religiös aufgeladenen Gewaltspirale von Teilen der Truppe:
 

Anhänge

  • image.jpg
    image.jpg
    197,6 KB · Aufrufe: 653
Demnach drängt sich der Schluß auf, daß das eigentliche Phänomen in dem deutschen Glauben an einen Volkskrieg bestand, ein außerordentlicher Fall von kollektiver Autosuggestion, wie er in einem modernen Heer seinesgleichen suchen dürfte. Eine Million Männer wurden von einem Wahn erfaßt, der die Vorstellung eines Franktireurkriegs für die Wirklichkeit hielt. Die deutschen Greuel waren das symptomatische Resultat der mobilisierenden Macht dieser Wahnvorstellung...
Für mich klang das in Jüngers "In Stahlgewittern" aber entschieden anders und auch andere Berichte die ich gelesen hab, erweckten eher den Eindruck einer Zweckfreundschaft zwischen Deutschen Truppen und Zivilisten.
Ich meine Jünger schrieb sogar, dass er eine Familie nach dem Krieg öfters besuchte
und selbst Hitler scheint ja keine schlechten Erfahrungen mit der französischen Zivilbevölkerung im WWI gemacht zu haben.

Falls ihr Anmerkungen dazu habt, freue ich mich auf interessante Lektüre :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Für mich klang das in Jüngers "In Stahlgewittern" aber entschieden anders und auch andere Berichte die ich gelesen hab, erweckten eher den Eindruck einer Zweckfreundschaft zwischen Deutschen Truppen und Zivilisten.
Ich meine Jünger schrieb sogar, dass er eine Familie nach dem Krieg öfters besuchte
und selbst Hitler scheint ja keine schlechten Erfahrungen mit der französischen Zivilbevölkerung im WWI gemacht zu haben.

Falls ihr Anmerkungen dazu habt, freue ich mich auf interessante Lektüre :)

Lektüre ist oben angegeben. Da kannst Du Dich dann auch im Einzelnen über Opferzahlen schlau machen.

Worum es hier geht, ist der Einmarsch in NW-Frankreich und Belgien 1914.
Dazu hat Jünger nichts zu sagen, weil er schlicht nicht dabei war.

Wer er noch Hitler sind übrigens Masstab für den Forschungsstand zur deutschen Besatzungsmacht in NW-Frankreich oder Belgien. Es geht auch nicht um schlechte Erfahrungen deutscher Soldaten mit Zivilibevölkerung, sondern um "schlechte Erfahrungen" der Zivilbevölkerung mit den deutschen Soldaten.
 
Silesia, Du schreibst/zitierst u.a.:


Hierzu maßgeblich:

Horne/Kramer: Deutsche Kriegsgreuel 1914 - Die umstrittene Wahrheit:

"Das Verhalten der deutschen Soldaten gegenüber der feindlichen Zivilbevölkerung folgte im wesentlichen einem festen Muster. Dieses ergibt sich aus den größeren Zwischenfällen ... 84 von ihnen, das sind 65 Prozent, standen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen. Ob die Deutschen nun überzeugt waren, daß Zivilisten sich an dem Gefecht beteiligt hatten, oder ob dies nur ein Vorwand war, um andere Motive (Wut über Rückschläge, Rache für hohe Verluste) zu kaschieren, das Schicksal der Zivilisten war mit den Kämpfen eng verknüpft. In 29 Fällen (22 Prozent) wurde der Zwischenfall durch eine »Panik« entweder ausgelöst oder verschärft, das heißt durch eine unkontrollierbare und hysterische Reaktion der deutschen Truppen, die von den Offizieren nur mit Mühe unter Kontrolle gebracht wurde. Panikreaktionen trugen zu einigen der schwersten Zwischenfälle bei (Warsage, Visé, Aarschot, Andenne, Löwen, Lunéville) und hingen in 19 von 29 Fällen nicht mit einem Gefecht zusammen...


Aus einer neuen Rez. zu einer Neuerscheinung - Spraul, Der Franktireur-Krieg 1914 - über das oben genannte Werk:

[...] Das Buch von Gunter Spraul entfaltet nun auf 679 Seiten diese Kritik und kommt zu einem vernichtenden Urteil. Auf vielen Seiten zeigt der Autor Irrtümer und Verwechslungen auf, die ihre Ursache in einer erstaunlichen Ignoranz militärischer Sachverhalte und deutscher Quellen haben. [...]


Ich hoffe mal nicht, dass Horne/Kramer - wie Uhle-Wettler über Ludendorff - ihre Quellen erheblich optimiert haben und sonstiges, aber es hört sich zumindest nicht so gut an. Die Rez. bietet auch gleich ein konkretes Beispiel aus dem Werk von Horne/Kramer.

Noch eine Frage, Silesia, darauf:

Der deutsche Einmarsch war bezogen auf Belgien ein Angriffskrieg auf ein überraschend überfallenes Land. Für diese Situation haben Gerichte in Urteilen zu "Vergeltungsaktionen" im Partisanenkrieg ein "Besonderes Widerstandsrecht" erwogen, sozusagen (naturrechtliche) Notwehrrechte.

Welche Gerichte und wann? Eventuell belgische und niederländische? Schon 1914 und davor?

Viele Grüße,


Andreas
 
Der Begriff "Partisanen" wird hier im Thread nicht eindeutig definiert, auch hat sich der Themenstarter dieses Threads leider nicht mehr dazu geäussert, was er darunter versteht bzw. einordnet, bezüglich seiner Frage.

Denn auch in Deutschland gab es in nicht allzu ferner Geschichte - nach dem ersten Weltkrieg - Widerstandskämpfer (also Partisanen???), die von der Regierung nicht autorisiert waren: nämlich nach dem Einmarsch der französischen und belgischen Truppen 1923 in das unverteidigte Ruhrgebiet - als Folge der deutschen Zahlungsunfähigkeit der im Versailler Vertrag vereinbarten Reparationen - bildeten sich auch Gruppen Freiwilliger, die an die Stelle des von der Regierung Wilhelm Cuno aufgerufenen passiven Widerstands die aktive Abwehr gegen die französisch-belgische Okkupation setzten: Franzosen und/oder Separatisten wurden an Ort und Stelle getötet oder ins unbesetzte Gebiet verschleppt, Brücken und Eisenbahnen wurden gesprengt, etc.
Einer dieser aktiven Widerständler (= Partisanen?), Albert Leo Schlageter, wurde von den Franzosen ergriffen und hingerichtet. In den Augen der Deutschen war er ein Märtyrer...
 
Der Begriff "Partisanen" wird hier im Thread nicht eindeutig definiert...
Vorschlag: im Kriegsfall den § 1 der Anlage zum Haager Abkommen 1907 ("Landkriegsordnung", LKO) als Maßstab nehmen:
Die Gesetze, die Rechte und die Pflichten des Krieges gelten nicht nur für das Heer, sondern auch für die Milizen und Freiwilligen-Korps, wenn sie folgende Bedingungen in sich vereinigen:
  • daß jemand an ihrer Spitze steht, der für seine Untergebenen verantwortlich ist,
  • daß sie ein bestimmtes aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen,
  • daß sie die Waffen offen führen und
  • daß sie bei ihren Unternehmungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges beobachten.
Sind die Bedingungen nicht erfüllt, handelt es sich um Partisanen.

Problem: Bei dem sog. "Ruhrkampf" handelt es sich nicht um einen Krieg im Sinne der LKO, so daß die Besatzungsmacht den Schlageter als Mitglied einer kriminellen Vereinigung aburteilen konnte.
 
URL="http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26029"]Aus einer neuen Rez. zu einer Neuerscheinung - Spraul, Der Franktireur-Krieg 1914 - über das oben genannte Werk:[/URL]

Ich hoffe mal nicht, dass Horne/Kramer ... ihre Quellen erheblich optimiert haben und sonstiges, aber es hört sich zumindest nicht so gut an. Die Rez. bietet auch gleich ein konkretes Beispiel aus dem Werk von Horne/Kramer.

Zu Spraul halte ich Bewertungen zurück, bis ich die Publikation komplett gelesen habe. Der Autor ist mir bislang nur mit umstrittenen Beiträgen zum Herero-Krieg und zur Fischer-Debatte bekannt.

Bei der Hoeres-Rezension habe ich den (vorläufigen) inhaltlichen Eindruck, dass er weniger Spraul rezensiert als seine (und die anderer) Kritik an (zu) weitgehenden Schlussfolgerungen von Horne/Kramer erneuert hat. Diese Kritik ist nicht neu. Ich habe mir die seinerzeitigen MGZ-Rezensionen daraufhin nochmal angeschaut. Hoeres ist mir jedenfalls bislang auch nicht durch beachtete militärhistorische Publikationen aufgefallen, sondern nähert sich dem Thema aus einer - mal so umschrieben: - soziologisch-politisch-publizistisch-propagandistischen Ecke.


Welche Gerichte und wann? Eventuell belgische und niederländische? Schon 1914 und davor?

In #9 habe ich ein vorsichtig eingeschobenes "erwogen" für eine solche Betrachtung angesetzt.

Dieses "erwogen" bezieht sich darauf, dass eine Nennung der menschen- und kriegs-, völkerrechtlichen Argumentation - obwohl nicht urteilserheblich, und das macht die Nennung gerade juristisch bemerkenswert - in einem höchstrichterlichen Fall zum Partisanenkrieg WK II in Folge eines deutschen "Einmarsches" erfolgt ist.

Die Argumentation finde ich nachvollziehbar und plausibel, und zwar auch auf/für 1914. Es wird durch Hinweise auf die Beweislast der Partisanenaktivitäten vor Strafmaßnahmen (gegen massenweise Tötungen mit pauschalierten Vorwürfen ohne konkrete Beweise) sowie durch die Bestimmung der Verhältnismäßigkeit bei Repressalien gegen Zivilisten (Erschießungen Unbeteiligter, zB mit Quoten 10:1) vor dem Hintergrund von Angriffskriegen ergänzt.

EDIT: BGH, Beschluss vom 17. 6. 2004 – 5 StR 115/03
 
Zuletzt bearbeitet:
Jschmidt hat die einschlägigen Kriterien zitiert.

Sind die Bedingungen nicht erfüllt, handelt es sich um Partisanen.

Und die Erfüllung der Bedingungen muss erwiesen sein.

Auch hier kann man - Grundlage Haager Landkriegsordnung - aus den Erfahrungen des 2. WK und entsprechender Urteile zu Kriegsverbrechen schöpfen, um Meuchelmorde an Zivilbevölkerung oder vermeintlichen oder Partisanen von unmittelbaren Kriegshandlungen gegen Partisanen zu trennen.

"Die Tötung von Freischärlern ohne Gerichtsverfahren sieht das SchwurG nur dann als rechtmäßige Kriegshandlung an, wenn der Freischärler beim Kampf betroffen oder auf der Flucht ergriffen wurde. ...
Dass diese Personen sonst der Widerstandsorganisation angehörten oder in Verbindung zu ihr standen, wie das SchwurG zugunsten des Angeklagten unterstellt, machte sie nicht rechtlos und überlieferte sie nicht der Tötung ohne gerichtliches Verfahren. Erst recht erlaubte das Kriegsrecht keine meuchlerische Tötung, auch nicht bei Partisanen (Art. 23 Abs. 1 b der Haager LandkriegsO).

Auch als Kriegsrepressalie war die Tötung nicht gerechtfertigt.
Eine solche Maßnahme ist jetzt durch Art. 33 Abs. 1, 3 des IV. Genfer Abkommens zum Schutz der Zivilbevölkerung v. 12. 8. 1949 (BGBl. 1954 II 781, 917) verboten. Das SchwurG geht davon aus, dass zur Tatzeit eine Kriegsrepressalie erlaubt war als Beugemittel gegenüber einem Gegner, der sich nicht völkerrechtsmäßig verhielt, dass also auch unschuldige Einwohner eines besetzten Gebiets getötet werden durften, um dadurch illegale Kombattanten zur Aufgabe völkerrechtswidriger Kampfhandlungen zu veranlassen. Nach Ansicht des Tatrichters war aber im vorliegenden Fall eine erlaubte Kriegsrepressalie deshalb nicht gegeben, weil die Maßnahme weder vorher angedroht noch wenigstens nachher bekanntgegeben worden war („Notifikation”)."
BGH, Urteil vom 15. 8. 1969 - 1 StR 197/68
 
Problem: Bei dem sog. "Ruhrkampf" handelt es sich nicht um einen Krieg im Sinne der LKO, so daß die Besatzungsmacht den Schlageter als Mitglied einer kriminellen Vereinigung aburteilen konnte.
Ja, als Terrorist quasi. Ich tuhe mich aber dennoch schwer mit dem Begriff Partisanen. Nämlich in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs werden die sogen. Maquis (französische Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzungsmacht) in der Regel als Partisanen bezeichnet - obwohl Frankreich kapituliert hatte und somit dort kein Krieg mehr herrschte.
(BITTE nicht falsch verstehen, ich will hier sicher nicht die Gräueltaten der Besatzer rechtfertigen oder irgendwie schön reden - das nur zur Info, bevor jemand auf falsche Gedanken kommt!)

In der Sowjetunion sah das schon anders aus ...

Was ich meine: wenn man Maquisards in Frankreich als Partisanen sieht, sehen will, oder offiziell so bezeichnet, dann müsste das auch für die deutschen Widerständler von 1923 gelten ;)
 
Auch als Kriegsrepressalie war die Tötung nicht gerechtfertigt.
Eine solche Maßnahme ist jetzt durch Art. 33 Abs. 1, 3 des IV. Genfer Abkommens zum Schutz der Zivilbevölkerung v. 12. 8. 1949 (BGBl. 1954 II 781, 917) verboten. Das SchwurG geht davon aus, dass zur Tatzeit eine Kriegsrepressalie erlaubt war als Beugemittel gegenüber einem Gegner, der sich nicht völkerrechtsmäßig verhielt, dass also auch unschuldige Einwohner eines besetzten Gebiets getötet werden durften, um dadurch illegale Kombattanten zur Aufgabe völkerrechtswidriger Kampfhandlungen zu veranlassen. Nach Ansicht des Tatrichters war aber im vorliegenden Fall eine erlaubte Kriegsrepressalie deshalb nicht gegeben, weil die Maßnahme weder vorher angedroht noch wenigstens nachher bekanntgegeben worden war („Notifikation”)."
BGH, Urteil vom 15. 8. 1969 - 1 StR 197/68
Kommt auf die Umstände an: wurden die Geiseln vor dem Anschlag in Geiselhaft genommen, oder erst danach aus Vergeltung liquidiert...
Das Thema Geiselerschiessung ist eine heikle Angelegenheit, immer wieder streiten sich die Fachleute...

Dr. jur. Gerd Hankel hatte das mal in seinem Artikel "Kriegsverbrechen und die Möglichkeiten ihrer Ahndung in Vergangenheit und Gegenwart" wie folgt heraus gearbeitet:

Zunächst in Kurzform die Kriterien für eine Geiselnahme, wie sie Hankel definiert:
1.) müssen eventuelle Geiseln vor einer möglichen Völkerrechtsverletzung (der Kontrahenten!) als Geiseln inhaftiert und als solche deklariert werden;
2.) muss die Liquidierung der Geiseln vor der Missetat der Kontrahenten als Folge angekündigt werden;
3.) müssen die in Geiselhaft genommenen Personen in einem direktem Verhältnis zu der Tat bzw. zu den Tätern stehen (also beispielsweise Mitglieder der selben Organisation sein)
4.) darf das Verhältnis der zur Vergeltung zu liquidierenden Geisel-Personen nicht ein maximales Verhältnis von 1:10 (im Extremfall) überschreiten, etc.

Zitat aus dem Artikel:
"Voraussetzungen für die Anwendung der Repressalie war, dass zwischen ihren Opfern (das heisst im Klartext denjenigen, die wegen der Partisanentätigkeit anderer getötet werden) und den Partisanen eine Verbindung bestanden hatte, dass die Repressalie der Abschreckung (und nicht der Rache) diente, dass sie zuvor angedroht wurde und in einem angemessenen Verhältnis zum begangenen Rechtsverstoss stand. Was zur Zeit des Zweiten Weltkriegs unter einem "angemessenen Verhältnis" zu verstehen war, ist streitig. Sicher ist aber, dass die Frage nach der Proportionalität nicht arithmetisch beantwortet werden kann (1:2; 1: 5: 1:10 etc.), sondern an Art und Umfang des vorangegangenen Rechtsverstosses unter Beachtung einer sogenannten Humanitätsschranke gemessen werden muss. Ein Verhältnis von 1:100 oder 1:50 ist in jedem Fall zu hoch, und das häufig als allgemein zulässig kolportierte Verhältnis von 1:10 nur in Ausnahmefällen erlaubt.

Die deutschen Besatzungstruppen in der Sowjetunion und in Südost-Europa pflegten die zu Exekutierenden häufig als "Geiseln" zu bezeichnen, ohne zwischen den Personen zu differenzieren, die erst nach dem Völkerrechtsverstoss festgenommen wurden, und anderen, die vorsorglich als Faustpfand für den Fall kommender Rechtsverstösse festgehalten worden waren. Nur bei den letztgenannten Personen handelte es sich jedoch um Geiseln, während die erst nach der kriegsrechtswidrigen Handlung festgenommenen Personen als Repressalien- oder Sühnegefangene bezeichnet werden. Anders als sie befinden sich Geiseln in einem Schwebezustand, der erst durch den Kriegsrechtsverstoss des Gegners beendet wird, welcher den sog. "Geiselverfall" einleitet. Die nachfolgende Geiselexekution folgte damals den Regeln der Repressalie, weswegen zwischen Geiseln und Repressaliengefangenen in der Rechtspraxis und auch in der Rechtstheorie oftmals nicht unterschieden wurde. Deshalb wurde u.a. auch verlangt, dass im Falle der Geiselnahme die Erschiessung der Geiseln vorher angedroht werden müsse, dass eine Verbindung zwischen den Geiseln und dem erwarteten Kriegsrechtsverstoss besteht und dass zwischen der Zahl der zu erschiessenden Geiseln und dem Verstoss, von dem die Geiselnahme und die angedrohte Erschiessung abschrecken soll, kein Missverhältnis besteht.

Als zusätzliche Auslegungshilfe für die Anwendung von Repressalien und für die Geiselnahme sowie als weiterer rechtlicher Rahmen für deren Zulässigkeit waren die Martensschen Klausel und Art. 50 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) zu beachten.

Die Martenssche Klausel ging hervor aus der Erkenntnis, dass die Landkriegsordnung nicht alle im Krieg vorkommenden Fälle abdecken könne und insbesondere die Unterscheidung zwischen rechtmässigen Kombattanten auf der einen und Freischärlern auf der anderen Seite nicht immer einfach zu treffen sei. Diejenigen, die zu entscheiden hätten, sollten sich leiten lassen von den
"Grundsätze[n] des Völkerrechts [...], wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens."
Und Art. 50 HLKO, der sich auf die militärische Gewalt im besetztem feindlichem Gebiet bezieht, besagte:
"Keine Strafe in Geld oder anderer Art darf über eine ganze Bevölkerung wegen der Handlungen einzelner verhängt werden, für welche die Bevölkerung nicht als mitverantwortlich angesehen werden kann."
Das sind, man muss es wohl so sehen, nicht immer klare Kriterien. Wann gilt eine Bevölkerung als mitverantwortlich? Was sind in einer konkreten Situation die Gesetze der Menschlichkeit? Und was ist unter einem "angemessenen Verhältnis" zwischen einem Völkerrechtsverstoss (Partisanentätigkeit) und seiner Ahndung zu verstehen?
"

Quelle: Gerd Hankel: Kriegsverbrechen und die Mglichkeiten ihrer Ahndung in Vergangenheit und Gegenwart
 
...
Demnach drängt sich der Schluß auf, daß das eigentliche Phänomen in dem deutschen Glauben an einen Volkskrieg bestand, ein außerordentlicher Fall von kollektiver Autosuggestion,...

Das versteh ich grad nicht ganz.
"Volkskrieg" als gewaltätige Eigenwilligkeit von Zivilisten lag doch schon in der Luft.
Ist es auch "Autosuggestion" wenn man das Naheliegende annimmt?
 
Was ich meine: wenn man Maquisards in Frankreich als Partisanen sieht, sehen will, oder offiziell so bezeichnet, dann müsste das auch für die deutschen Widerständler von 1923 gelten.
Da es hier um den Ersten Weltkrieg gehen soll, nur ein knapper Vergleich:
- Die Franzosen (und Belgier) wahrten 1923 den Schein des Rechts, als sie ins Ruhrgebiet einmarschierten. Die Reichsregierung als die einzig legitimierte deutsche Instanz entschloss sich zu einem ausschließlich passiven Widerstand.
- Die Deutschen überzogen nach dem Waffenstillstand 1940 das gesamte besetzte Frankreich mit Terror und Mord. Das Vichy-Regime fand sich damit ab, aber daneben gab es noch das "andere" Frankreich de Gaulles, der mit seinem Comité National de la France libre den bewaffneten Kampf fortsetzte.
 
Da es hier um den Ersten Weltkrieg gehen soll, nur ein knapper Vergleich:
- Die Franzosen (und Belgier) wahrten 1923 den Schein des Rechts, als sie ins Ruhrgebiet einmarschierten. Die Reichsregierung als die einzig legitimierte deutsche Instanz entschloss sich zu einem ausschließlich passiven Widerstand.
- Die Deutschen überzogen nach dem Waffenstillstand 1940 das gesamte besetzte Frankreich mit Terror und Mord. Das Vichy-Regime fand sich damit ab, aber daneben gab es noch das "andere" Frankreich de Gaulles, der mit seinem Comité National de la France libre den bewaffneten Kampf fortsetzte.

d'accord.:winke:

Wir sollten beim WK I bleiben. Nur ein Hinweis: über den Schein kann man trefflich streiten, und wurde politisch aufgeladen gestritten.
 
Richtig, siehe hier:
John Horne, Alan Kramer: Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit. Hamburg, 2004. - HSK/Infoclio / Rezensionen / Bücher

Es kommt noch etwas hinzu, was die Frage der "Angemessenheit" deutscher Reaktionen betrifft, selbst wenn man den Widerstand belgischer "Nichtkombattanten" im Einzelfall als erwiesen ansehen würde:

Der deutsche Einmarsch war bezogen auf Belgien ein Angriffskrieg auf ein überraschend überfallenes Land. Für diese Situation haben Gerichte in Urteilen zu "Vergeltungsaktionen" im Partisanenkrieg ein "Besonderes Widerstandsrecht" erwogen, sozusagen (naturrechtliche) Notwehrrechte.

Der Aggressor, der in das Land einmarschiert, hat die Folgen dieses Notwehrrechtes hinzunehmen, und sozusagen vermindertes Vergeltungsinteresse.

Das sind mE plausible Überlegungen.

Zu dieser Thematik gibt es ein neueres Werk, welches mit Horne und Kramer sehr kritisch ins Gericht geht. Beispielsweise haben Horne und Krame, dieses Werk wird ja hochgelobt, die deutschen Akten überhaupt nicht ausgewertet haben. Keller kommt jedenfalls zu ganz anderen Ergebnissen als Horne und Kramer.

Bemerkenswert ist das Vorwort von Gerd Krummreich, der hier ganz offen bekennt, das bei solch "heißen" Themen, eher "mainstreammäßig", also die Deutschen haben die Greueltaten begangen oder haben halt vollkommen überzogen reagiert und die Belgier sind deren Opfer, im Sinne der eigenen Reputation und Karriere geschrieben wurde.

Ulrich Keller, Schuldfragen ist in Schönnigh Verlag erschienen oder auch Gunter Spraul, Der Franktireurkrieg 1914

Spraul nimmt das Werk von Horne und Kramer regelrecht auseinander. Er weist nach, das Horne und Kramer Umgang mit den Quellen tendenziös ist. Beispielsweise stützen sie sich auf die Times, die dummes Zeug wie von abgehakten Kinderhänden durch deutsche Soldaten aber gar nicht berichtet hat, was Horn und Kramer verschweigen. Horne und Kramer haben es auch komplett unterlassen, sich inhaltlich mit den deutschen Beweisen/Quellen auseinanderzusetzen. Sie werden als apologetisch abqualifiziert oder, wenn nützlich im Sinne der eigenen Intention, tatsächlich verwendet.

Hier noch ein Fazit von hsozkult zu Spraul:

"Beim vorliegenden Buch handelt es sich um eine monumentale Rezension des Buches von Horne und Kramer, die zeigt, dass dieses keineswegs als eine verlässliche Studie über die Geschehnisse beim Einmarsch in Belgien und Nordfrankreich 1914 gelten kann. Dafür weist sie zu viele Fehler, eine zu einseitige Quellenkritik und zahlreiche Fehlschlüsse auf. Der von Horne und Kramer geschmähte Nipperdey dürfte mit seiner freilich sehr summarischen Einschätzung letztlich näher an der historischen Realität gelegen haben. Vor allem kann nicht mehr in Abrede gestellt werden, dass es Franktireurs und völkerrechtswidrige Angriffe auf die deutschen Truppen gegeben hat. Auch das berüchtigte „Strafgericht von Löwen“ entsprang nicht friendly fire, wie oft lapidar insinuiert wird."
 
Wir sollten das Thema etwas emotionsloser betrachten. Offensichtlich ist auch die Sicht von Spraul nicht ganz zielführend. Letztlich wird man sehr tief in die Dokumentenlage einsteigen müssen, um richtige und falsche Darstellungen selber beurteilen zu können.

Unter dem Strich bleibt dennoch die völkerrechtlich problematische Verletzung der belgischen Neutralität und die Zerstörung belgischer Städte und der Tötung von zivilen Einwohnern, aus welchem Vorsatz auch immer.

"Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.11.2016

Michael Epkenhans wünscht sich eine interdisziplinäre, sämtliche Akten kritisch hinzuziehende nicht national beeinflusste Studie zum Thema. Gunter Spraul bietet ihm das Gegenteil. Das Buch hält er für eine als "vernichtende Rezension" gedachte Gegendarstellung zu Alan Kramers und John Hornes Studie von 2001 über deutsche Kriegsgräuel in Belgien. Dass ausgerechnet Spraul bei dem Versuch, die Existenz eines Franktireurkriegs nachzuweisen, den Verfall der Wissenschaft und ideologisches Arbeiten beklagt, scheint Epkenhans absurd, da der Autor in seinen Augen alles andere als seriös arbeitet. Zwar kann der Autor Kramer und Horne laut Rezensent zahlreiche faktische Fehler nachweisen, doch im weiteren, meint Epkenhans, macht er die gleichen Fehler, indem er etwa die Quellen nur einseitig auswertet und mit Vermutungen statt mit Beweisen arbeitet. Richtig unangenehm findet Epkenhans Sprauls Relativierungen deutscher Gewaltakte. Hier scheinen ihm Autor und Buch die Grenze von berechtigter Kritik hin zu einem ärgerlichen Machwerk zu überschreiten, dem es um die Wiederherstellung beschmutzter nationaler Ehre zu tun ist."

Gunter Spraul: Der Franktireurkrieg 1914. Untersuchungen zum Verfall einer Wissenschaft und zum Umgang mit nationalen Mythen

Ansonsten gehen Horne und Kramer in der neusten Ausgabe ihres Buches auf die Kritik u.a. von Spraul ein. Einzelne Kritikpunkte von Spraul greifen sie auf, insgesamt jedoch weisen sie die Art der Kritik als polemisch und teilweise in der Tradition der nationalistischen Militärgeschichtsschreibung stehend zurück und verweisen auf entsprechende Äußerungen von Spraul.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich stelle den Bruch der belgischen Neutralität nicht in Frage. Der ist vollkommen unstrittig.

Bemerkenswert ist auch, so finde ich, das Bekenntnis von Gerd Krumreich.

Es sind zwei sehr unterschiedliche, aus seriöser Quelle, Rezensionen. Vielleicht erfahren wir ja irgendwann einmal, unter Auswertung der relevanten Quellen beider Seiten, was tatsächlich im August 14 in Belgien geschehen ist und das nach Möglichkeit ohne irgendeine Voreingenommenheit. Wäre doch schön.
 
Bei einem Besuch im Schloss Pillnitz gab es eine Ausstellung zum sächsischen Thronerben Maximilian von Sachsen (vgl. Hinweis aus der Ausstellung). Er gehörte u.a. zu den Augenzeugen, die das Verhalten der deutschen Truppen benannt haben. Und dafür diszipliniert wurde.

Maximilian von Sachsen (1870–1951) – Wikipedia

Aber es ist natürlich richtig, dass die Historie eines Krieges neutral, objektiv und kritisch dargestellt werden sollte. Und diesem Anliegen sollten wir uns verpflichtet fühlen.
 

Anhänge

  • A_Max1.JPG
    A_Max1.JPG
    287,4 KB · Aufrufe: 350
Zurück
Oben