Osmanisches Reich Schuld am Niedergang der arabischen Welt?

Ich hab es jetzt noch mal nachgeschlagen. Acemoglu/Robinson behandeln das Osmanische Reich nur am Rande, ...

Eben.

In dieser Publikation sind keinerlei Untersuchungen enthalten, sondern es wird - wie oben klargestellt - lediglich kursorisch auf andere Studien hingewiesen:

Acemoglu und Robinson ...
... verweisen statt eigener Studien auf Darstellungen von Pamuk und Owen.

Das eher für das breite Publikum geschriebene "Why Nations fail" unterscheidet sich da übrigens nicht von der Grundlage, "Introduction to Modern Economic Growth".

Aber Pamuk und Owen scheinen in dem Thema bislang keine Rolle zu spielen. Offenbar leider unbekannt.

BtW: liegt jemandem der Hinweis auf die "Presse" im Aufsatz "Islam" von Savage-Smith vor (CambHistofSc IV, 656-659), auf die Acemoglu kurz und knapp verweist?
 
Kurz noch der weitergehende Verweis auf Pamuk:

Pamuk, History, Institutional Change and the Longevity of the Ottoman Empire, 1500-1800, Journal of Interdisciplinary History 2004, S. 225ff.
Pamuk. The Price Revolution in the Ottoman Empire Reconsidered, International Journal of Middle East Studies 2001, S. 69 ff.
Özmucur/Pamuk, Real Wages and Standards of Living in the Ottoman Empire, 1489-1914, Journal of Economic History 2002, S. 293 ff.
Pamuk, The Black Death and the origins of the 'Great Divergence' across Europe, 1300-1600, European Review of Economic History 2007, S. 289 ff.
Pamuk/Williamson, Ottoman de-industrialization, 1800–1913: assessing the magnitude, impact, and response, Economic History Review 2011, S. 159 ff.

Die Grundlagendarstellung zur monetären Geschichte (Pamuk, A monetary history of the Ottoman Empire, 2000) ist schon mehrfach im Forum zitiert worden. Ebenso Owen/Pamuk, A history of Middle East economies in the twentieth century.
 
Warum nicht? Oder anders rum: Wie hätte Europa die Zulassung der Druckerpresse im OR verhindern können? Oder der Dampfmaschine? Oder des Webstuhls? Oder eines Stahlwerks?

Bauen ist das eine ob es Konkurrenzfähig gewesen wäre ist das andere. Immerhin mussten auch die USA ihre Indstrie mit rießigen Zöllen schützen. War das Osmanische Reich (mit Russland im Rücken) stark genug eine eigenständige Industriepolitik durchzuführen???


Das interpretierst du vielleicht falsch. moglu/Robinson formulieren es so, dass die Steuer-Pächter, wie du auch sagst, nicht mehr kontrolliert und dadurch immer autonomer wurden. Und damit den produktiven privaten Besitz, sprich die Landwirtschaft und das Handwerk, immer stärker ausbeuteten. Die Abgabenlast soll bis zu zwei Drittel der Produktion betragen haben.
Im Sinne Acemoglus: dadurch blieben den produktiven Kräften keine Mittel mehr, um ihre Produktivität zu verbessern. Sei es durch bessere Pflüge, eine geänderte Fruchtfolge, Flurbereinigung, Investition in Mühlen etc.

Okay jetzt verstehe ich es. Den Pächtern die sich bereicherten war es auch kaum attraktiv in Industrie zu investieren. Ich bin bei der Interpretation in die Falle gefallen, dass ich einen anderen Diskurs im Kopf hatte, der so ähnlich geht und um die Rückständigkeit des Balkans geht.
 
Du willst die Diskussion also dahin drehen: Die Araber waren nie osmanisch besetzt?
So einfach ist auch wieder nicht.
Zumindest der Süden der arabischen Halbinsel (konkret folgende heutige Staaten: Oman, Jemen, Kuwait Bahrain, Katar, Vereinigte Arabische Emirate) war im 16. Jahrhundert für wenige Jahre unter osmanischer Herrschaft.
Nur der nördliche Jemen wurde Ende des 19. Jahrhunder wieder von den Osmanen erobert und Vilayet Jemen ins Osmanische Reich eingegliedert.

Der arabische Aufstand war eine Rebellion gerade gegen die Modernisierung des Osmanischen Reiches und mir ist keine Lesart bekannt, die darin irgendetwas modernes erkennt - von Antisemitismus und Nationalismus einmal abgesehen.
Nachdem die türkische Revolution das Osmanische Reich und deren Kalifat beendete, fiel dem haschemitischen Sherif nichts besseres ein, als sich selbst zum Kalif anstelle des Kalifen zu ernennen. Die Wahabiten vertrieben die Haschemiten aus Hedschas und ihr theo- und autokratischen Saudi-Königtum übertraf sowohl die Osmanen als auch die Haschemiten an Rückwärtsgewandheit.
Die Osmanen haben "den Arabern" die Moderne nicht verwehrt. Das taten sie selbst, besser ihre Elite.

Hinzu kommt, dass die Rückständigkeit in jenen Gebieten weitaus geringer ist, die Jahrhunderte lang unter dem "Türkenjoch" litten. Viele Länder der "arabischen Welt", die über Jahrhunderte von den Osmanen beherrscht wurden, sind schon viel weiter als der Süden Arabiens. Ein Zusammenhang zwischen Osmanischer Herrschaft und Rückständigkeit besteht daher offensichtlich nicht. Mit Rückständigkeit meine ich jetzt, dass sie den Anschluss an die Moderne verloren haben, sei es politisch, sozial oder ökonomisch (Zivilgesellschaft, Gewaltenteilung, Bürgerbeteiligung, Frauenrechte, Religionsfreiheit, Säkularisierung, Marktwirtschaft ...).

In vielen Staaten der arabischen Halbinsel täuscht der Ölreichtum seit der Nachkriegszeit über die tatsächliche Rückständigkeit der südarabischen Monarchien hinweg, aber im Jemen - dem Armenhaus Arabiens - ist der Niedergang ungeschönt.
Die Schuld für den Niedergang Südarabiens kann gar nicht bei den Osmanen liegen, weil die meisten Länder dort in der Neuzeit portugiesisch und später britisch dominiert wurden. An den paar Jahrzehnten osmanischer Herrschaft im Nordjemen, kann der Niedergang von Arabia felix jedenfalls nicht liegen.
 
Allerdings war auch kein Zusammenhang zwischen Osmanenherrschaft und Rückständigkeit sondern zwischen Osmanenherrschaft und Niedergang hergestellt worden,
 
Vor dem Niedergang kommt der Zenit.
Der Orientalismus kennt das Konzept eines Goldenes Zeitalter des Islams (vgl. Wikipedia Islamic Golden Age). Als Ende des "Goldenen Zeitalters" wird meistens die Eroberung Bagdads durch die Mongolen angesehen. (Zu beachten ist natürlich, dass dort von islamischer Kultur die Rede ist und zwischen Arabern und Persern nicht differenziert wird.)

Die Osmanische Zeit wird bei Wikipedia sogar als eine Art Renaissance der arabischen Wissenschaften gedeutet.
Wikipedia schrieb:
The Ottoman conquest of the Arabic-speaking Middle East in 1516-17 placed the traditional heart of the Islamic world under Ottoman Turkish control. The rational sciences continued to flourish in the Middle East during the Ottoman period.
 
Zuletzt bearbeitet:
Allerdings war auch kein Zusammenhang zwischen Osmanenherrschaft und Rückständigkeit sondern zwischen Osmanenherrschaft und Niedergang hergestellt worden,

Du meinst andersrum? Es besteht in diesem Thread kein Dissenz, dass die arabische Welt schon vor der Expansion des OR am Boden lag. Also kein Zusammenhang zwischen Osmanenherrschaft und Niedergang vorliegt.

Wir diskutieren eigentlich seit Anfang an den Zusammenhang zwischen OR und Rückständigkeit.

Maglor hat jetzt mit vielen Beispielen ganz unterschiedlicher Wirkungsmächtigkeit des OR gezeigt, dass das OR auch nicht für die anhaltende Rückständigkeit verantwortlich ist.

Bleibt die Frage: warum kommen Arabien nicht in die Pötte?
 
Ich sehe einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Niedergang und Rückständigkeit. Nehmen wir mal Kuba: Kuba war lange ein Land mit höchsten medizinischen Standards, trotzdem ging es Kuba immer bescheiden. Es lag also am Boden, war deswegen aber nicht rückständig. Deshalb war/ist Rückständigkeit für mich in diesem Thread auch eine unpassende Kategorie.

Was nun die Frage angeht, warum Arabien nicht in die Pötte kommt, so muss man wiederum fragen, von welchem Arabien und in welcher Kategorie die Rede ist. Iraq, Kuweit, Saudiarabien, Oman, die Emirate... sind - dank des Öls - extrem reiche Länder. Wobei der Reichtum im Iraq leider nicht so durchsickert, wie das verschüttete Öl in den Wüstenboden. Geht man weiter zurück, bevor die Öllager entdeckt waren bzw, bevor man etwas damit anfangen konnte, dann hat Neddy die Frage relativ frühzeitig in diesemm Thread beantwortet: Die arabischen Kernländer hatten im Prinzip außer Weihrauch nichts, was sie die Welt anzubieten hatten, nachdem sie als Zwischenhändler einmal ausgeschaltet waren. Auch Sand, heute ein so beliebter Rohstoff, war bis vor wenigen Jahrzehnten noch einfach wertlos.
 
Da ist sicher was dran El Quijote, aber dann müssten Südkorea und Japan am Hungertuch naggen, außer ein bisschen Fisch gibts dort nichts. Unfruchtbare Gebietsketten, kaum fruchtbares Land, zu viele Einwohner, andauernde Erdbeben.

Seit der Industiralisierung und vor allem der Digitalisierung sind natürliche Ressourcen nicht der einzige Faktor.
 
Ihr habt die Diskussion über die Dekonstruktion des westlichen modernistischen Weltbildes in der Historiographie verfolgt?

Wenn ja, dann wundert mich der chauvinistische Unterton der bereits bei der Fragestellung und in der kompletten Diskussion immer wieder latent anklingt.

Und deswegen nochmal der Verweis auf:
Rublack, Ulinka (Hg.) (2013): Die neue Geschichte. Eine Einführung in 16 Kapiteln. Frankfurt am Main: Fischer ([S. Fischer Geschichte]).
 
Da ist sicher was dran El Quijote, aber dann müssten Südkorea und Japan am Hungertuch naggen, außer ein bisschen Fisch gibts dort nichts. Unfruchtbare Gebietsketten, kaum fruchtbares Land, zu viele Einwohner, andauernde Erdbeben.

Seit der Industiralisierung und vor allem der Digitalisierung sind natürliche Ressourcen nicht der einzige Faktor.

Auch vorher nicht. Portugal hatte ebenfalls wenig Rohstoffe, aber seinen Vorteil der Lage genutzt.

Arabien hat doch einiges zu bieten:
-das fruchtbare Zweistromland und die Mittelmeerküste
- reiche Fischgründe in Mittelmeer und Indischem Ozean
- gute Seeleute und Bootsbauer
- vor allem aber die Schnittstelle zwischen Fernost, mediterranen Raum und dem Westen

Und sicher noch einiges mehr.

Nur Myrrhe und Öl ist doch sehr verknappt.
 
Ich denke auch man darf da nicht über einen Kamm scheren. Syrien und der heutige Irak waren immer Gegenden die landwirtschaftlich entwickelt waren und von ihrer Rolle als Handelsweg profitierten.
Die waren bis Ende des 18. Jahrhunderts m.E. nicht wesentlich rückständiger als irgendwelche europäischen Randgebiete. Bei der Arabischen Halbinsel sieht es ganz anders aus ebenso wie bei den einst blühenden Landschaften Nordafrikas.

Ägypten hatte sogar im 19. Jahrhundert eine kurze goldene Zeit unter Muhammad Ali, die man vielleicht als Hinweis deuten kann, wie sehr der Zustand dieser Gegenden von der Qualität seiner Regierungen abhängig war.
 
Nur Myrrhe und Öl ist doch sehr verknappt.
Wenn man mal von den dicht besiedelten Zonen absieht (etwa dem Gebiet an der Mittelmeerküste und den Unterläufen von Euphrat und Tigris, dann hatte die "arabische" Welt wirklich wenig zu bieten. Selbst Ägypten, was sich locker selbst ernähren konnte, hat nach der Einführung von Cash Crops (z.B. Baumwolle) Lebensmittel zukaufen müssen. Im Jemen und im Oman gibt es noch Zonen wo man dank Irrigation und Monsunzeit ganz gut mit Landbau über die Runden kommt. Aber wenn man sich den Welthandel im Mittelalter ansieht, so hat Böhmen im Prinzip via Venedig den Silberbedarf der arabischen Welt gedeckt und bekam dafür Gewürze, Seide und ähnliche Luxusgüter; die wurde aber nicht in der arabischen Welt produziert sondern nur über diese verhandelt. Diese Weltgegend gibt - in cummulo!, scaut man kleinräumiger wird man natürlich immer Ausnahmen finden (Palästina, Libanon, Westsyrien, Südiraq) - einfach nichts her für die Produktion von Überschüssen, weshalb man dort auf den Handel als Wertschöpfungsquelle angewiesen ist.
 
Wenn man mal von den dicht besiedelten Zonen absieht (etwa dem Gebiet an der Mittelmeerküste und den Unterläufen von Euphrat und Tigris, dann hatte die "arabische" Welt wirklich wenig zu bieten. Selbst Ägypten, was sich locker selbst ernähren konnte, hat nach der Einführung von Cash Crops (z.B. Baumwolle) Lebensmittel zukaufen müssen.

Du kannst doch nicht ernsthaft von den dicht besiedelten Gebieten absehen??? Dort wird in jedem Wirtschaftsraum der Wohlstand generiert. Diese Gebiete sind reich, weil sie dicht besiedelt sind und dicht besiedelt, weil sie reich sind. McPomm, Mississippi und den Sinai schleppt man halt so mit.

Und wenn einer die richtigen Cash Crops anbaut, kann er Grundnahrungsmittel importieren und bezahlen und hat noch was übrig. Adam Smith: Jeder macht das, was er am besten kann und dann wird getauscht.

Also ich seh den arabischen Raum (auch ohne Öl) nicht als Notstandsgebiet per se.
 
Ägypten hatte sogar im 19. Jahrhundert eine kurze goldene Zeit unter Muhammad Ali, die man vielleicht als Hinweis deuten kann, wie sehr der Zustand dieser Gegenden von der Qualität seiner Regierungen abhängig war.

Ich bin auch nach wie vor dafür, die extraktiven Strukturen des OR nicht umfassend zu exkulptieren.

Auch wenn wir noch mehr Ursachen herausarbeiten müssen.
 
Die Goldberg-These zur ägyptischen Baumwolle ist ebenso wie die "Krisenhistorie" zur politischen Ökonomie Ägyptens vor 1913 hoch umstritten.

Das geht beim Datenmaterial los (Hansen/Wattleworth), und endet in den Wirkungsketten.

Siehe Owen oder aktuell Karakoc, bzw. Saleh.
 
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