sozialer Aufstieg aus armen Verhältnissen

Vallangustus

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Hallo zusammen, ich bin kein Neuling, war aber länger nicht hier und habe meine alten Benutzerdaten verloren.
Ich hoffe, jemand kann mir helfen. Für eine Studienarbeit beschäftige ich mich mit der Entwicklung der Schulpflicht. Dabei komme ich an den Punkt, dass trotz der allgemeinen Schulpflicht bis zum Ende des 2. Kaiserreichs nur wenige Menschen den sozialen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen geschafft haben. Um das Argument auszuführen, bräuchte ich ein paar Gegenbeispiele. Also, wer kann mir bekannte (deutsche) Persönlichkeiten nennen, die im 19. Jahrhundert aus ärmlichen Verhältnissen den Weg nach oben geschafft haben?
Außer Karl May fällt mir selbst niemand ein, und das Internet spuckt aufgrund sehr spezieller Suchparameter wenig verwertbares aus...

Vielen Dank schon mal im voraus.
 
Danke für die gespaltenen Haare, die hänge ich mir übers Bett. ;-)

Ich denke, aus meinem Posting geht schon hervor, was gemeint ist, oder nicht?
 
Wieso muss es denn im 19.Jh. sein? Schulpflicht gab's ja auch schon zuvor, wenn halt auch nicht flächendeckend.

Ärmliche Verhältnisse sind natürlich schwer zu fassen. Mir fällt auf Anhieb ein bedeutender Beamter unter Carl Theodor von der Pfalz ein, der ein Bauernsohn war und wegen seiner Verdienste im Staat geadelt wurde und den Verdienstorden vom Pfälzischen Löwen verliehen bekam.

Im Militär sind solche Aufstiege ungleich wahrscheinlicher, bei Künstlern auch.
Bei Militärs war eine Ausnahmeerscheinung beispielsweise Jan von Werth(1591-1652). Er stammte aus bäuerlichen Verhältnissen, diente sich wirklich von unten hoch und wurde dann am Ende des Dreißigjährigen Krieges ein eigener Machtfaktor, als er sich dagegen sträubte die Politik seines Brotherrn Maximilian I. von Bayern zu tragen.

In protestantischen Gebieten kam eine Form der Schulpflicht schon im 16.Jh. in Gebrauch. Unter den größeren Staaten ist Sachsen-Gotha unter Ernst dem Frommen 1642 einer der Vorreiter.

Ich würde hier eher suchen. Die Geschichte des sozialen Aufstiegs fängt sicher nicht in der Zeit an, als sich die Schulpflicht schon so ziemlich etabliert hatte.
 
Hallo zusammen, ich bin kein Neuling, war aber länger nicht hier und habe meine alten Benutzerdaten verloren.
Ich hoffe, jemand kann mir helfen. Für eine Studienarbeit beschäftige ich mich mit der Entwicklung der Schulpflicht. Dabei komme ich an den Punkt, dass trotz der allgemeinen Schulpflicht bis zum Ende des 2. Kaiserreichs nur wenige Menschen den sozialen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen geschafft haben. Um das Argument auszuführen, bräuchte ich ein paar Gegenbeispiele. Also, wer kann mir bekannte (deutsche) Persönlichkeiten nennen, die im 19. Jahrhundert aus ärmlichen Verhältnissen den Weg nach oben geschafft haben?
Außer Karl May fällt mir selbst niemand ein, und das Internet spuckt aufgrund sehr spezieller Suchparameter wenig verwertbares aus...

Vielen Dank schon mal im voraus.

Sozialer Aufstieg war kein ausschließliches Phänomen des 18. , 19. oder 20. Jahrhunderts, und auch nicht unbedingt auf die Neue Welt beschränkt. Man braucht ja nur an die Geschichte der Fugger zu denken, die innerhalb von 1-2 Generationen von Bauern zu Bürgern und innerhalb von 3-4 bis in den Adel, sogar in den Hochadel aufstiegen.

Ich musste bei deinem Beispiel aber spontan nicht an Beispiele aus der Armee, der Kirche oder der Administration denken, sondern an Artistenfamilien. Im 18. Jahrhundert und früher gab es natürlich auch schon Schausteller, die meisten von ihnen fristeten aber eine Randexistenz und waren keine gleichberechtigten Bürger, die meisten konnten wegen ihrer fahrenden Lebensweise überhaupt kein Bürgerrecht erwerben. Im Laufe des 19. Jahrhundert gelang aber einigen der Aufstieg zu recht wohlhabenden Zirkusunternehmern, von denen es einige zu solidem Wohlstand und ansehen brachten. Ich muss dabei an Ernst Renz denken. Dieser wurde als Sohn eines Seiltänzers geboren und selbst als solcher ausgebildet, machte dann aber Karriere vor allem wegen seiner Leistungen als Pferdedresseur und Kunstreiter. Renz gründete den gleichnamigen Zirkus Renz, der relativ lange bestand. Nach Ernst Renz sind heute noch einige renommierte Zirkuspreise benannt.
Der Wermutstropfen für deine Anfrage ist allerdings, dass ich kaum mehr über Renz Biographie weiß, als das, was bei Wikipedia zu erfahren ist.

Allerdings war Renz durchaus kein Einzelfall, es könnte also für deine Recherchen lohnend sein, sich einmal die Geschichte von bekannten Zirkusunternehmern und Varietekünstlern des 19. Jahrhunderts anzusehen, es gibt sogar eine eigene Zirkuswiki, jedenfalls fand ich einmal einen längeren Artikel über den bekannten französischen Dompteur und Zirkusunternehmer Alfred Court (Le Cage de fauves). Court selbst erfüllt leider nicht die Kategorien einer "Rags to riches-Biographie. Er stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie aus Lyon, die ihr Vermögen in der Parfum- und Seifenindustrie erworben hatte. Courts Leben hatte allerdings abenteuerhafte Züge. Er riss mit 15 oder 16 von zu Hause aus und arbeitete mehrere Jahre als Hochseilartist. Dompteur wurde er eher durch einen Zufall. In Courts Zirkus arbeitete ein Dompteur, der dem Alkohol sehr zugetan war. Als dieser sich bei einer Tournee durch Mexiko so sehr betrank, dass er nicht auftreten konnte und die Zirkusleute befürchteten, dass ihnen das temperamentvolle Publikum Ärger machen würde, zog er das Kostüm des Dompteurs an und führte dessen Löwennummer vor. Der trinkfreudige Löwenbändiger ding sich nicht wieder, so dass Court ihn entlassen musste, Court selbst aber blieb Raubtiertrainer und wurde nach einer über 30jährigen Karriere beim Zirkusfestival in Monte Carlo mit einem goldenen Clown für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Ich würde mal schauen, ob sich nicht unter Zirkusdirektoren und Artisten der eine oder andere findet, der in deine Kategorie passt. Viel Glück, mehr kann ich leider spontan nicht dazu beitragen.
 
Wieso muss es denn im 19.Jh. sein? Schulpflicht gab's ja auch schon zuvor, wenn halt auch nicht flächendeckend.
Hallo Brissotin,

zum besseren Verständnis: es geht nicht um die historische Entwicklung der Schulpflicht, sondern mehr um die Frage, warum diese sich schließlich - gegen alle Widerstände - durchgesetzt hat. Und da gelange ich im Lauf meiner Betrachtung zu der Aussage, dass es trotz der allgemeinen Schulpflicht, die es natürlich schon lange gab, es nur wenigen Kindern aus niedrigen Gesellschaftsschichten gelang, einen sozialen Aufstieg zu erreichen. Und als Ausnahme von der Regel bräuchte ich einige Beispiele. Der Grund, warum ich mich auf das 19. Jh. fokussiere ist, dass eben dies erst in der Weimarer Republik einfacher wurde (wenn auch von Chancengleichheit natürlich noch keine Rede war).
 
Die Crux ist, dass ich wohl schon hundertmal in Biographien Sätze gelesen habe wie "er wurde als 12. Sohn eines Webers geboren und wuchs unter bitterarmen Verhältnissen auf...", aber jetzt, wo ich es brauchen könnte, finde ich keinen einzigen.
 
Vielleicht können dir auch die Biographien mancher Komponisten weiterhelfen: Carl Maria von Weber, Richard Wagner, Giuseppe Verdi etc.

Auch bei den Schriftstellern gibt es Beispiele außer Carl May: Alphons Petzold, Hedwig Courts-Mahler etc.

Weiters bieten sich die Biographien einiger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an: Adelheid Popp, Anna Boschek etc.
 
Vielleicht interessiert Dich auch die Geschichte eines gebrechlichen Schweizer Jungen aus dem 19. Jh., der sich die Schulbildung selber finanzierte, da er unbedingt Fabrikant werden wollte: Jacob Schmidheiny, der Begründer eines riesigen Imperiums.
 
Carl Benz und Gottlieb Daimler - oder sind diese Herkunftsmilieus nicht arm genug? ;-). Margarete Steiff (Giengen), gerade bei dem sich entwickelnden Gewerbe, der Industrie dürfte es in jeder Stadt genug Beispiele für Aufsteiger geben.
Hier gab es einen Zoologie-Prof. Friedrich Blochmann, Vater Küfermeister, aber im Arme-Leute-Viertel Klein-Karlsruhe. etc. etc.
 
Eine weitere Möglichkeit: Warum nur Promis? Warum in die Fremde schweifen?

Wenn du nicht gerade in einem kleinen Dorf wohnst, wie ist um die Situation in deiner Heimatstadt bestellt (oder in der nächsten größeren Stadt)?

Mach Dich doch in Deiner Heimatstadt schlau! Blick auf die Straßennamen, welche Straße ist nach einem dort ansässigen Fabrikanten, einem lokalen Politiker, einem Gasthaus, einer Mühle etc. die einmal dort stand, benannt? (Oder schau einmal, wer im 19. Jahrhundert zum Beispiel das Heiligenbild, die Säule oder Ähnliches gestiftet hat. Wer hat den Umbau der Pfarrkirche finanziell entsprechend gefördert? Wer war an der Gründung der ersten Schule im Ort beteiligt? ...

Ein Besuch im Heimat- oder Stadtmuseum, Suche nach Heimatbüchern ...

Ein Teil des 19. Jahrhunderts wird nicht zufällig die Gründerzeit genannt, offensichtlich bot sich im 19. Jahrhundert die Möglichkeit, vom Gewerbetreibenden zum Unternehmer und bei Erfolg auch zum Fabrikanten aufzusteigen.
 
Mach Dich doch in Deiner Heimatstadt schlau! Blick auf die Straßennamen, welche Straße ist nach einem dort ansässigen Fabrikanten, einem lokalen Politiker, einem Gasthaus, einer Mühle etc. die einmal dort stand, benannt? (Oder schau einmal, wer im 19. Jahrhundert zum Beispiel das Heiligenbild, die Säule oder Ähnliches gestiftet hat. Wer hat den Umbau der Pfarrkirche finanziell entsprechend gefördert? Wer war an der Gründung der ersten Schule im Ort beteiligt? ...

Sehr anschaulich, gute Beispiele.

gerade bei dem sich entwickelnden Gewerbe, der Industrie dürfte es in jeder Stadt genug Beispiele für Aufsteiger geben.

Da Du offenkundig studierst, wirst Du auch an Deinem Studienort genug Beispiele finden, Vallangustus.
 
Ich hoffe, jemand kann mir helfen. Für eine Studienarbeit beschäftige ich mich mit der Entwicklung der Schulpflicht. Dabei komme ich an den Punkt, dass trotz der allgemeinen Schulpflicht bis zum Ende des 2. Kaiserreichs nur wenige Menschen den sozialen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen geschafft haben. Um das Argument auszuführen, bräuchte ich ein paar Gegenbeispiele. Also, wer kann mir bekannte (deutsche) Persönlichkeiten nennen, die im 19. Jahrhundert aus ärmlichen Verhältnissen den Weg nach oben geschafft haben?

Bisher gehen viele Beiträge an der analytischen Dimension der sozialen Mobilität m.E. vorbei. Wieso man Gegenbeispiele braucht, um die geringe soziale Durchlässigkeit der aristokratisch geprägten großbürgerlichen deutschen Gesellschaft zu illustrieren, verstehe ich nicht.

Diese Beispiele sind ein Hinweis auf die sozialen Auswirkungen der Industriellen Revolution.

1. Es geht primär um das Thema der "sozialen Mobilität". In diesem Kontext wäre zunächst für eine Studienarbeit zu klären, was dieser problematische Begriff der "einfachen Verhältnisse" - als Konstrukt - analytisch bedeutet. Will sagen, es fehlt komplett ein theoretisches und empirisches Handwerkszeug.
2. Ob Einzelne den Aufstieg schaffen, oder ob es ein Phänomen ist, das bestimmte Segmente der Gesellschaft betrifft, wäre überhaupt erst einmal zu klären. Dabei zeigt sich gerade in der Übergangsphase von der ständischen Gesellschaft zur industriellen Klassengesellschaft ein Migrationspfad nach "Oben" Zu klären wäöre, wen es begünstigt hatte und wen es primär getroffen hatte (vgl. z.B. Kocka)
3. Der individuelle Aufstieg ist dabei ein Muster ohne Aussagewert, weil es immer und überall "Glücksritter" gibt, die aus welchen Gründen auch immer den Weg in die gesellschaftliche Elite schaffen.
4. Ansonsten ist zu klären, in welchem Umfang einer Ideologie in der Logik vom "Tellerwäscher zum Millionär" durch ein Narrativ des individuellen Aufstiegs befördert wird.

Ansonsten ist die Frage der gesellschaftlichen Organisation des kollektiven Aufstiegs, und Bebel wurde bereits genannt, im Rahmen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung organisiert worden. Es war der Versuch eigenständige Bildungsinstitutionen zu organisieren, die das Bildungsniveau der Arbeiter kollektiv heben sollte.

Die Frage der gesellschaftlichen Durchlässigkeit ist allerdings deutlich komplexer zu bewerten als über die Frage der "Schulbildung". In den Arbeiten von Bourdieu und anderen wird diese Zwar unter den Begriff des "kulturellen Kapitals" subsumiert und stellt eine wichtige Quelle für den sozialen Aufstieg dar.

Gleichzeitig wird an dieser Sicht auf die Gesellschaft als "Schichten", "Klassen" oder als "Sozialstruktur" auch deutlich, dass mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppierung innerhalb der deutschen Klassengesellschaft um 1900 auch Aspekte der Chancengleichheit betroffen sind. Mit dem Hineingeboren werden in die untere Klasse der deutschen Gesellschaft war eine deutlich geringere Chance verbunden, soziales Kapital, wie Bildung, zu erwerben.

Und somit war die Chance deutlich kleiner, einen sozialen Aufstieg zu erreichen. Und das war das normale kollektive Schicksal, das aus der Arbeiterschaft nur einen sehr begrenzten gesellschaftlichen Aufstieg kannte.


Kocka, Jürgen (1979): Stand-Klasse-Organisation. Strukturen sozialer Ungleichheit in Deutschland vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert im Abriß. In: Heinz-Gerhard Haupt und Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Klassen in der europaischen Sozialgeschichte. Neun Beitrage. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 137–165.
 
Mal sehen. Hier aus dem Ort sind im 19. Jh. mehr als ein Dutzend Bauernjungen Priester geworden.

Einer wurde Domherr in Hildesheim und Mitglied der hannoverschen Ständekammer. (August Seiters, ein Nachfahre seines Bruders ist der ehemalige Kanzleramtsminister.)
Ein anderer Gesandter seines Ordens beim Heiligen Stuhl.

An Unternehmern ist ein Textilunternehmer zu nennen. In einem weiteren Fall, kann ich nicht sagen, ob das noch im 19. Jahrhundert war. Im Ort selbst hielt sich Handwerk zuvor nur in Verbindung mit der Landwirtschaft, jetzt wurde das anders und zumindest für 2 Unternehmer muss man wirtschaftlichen Aufstieg konstatieren.

Der Lehrerberuf galt eher als Abstieg, aber es gab auch einen oder zwei Lehrer mit richtigem Studium.

Meines Wissens gab es dann noch zwei Berufsoffiziere.

Einer kam in den USA zu Vermögen (und einer aus einem Nachbarort gründete dort einen Möbelkonzern, der wohl im 1. Weltkrieg insolvent wurde.)

Einwohnerzahlen:

1654: ca. 400 (Bei katholischen Visitationsprotokollen wird in der Regel die Zahl der Kommunikanten angegeben, die Abschätzungen nach der Statistik ermöglichen.)
1770: 395
1818: 598
1849: 778
1871: 765
1895: 812

Also ein Dorf mittlerer Größe.

Ein anderer Effekt war aber bei der Schulpflicht wichtiger als sozialer Aufstieg. Es ging um die Verbesserung der Lebensumstände, der Lebensqualität. Darauf zielten denn auch die staatlichen Pläne ab. In Preußen steuerte man, als man das systematischer betrachtete durch Einführung von Unterricht für Erwachsene noch an der kleinsten Schule und Unterricht im Heere sogar nach. Für Landwirte war der Wehrdienst auch eine Art Ersatz für eine Berufsschule.

Aufgrund des Wehrdienstes und der streng eingezogenen Steuern waren die Preußen hier zunächst nicht sehr beliebt. Doch "die Hebung der allgemeinen Lebensverhältnisse" war nicht nur Propaganda. Wo Geld übrig war, war es schon eine bedeutende Verbesserung, wenn man sich eine Zeitung abonnierte. Zuvor war das Problem, dass viele Leute Lesen und Schreiben nach der Schulzeit wieder verlernten. Ohne genügend Lesestoff blieben die meisten funktionale Analphabeten. Nach der Mitte des Jahrhunderts ist das nicht mehr zu beobachten.

Wie schon gesagt wurde, lag das alles nicht nur an der Schulpflicht. Schon das Tridentinische Konzil hatte für die Katholische Kirche den Sonntagsunterricht vorgeschrieben. 1622 oder 1624 hatte der Papst für alle Katholiken die Schulpflicht jenseits der Sonntagsschule beschlossen und die Bischöfe angewiesen, in allen Pfarreien Schulen einzurichten. Trotz des Krieges meldete der Paderborner Bischof schon wenige Jahre später, dass in jeder Pfarrei eine Schule eingerichtet sei. (Die genauen Jahreszahlen müsste ich nachschauen.) Ein Problem war aber, dass sich nicht jeder Schulunterricht leisten konnte. 1654 ist hier im Ort erstmals ein Lehrer namentlich genannt, aber erst 1694 wurde durch ein Vermächtnis eine Stiftung eingerichtet, die den Schulunterricht für arme Kinder bezahlte. (Nach der Zählung von 1770 galten 7 Bewohner als arm ("Pauperes").) Das gab es in der Stadt Paderborn erst Jahrzehnte später. Problematischer war die allgemeine Durchsetzung der Schulpflicht, was dem Fürstbischof trotz drastischer Maßnahmen nie gelang. Man musste einen Schulabschluss oder entsprechende Fähigkeiten nachweisen, um heiraten zu dürfen. Aber wenn ein Kind unterwegs war, wurde darüber hinweggesehen und es wurden immer dieselben Texte zum Vorlesen benutzt: Vater unser, Ave Maria und Glaubensbekenntnis. Und das konnten ja nun alle auswendig. Die Preußen schickten im Zweifelsfall Militär. Hier hat ein Pfarrer sogar um Militär gebeten, weil die Kinder barfuß in die Schule und damit auch in die morgendliche Messe gingen. Der Landrat fand es allerdings übertrieben.

Anfang des Jahrhunderts ist das große Beispiel die Wiederbelebung des Obstanbaus. In der Nähe wachsender Städte konnte man damit gut verdienen, woanders war es ein Zubrot, verbesserte die Ernährung und milderte die Auswirkung von Hungersnöten. Es macht einen gewaltigen Unterschied, wenn man im Winter und Frühjahr jeden Tag ein oder zwei Lageräpfel essen kann, Pflaumenmus in der Kammer steht und in Sommer und Herbst frisches Obst verfügbar ist. So etwas wurde durch die Schule verbreitet und erlangte oft erst Wirksamkeit, wenn die Schüler die Höfe übernahmen. (Hier im Hochstift Paderborn kam die Einführung der Kartoffel durch die endgültige Machtübernahme der Preußen nach 1815 hinzu, die sich wegen der stark unterschiedlichen und zum großen Teil zufällig verteilten Bodenqualität zwischen Lippe und Hellweg bemerkenswert schnell durchsetzte. Gepredigt wurde das schon 1802-1806 und wahrscheinlich auch im Königreich Westphalen.)

Die Bedeutung der Schulpflicht liegt also nicht in dem möglichen sozialen Aufstieg. Durch die Möglichkeit Geistlicher oder Lehrer zu werden, gab es eine Möglichkeit für die Söhne, die nicht den Hof übernahmen neben dem Dasein als Arbeiter oder Knecht, da es durchaus Stipendien gab. Lehrgeld hingegen konnten sich nur die größeren Bauern leisten. Das Einkommen konnte verbessert werden und die Lebensqualität stieg.

Abgesehen davon war da natürlich noch die Bedeutung für den Staat. Im 18. Jahrhundert konnte vorgeschrieben werden, dass Unteroffiziere Lesen und Schreiben können müssen. Im 19. konnten es fast alle Soldaten. Die Verwaltung konnte jetzt auch auf unterer Ebene die Schrift benutzen. Aber der Post wird zu lang.

Um auch Konkretes zu sagen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin neu hier und habe nicht so viel Wissen zu dem Thema, allerdings könnte ich mir vorstellen, dass einige deutsche, die vielleicht ausgewandert sind auch eine Rolle spielen könnten.
Ich meine wenn man versucht Deutsche zu finden, die in der Zeit den Sozialen Aufstieg geschafft haben könnte man sich einmal den Internationalen-Raum ansehen.
 
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