Schubladen in Fernost

Mashenka

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Beim mühsamen Versuch, für die dt. Wikipedia einen Artikel über die »Kommode« zusammenzustellen, warf sich die Frage auf, ob es die Europäer waren, die die Schublade nach Japan brachten. Ich war versucht hinzuschreiben, die Herkunft sei zwar nicht unmöglich, sie sei aber noch nicht untersucht worden… :D Tatsächlich konnte ich bisher keine Statements zur Herkunft der Schublade weder in China, noch in Japan finden, will aber gerade die Wikipedia, die eh schon mit viel Unsinn über Mobiliar und Kunsthandwerk belastet ist, nicht noch mit einer weiteren Unwahrheit verunstalten.

Es geht um eine der Wege, die zu kommodenartigen Möbeln geführt haben, indem die Truhe zuunterst mit Außenschubladen erweitert wurde, bis schließlich so viele Schubladenebenen vorhanden waren, dass auf die Truhe zuoberst gänzlich verzichtet wurde. Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist der japanische tansu, bei dem manche (der vielen) Typen genau auf diese Art entstanden waren. Interessant dabei, dass die japanische Truhe erst ab dem 16. Jh. mit einer unteren Außenschublade (jp. hikidashi) versehen wurde, nachdem die ersten Portugiesen in Japan gelandet waren. Gerade die Portugiesen sind ja bekannt dafür, dass sie auf ihr Mobiliar auch in Asien nicht verzichten mochten, sodass sie den Kabinettschrank nicht nur beispielsweise nach Goa, sondern auch als Namban-Kunst, noch vor der völligen Abschottung nach Japan brachten.

Meine zwei Fragen wären also:
1. gab es vor dem 16. Jh. im Fernen Osten Schubladen? (wenn ja, kann der portugiesische Export ad acta gelegt werden)
2. kennt Ihr Literatur, die genau diese Frage behandelt?
 
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Ich kann über den Inhalt absolut nichts sagen, doch vielleicht lässt sich hier eine Antwort zu Deiner Frage nach der Herkunft fernöstlicher Schubladen finden:
Michel & Cécile Beurdeley: Chinesische Möbel. Fribourg 1979
 
Ein Indiz für die technische Enlehnung wäre eine sprachliche Entlehnung. Die kann ich bei hikidashi nicht erkennen. Wobei es ja durchaus möglich ist (möglich, nicht zwingend so gewesen), dass ein Japaner eine Schublade in einem portugiesischen Sekretär gesehen und das Konzept nachentworfen hat. Dann wäre die Lade auch technisch entlehnt ohne, dass eine sprachliche Entlehnung stattgefunden hätte. Aber auch bei einer direkten technischen Entlehnung muss es natürlich nicht zwingend auch zu einer sprachlichen Entlehnung kommen. Wenn eine solche sprachliche Entlehnung nicht stattgefunden hat, steigt die Wahrscheinlichkeit einer eigenständigen Entwicklung.
 
Ich kann über den Inhalt absolut nichts sagen, doch vielleicht lässt sich hier eine Antwort zu Deiner Frage nach der Herkunft fernöstlicher Schubladen finden:
Michel & Cécile Beurdeley: Chinesische Möbel. Fribourg 1979
Danke Lukullus! Das Buch hab ich mir gerade bei der Bibliothek reserviert, auch wenn nicht allzuviel Hoffnung auf entsprechende Hinweise besteht. Es gibt recht viele Bücher über fernöstliches Mobiliar (beinahe mehr als zur deutschen Produktion)


Ein Indiz für die technische Enlehnung wäre eine sprachliche Entlehnung. Die kann ich bei hikidashi nicht erkennen. Wobei es ja durchaus möglich ist (möglich, nicht zwingend so gewesen), dass ein Japaner eine Schublade in einem portugiesischen Sekretär gesehen und das Konzept nachentworfen hat. Dann wäre die Lade auch technisch entlehnt ohne, dass eine sprachliche Entlehnung stattgefunden hätte. Aber auch bei einer direkten technischen Entlehnung muss es natürlich nicht zwingend auch zu einer sprachlichen Entlehnung kommen. Wenn eine solche sprachliche Entlehnung nicht stattgefunden hat, steigt die Wahrscheinlichkeit einer eigenständigen Entwicklung.
Damit hast Du sicherlich recht. Mal abgesehen von sprachlichen Entlehnungen, die in Japan eher undenkbar waren (gilt eigentlich auch für techn. Inspirationen, die wohl kaum zugegeben wurden), spricht für die Adaptation der Schublade: 1. der Zeitpunkt des Erscheinens der Schublade, just nachdem die europäische Renaissance ihre Truhen mit Sockelschubladen ausstattete, und 2. die eindeutige Übernahme des Kabinettschrankes (der in Japan zur Namban-Kunst quasi degradiert worden war, und in China z.B. zum Apothekerschrank führte, wo dieser als ureigener Typus gilt).
Doch, wie gesagt: bin mir noch nicht 100%-ig sicher, ob die Schublade im Fernen Osten vor dem 16. Jh. tatsächlich unbekannt war.
 
Hast Du auch Bildmaterial gesichtet?
Ja, natürlich. Bin aber immer noch dran.(Das von Lucullus angegebene Buch werde ich noch heute Abend nach Angaben und Bildern durchstöbern.) Hast Du irgendwo ein fernöstliches Schubladenmöbel aus der Zeit, sagen wir, vor 1550 gesichtet?

Ein kleines Problem ist natürlich die Datierung durch Händler und in Privatartikeln, wo Möbel und Abbildungen gerne älter gemacht werden, sodass ich Datierungen von Museen bevorzuge (obwohl natürlich auch diese Phantasieangaben sein können). Dendrochronologische Begutachtungen kann man aber kaum erwarten (am ehesten in UK- und US-Museen, die sich eher für außereuropäisches Kunsthandwerk interessieren).
 
Warum undenkbar?
Das Japanische ist reich an Entlehnungen. Auch portugiesische Wörter aus dem 16. Jahrhundert sind darunter.

Das 'urjapanische' Gericht Tempura leitet seine Bezeichnung aus dem Portugiesischen her.
Danke für's Nachschauen, Sepiola! Wusst ich nicht, dass Japanisch »reich« an Entlehnungen aus europäischen Sprachen sei. Und テンペラ画 [tenpera-ga] heißt übrigens Temperamalerei, wird aber kaum als urjapanisch gelten.
 
Was China betrifft, dürfte die Schublade bereits vor intensiverem Kontak mit Europa bekannt gewesen sein. Der angehängtge Holzschnitt zeigt beim Tisch in der linken Bildhälfte, so scheint mir, eindeutig Schubladen. Die Abbildung stammt aus einer Nachdichtung des "Liang schan po" (Räuber vom Liang schan Moor) von Franz Kuhn aus dem Jahr 1930, erschienen im Insel-Verlag. Zu den Holzschnitten meint Kuhn lediglich, dass sie aus "einer seltenen alten Ausgabe aus dem Bestand des Kölner Museums stammen". Was dabei unter "alt" zu verstehen ist, wird leider nicht präzisiert. Ich nehme allerdings an, dass mit "alt" eine Epoche gemeint sein dürfte, in welcher es nur marginalen Kontakt zwischen China und Europa gab.

Das Teil rechts unten könnte sogar eine Kommode sein -:)
 

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Was China betrifft, dürfte die Schublade bereits vor intensiverem Kontak mit Europa bekannt gewesen sein. Der angehängtge Holzschnitt zeigt beim Tisch in der linken Bildhälfte, so scheint mir, eindeutig Schubladen. Die Abbildung stammt aus einer Nachdichtung des "Liang schan po" (Räuber vom Liang schan Moor) von Franz Kuhn aus dem Jahr 1930, erschienen im Insel-Verlag. Zu den Holzschnitten meint Kuhn lediglich, dass sie aus "einer seltenen alten Ausgabe aus dem Bestand des Kölner Museums stammen". Was dabei unter "alt" zu verstehen ist, wird leider nicht präzisiert. Ich nehme allerdings an, dass mit "alt" eine Epoche gemeint sein dürfte, in welcher es nur marginalen Kontakt zwischen China und Europa gab.

Das Teil rechts unten könnte sogar eine Kommode sein -:)
Vielen Dank, Armer Konrad!!(Bin gerade am Sichten von alten Darstellungen aus dem 9./11. Jh.) Werde versuchen, das Bett stilistisch einzuordnen, um einer Datierung näherzukommen… :grübel:

Nachtrag: rechts unten eine »Kommode«, wäre doch eine recht vage Vermutung. :D
 
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Hier noch ein weiterer Holzschnitt aus derselben Reihe. Der Schminkkasten (oder was das ist) auf dem Tisch verfügt ebenfalls über Schubladen.

PS:
Der Mann der an der Decke hängst, ist im Begriff, den dort aufgehängten Koffer zu stehlen.
 

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Hier noch ein weiterer Holzschnitt aus derselben Reihe. Der Schminkkasten (oder was das ist) auf dem Tisch verfügt ebenfalls über Schubladen.

PS:
Der Mann der an der Decke hängst, ist im Begriff, den dort aufgehängten Koffer zu stehlen.
Super, das wird weiterhelfen! :) Auf den ersten Blick scheint mir der Stil deutlich jünger zu sein (etwa 17./18. Jh.). Muss aber nachschauen und werde die Erkenntnisse hier posten.
 
Nachdem ich gestern etliche digitalisierte Bücher über chinesische und japanische Malerei und Kunsthandwerk durchgeschaut habe, wobei trotz der Unmengen von Interieur-Darstellungen nicht der leiseste Verdacht auf Schubladen vor 1550 aufkam, sah ich meine Vermutung bestätigt, dass die Schublade im Fernen Osten erst im 16. Jh. erschienen war. Hervorheben will ich hier ein Buch über Lackarbeiten, die besonders gierig nach Europa gebracht wurden:
James C. Y. Watt u. Barbara Brennan Ford, East Asian Lacquer – The Florence and Herbert Irving Collection, The Metropolitan Museum of Art, New York, 1991 (online: Google Books)
(Anmerkungen: Transportables Kabinett mit Schubladen zuoberst, 18. Jh., S. 113; Interieur eines japanischen Hauses {Stall, Flur, Stube u. Küche}, Mitte 15. Jh., S. 155; Tragbare Makie-‚Kommode‘, spätes 16. Jh., S. 168; dito, um 1568/1615, S. 169; tragbares Namban-Kabinett mit neun Schüben {stilistisch stark an den vargueño angelehnt}, 16. Jh., S. 226f.)

Als ich mir dann das von Lukullus empfohlene Buch (Michel u. Cécile Beurdeley, Chinesiche Möbel, Office du livre, Fribourg, 1979) vornahm, das auf den ersten Blick durch eigenwillige Strukturierung und durch ein dilettantisches Layout befremdet, kam die Überraschung: ein mit knallrotem Peking Lack beladener Tisch auf S. 97, der zwei Blattschubladen aufweist, wird ausgerechnet der Regierungszeit von Kaiser Xuande (reg. 1426–1435) zugewiesen. Die Zuweisung folgt den inwendig eingeschnitzten sechs Zeichen, der Regierungsmarke von Xuande. Die Autoren geben als Besitzer das Linden-Museum in Stuttgart an. Schließlich hab ich das Stück beim Victoria and Albert Museum gefunden, das die Datierung bestätigt: collections.vam.ac.uk. Es muss jedoch hinzugemerkt werden, dass Herkunftsmarken bereits unter Xuande und auch später, insbesondere bei den begehrten Lackarbeiten, gerne gefälscht wurden.

Wäre mir die Angelegenheit wichtiger, müsste ich beim Museum nachfragen, ob das Alter des Holzes untersucht worden sei. Stattdessen werde ich im Artikel jegliche Ausführung zur Herkunft der japanischen Schublade meiden. :abtauch:



Zu den vom Armen Konrad geposteten Bildern kann ich mangels tiefgreifender Kenntnisse nur sagen, dass mir die stilistische Einordnung sehr schwer fällt. Eine klare chronologische Einordnung der Gestaltungsarten von chinesischen Holzgegenständen blieb mir bisher verborgen, nicht zuletzt, da das Thema ein riesiges Gebiet umfasst.(Auch das Buch der Beurdeleys zeigt übrigens unhaltbare stilistische Merkmale zur Einordnung.) Ich kann einzig ästhetische Tendenzen der einzelnen Epochen sehen, die auch ihrer Malerei abzulesen sind. Der Möbelstil auf dem Bild mit dem Schlafzimmermörder wird m.M.n. am ehesten der Qianlong Epoche (18. Jh.) gerecht: in erster Linie durch die verhältnismäßig reiche Ornamentik und andererseits durch die Vorliebe für eckige Mäander, wobei letztere allerdings auch früher vorhanden war, wenn auch nicht in dieser Intensität.(vgl. den “red lacquer scroll-form stand” aus dem 18. Jh. in diesem Artikel, wo der Mäander sogar völlig klassisch anmutend als Randverzierung angewandt wurde.) Schleierhaft hingegen ist der Waschbecken im ›waschechten römischen Styling‹; ob die Chinesen ebenfalls auf einen Klassizismus im späten 18. Jh. zurückblicken können, überfordert aber endgültig meine Kenntnisse.
Beim zweiten Bild lässt mich die ›Poudreuse‹ stutzen, da der aufklappbare Spiegel in Frankreich erst nach der Régence aufkam. Das ist aber auch schon alles, was ich zu den Bildern beitragen kann.
@ Armer Konrad: jedenfalls nochmals vielen Dank für die Hilfe!
 
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Danke für's Nachschauen, Sepiola! Wusst ich nicht, dass Japanisch »reich« an Entlehnungen aus europäischen Sprachen sei.

Roy Andrew Miller* charakterisiert das Japanische als extrem entlehnungsfreudig:
"Einmal vom Englischen der ersten Jahrhunderte nach der normannischen Invasion abgesehen, läßt sich wohl schwerlich eine Sprache finden, die Lehnwörtern gegenüber so aufgeschlossen ist wie das Japanische. Zu allen Zeiten haben die Japaner in ihren Wortschatz begierig neue Wörter eingeführt."

Weitere Beispiele für Lehnwörter aus dem Portugiesischen (nach Miller):
kappa 'Regenmantel' von capa
pan 'Brot' von pão
tabako 'Zigarette' von tabaco
jiban/juban 'Unterhemd, Unterwäsche' von gibão 'Wams'
rasha 'Wollstoff' von raxa
botan 'Knopf' von botão
karuta 'Spielkarte' von carta
konpētō 'Süßigkeiten' von confeito
kasutera 'süßes Gebäck aus Bisquitteig' von Castela 'Kastilien'




Die japanische Sprache - Geschichte und Struktur, München 1993, S. 245
 
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Zu den vom Armen Konrad geposteten Bildern kann ich mangels tiefgreifender Kenntnisse nur sagen, dass mir die stilistische Einordnung sehr schwer fällt.

Ich kann da leider auch nicht weiterhelfen.
Nur eine Bemerkung zu den "alten" Ausgaben des "Liang schan po": Die älteste erhaltene Ausgabe stammt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, sie befindet sich in Shanghai. Die Kölner Ausgabe müsste also jedenfalls jünger sein.
 
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