Was wäre wenn-Alternatehistory

Dazu gibt es auf einem populären Internetfilmportal einen (hochinteressanten) Vortrag von Nicholas Rodger (The Perils of History), bei dem er diese Thematik kurz angeschnitten hat - wenn ich mich recht entsinne, erst während der Fragerunde.

Sinngemäß: Jemand, der zu einem gegebenen Zeitpunkt eine Entscheidung treffen muss, muss in Alternativen denken, da er am Beginn des von seiner Entscheidung ausgehenden Prozesses steht - im Gegensatz zum Historiker - der diesen Prozess im nachhinein rekonstruiert. Der Entscheidungsträger muss mögliche Konsequenzen seiner anstehenden Entscheidung(en) mit den selben Gedankengängen und Annahmen vorwegnehmen, wie seriöse "Contrafactual History" (hier wunderschön doppeldeutig!) das mit dem selben Startpunkt, allerdings "ex post" ebenfalls tut.

Wie ich meine ein sehr interessanter Wechsel des Blickwinkels. Damit wäre eine seriöse Beschäftigung mit "Contrafactual History" nichts weiter als eine Denkschule, die mir hilft, zukünftig mein Handeln und meine Entscheidungen besser vorzubereiten sowie eine Bewertungshilfe für das, was ich Woche für Woche so in der Zeitung lese.
 

Und in diesem Artikel wird auch die Bedeutung von Fakten deutlich gemacht und die alternativen Szenarien sehr schnell als "sehr phantasievoll" zu den Akten gelegt.

Wie generell der kontrafaktischen Darstellung vor allem in den entsprechenden Foren m.E. der Vorwurf gemacht gemacht werden kann, dass historische Phantasie die Kenntnis der historischen Fakten ersetzt bzw. viel schlimmer, kaschiert.

Wer die Fakten nicht ausreichend kennt, ersetzt sie durch eine doppelte Portion Phantasie und nicht zuletzt durch sehr viel politisches Wunschdenken. Wie nicht selten gerade zum WW2 auch in diesem Forum vorgeführt.

Eine durchaus seriöse "alternative" Geschichtsschreibung wird im folgenden Buch zum WW2 dargestellt. Allerdings auch, um die Sinnlosigkeit der "alternativen" Historie vorzuführen und ihre nicht selten unhaltbaren zusätzlichen Annahmen.

If the Allies Had Fallen: Sixty Alternate Scenarios of World War II - Harold C. Deutsch, Dennis E. Showalter - Google Books

Alternative Historie ist letztendlich eine Projektionsfläche für persönliche, subjektive Wünsche an die Geschichte.
 
Eine durchaus seriöse "alternative" Geschichtsschreibung wird im folgenden Buch zum WW2 dargestellt. Allerdings auch, um die Sinnlosigkeit der "alternativen" Historie vorzuführen und ihre nicht selten unhaltbaren zusätzlichen Annahmen. .

Darum geht es den Freunden der alternativen Geschichte doch gar nicht.

Viele finden es spannend, bestimmte historische Situationen, die längst entschieden sind, offen darzustellen. Man kann darüber diskutieren, ob es politische oder militärische Fehlentscheidungen gab, und wohin andere Entscheidungen geführt hätten. Einsichten in Kontinuitäten und Brüche bringen einen Erkenntnisgewinn. Vor allem kann man mit anderen Diskutanten überlegen, ob es in bestimmten historischen Situationen Handlungsspielräume oder Zwangslagen gab und die Entscheidungen der Akteure danach bewerten.
 
@ Dieter: Sofern es in dieser "offenen" Sicht erfolgt und jedes Ergebnis akzeptabel ist, ist es möglicherweise eine interessante Diskussion.

Nicht selten, und ich habe mir ein paar Dikussionen auch in den Foren der alternativen Geschichtsschreibung angesehen, wird aber genau diese offene Diskussion nicht angestrebt, sondern bestimmte erwünschte historische Ergebnisse herbeidiskutiert.

Und das finde ich dann eher alngweilig, weil schnell abzusehen ist, auf welches Ergebnis manche aus sind.
 
Im Prinzip läßt sich durch Änderung der Parameter jedes beliebige Ergebnis herleiten. In den wirtschaftswissenschaftlichen Modellen verwendet man zumeist Simulationen bei denen die Ausgangswerte "worst case", "neutral case" und "best case" Szenarien beinhalten. Der Rest wird dann immer als ceteris paribus angesetzt. Aber auch da wird das Prognoseproblem immer größer, je weiter man sich von dem Ausgangspunkt entfernt. Desweiteren sind zahlreiche Interdependenzen zu beachten.

Nichtsdestotrotz sind solche alternativen Geschichtsentwicklungen immer wieder interessant zu lesen. Arthur Harris' "Vaterland" war interessant und spannend zu lesen und - wenn ich hier den Bogen zur Science Fiction schlagen darf - die ein oder andere Episode aus den Star Trek Universum bereitet solche alternativen Entwicklungen gut gemacht auf (z. B. Parallelen ? Memory Alpha, das Star Trek Wiki).
 
Da sind wir sicher einer Meinung.
Dass allerdings Diskutanten versuchen, ihre Sichtweise zu verteidigen, ist durchaus akzeptabel. Erst das ergibt ja eine fruchtbare Diskussion.

Die Benutzer mit vorgefaßter Meinung bringen oft die besten Argumente an den Tisch. Die wollen überzeugen und sind bereits durch das Stahlbad etlicher Debatten gegangen und haben fleißig Beweise und Belege für ihre Position gesammelt.

Ab einem gewissen Punkt, der schnell erreicht ist, kann man alternative Geschichtsschreibung auch gar nicht mehr objektiv betreiben. Das ist oft schon auf Seite 2 eines Fadens der Fall. Die restlichen 50 Seiten sind dann Gehaue und Gesteche der Überzeugungstäter, während die anderen ohne eigene Karten im Spiel schnell auf die Zuschauerbank wechseln.

Ich gebe mir das alle Jahre auch wieder, im Bereich Militärgeschichte, wo es besonders heftig kracht. Man verläßt den Computer immer mit ein paar neuen Sichtweisen und Fakten, aber seine Meinung ändert eigentlich kaum einer. Warum auch? Feste Meinungen ändern sich nur unter dem Druck der Realität und die ist bei Alternativgeschichte per definitionem abwesend.
 
Gute alternative Geschichtsschreibung regt den Leser zum Nachdenken an. Vielleicht auch dazu, liebgewonnene Standpunkte zu relativieren. Mehr sollte seriöse AH nicht wollen.

Netter Band, antiquarisch für wenig zu bekommen: Crowley, Was wäre gewesen, wenn? Da schreiben etablierte Historiker wie John Keegan über Wendepunkte von der Belagerung Jerusalems durch die Assyrer bis zu Tschiang Kai Schek.

Woran m.E. alle AH-Modelle kranken: sie zielen auf Ausnahmepersönlichkeiten und Einzelereignisse ab.

Für Geschichtsadepten, die objektive Rahmenbedingungen wie Geografie, Klima, Kultur, etc.. für entscheidend halten, findet sich da wenig.
 
Bei Youtube gibt es übrigens eínen fantastischen Spot zu einer Geschichtsalternative.

Gebt "Adolf Mercedes" ein. Da kommt ihr zu einem herrlichen nicht authorisierten Daimler-Werbespot. Die 1,2 Minuten lohnen, wenn ihr einen schwarzen Humor habt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gibt eine US-Serie namens https://de.wikipedia.org/wiki/The_Man_in_the_High_Castle_(Fernsehserie), die in einer alternativen Zeitlinie spielt: der 2. Weltkrieg endet mit dem Sieg Japans und Deutschlands, und die USA werden in eine deutsche und japanische Zone aufgeteilt.

Und eine weitere Serie der BBC behandelt ein ähnliches Thema: in diesem Szenario fällt Großbritannien unter deutsche Herrschaft:

BBC-Serie "SS-GB" - Hakenkreuze an der Themse - Medien - Süddeutsche.de

BBC One - SS-GB

https://www.theguardian.com/tv-and-...-dystopian-parallel-universe-television-drama

https://en.wikipedia.org/wiki/SS-GB_(TV_series)
 
Zuletzt bearbeitet:
Und wie löst diese sogenannte "alternative Geschichtsschreibung" das schwierige Thema, den globalen Holocaust dramaturgisch zu antizipieren?
 
Und wie löst diese sogenannte "alternative Geschichtsschreibung" das schwierige Thema, den globalen Holocaust dramaturgisch zu antizipieren?

In der o. g. BBC-Serie SS-GB (weder kenne ich das zugrundeliegende Buch, noch die Serie als solche) wird das Schicksal der Juden nicht erwähnt laut Wiki:

The fate of British Jews is not mentioned, except you see in passing one man wearing a yellow star. The deportation of Jews from Germany and the occupied countries and their later mass killing happened only after Britain's successful resistance after the Fall of France.

Im Buch Vaterland von Harris (s. oben), das in den 60er Jahren spielt, in dem das siegreiche Nazi-Deutschland über Europa herrscht, bildet der Holocaust den eigentlichen Plot. Xaver März, ein Ermittler der Polizei (SS/Gesapo), ermittelt in mehreren Mordfällen, bei denen hochrangige NS-Täter, die während des Krieges für die "Evakuierung" der Juden in den Osten zuständig waren, ermordet wurden. Diese wurden als Mitwisser des Holocausts liquidiert. Bei seinen Ermittlungen findet er heraus, dass die sog. "Evakuierungen" eine Tarnbezeichnung für den millionenfachen Mord darstellten.
 
Womit Fatherland den historisch nicht haltbaren "Wir haben ja von allem nichts gewusst"-Mythos nährt. Wenn der Holocaust in SS-GB gar nicht vorkommt, ist das eine eklatante Schwäche dieser "alternate history" und nicht geeignet, Vorbehalte dagegen zu entkräften. Im Ggt., die Vorbehalte werden bestätigt.
 
Womit Fatherland den historisch nicht haltbaren "Wir haben ja von allem nichts gewusst"-Mythos nährt.

Das Buch spielt i-wann in den 60ern oder 70ern, und selbst da ist den Leuten noch bewusst, dass die Juden auf ein mal nicht mehr da waren. Es spricht nur niemand darüber, sondern es herrscht eine Atmospähre wie in 1984.

Der zentrale Punkt sind die Protokolle der Wannsee-Konferenz, also der schriftliche Beweis für die zentrale Planung der Shoa, im Zusammenhang mit einem im Frage stehenden Friedensvertrag/Enspannung zwischen Nazi-Deutschland und den USA, der von einer Veröffentlichung dieser Dokumente in Frage gestellt würde.
 
Das Buch spielt i-wann in den 60ern oder 70ern, und selbst da ist den Leuten noch bewusst, dass die Juden auf ein mal nicht mehr da waren. Es spricht nur niemand darüber, sondern es herrscht eine Atmospähre wie in 1984. ...
Ein Detail:
Der Kommissar hatte in de Vierzigern in seiner neu bezogenen Wohnung, hinter der Tapete versteckt, ein Familienfoto gefunden. Ganz Polizist, wollte er herausfinden was es damit auf sich hatte. Die Nachbarn waren misstrauisch und feindselig, dass einer dazu kam sich für verschwundene Juden zu interessieren statt einfach ihre Wohnung zu beziehen war ihnen unbegreiflich, die Gestapo machte daraus einen Vermerkt in seiner Akte.

So blieb dann das alte Foto, hastig versteckt als die Menschen abgeholt wurden,, das einzige was noch an die Familie erinnerte.
Das war die für mich bedrückendste Episode des Buchs.
 
Womit Fatherland den historisch nicht haltbaren "Wir haben ja von allem nichts gewusst"-Mythos nährt. Wenn der Holocaust in SS-GB gar nicht vorkommt, ist das eine eklatante Schwäche dieser "alternate history" und nicht geeignet, Vorbehalte dagegen zu entkräften. Im Ggt., die Vorbehalte werden bestätigt.

Zu Vaterland / Fatherland:
Wenn ich mich an das Buch (oder den Film?) richtig erinnere, wurden Gerüchte erwähnt, dass während des Krieges im Osten schreckliche Sachen passiert sein. Aber es wagte in der Nazi-Diktatur niemand kritische Fragen zu stellen.

Zu SS-GB:

wie oben gesagt, kenne ich weder die Serie noch das zugrundeliegende Buch aus den 70er Jahren. Die Verfilmung ist wahrscheinlich dem Erfolg der US-Serie The Man in the High Castle (s. o.) geschuldet. Ich vermute, es geht darum, den US-Amerikaner und Briten zu zeigen, wie ihr Land unter fremder Besatzung sich entwickelt hätte. Beide Länder haben eine lange Tradition souveräner Herrschaft. Die USA sind seit ihrer Gründung nie erobert worden, die letzte erfolgreiche Invasion Englands fand vor fast 1000 Jahren statt (1066). So kann der TV-Zuschauer auf der Insel sich auch ein Bild davon machen, was hätte geschehen können, wenn Groß-Britannien wie viele andere Länder Europas besetzt worden wäre. Wer wäre Mitläufer geworden, wer Widerständler, wer hätte "nur" seinen Job gemacht?

Eine ähnliche Serie, die aber die tatsächliche historischen Ereignisse widerspiegelt, läuft in Frankreich seit mehreren Jahren: Ein französisches Dorf (Un Village français). Leider kenne ich die Serie nur vom Hörensagen, soll aber in Frankreich sehr erfolgreich sein. Jenseits des Rheins gab es lange den Mythos, dass die Franzosen im Widerstand gegen die Deutschen geeint waren, und nur ganz wenige Pétain folgten. Zumindest waren ab der Libération alle Franzosen in der Résistance...:pfeif:
 
Zurück
Oben