Sprachcodes von den Grimms bis Tarantino

Dion

Aktives Mitglied
Dass sie die moderne empirische europäische Ethnologie/Volkskunde und Germanistik mitbegründet haben, hab ich doch geschrieben. Außerdem haben sie sehr große Verdienste für ihre rechtsgeschichtlichen Forschungen, schon allein für ihre Sammlung "Deutsche Rechtsaltertümer" verdienen sie Achtung, außerdem gehören sie zu den "Göttinger Sieben".
Auch Gebrüder Grimm waren nicht nur Helden, sondern auch Opportunisten: Während in der ersten Ausgabe ihrer Märchensammlung noch die leiblichen Mütter die „bösen“ in Hänsel und Gretel bzw. in Schneewittchen waren, mutierten sie danach zu Stiefmüttern. Dies geschah, weil es wohl Proteste seitens des Publikums gab. Auch Rapunzels Schwangerschaft wurde in den weiteren Ausgaben getilgt, weil dies allzu direkt auf den erfolgten Geschlechtsverkehr zwischen ihr und dem Prinzen hinwies.

Was ich sagen will: Niemand ist nur gut. Das gilt für die Gebrüder Grimms wie für Napoleon wie für uns alle.
 
Auch Gebrüder Grimm waren nicht nur Helden, sondern auch Opportunisten: Während in der ersten Ausgabe ihrer Märchensammlung noch die leiblichen Mütter die „bösen“ in Hänsel und Gretel bzw. in Schneewittchen waren, mutierten sie danach zu Stiefmüttern.
OT: Wir hatten vor doch einiger Zeit mal eine Diskussion, in der es um etwas ähnliches ging. Bei Interesse...
(und so vermeide ich du oder Sie :D)
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein so simples Schwarz-Weißschema gehört nicht in mein Weltbild, Heldenverehrung erst recht nicht.

Nach der Logik, würde es einen zum Helden machen, wenn man eine Kinderbuchvariante des Marquis de Sade herausbringt, mit Pädophilie, Inzest, Kannibalismus, Koprophagie, Sodomie, Nekrophilie und allen nur erdenklichen Varianten der Sexualpathologie, freigegeben ab 6 Jahren. Politically incorrect, denn das wird man ja wohl noch sagen dürfen. "Es waren einmal zwei Schwestern, die hießen Julie und Justine....."
 
Political Correctness gab es eben schon damals.
Für Napoleon wie für die Gebrüder Grimm oder Goethe gilt: Sie lebten in einer Umbruchzeit, deren Einfluss nicht zu unterschätzen ist. Sie alle passten sich dem jeweiligen Zeitgeist an, der eine mehr und der andere weniger. Die Zeit der Aufklärung war eine andere als die Kaiserzeit Napoleons oder die sich anschließende Zeit des Biedermeiers. In allen diesen Zeitabschnitten werden die jeweils gleichen Fakten anders gesehen als zuvor.

Dem ist heute nicht anders und betrifft beileibe nicht nur Kinderbücher – siehe Änderungen in Kinderbuch-Klassikern –, sondern alle Bereiche des Lebens und natürlich auch die Wissenschaft.
 
Eben, die Grimms haben den Untergang des Alten Reichs, Napoleon und seinen Bruder Jerome und schließlich die Rückkehr des neuen alten Herrn Wilhelm IX., seit 1803 Kurfürst von Hessen-Kassel und der Welfen erlebt. Ihre Schaffensperiode reichte von der Frühromantik bis in die drückendste Zeit des Biedermeier. Die sind auch nicht über Land gezogen und haben Feldforschung und moderne Erzählforschung betrieben wie ein heutiger Ethnologe oder Volkskundler das tun würde. Die Grimms waren als junge Männer recht schüchtern, und im Umgang mit Leuten aus dem Volk unbeholfen, um nicht zu sagen linkisch. Ihre Gewährsleute waren Damen der Kasseler Gesellschaft, von denen viele Nachkommen von Hugenotten waren. Man mag ja von ihnen halten, was man mag, in meinen Kinderzeiten gerieten Märchen in die Kritik, viele kritisierten, dass sie zu brutal seien und ein autoritär, patriarchialisches Weltbild förderten. Trotzdem bin ich der Meinung, dass allein die Fleißaufgabe, diesen ganzen Kram, die Märchen, die deutschen Wörterbücher die Rechtsaltertümer zu sammeln und zu katalogisieren und zu editieren Respekt abfordert.

Die Grimms waren ja auch nur ein Beispiel für die Antriebskräfte die Napoleons Herrschaft freisetzte. Sie ließ sich ergänzen um Reformer, Politiker und Militärstrategen wie den Freiherrn von Stein, Hardenberg, Clausewitz, Scharnhorst und Gneisenau die miterlebt hatten, wie Napoleon das verkrustete Preußen aufgemischt hatte. Nach dem Debakel von Jena und Auerstedt forderte der Stadtkommandant von Berlin auf zur Ruhe, die jetzt erste Bürgerpflicht sei. Clausewitz und Scharnhorst modernisierten die armee, Stein und Hardenberg die Verwaltung, und sie alle lernten von Napoleon. Es wurde nach dem Vorbild der Levee en Masse die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, ein Architekt, Schinkel, entwarf einen Orden, das Eiserne Kreuz, das die erste Auszeichnung war, die auch einfache Soldaten bekommen konnten. Aus den Farben eines recht unbedeutenden Freikorps, den Lützower Jägern entstand Schwarz-Rot-Gold, noch heute unsere Nationalfahne. während der Befreiungskriege gab Friedrich-Wilhelm III. den Aufruf "An mein Volk" heraus, in dem er die ganze Nation zum Kampf gegen Napoleon aufforderte. Das alles wäre 1806 noch undenkbar gewesen. All die Reformen und Freiheiten hatten den Schönheitsfehler, dass sie während der Restauration wieder kassiert und eingestampft wurden, aber ganz rückgängig machen und austreten ließ sich das nicht alles. Das ist es, was Nipperdey damit meinte: "Am Anfang war Napoleon". Dessen Tragik war, dass seine eigene Dynamik gewaltige Antriebskräfte mobilisierte, die sich am Ende gegen ihn wendeten, gegen ihn wenden mussten, denn seine Herrschaft erschien am Ende den Spaniern, Russen und Deutschen unerträglich. Ohne Napoleon hätte es keinen deutschen Nationalismus gegeben. Es gab einen alten Reichspatriotismus, aber ansonsten fühlten sich die Deutschen eher als Preußen, Sachsen, Bayern, Hessen oder Schwaben.
Der deutsche Nationalismus entwickelte im Laufe der Zeit viele unschöne Züge. Vieles, was Theodor Körner, der "Turnvater" Jahn, Fichte oder Ernst Moritz Arndt schrieben klingt mit all den antifranzösischen, antisemitischen und deutschnationalen Phrasen heute fast grotesk, und manches ist nicht mal mehr zitierfähig. Während des NSU-Prozesses in München fragte der Vorsitzende einen der Unterstützer der Terrororganisation was er damit gemeint habe, als er sich einen Spruch von Ernst-Moritz Arndt aufgeschrieben hatte: "Der Gott der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte."
Der Mann kannte wohl nicht die Quelle, nannte sich aber einen "germanischen Freiheitskämpfer", der gegen "Meinungsparagraphen" angetreten sei. Suspekt war das aber schon den Obrigkeiten vor fast 200 Jahren, und 1813 war der deutsche Nationalismus eher links, als rechts, wo er sich 100 Jahre später verortete.
 
Für Napoleon wie für die Gebrüder Grimm oder Goethe gilt: Sie lebten in einer Umbruchzeit, deren Einfluss nicht zu unterschätzen ist. Sie alle passten sich dem jeweiligen Zeitgeist an, der eine mehr und der andere weniger. Die Zeit der Aufklärung war eine andere als die Kaiserzeit Napoleons oder die sich anschließende Zeit des Biedermeiers. In allen diesen Zeitabschnitten werden die jeweils gleichen Fakten anders gesehen als zuvor.

Dem ist heute nicht anders und betrifft beileibe nicht nur Kinderbücher – siehe Änderungen in Kinderbuch-Klassikern –, sondern alle Bereiche des Lebens und natürlich auch die Wissenschaft.

Dann ist es also nach Deinen Worten heute böse, nicht mehr Neger zu sagen? Das ist ja auch so eine Veränderung entgegen einer korrekten Tatsache, nämlich der dunkleren Hautfarbe. Es wäre nach Deinen Worten also ein Zeichen von Minderwertigkeit, wenn jemand eine andere Hautfarbe hat.

Nur, um zu verstehen, was Du sagen willst. Die Zeit ist nämlich kein ethisch relevanter Faktor.
 
Ein gutes Beispiel, Rio! Ich verstehe nicht so recht, weshalb es korrekt sein soll, wenn ich von "Schwarzen" spreche, "Neger" aber nicht. Ein unverdächtiger Zeitzeuge, der Abolitionist, Autor und Diplomat Frederick Douglass (mein Mitgliederbild) sprach in seinen Publikationen von "Negroe-Emancipation" und das taten auch Harriet Beecher-Stowe, Angelina Grimké, Lloyd Garrison und andere Abolitionisten des 19. Jahrhunderts und den gleichen Duktus verwendeten in den 1960er Jahren afroamerikanische Bürgerrechtler wie Malcom X und andere. Meiner Meinung nach besteht zwischen Politik und Korrektheit ein unauflösbarer Widerspruch. PC schießt oft über das Ziel hinaus. Etwa, wenn man Mark Twains Huckleberry Finn zensieren will, weil es angeblich rassistisch sei. Ein wunderbares Buch, das die Sklaverei und den Rassismus des 19. Jahrhunderts, als das entlarvt, was sie waren, nämlich ein unglaublich grausames System rassistisch motivierter Ausbeutung und Unterdrückung, das mit Heuchelei zugekleistert wurde und dem Versklavten, dem "Nigger" das Menschsein absprach. Dieses System tat das auch und vor allem sprachlich, wenn von "field hands", "big bucks" (buck=Bock) und "wenches" die Rede war, so als würde es sich um Haustiere handeln.

Frederick Douglass beschreibt in seinen insgesamt drei Autobiographien, dass diese Haustiere, vor allem Vollblutpferde und Jagdhunde weit besser ernährt und behandelt wurden, als die Sklaven. PC macht sich lächerlich, wenn sie "Negerküsse" und "Mohrenköpfe" ächten will, und "Zigeunerschnitzel" von der Karte nehmen will. PC wird so zur Zimperlichkeit und zum Dünkel dessen, der es besser weiß.
Ein baden-württembergischer Politiker aus der Partei der Grünen spricht natürlich fließend diplomatisch, er würde sich mokieren über so manchen Vollpfosten vom rechten Flügel der CSU, der in die Sprachfalle tappt und die Welt nicht mehr versteht, "denn das wird man ja wohl noch sagen dürfen". Der Grünen Politiker sagte: "Die Probleme der Roma können nicht in Freiburg gelöst werden". Natürlich können sie das nicht, denn der Grüne ist ja gerade ein Teil des Problems der Roma und sozial so eiskalt wie ein Sozialfaschist aus Hessen, der moniert, dass die "Parkbänke nicht für die Obdachlosen da sind".

Solche A...löcher, die genau wissen, was sie tun und was sie sagen, sind viel menschenverachtender als irgendein Vollpfosten, der es einfach nicht besser weiß.

Wenn die PC aber auch nur dazu führt, dass man wenigstens mal darüber nachdenkt, dass Worte einen Sinn haben und Sprache nicht unschuldig ist, empfinde ich Spott für PC, die übers Ziel hinausschießt und sich auch mal lächerlich macht, immer noch ein kleineres Übel, als kritik- und gedankenlos eine Tarnsprache oder einen Sprachgebrauch weiter zu pflegen, der inzwischen von vielen (Betroffenen?) als diskriminierend empfunden wird.[/QUOTE]
 
All die Reformen und Freiheiten hatten den Schönheitsfehler, dass sie während der Restauration wieder kassiert und eingestampft wurden, aber ganz rückgängig machen und austreten ließ sich das nicht alles.
Das ist normal, möchte ich sagen, denn auf jede Epoche der relativen Freiheit, folgt eine, die die Freiheit restriktiver auffasst und gerne auch mit Repression arbeitet – siehe Renaissance, Gegenreformation, Aufklärung, Restauration, 1848er Revolution, viktorianisches Zeitalter, „goldene“ 1920er Jahre, Rückfall in den Konservatismus in den 1950-1960er Jahren, ab 1968 „mehr Demokratie wagen“ mit umfassenden Reformen im Strafrecht, bis Helmut Kohl mit seiner „geistig-moralischen Wende“ eine Rückkehr zu sogenannten Sekundärtugenden startete, die sich in der Verschärfung des Strafrechts am deutlichsten manifestierte bzw. manifestiert, denn diese Phase dauert noch an.

So wie die Biedermeiergesellschaft z.B. Märchen, Shakespeare und gar die Bibel zensierte, so fühlen sich auch heute Menschen berufen, die 200 oder auch nur 50 Jahre alte Bücher vom Anstößigen zu säubern oder Internet zu zensieren: Dass in dieser letztgenannten Disziplin Deutschland unter demokratischen Staaten führend ist, spricht für sich.


Dann ist es also nach Deinen Worten heute böse, nicht mehr Neger zu sagen?
Ich bin lediglich dagegen, in alten Büchern herum zu pfuschen, d.h. sie dem heutigen Zeitgeist anzupassen. Literatur, und dazu gehören auch Märchen, beschreibt in der Regel das Leben oder die Sicht aufs Leben einer bestimmten Zeit, und würde man sie immer wieder dem jeweiligen Zeitgeist anpassen – zum Beispiel den Negerkönig bei Pippi Langstrumpf durch Südseekönig ersetzen, wie bereits geschehen –, verlöre man das Authentische der Entstehungszeit.

Mit anderen Worten: Ich benutze das Wort Neger für Menschen dunkler Hautfarbe nicht – und finde es unverschämt, wenn andere es benutzen. Aber Vergangenheit muss so bleiben, wie sie war, denn sonst landen wir irgendwann in einer Welt wie in dem Roman „1984“ beschrieben, aus dem ich übrigens meinen Signaturspruch habe.
 
Was uns zu dem Problem bringt, dass ich noch in der Schule gelernt habe, dass es besser ist, Neger zu sagen, das ja ein anderes Wort als das auch im Norddeutschen noch benutzte Nigger sei, weil es, da aus dem Lateinischen stammend, mehr von der Hautfarbe abstrahiert und ja die Qualität des Menschen nicht von der Hautfarbe abhängt. Zum Thema gesagt, hieße das, dass die Sprache der Entstehungszeit folgen sollte, um richtig verstanden zu werden. Da hatten dann die Grimms das Problem, dass sie eigentlich eine Quellenedition und ein Buch zum Lesen hätten herausbringen müssen. Das Problem war also ein wissenschaftliches, nicht in erster Linie ein ethisches.

Jedenfalls, wenn man der Theorie von Triggern, Sprachregelungen, PC (oder wie auch immer ihre Anhänger das bezeichnen) anhängt. Für mich führt sich das viel zu oft ad absurdum, als dass so etwas in der Wissenschaft benutzt werden dürfte, da es Schlüsse a priori beinhaltet.

Natürlich ist zu berücksichtigen, dass Sprache Bedeutung vermittelt. Aber Worte ändern ihre Bedeutung. Der Mohr der Kolonialzeit wurde zum Orientalen von Kindergeschichten. Dann wurde (lange bevor man je von PC gehört hatte) viel Brimborium darum gemacht, dass das nicht korrekt sei. Das stimmt aber nur dann, wenn es sich bei der Deutschen Sprache um eine tote Sprache handelt. Und jenseits der Polemik zur Rechtschreibreform ist das doch wohl nicht der Fall. Also bedeutet die Benutzung von Worten in einem bestimmten Sinn, dass eine bestimmte Ideologie vertreten wird. Und da sind wir dann wieder in der Nähe des ersten Absatzes.

Leider ist mein Französisch nicht sehr gut. Aber unser Lehrer sagte immer, dass er die sprachliche Veränderung unter Napoleon für sehr interessant halte, weil diese Entwicklung mit der Politik in Verbindung stand. Während das damals eine gesellschaftliche Entwicklung war, gab es später (Vormärz, Weimarer Republik,, Drittes Reich, 68er usw.) Sprachregelungen je nach politischer Zugehörigkeit. Um mit der Sprache ihre Ideologie durchzusetzen leugneten Alt-68er später dann sogar diese Funktionen.

Daraus ergeben sich dann mehrere Fragen:

- Gibt es hierzu Untersuchungen zu Napoleon? (Zum neupreußischen Staat habe ich von so etwas mal gehört.)
- Gibt es hierzu Untersuchungen zur diese Nebendiskussion auslösenden deutschen Wissenschaft?
- Kennt jemand vielleicht eine Art sprachgeschichtliche Gesamtdarstellung zu diesem Problemfeld?

Natürlich gibt es mehr zu sagen und zu fragen, aber das entfernte sich von der Geschichte.

Bezüglich der Grimms ist zu berücksichtigen, dass die Sprache immer unschuldig ist, wie schon Augustinus zeigte. Schuld kann immer nur ein bewusst Handelnder tragen. Wenn nun die Grimms selbst die Darstellung mit Stiefmüttern und ohne Schwangerschaft für richtig hielten, ergäbe sich eine andere Beurteilung. Sie hätten dann einen Fehler korrigiert. Wieder schreibe ich aus Neugier: Gibt es dazu Aussagen? Passten sie sich anderen oder den eigenen Vorstellungen an? Oder haben sie ihre eigenen Vorstellungen weiterentwickelt? Oder kam ihnen die Brauchbarkeit als Vorlesebuch erst nach der ersten Veröffentlichung in den Sinn?
 
Ich finde diese "Nebenbei-Polemiken" unverständlich. Inhaltlich und atmosphärisch.

Um mit der Sprache ihre Ideologie durchzusetzen leugneten Alt-68er später dann sogar diese Funktionen.

Sorry, aber das ist schlichtweg inhaltlich nicht richtig. Ich weiss nicht, ob Herr oder Frau "Kreti oder Pleti-Alt68", sowas getan oder gesagt haben, aber das wäre auch völlig Banane. Relevant ist einzig die halbweg dokumentierte Theorielandschaft. Also, wer von den namhafteren Theoretiker der undogmatischen Linken hat das denn geleugnet und wie wurde es begründet??????

Betrachtet man dagegen die Theoriebildung ab den siebziger Jahren der undogmatischen Linken, dann wurde mit der Habil von Habermas ein wichtiger Schritt gemacht in Richtung des Verständnis der Entwicklung von Öffentlichkeit und ihrer kommunikativen Grundlage.

In den siebziger und achtziger Jahren entwickelte sich eine sehr intensive Diskussion über Sprach-Codes, parallel zum Aufschwung der Semiotik und Linguistik. Wie denn der bekannteste Vertreter dieser kritischen Linguistik wohl Chomsky ist.

In diesem Kontext sind auch auf die Arbeiten zur politischen Symbolik hinzuweisen (Pross etc.), die gerade für das Verständnis des Transports von impliziten Werten und Wertungen viel getan haben.

In den achtziger Jahren hat dann Habermas seine "Theorie des kommunikativen Handelns" vorgelegt. In der er in Anlehnung an die "Sprechakttheorie" eine umfangreiche Reflektion anstellt über verständigungsorientiertem Handeln und die Möglichkeit der Manipulation im Rahmen medialer Öffentlichkeit wie der emanzipativen Nutzung von Kommunikation aufzeigt.

Eine späte, eher liberal-konservative, Vertreterin - E. Wehling - hat die Bedeutung des "Politischen Framing" herausgearbeitet und damit vor allem die Möglichkeit unterstrichen, dass durch die Kontrolle des medialen Diskurses bestimmte politische Alternativen diskutiert werden und andere nicht auf der Agenda erscheinen.

Und genau diese Fähigkeit der Selektion von Informationen stand immer im Zentrum der Kritik der undogmatischen Linken. Und dieses zielte auf die Emanzipation aller ab, als der Vernunft gehorchendes pluralistisches Modell.
 
Tut mir leid, aber die Theorie ist da irrelevant und allein die Praxis relevant. Für die Geschichte interessiert nicht was Oberideologie Müller-Meyer-Schulze gesagt hat, sondern was praktisch vor sich ging, wie im Alltag vorgegangen wurde. Es geht ganz und gar nicht um irgendwelche theoretischen Bauten, sondern um die Praxis. Wenn Du das nicht verstehst, ist es in der Tat nicht rational zu erfassen, was -zumindest von mir- gemeint ist.

Ich diskutiere ja auch gerne über Ideologien. Aber hier ist schon die Diskussion Ideologie und Alltag nicht mehr ganz zutreffend, da es ganz beobachtend Missverständnisse einschließt. Und damit gehören zur Erscheinung "Alt-68er" hier auch und gerade die Widersprüche von Verhalten und Lehre. Wenn Du da weiter diskutieren willst, wäre ein eigener Thread sinnvoll, an dem ich mich aber wohl nicht beteiligen werde. Mir ging es letztendlich um die genannten sprachlichen Fragen. Um die Auswertung von Sprache als Quelle.

Was meinst Du mit Polemik?

Ich beziehe mich nur auf historische Erscheinungen der Benutzung von Sprache, und versuche sie von der heute totalitären Anwendung, die gewöhnlich PC genannt wird, abzusetzen, damit dies hier eben nicht aktuell und emotional wird. Darum habe ich auch die Sprachregelungen des Dritten Reichs nicht angesprochen. Damit kommen nämlich immer Emotionen hinein.

Die Frage an Dion war provokativ, damit er sicher antwortet. Langsam müsste ich gelernt haben, dass sobald hier linke Ideologien auch nur andeutungsweise kritisiert werden, hier der Teufel los ist. Das ist etwas, was ich atmosphärisch nicht verstehe. Hier geht es nicht um Tagespolitik.
 
Zuletzt bearbeitet:
OT: Es gab auch Zeiten, in denen man seine Hosentasche "Fotze" nennen konnte - das würde heute kaum jemand machen. Die Bedeutung von Worten im Alltag fängt spätestens dann an, sich zu verändern, wenn man häufig missverstanden wird, denke ich. Die eine Seite wirft der anderen Chauvinismus vor, die andere der einen PC.
Alder ey, da wird Wortwahl schnell zum Soziolekt, Digger...
 
Tut mir leid, aber die Theorie ist da irrelevant und allein die Praxis relevant. Für die Geschichte interessiert nicht was Oberideologie Müller-Meyer-Schulze gesagt hat, sondern was praktisch vor sich ging.

Und das, was da angeblich praktisch vor sich ging, das ereignete sich ohne einen theoretischen Kontext? Naja, ich lasse das mal unkommentiert im Raum stehen, zumal es einen intensiven - auch kritischen - Dialog zwischen den "Praktikern" und den "Theoretikern" gab.
 
Es ist eine alte Diskussion, inwieweit Ethik Handeln tatsächlich beeinflusst und tatsächlich beeinflussen kann. Dazu kommt das Problem eben nicht der Lehre zu folgen. Das werden wir hier nicht lösen.

Ich habe versucht, Dir eine PN mit Informationen zu schicken, die hier zu weit führten, was nicht klappt.
 
OT: Es gab auch Zeiten, in denen man seine Hosentasche "Fotze" nennen konnte - das würde heute kaum jemand machen. Die Bedeutung von Worten im Alltag fängt spätestens dann an, sich zu verändern, wenn man häufig missverstanden wird, denke ich. Die eine Seite wirft der anderen Chauvinismus vor, die andere der einen PC.
Alder ey, da wird Wortwahl schnell zum Soziolekt, Digger...

Das was man normalerweise unter einer F... versteht, stammt aus der Gaunersprache Rotwelsch. Im Bayrischen könnte man Foze mit 1. Mund, 2. (großes) Maul, 3. Grimasse, 4. Ohrfeige übersetzen. Ein Fozenhobel ist kein Lady Remington, sondern eine Mundharmonika

Aber wir sollten wirklich zurück zum Thema finden, statt den thread mit Smalltalk zu füllen, da hat Thane schon Recht.
 
@Scorpio Was haben Sprachcodes, Alt68er, usw mit dem eigentlichen Thema "Ist Napoleon..." zu tun? Ich kennzeichne Offtopic-Beiträge zumindest als solche, halte mich jetzt aber hier in diesem Thread zurück.
 
Natürlich ist zu berücksichtigen, dass Sprache Bedeutung vermittelt. Aber Worte ändern ihre Bedeutung.
Ja, in einer lebendigen Sprache ist das so. Da man Wörter immer in der Bedeutung der Zeit benutzt, in der man lebt, darf man alte Texte nicht nachträglich ändern. Die nach uns Kommenden könnten in praktisch allen Jugendbüchern unserer Zeit das Wort „geil“ finden – müssten sie es tilgen oder austauschen, wenn in ihrer Zeit das Wort wieder die Bedeutung hätte, die es mal für 200 Jahre hatte?

Die Vorstellung scheint mir absurd, aber wenn die zukünftigen Sprach- und Jugendschützer den unseren gleichen werden, was anzunehmen ist, wird es schlecht um Texte aus unserer Zeit stehen, die man dann höchstens noch in Antiquariaten oder in den Nationalbibliotheken zu Forschungszwecken finden wird.
 
Ja, in einer lebendigen Sprache ist das so. Da man Wörter immer in der Bedeutung der Zeit benutzt, in der man lebt, darf man alte Texte nicht nachträglich ändern. Die nach uns Kommenden könnten in praktisch allen Jugendbüchern unserer Zeit das Wort „geil“ finden – müssten sie es tilgen oder austauschen, wenn in ihrer Zeit das Wort wieder die Bedeutung hätte, die es mal für 200 Jahre hatte?

Die Vorstellung scheint mir absurd, aber wenn die zukünftigen Sprach- und Jugendschützer den unseren gleichen werden, was anzunehmen ist, wird es schlecht um Texte aus unserer Zeit stehen, die man dann höchstens noch in Antiquariaten oder in den Nationalbibliotheken zu Forschungszwecken finden wird.


Wenn man es aber für wünschenswert hält, dass Jugendliche Klassiker der Jugendbuchliteratur weiterhin selbstständig lesen und das nicht bloß im Schulunterricht tun und wichtiger noch, das Gelesene auch verstehen, dann ist eine behutsame Bearbeitung nicht nur legitim, sondern auch notwendig. Allen Lektoren pauschal zu unterstellen, dass sie ideologisch aufgeladene Trottel sind, wenn sie in Tom Sawjer oder Huckleberry Finn den "Injun Joe" in Indian Joe ändern und das Wort "Nigger" entfernen oder in Otfried Preußlers kleiner Hexe das Wort "durchwichsen" entfernen, dann ist das tatsächlich polemisch. Aber das hat nun auch wirklich nichts mehr mit der Ausgangsfrage und dem Thema des Threads zu tun.
 
Zurück
Oben