Seit wann verhüllen Menschen ihre Geschlechtsorgane und (bei Frauen) Brüste?

Hm, nach Genesis 3 war das, als der Mann auf seine Frau hörte, beide von den Früchten des Baumes aßen, daraufhin klug wurden und – sahen, dass sie nackt waren. Andernorts war es vielleicht wegen der Empfindlichkeit jener Körperregionen oder wegen eines/einer übergriffigen Nachbarn/in.

Im Ernst: Könntest du die Frage bzw. das Erkenntnisinteresse noch irgendwie spezifizieren? Literatur zu Forschungen und Spekulationen, soviel vorweg, gibt es dazu seit 30 Jahren mehr als genug.
 
Was war der Auslöser?

Zu unterscheiden ist zwischen Verhüllung aus Schutzzwecken und Verhüllung aus Scham. Der Beginn der ersteren reicht sicher weit ins Altpaläolithikum zurück und ist als Maßnahme gegen Verletzung oder Erkrankung der Genitalien leicht zu erklären. Der Beginn der Verhüllung aus Scham ist wahrscheinlich post-paläolithisch zu datieren, d.h. neolithisch oder kupferzeitlich. Auf ihre möglichen Gründe gehe ich in den letzten zwei Absätzen ein.

In Altägypten entstand die Schamverhüllung bei den ´Vornehmen´ schon vor Beginn der Bronzezeit, während der untere Stand noch lange dieses Tabu nicht kannte. Während der ersten altägyptischen Dynastien, um den Beginn der ägyptischen Bronzezeit, war es bei Männern des unteren Standes üblich, einen simplen Schurz zu tragen, der die Genitalien frei ließ. Noch im Mittleren Reich bedeckten solche Schürze nur das Hinterteil und die Seiten. Bei der (körperlichen) Arbeit verzichteten viele Männer ganz auf Bekleidung.

Männer höheren Standes trugen lange Schürze, die bis unter die Knie herabfielen. Öffentliche genitale Entblößung galt als nicht standesgemäß. Ein entsprechendes Schamgefühl kannten also nur die ´Vornehmen´.

Frauen sowohl des höheren als auch des unteren Standes kleideten sich busenfrei mit einem Hemd, das bis zu den Knöcheln herabfiel. Während körperlicher Arbeit wurde das Hemd abgelegt, aber ein Schurz angehalten, der das Genital verdeckte. Ab dem Neuen Reich kam bei vornehmen Frauen (und Männern) die reguläre Bekleidung des Oberkörpers hinzu.

Altägyptische Kinder aller Stände liefen bis zur Pubertät grundsätzlich nackt herum.

Der Nacktheitskult der hellenistischen Kultur ist hinreichend bekannt, er betraf aber nur Männer. Praktiziert wurde er vor allem bei Sportveranstaltungen und in den Gymnasien (γυμνός = gymnos = nackt), was zahlreiche Männer Judäas, die vor dem Makkabäeraufstand die hellenistische Kultur mit Begeisterung adaptierten, dazu motivierte, ihre Beschneidung mit Tierhäuten zu kaschieren (siehe 1 Makk).

Das Verhältnis der Römer zur Nacktheit war eher zurückhaltend und ihre Bewertung der hellenistischen Nacktkultur entsprechend missbilligend (z.B. Cicero). Öffentliche Entblößung war weitgehend tabu. Ausnahmen: Sporttraining und Tiber-Schwimmen.

Im Judentum war Nacktheit, inbesondere die des männlichen Genitals, noch viel tabuisierter als bei den Römern. Öffentliche körperliche Entblößung galt als Zeichen äußerster Erniedrigung, z.B. bei Kriegsgefangenen (Jes 20). Auch im Eden-Narrativ, das psychoanalytisch als bizarres ödipales Drama interpretiert werden kann, schwingt die Bedeutung der Erniedrigung durch Statusverlust mit. In Übersetzungen aus dem Hebräischen geht übrigens das Wortspiel verloren, mit dem der Autor die nackte (arummim) Eva mit der klugen (arum) Schlange konfrontiert. Bedeckt wird die Scham mit Blättern des Feigenbaumes, der im Alten Orient Fruchtbarkeit und Erotik symbolisierte und im Römischen Reich als Orakelbaum diente. Im Buddhismus ist er jener Baum, unter dem Buddha Erleuchtung erlangte (Bodhi-Baum).

Über die Gründe für die Schamverhüllung kann nur spekuliert werden, wobei das Wieso mit dem Wann wahrscheinlich stark korreliert. Da das Tabu im Hinblick auf den Phallus mit Abstand am ausgeprägtesten ist (er ist das tabuisierteste Objekt der Welt), kann man vermuten, dass die männliche Rivalität um weibliche Gunst das auslösende Motiv war, ähnlich wie beim Pokern die Karten nicht vom Start weg offengelegt werden. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass eine solche Haltung schon während des Paläolithikums aufkam; eher ist sie mit der Einführung der Paarfamilie in Zusammenhang zu bringen, also ins fortgeschrittene Neolithikum zu datieren.

Einen Fingerzeig auf den Rivalitätskontext liefert der in Genesis 9 geschilderte Mythos, wo Noah den Stamm Kanaan verflucht, weil Noahs Sohn Ham, der ´Vater´ Kanaans, Noahs Glied nackt gesehen und davon den Brüdern berichtet hat. Man kann hinter Noahs Zorn sogar Kastrationsangst vermuten (in Umkehrung des Freudschen Konzepts der Kastrationsangst des Sohnes), also die Angst vor dem ödipalen Hass des Sohnes. Diese Vermutung findet Rückhalt in rabbinischen Spekulationen über Hams Verhalten, das von manchen Rabbinern als Kastration und von anderen als sexueller Missbrauch (homosexueller Inzest) gedeutet wird (Sanhedrin 70a).
 
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Zu unterscheiden ist zwischen Verhüllung aus Schutzzwecken und Verhüllung aus Scham. Der Beginn der ersteren reicht sicher weit ins Altpaläolithikum zurück und ist als Maßnahme gegen Verletzung oder Erkrankung der Genitalien leicht zu erklären. Der Beginn der Verhüllung aus Scham ist wahrscheinlich post-paläolithisch zu datieren, d.h. neolithisch oder kupferzeitlich.

Damit würdest du also die Elias-Dürr-Kontroverse für geklärt erklären, ob Scham angeboren (und ggf. aberzogen) oder anerzogen ist?

In Übersetzungen aus dem Hebräischen geht übrigens das Wortspiel verloren, mit dem der Autor die nackte (arummim) Eva mit der klugen (arum) Schlange konfrontiert.
'Aromim ist ein männlicher Plural, hier in generischer Verwendung. Es sind also beide, die nackt sind, Adam und Eva. Aber das ist ein interessanter Hinweis, 'arom, 'nackt' und 'arum, 'listig' oder 'klug' unterscheiden sich tatsächlich nur in der Vokalisierung.

Da das Tabu im Hinblick auf den Phallus mit Abstand am ausgeprägtesten ist (er ist das tabuisierteste Objekt der Welt),
Ja? Gibt es dazu belastbare Studien?

Ich halte es für unwahrscheinlich, dass eine solche Haltung schon während des Paläolithikums aufkam; eher ist sie mit der Einführung der Paarfamilie in Zusammenhang zu bringen, also ins fortgeschrittene Neolithikum zu datieren.
Wir wissen nichts über Familienstrukturen und Treue/Untreue weder im Paläo- noch im Neolithikum. Schon mal gar nicht über die Kulturen hinweg. Jede Äußerung, die eine (und obendrein global gültige) Familienstruktur in paläolithischen, mesolithischen oder neolithischen Kulturen postuliert - in die eine wie in die andere Richtung -, muss als ideologisch und/oder unsinnig zurückgewiesen werden. Es sei denn, es können für die einzelne Kultur belastbare Belege vorgebracht werden.

Einen Fingerzeig auf den Rivalitätskontext liefert der in Genesis 9 geschilderte Mythos, wo Noah den Stamm Kanaan verflucht, weil Noahs Sohn Ham, der ´Vater´ Kanaans, Noahs Glied nackt gesehen und davon den Brüdern berichtet hat.
Ich meine, alle drei Brüder hätten den Vater gesehen. Der Unterschied war doch eigentlich der, dass Ham sich lustig gemacht hat.
 
Nein, nur Ham hat ihn gesehen und seinen Brüdern davon berichtet. Die anderen beiden Brüder bedeckten ihren Vater, wobei sie bewusst nicht hinsahen.
 
Gibt/gab es irgendwelche Berichte von Menschen, die die Genitalien nicht verhüllen/verhüllten? Völker, bei denen die Brust (von Mann & Frau) üblicherweise nicht bedeckt war, gab es in den entsprechenden Klimazonen zu Hauf, und ein paar gibt es noch.
 
Völker, bei denen die Brust (von Mann & Frau) üblicherweise nicht bedeckt war, gab es in den entsprechenden Klimazonen zu Hauf, und ein paar gibt es noch.
Da hast du recht.
Einzelheiten kann man in dem ausführlichen und gelungenen Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Nacktheit nachlesen, den der Fragesteller auch kennen müsste. Es wäre wohl pure Zeitverschwendung, diesen Artikel zu paraphrasieren. Stattdessen könnte man anders herum fragen: Was fehlt in der dort gegebenen Darstellung? Was ist schief oder gar falsch dargestellt?
 
Wir wissen nichts über Familienstrukturen und Treue/Untreue weder im Paläo- noch im Neolithikum. Schon mal gar nicht über die Kulturen hinweg. Jede Äußerung, die eine (und obendrein global gültige) Familienstruktur in paläolithischen, mesolithischen oder neolithischen Kulturen postuliert - in die eine wie in die andere Richtung -, muss als ideologisch und/oder unsinnig zurückgewiesen werden. Es sei denn, es können für die einzelne Kultur belastbare Belege vorgebracht werden.

Kann man nur unterstreichen.

Besser wäre es, sich konkreten Darstellungen zuzuwenden, bei denen belastbare Belege vorliegen. Insofern kann man das von jschmidt gut aufgreifen:
Einzelheiten kann man in dem ausführlichen und gelungenen Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Nacktheit nachlesen, den der Fragesteller auch kennen müsste. Es wäre wohl pure Zeitverschwendung, diesen Artikel zu paraphrasieren. Stattdessen könnte man anders herum fragen: Was fehlt in der dort gegebenen Darstellung? Was ist schief oder gar falsch dargestellt?

Zum Beispiel die Darstellung zu dem altägyptischen Umgang mit Kleidung bzw. Nackheit oder teilweiser Nacktheit. Da sollte man unterscheiden, zB Alltag, Szenen im kultisch-religiösen-rituellen Gebrauch, Darstellungen/Szenen/Sozuationen mit erotischer "Aufladung", Differenzierungen nach Alter, soziokulturelle Funktionen und Anlässe von Kleidung, usw.

Vermutlich lassen sich noch mehr Abbildungsebenen finden.

Zu den genannten aber Hinweise:
Graves-Brown, Dancing for Hathor
Allen, The Ancient Egyptian Family
Bolger, Companion to Ancient Gender Prehistory
Chavalaz, Wpmen in the Ancient Near East
 
Gibt/gab es irgendwelche Berichte von Menschen, die die Genitalien nicht verhüllen/verhüllten?

Ich habe Beispielfotos für Java und Abessinien angehängt.

Die von mir beschriebenen Eigenarten des altägyptischen Scham-Verhaltens, darunter die praktische Nichtexistenz eines Schamgefühls beim unteren Stand noch bis zum Mittleren Reich, stützen sich auf einen Artikel des Kunstmuseums Hamburg, der wiederum auf einem seinerzeit wegweisenden Werk (1906) von Prof. Walter A. Müller über altorientalische Nacktheit beruht.

Wie zu erwarten, wurde meine nachfolgende Äußerung (der fettmarkierte Teil) von einem User mit der Worthülse ´ideologisch´ abgestraft. Das ist eine übliche Formel, um Andersdenkende abzuqualifizieren.

Da das Tabu im Hinblick auf den Phallus mit Abstand am ausgeprägtesten ist (er ist das tabuisierteste Objekt der Welt), kann man vermuten, dass die männliche Rivalität um weibliche Gunst das auslösende Motiv war, ähnlich wie beim Pokern die Karten nicht vom Start weg offengelegt werden. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass eine solche Haltung schon während des Paläolithikums aufkam; eher ist sie mit der Einführung der Paarfamilie in Zusammenhang zu bringen, also ins fortgeschrittene Neolithikum zu datieren.
Wenn die neolithische Datierung der Einführung der Paarfamilie ´ideologisch´ ist, dann bin ich ja in bester Gesellschaft mit ´Ideologen´ wie Dr. Karina Croucher (University of Bradford) und Prof. Kent Vaughn Flannery („The Cultural Evolution of Civilizations“).

Dr Karina Croucher - University of Bradford

So heißt es in Crouchers Buch „Death and Dying in the Neolithic Near East“, S. 196:

(“Nuclear family” = Paarfamilie / PPN” = Pre-Pottery-Neolithic)

The nuclear family is seen to emerge during the PPN. Before then, it is argued, organization consisted of polygamous groups (Flannery 1972).
Dass ein sexuelles Rivalitätsdenken, das die männliche Schamverhüllung als ein die natürlichen Unterschiede verdeckendes Wettbewerbsprinzip hervorbringt, im Paläolithikum entweder nicht bestand oder in einem so geringen Maße, dass Rivalitäten nicht in Fehde umschlugen, habe ich ausdrücklich als Vermutung hingestellt („halte es für unwahrscheinlich“), also nicht als Behauptung, was mir die selbsternannten ´Ideologie´-Kritiker unterstellen.

Archäologische Belege für Nuklearfamilien reichen gerade mal maximal bis in 3. Jt. BCE zurück:

https://www.sciencedaily.com/releases/2008/11/081117192915.htm

The researchers dated remains from four multiple burials discovered in Germany in 2005.The 4,600-year-old graves contained groups of adults and children buried facing each other – an unusual practice in Neolithic culture.
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Wie zu erwarten, wurde meine nachfolgende Äußerung (der fettmarkierte Teil) von einem User mit der Worthülse ´ideologisch´ abgestraft. Das ist eine übliche Formel, um Andersdenkende abzuqualifizieren.
Du tust dich sehr leicht darin, dich selbst zum Opfer zu stilisieren.

Betrachten wir doch noch mal die Fakten: Du machst eine apodiktische Aussage über einen Sachverhalt, der a) in der Wissenschaft äußerst umstritten ist und b) mit dem Anspruch, dies - ohne dass wir dazu ausreichend Belege hätten - über alle Kulturen hinweg bestimmen zu können.

Würdest du dir selbst nicht so sehr in der Rolle des missverstandenen und unterdrückten Opfers gefallen, hättest du gemerkt, dass ich nicht nur deine Behauptung als ideologisch gebrandmark habe sondern ebenso das genaue Gegenteil deiner Behauptung: Fakt ist, dass wir aufgrund der dürften kulturellen Zeugnisse jener Zeiten allenfalls - wenn überhaupt - für Einzelkulturen Aussagen treffen können. Diese Möglichkeit, auch das hast du in deiner Bereitschaft die Rolle des unterdrückten Opfers einzunehmen übersehen, war eingeräumt.

Wenn die neolithische Datierung der Einführung der Paarfamilie ´ideologisch´ ist, dann bin ich ja in bester Gesellschaft mit ´Ideologen´ wie Dr. Karina Croucher (University of Bradford) und Prof. Kent Vaughn Flannery („The Cultural Evolution of Civilizations“).

Ich habe dir schon häufiger mitgeteilt, dass mich name und title dropping nicht beeindruckt. Wissenschaftlich betrachtet sind das argumenta ad verecundiam, also wissenschaftstheoretisch unzuläissge Argumente. Aus dem Zitat ist zwar eine Behauptung zu entnehmen, aber weder ist klar definiert, für wen diese Behauptung stimmt, noch - und das ist wichtiger - wie die Verfasserin zu ihrer Schlussfolgerung kommt, auf Basis welcher Daten.

Also anstatt dich als das unterdrückte Opfer darzustellen, setz dich doch bitte inhaltlich mit der Kritik auseinander.
 
Völker, bei denen die Brust (von Mann & Frau) üblicherweise nicht bedeckt war, gab es in den entsprechenden Klimazonen zu Hauf, und ein paar gibt es noch.
Die Klimazone hat nur geringfügige Auswirkungen. Es gibt auf Beispiele für vollständige Nacktheit. Die Ureinwohner Feuerlands und Tasmaniens lebten in völliger Nacktheit. Auch die Beispiele Java und Abessinien verdeutlichen die geringe Bedeutung des Klimas. In Indosien und Ostafrika gibt es Gesellschaft mit weitgehender Nacktheit im Sinne des Threadthems und den Trend zur Vollverschleierung.

Auch sollte unbedingt beachtet werden, dass das Verhüllen nicht immer nur den Verdecken der Geschlechtsorgane dient, sondern mitunter auch der Betonung. Die Penisfuterale der Papua erfüllen dabei den gleichen Zweck wie die Schamkapseln des europäischen Spätmittelalters.
 
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Irgendwie bewundere ich schon die Energie, die @chan für solche und ähnliche Threads aufwendet. Inhaltlich mögen viele- vielleicht die meisten- Hypothesen Widerspruch herausfordern, die Zeit, Mühe und Kreativität die erforderlich sind, das alles gedanklich aufzunehmen und Diskussionsbeiträge zu schreiben, verdient Respekt, auch die Bereitschaft, "Außenseiterpositionen" zu vertreten, die Widerspruch herausfordern.


Der Punkt ist aber, dass sich zu Themenbereichen wie zur "Kulturgeschichte des Schamgefühls" in vorindustriellen Gesellschaften kaum verbindliche Aussagen machen lassen, die durch Fakten überprüfbar sind- wir wissen einfach zu wenig darüber, Aussagen dazu müssen einfach im spekulativen Bereich bleiben, auch ein noch so kluger Professor Dr. XY kann daran nichts ändern.
 
[Chan] verdient Respekt, auch die Bereitschaft, "Außenseiterpositionen" zu vertreten, die Widerspruch herausfordern.
Dem schließe ich mich ausdrücklich an.

Der Punkt ist aber, dass...
...mangels belastbarer Fakten zu Themen wie dem vorliegenden nur mit (bestenfalls) Plausibilitätsüberlegungen argumentiert werden kann und darf. So bitte ich auch das Folgende zu verstehen.

Konsens besteht vermutlich hinsichtlich der ganz alten Zeiten. [1]

Für die weitere Diskussion ist die Frage wichtig: Spielten die Geschlechtsorgane (Genitalien [2]), im Leben der frühen Menschen eine besondere Rolle bzw. erfreuten sie sich besonderer Wertschätzung/Beachtung?

Sobald ein rudimentäres Wissen über die Fortpflanzungsfunktion vorhanden war, lag die Konsequenz nahe, die Organe besonders zu schützen gegen Einwirkung von außen, z.B. bei Unfällen. Bei der zitierten Paarfamilie würde sich der Schutz vielleicht auch auf die Einwirkung anderer Menschen beziehen (mit oder ohne das, was man als "Eifersucht" bezeichnet.)

Neben diesen "technischen" (oder auch "utilitaristischen") Ansatz tritt irgendwann die von Anthropologen so genannte "symbolträchtige Handlung" [3]: Der "homo symbolicus" ist vielleicht 40-50.000 Jahre alt [4] und war ein Migrant, der mehr als seine älteren Vorgänger in der Lage war, sich Gedanken zu machen über die Götter und die Welt im Allgemeinen und über seine Geschlechtsorgane im Besonderen.

Anders gesagt: Kleidung/Bedeckung beschränkt sich nicht mehr auf die Schutzfunktion, sondern wird in den Dienst anderer Phänomene gestellt, unter denen "Gefühle", speziell auch "Ängste", die wichtigsten sind. Das Spektrum der Gründe, aus denen die nämlichen Organe bedeckt oder nicht bedeckt (entdeckt) werden, verbreitert sich deshalb immer mehr. Beispiele für die "Verwendung" von Phallus und Vulva:

  • bedecken = distanzieren, zurückziehen, besänftigen, tarnen, reservieren
  • entdecken = drohen, protzen, dominieren, einladen, hinweisen ("schamweisen")
Den Auslöser zu finden, ist also ziemlich aussichtslos.


[1] Ich beziehe mich die nützlichen Darstellungen in https://en.wikipedia.org/wiki/Nudity und https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_nudity. Kurze Zusammenfassung:
1. Säugetiere bekamen ihre ersten Haare etwa vor 220 Millionen Jahren. Das Haar – später: das Haarkleid, der Pelz, das dicke Fell – hatte eine Schutz- oder sonstwie evolutionserhebliche Funktion.
2. Vor 1.000.000 Jahren begannen die Menschen bzw. deren Vorfahren ihr schützendes Eigen-Haar zu verlieren, d.h. sie entwickelten sich im Gegensatz zu ihren nächsten Verwandten (Menschenaffen) zu Wesen, deren Haarkleid (bis auf wenige Stellen) so dünn wurde, dass es die Schutzfunktion weitgehend verlor.
3. Die Bemühungen, diesen Verlust durch die Nutzung von Fremd-Haar oder anderen Materialien auszugleichen, könnten schon sehr früh begonnen haben, Zug um Zug sozusagen, oder relativ spät im Stadium des "modernen" Menschen vor 200.000 oder 72.000 Jahren.
[2] Die weiblichen Brüste lasse ich erstmal beiseite; siehe aber z.B. Reiner Gödtel: Die Brust - Signal, Symbol, Organ. Berlin 1993.
[3] Ina Wunn u.a.: Götter, Gene, Genesis. Berlin 2015, S. 23 ff.
[4] Auf den Tag genau möchte ich mich nicht festlegen.
 
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