Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Hallo Biturigos, ich weiß nicht, wo du die Karte her hast, aber sie scheint mir etwas undifferenziert und beschränkt sich auf Europa. Schau dir im Vergleich die Karte auf Wikipedia an. Allein aus der heutigen Verteilung von Haplogruppen auf Migrationen in weit zurückliegender Vergangenheit zu schließen, ist spekulativ. Daher ist die Untersuchung und Einbeziehung von aDNA (alter/ancient DNA), die man aus prähistorischen Skelettresten gewinnt, unerlässlich.

P.S. Die von dir verlinkte Studie gibt es hier und hier als PDF ohne Paywall.

Die Karte ist von der wikipedia-Seite zur vaskonischen Hypothese. https://de.wikipedia.org/wiki/Vaskonische_Hypothese

Dein Standpunkt erscheint mir logisch, die heutige Verteilung ist nicht aussagekräftig, trotzdem bin ich als unbedarfter Laie verblüfft, dass die Verteilung so ist wie sie ist. Auch auf deiner Karte gibt es diesen westeuropäischen Schwerpunkt. Vielleicht könnt Ihr mir dies erklären.
Für die Studie bin ich heute zu müde.
 
Der Wikipedia-Artikel ist sehr - ich personfiziere hier aus semantischen Gründen, meine eigentlich nicht die Person sondern die Hypothese - vennemannfreundlich.
 
Dein Standpunkt erscheint mir logisch, die heutige Verteilung ist nicht aussagekräftig, trotzdem bin ich als unbedarfter Laie verblüfft, dass die Verteilung so ist wie sie ist. Auch auf deiner Karte gibt es diesen westeuropäischen Schwerpunkt. Vielleicht könnt Ihr mir dies erklären.

Derzeit haben wir nur wenige Puzzleteilchen (untersuchte Funde), die noch kein Gesamtbild ergeben. Für eine endgültige Deutung der Funde und der Verteilung der Haplogruppen ist es noch viel zu früh. Die intensive Forschung an aDNA hat gerade erst begonnen. Deswegen ist die Beobachtung des Fortschritts auf diesem Gebiet auch so interessant. Jede neue Studie kann neue Erkenntnisse bringen. Auch an die Karten mit der heutigen Verteilung möchte ich noch ein kleines Fragezeichen setzen. Wir dürfen zudem nicht vergessen, dass es auch nach der Bronzezeit noch Migration (vielleicht nicht so umwälzend) nach und innerhalb Europas gab.

Im Moment spricht vieles dafür, dass ein Großteil der Haplogruppe R1b durch Migration aus der Steppe am Ende des Neolithikums bzw. der beginnenden Bronzezeit nach Mittel- und Westeuropa gekommen ist. Allerdings gibt es auch einen früheren, meso- bzw. sogar paläolithischen Fund aus Italien (Villabruna), der einer guten Erklärung bedarf.
 
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Der Wikipedia-Artikel ist sehr - ich personfiziere hier aus semantischen Gründen, meine eigentlich nicht die Person sondern die Hypothese - vennemannfreundlich.

Das ist mir auch aufgefallen. Es ist auch nur eine Nebenfrucht beim Lesen gewesen, dass mir die komplett andere Darstellung der Ursachen der genetischen Verteilung aufgefallen ist - der Abschnitt "Ergebnisse fenetischer Untersuchungen" scheint im Wikipedia-Artikel jedoch eigenständig angehängt, und eigentlich nicht zum Argumentationsstrang Vennemanns gehört zu haben - quasi sollte es eine indirekte Unterstützung von Vennemanns These sein, ohne dass dies explizit gesagt wird.

Derzeit haben wir nur wenige Puzzleteilchen (untersuchte Funde), die noch kein Gesamtbild ergeben. Für eine endgültige Deutung der Funde und der Verteilung der Haplogruppen ist es noch viel zu früh. Die intensive Forschung an aDNA hat gerade erst begonnen. Deswegen ist die Beobachtung des Fortschritts auf diesem Gebiet auch so interessant. Jede neue Studie kann neue Erkenntnisse bringen. Auch an die Karten mit der heutigen Verteilung möchte ich noch ein kleines Fragezeichen setzen. Wir dürfen zudem nicht vergessen, dass es auch nach der Bronzezeit noch Migration (vielleicht nicht so umwälzend) nach und innerhalb Europas gab.

Im Moment spricht vieles dafür, dass ein Großteil der Haplogruppe R1b durch Migration aus der Steppe am Ende des Neolithikums bzw. der beginnenden Bronzezeit nach Mittel- und Westeuropa gekommen ist. Allerdings gibt es auch einen früheren, meso- bzw. sogar paläolithischen Fund aus Italien (Villabruna), der einer guten Erklärung bedarf.

Mir ist bei der europaweiten Verteilung der Proben für oben genannte Studie aufgefallen, dass der westeuropäische Raum kaum berücksichtigt ist, die britischen Inseln fehlen völlig. Chan schreibt aber, dass er sich auf noch aktuellere Studien bezieht.
Ich steige vorerst hier aus dem Thema aus, mein Leseprogramm ist jetzt schon umfangreich genug. Und mein Spekulatiuskonsum steigt parallel zum grünen Teekonsum (hm, ob da ein innerer Zusammenhang besteht....?)
 

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Chan hätte ich deine Fantasie würde ich Bücher schreiben und ein Haufen Geld verdienen.

Wie sind deine Thesen zu wiederlegen, garnicht und somit genauso Glaubenssache wie ob es Gott gibt.
 
... nur stieß ich beim Lesen über verschiedene Migrationsmodelle auch auf die "Vaskonische Hypothese" Theo Vennemanns, der einen genau umgekehrten Standpunkt zu deinem einnimmt: eher ist die rezente alteuropäische Bevölkerung Träger der Haplogruppe R1b (Y-DNA).

Vennemann sagt in seiner "Vaskonischen Hypothese", dass es vor Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen in Europa eine "vaskonische" Sprachfamilie gegeben hätte, deren Überbleibsel das Baskische sei.
https://de.wikipedia.org/wiki/Vaskonische_Hypothese

Zustimmen kann man Vennemann bei der Aussage, dass vor dem Indoeuropäischen andere Sprachen in Europa gesprochen wurden. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass alle einer einzigen "vaskonischen" Sprache angehörten, deren Rest die baskische Sprache sein soll. Vielmehr gab es sehr verschiedene Sprachen, die nicht unbedingt zusammenhängen. Die noch in der Antike lebendigen alteuropäischen Sprachen unterscheiden sich jedenfalls sehr voneinander: Iberisch, Ligurisch, Tartessisch, Aquitanisch, Etruskisch, Minoisch, Paläosardisch usw.

Dass Baskisch der Rest einer sehr alten Sprache ist, erscheint mir plausibel. Ob es allerdings eine Kontinuität von mehreren Jahrtausenden aufweisen kann oder sogar bis in die Altseinzeit herabreicht, ist äußerst fraglich.
 
Sie setzten der Glockenbecher-Kultur um 2200 BCE ein Ende und installierten die Unitece-Kultur (ab 2300 BCE), die Quelle der späteren germanischen, keltischen und italischen Kulturen.

Also die Únětice oder zu deutsch (und das Hauptverbreitungsgebiet dieser Kultur liegt im Gegensatz zu ihrem eponymischen Namen in Sachsen-Anhalt und Thüringen, das Gesamtverbreitungsgebiet vom Raum Prag bis nach McPomm, sich von dort im Osten wiederum bis nach Schlesien fortsetztend) Aunjetitzer Kultur setzt die Glockenbecher-Kultur fort, sie geht aus dieser hervor. Formensprachliche Elemente der endneolithischen GBK finden wir in der Aunjetitzer Kultur wieder. Beispielsweise die Beinknöpfe mit der charakteristischen v-förmigen Durchlochung.

Was die Träger der Aunjetitzer Kultur für eine Sprache sprachen, ist Kaffeesatzleserei.

Was das Verhältnis zwischen Männern und Frauen anbelangt, so ist die Kultur, wie im Übrigen alle frühbronzezeitlichen Kulturen zwischen Rhein, Donau und Weichsel geradezu redundant im Gräberinventar: Wir finden dort regelmäßig immer wieder dieselben Artefakte mit ihren jeweils kulturellen Prägungen (Keramiken und Gewandnadeln, Ringe etc.). In der Frühbronze überwiegen im genannten Großraum die Hockergräber. Dabei unterscheidet man zwischen linken und rechten Hockern. Entlang der Donau, in Ungarn und Polen aber auch bei der Adlerbergkultur können wir bereits anhand daran, ob es sich um einen linken oder einen rechten Hocker handelt, unterscheiden, ob die Bestatteten Männer oder Frauen waren. Gerade die Aunjetitzer Kultur sticht hier dadurch hervor, dass i.d.R. alle Individuen, unabhängig ihres Geschlechts rechte Hocker sind. Es gibt vereinzelte Ausnahmen von linken Hockern und Beispiele von Fürstengräbern (sie unterscheiden sich dadurch, dass ihr Inventar nicht aus Bronze sondern aus Gold besteht und die Gräber größer sind). In den Fürstengräbern der Aunjetitzer Kultur (etwa Leubingen oder Helmsdorf) finden wir auch Beispiele von gestreckt Bestatteten.
 
Was die Träger der Aunjetitzer Kultur für eine Sprache sprachen, ist Kaffeesatzleserei.

Man kann immerhin mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten, dass die Träger der Aunjetitzer Kultur eine indoeuropäische Sprache sprachen. Ich finde diese Begründung recht plausibel:

"Manche Linguisten nehmen an, dass die Träger beider Kulturen [Aunjetitz u. Schnurkeramik] indogermanische Idiome sprachen. Begründet wird dies vor allem damit, dass indogermanische Dialekte sich wegen etymologisch übereinstimmender Flussnamen indogermanischer Herkunft in weiten Teilen Mitteleuropas (Alteuropäische Hydronymie) spätestens im Laufe des dritten Jahrtausends vor Christus in Mitteleuropa ausgebreitet haben müssten und wegen der gleichzeitigen Ausbreitung der Bronzegewinnung in Mitteleuropa. Diese wird wegen des indogermanischen Wortes *ayos (= Kupfer, Bronze, vgl. lat. aes und dt. Erz) ebenfalls indogermanisch-sprachigen Gruppen zugeschrieben."
 
Untersuchungen der DNA des Pesterregers Yersinia pestis, die in menschlichen Überresten vom Ende des Neolithikums/der beginnenden Bronzezeit (LNBA, Schnurkeramik, Glockenbecher) gefunden wurde, lassen darauf schließen, dass sich parallel zur Migration von Hirtennomaden aus der eurasischen Steppe der Pesterreger nach Mitteleuropa ausbreitete. Inwieweit die Seuche den Niedergang der europäischen Bauernkulturen begleitete bzw. auslöste, muss noch näher untersucht werden.

Valtueña et al, The Stone Age Plague: 1000 years of Persistence in Eurasia, Preprint
 
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Eine neue Studie schätzt nun den "männlichen Anteil" dieser Migration etwa um den Faktor 5 höher ein als beim frühen neolithischen "spread" der Landwirtschaft von Anatolien durch Europa (5:1 zu vermutlich 1:1):

Goldberg et. al., Familial migration of the Neolithic contrasts massive male migration during Bronze Age in Europe inferred from ancient X chromosomes
Familial migration of the Neolithic contrasts massive male migration during Bronze Age in Europe inferred from ancient X chromosomes | bioRxiv

Der Studie wird nunmehr von den beiden Harvard-Genetiker David Reich und Iosif Lazaridis insoweit widersprochen, dass die Ergebnisse (5 bis 14-facher "Männeranteil" in der Steppemigration) als "nicht reproduzierbar" eingestuft werden. Grund: These results show that bias in the estimation of admixture proportions, rather than sex bias in the steppe migration, drives the findings of [Goldberg et. al.].

Publikation:
Failure to Replicate a Genetic Signal for Sex Bias in the Steppe Migration into Central Europe

"Nicht replizierbar" wäre eine Klatsche für die vorherigen Ergebnisse der statistischen populationsgenetischen Simulation, zudem nicht von "irgendwem" ausgesprochen. Man kann gespannt sein, wie die Kontroverse weitergeht. An sich müssten Goldberg et. al. darauf nun reagieren und die Ergebnisse weiter aufklären.
 
Ungeachtet der methodischen Einwände von Reich/Lazaridis (siehe vorstehenden Beitrag) wird nun in einer weiteren Publikation kräftig nachgelegt.

Diese geht - platt gesagt - von einem Modell migrierender, kriegerischer Yamnaya-Nomaden aus ("Steppe-Migrants"), die durch sesshafte "local stone age-women" sozusagen eingefangen und pazifiziert werden. Dadurch soll die Bronzezeit eingeläutet worden sein.

"An article in the journal Antiquity argues that Yamnaya warriors belonging to raiding parties married local Stone Age women, settling and adopting an agrarian lifestyle; during this process a Proto-Germanic language and the Corded Ware Culture was formed"

Hoffentlich ist die Meldung nicht dafür verantwortlich, dass der Zeitschriftenserver von "Antiquity" derzeit down ist. :devil:
https://antiquity.ac.uk/current


Nachrichtendienst:
https://www.eurekalert.org/pub_releases/2017-04/fos--smt040217.php

"Professor Kristian Kristiansen says: "We are now for the first time able to combine results from genetics, strontium isotopes on mobility and diet, and historical linguistics on language change, to demonstrate how the integration process unfolded on the ground after the Yamnaya migrations from the steppe. In our grand synthesis we argue that Yamnaya migrants were predominantly males, who married women who came from neighbouring Stone Age farming societies" These Stone Age Neolithic societies were based on large farming communities reflected in their collective burial ritual often in big stone chambers, so called megaliths. Very different from the traditions of the incoming migrants."

Zum Hinweis oben: die Prämisse "predominantly males" der migrierenden Gruppen, basierend auf einer Genstudie aus dem letzten Jahr, wurde als problematisch dargestellt, weil die Studie methodisch nicht reproduzierbar war.

Der nun aktuelle Aufsatz ist vermutlich vor dem Einwand von David Reich entstanden.
Kristiansen et. al., Re-theorising mobility and the formation of culture and language among the Corded Ware Culture in Europe, in: Antiquity, S. 334–347 (April 2017)
 
Diese geht - platt gesagt - von einem Modell migrierender, kriegerischer Yamnaya-Nomaden aus ("Steppe-Migrants"), die durch sesshafte "local stone age-women" sozusagen eingefangen und pazifiziert werden. Dadurch soll die Bronzezeit eingeläutet worden sein.

Und damit sind wir wieder dort, wo die viel bewunderte und viel geschmähte Marija Gimbutas vor zwanzig Jahren aufgehört hat. :grübel:
 
Und damit sind wir wieder dort, wo die viel bewunderte und viel geschmähte Marija Gimbutas vor zwanzig Jahren aufgehört hat. :grübel:

Kristiansen und Co. kommen für ihre Darstellungen völlig ohne aus, zum Grund siehe zB sepiolas Bemerkung.

Aber für die vorhandenen Bewunderer Gimbutas konnte ich mir nicht verkneifen, die platte Darstellung von eurekalert zu übernehmen.

Der Ausfsatz stellt das natürlich nicht so simpel und holzschnittartig dar, sondern fasst die Forschungsergebnisse der letzten 5 Jahre zu einem Modell - hypothetisch - zusammen. Sonst wären die ja nach 3 Sätzen fertig.=)

Ungelöstes Problem: die male-female-ratio als unbewiesene und im Modell bislang nicht reproduzierte (reproduzierbare) Prämisse. EDIT: siehe @Heine, 2 Minuten später...
 
Zuletzt bearbeitet:
Ungeachtet der methodischen Einwände von Reich/Lazaridis (siehe vorstehenden Beitrag) wird nun in einer weiteren Publikation kräftig nachgelegt.
...
Zum Hinweis oben: die Prämisse "predominantly males" der migrierenden Gruppen, basierend auf einer Genstudie aus dem letzten Jahr, wurde als problematisch dargestellt, weil die Studie methodisch nicht reproduzierbar war.

Goldberg et al. haben das nicht auf sich sitzen lassen und zwischenzeitlich erwidert: Reply To Lazaridis And Reich: Robust Model-Based Inference Of Male-Biased Admixture During Bronze Age Migration From The Pontic-Caspian Steppe

Hoffentlich ist die Meldung nicht dafür verantwortlich, dass der Zeitschriftenserver von "Antiquity" derzeit down ist. :devil:
Der Server ist wieder up. Die Veröffentlichung von Kristiansen et al. ist hier frei verfügbar.

Die sich aus nach Ostmittel- und Mitteleuropa einwandernden Hirtennomaden (Jamnaja) und ansässigen europäischen Bauernkulturen (Trichterbecherkultur) herausbildende Schnurkeramikkultur wird in diesem Aufsatz mit der Entstehung des Prägermanischen in Verbindung gebracht.

We have been able to reconstruct the social processes of cultural integration and hybridisation that followed from (probable) Neolithic women marrying into Yamnaya settlements dominated by males of first-generation migrants. This practice continued over several generations, and the women soon started to produce new pottery versions of existing containers made of organic materials, with some further innovations. The original herding economy of the Yamnaya migrants gradually gave way to new agrarian practices of crop cultivation, which led to the adaptation of new words. The result of this hybridisation process was the formation of a new material culture, the Corded Ware Culture, and of a new dialect, Proto-Germanic (or perhaps more correctly, Pre-Proto-Germanic). The latter was likewise an adaptation to new conditions, with the borrowing of novel terms from neighbouring Neolithic communities and from women who had married in to the migrant communities. Archaeology here provides a socio-linguistic setting for a process of language change over several hundred years between 2800 and 2400 BC.
Kristiansen et. al., Re-theorising mobility and the formation of culture and language among the Corded Ware Culture in Europe, in: Antiquity, S. 334–347 (April 2017)
 
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