Indoeuropäer und Laktasepersistenz

Dieter

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Die Jamnaja-Kultur existierte im 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. Als Ursprung der nach Süden wandernden Indoarier wird ihr östlicher Ableger, die Andronowo-Kultur, vermutet.

Ob die Träger der Andronowo-Kultur der indoiranischen Sprachgruppe angehörten, ist tatsächlich umstritten. Da aber die im 2. Jahrtsd. v. Chr. nach Nordindien einwandernden Indoarier nicht vom Himmel gefallen sind, halte ich eine Zuwanderung aus den Gegenden nordwestlich des indischen Subkontintents für wahrscheinlich. Andeee plausible Hypothesen zur Einwanderung sind mir nicht bekannt, werden aber sicher existieren.

Andererseits scheinen Andronowo-Kultur und die Einwanderung der Indoiraner chronologisch nicht kompatibel zu sein. Ferner gibt es im Hinblick aus das Bestattungswesen und andere kulturelle Ausprägungen anscheinend wenig Übereinstimmungen zwischen der Andronowo-Kultur und der der einwandernden Indoarier (vedische bzw frühe indoarische Kultur)

Dass der Jamnaja-Kultur Late PIE nach Abspaltung des anatolischen Sprachzweig zugeordnet wird, ist natürlich ein kleiner Hoffnungsschimmer für die zuletzt in die Defensive geratenen Vertreter der Anatolien-Hypothese.

Im Großen und Ganzen deckt sich das mit der schon vor Jahrzehnten von Marija Gimbutas verfochtenen Hypothese, wonach es im 5./4. Jahrtsd. v. Chr. im Raum zwischen Schwarzem und Kaspischen Meer eine halbnomadisvhe Bevölkerungsgruppe gab, die Träger der indoeuropäischen Ursprache war, auch als Proto-Indoeuropäisch (PIE) bezeichnet.

Gimbutas postulierte, dass sich von diesem proto-indoeuropäischen Kern Gruppen abspalteten, die sowohl nach Ost- und Mitteleuropa als auch nach Asien ( u.a. Indoiraner) zogen. Vielfach wurde bestritten, dass es überhaupt eine solche Verbreitung und Migration gab, was inzwischen wohl nur noch wenige vertreten.

Auch gab es einige Indogermanisten, die eine kriegerische Machtübernahme durch die eigewanderten indoeuropäischen Migranten favorisierten, die bei der unterlegenen Bevölkerung einen Sprachwechsel einleiteten. Dieser eliteorientiertem Sprachwechsel wird in der anglo-amerikanischen Terminologie als "elite recruitment" bezeichnet (Anthony 2007: 117 f.), womit der Assimilationsdruck und die Anwerbung zum Einztritt in eine anderssprachige Kriegerelite gemeint ist.

Andere Forscher vermuteten lediglich eine Kulturtrift, die zur gewaltlosen Übetnahme indoeuropäischer Dialekte führte, was meines Wissens nicht mehr aktuell ist. Allerdings scheint sich das indoeuropäische Idiom der Hethiter (früheste schriftliche Überlieferung aus dem 18. Jh. v. Chr.) nicht gewaltsam ausgebreitet haben, obwohl es "elite-recruitmen" durchaus gegeben haben mag.

Zwischen indoeuropäischen Einwanderern in Griechenland und der griechischen Urbevölkerung scheint es hingegen kriegerische Konflikte gegeben zu haben , wobei es schließlich zu einer friedlichen Verschmeltung beider Bevölkerungsteile kam.

In Nordindien - unser Thema - kam es nach Auskunft der Veden zu langen und Jahrhunderte währenden Konflikten mit der autochthonen nordindisvhen Bevölkerung und erst spät zu einer nur partiellen Assimilation. Das indische Kastensystem, das auf der Kaste (Varna = Farbe) basierte , hat das verhindert. Die ursprüngliche Bedeutung von Varna, nämlich Farbe, hat sich indirekt erhalten, indem jede der vier Hauptkasten mit einer Farbe assoziiert wird. Die Brahmanen repräsentieren die Farbe Weiß, die Kshatriyas Rot, mit den Vaishyas wird Gelb und mit den Shudras Schwarz assoziiert. Sie bilden die unterste Schicht der indischen Gesellschaft (abgesehen von den "Unberührbaren"). Die Farbe Schwarz wird identifiziert mit Tamas, das heißt Faulheit, Dunkelheit und Lethargie. Das beziehen die Veden der indoarischen Einwanderer auf die von ihnen unterworfene autochthone nordindische Bevölkerung.

Natürlich wurden die Ergebnisse der 1994 verstorbenen Gimbutas im Verlauf der letzten Jahrzehnte verfeinert und modifiziert. So z.B. durch David Anthony (The Horse, the Wheel, and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World.) oder eine 2015 veröffentlichte genetische Studie von Forschern der Harvard Medical School in Boston, die Gimbutas Theorie stützt. Die Forscher wiesen zwei Einwanderungswellen nach Europa nach.
 
Nu, soweit ich das mitbekam, hatten die Jamnaja Leute zwei Vorteile. Sie waren laktosetolerant im Gegensatz zu den damaligen Europäern und brachten den ältesten nachgewiesenen Pesterreger nach Europa. Viel Kampf war also nicht notwendig, um sich durchzusetzen.
 
Nu, soweit ich das mitbekam, hatten die Jamnaja Leute zwei Vorteile. Sie waren laktosetolerant im Gegensatz zu den damaligen Europäern und brachten den ältesten nachgewiesenen Pesterreger nach Europa. Viel Kampf war also nicht notwendig, um sich durchzusetzen.

Vor allem waren die berittenen Halbnomaden aus der südrussischen Steppe der mittel- und osteuropäischen Bauernbevölkerung hinsichtlich der Bewaffnung, Ausrüstung und vermutlich hinsichtlich eines aggressiveren Machtwillens überlegen. Sie suchten immerhin neues Land für ihre Herden, während die neolithischen Bauern möglicherweise (!) eher in der Defensive waren.

Dass die proto-indoeuropäischen Hirten dabei erfolgreuich waren, zeigt der Sprachwechsel der autochthonen Bauern zu indoeuropäischen Idiomen.

Dass die berittenen Hirten aus Südrussland einen Pesterreger mitbrachten, ist mir nicht bekannt. Wo lässt sich das nachlesen?
 
Naja, mit dem "aggressiveren Machtwillen" wäre ich mal lieber viel vorsichtiger. ;)

Johannes Krause forscht in dem Bereich. Ich glaub von dem hab ichs, wenn es nicht schon wieder veraltet ist.
Müsste mich erst auch wieder schlau machen. Der hat übrigens auch ein paar öffentliche Vorträge gemacht, sollte über Youtube zu finden sein.
 
Naja, mit dem "aggressiveren Machtwillen" wäre ich mal lieber viel vorsichtiger. ;)

Ich kann mr kaum denken, dass die Bauern ihre Weiden den neuankommenden Hirtennomaden stets freiwillig überlassen haben. Die eine Partei suchte neue Weidegrümde, die andere musste sich demzufolge wehren oder sich defensiv verhalten.

Wie das genau ablief, wissen wir nicht. Aber der Sprachwechsel spricht doch Bände. Möglicherweise hatten die berittenen Hirten und ihre Eliten ein hohes Prestige?

Alles Vermutungen.

Hier allerdings fand ich etwas zu Epidemien im Zusammenhang mit den Hirtennomaden (Google-Übersetzung):

"Bevölkerungsrückgänge bei europäischen Landwirten und Hufern vor rund 5.000 Jahren (SN: 11/2/13, S. 12), möglicherweise aufgrund von Epidemien (SN: 28.11.15, S. 7), haben möglicherweise dem ankommenden Yamnaya die Möglichkeit gegeben, sich zu betätigen solcher Einfluss. Zunächst schickten Wanderhirten Kriegsverbände von Teenagern als Vorstöße zur Besiedlung europäischer Gebiete (SN Online: 8/7/17), ein von Kristian Kristiansen von der Universität Göteborg in Schweden vorgeschlagenes Team schlug in der April-Antike vor. Der Rest der Migranten kam bald darauf, vermuten die Forscher. Yamnaya-Männer heirateten dann Frauen aus örtlichen Gruppen, möglicherweise durch Entführung. Kristiansen war Mitautor des Artikels von Willerslev."

https://www.sciencenews.org/article/how-asian-nomadic-herders-built-new-bronze-age-cultures
 
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Vor allem waren die berittenen Halbnomaden aus der südrussischen Steppe der mittel- und osteuropäischen Bauernbevölkerung hinsichtlich der Bewaffnung, Ausrüstung und vermutlich hinsichtlich eines aggressiveren Machtwillens überlegen.
Dass die Halbnomaden aus der südrussischen Steppe beritten waren, gibt es keinen Beweis.
 
Dass die Halbnomaden aus der südrussischen Steppe beritten waren, gibt es keinen Beweis.

Wenn du dir die Links der letzten Seiten durchliest kannst du sehen, dass die aktuelle Forschung ein solches Szenario vermutet.

Natürlich bleiben es Theorien und Hypothesen.
 
Sorry Peppermint, ich such jetzt nicht den ganzen Thread nach deinen Links ab, aber ich gebe dir gern diese Zusammenfassung mit: https://www.mpg.de/11344069/genetische-herkunft-der-europaeer.pdf

Dort steht: "Die genetische Untersuchung alter Skelette zeigt, dass in der frühen Bronzezeit die mutierte Variante des Laktase-Gens nur bei wenigen Individuen aus der Steppe vorlag, die frühen Ackerbauern Europas waren zu dieser Zeit noch alle laktoseintolerant. Dass die mutierte Variante des Gens heute bei der Mehrheit aller Zentraleuropäer zu finden ist, ist offenbar einer starken positiven Selektion zu verdanken, die vermutlich frühestens nach der Einwanderung aus der Steppe vor etwa 4800 Jahren begann." (Fett von mir, Heine)

Stand der Forschung ist, dass das entsprechende Gen während der beginnenden Bronzezeit in Mittel-, Nordeuropa aus der Steppe eingeführt wurde, jedoch eine weite Verbreitung in der Bevölkerung erst im Mittelalter erfolgte. Studien lassen sich finden.
 
Heißt das ("jedoch eine weite Verbreitung in der [Mittel - u. nordeuropäischen] Bevölkerung erst im MA") dann eher erst (lange?) nach der sog. Völkerwanderung?
 
Aus dieser Studie wird geschlossen, dass der heutige hohe Verbreitungsgrad der Milchzuckerverträglichkeit in Mitteleuropa bis zum Jahr 1200 AD erreicht worden ist. Zur geringen Verbreitung in der Bronzezeit äußert sich diese Studie. Eine Studie, die die Verbreitung der Laktosetoleranz vom Neolithikum bis zum Mittelalter untersucht, habe ich für ein polnisches Gebiet gefunden. Danach war die Verbreitung in der Hallstattzeit gering, in der Römerzeit deutlich höher und auf zwei mittelalterlichen Friedhöfen sogar höher als im heutigen Polen (auf anderen nicht). Um konkretere Aussagen zur Entwicklung der Verbreitung der Laktosetoleranz treffen zu können, muss die weitere Forschung abgewartet werden.
 
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Stand der Forschung ist, dass das entsprechende Gen während der beginnenden Bronzezeit in Mittel-, Nordeuropa aus der Steppe eingeführt wurde, jedoch eine weite Verbreitung in der Bevölkerung erst im Mittelalter erfolgte. Studien lassen sich finden.
Nein, die entsprechende Laktasepersistenzmutation LCT-13910*T taucht schon lange vor Jamnaja zuerst im Baskenland und danach in relativ hoher Frequenz in Skandinavien (Schweden) auf. Das dürfte ich schon alles verlinkt haben. Aber wie ich sehe kann ich mir das auch sparen.
 
Dass das Gen vor der Migration aus der Steppe nach Mitteleuropa auch schon in neolithischen Proben aus dem Baskenland und in einem neolithischen Individuum aus Schweden gefunden wurde, stellt m.E. keinen Widerspruch dar. Es wurde ja nicht behauptet, dass das Gen am Anfang der Bronzezeit erstmals nach Europa kam.
 
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Hallo Heine, danke für deine Links. Hab es zwar nur kurz überflogen, aber diese Arbeiten schwächen meine Aussage natürlich erheblich ab, obwohl die Datenlage recht dünn ist.
Die DNA Analyse wurde ja in letzter Zeit erheblich besser, einfacher und billiger, bin gespannt was sich noch ergeben wird.
 
Zwei aktuelle Publikationen möchte ich anfügen:

Zu den mindestens 5 Allelen bzw, Gen-Ausprägungen in der globalen Bedeutung, darunter 13910*T (rs4988235), Artikel im OA: World-wide distributions of lactase persistence alleles and the complex effects of recombination and selection

Die Entwicklung und das Auftreten der Allele ist nur teilweise erklärbar:
Segurel/Bon: On the Evolution of Lactase Persistence in Humans

Bei den Yamnaya, die mit der bronzezeitlichen Steppe"invasion" in Mitteleuropa in einen Zusammenhang (dessen detailliertes Verständnis unverändert umstritten ist, siehe Literatur) gebracht werden, ist derzeit die größte Verteilung des Allels 13910*T für das Auftreten der LP bekannt, nach den links oben.

Das heißt nicht, dass diese Verteilung innerhalb der Yamnaya überwiegend oder bestimmend war, vielmehr wird selbst bei diesem höchsten/größten Nachweis davon ausgegangen, dass nur ein unwesentlicher Populationsteil über 13910*T als Genausprägung und vermutlich durch Milchwirtschaft aus den Herden (die genauen Effekte sind ebenfalls umstritten) verfügte.

Ob bei prähistorischen Populationen regional bezogen auf den heutigen Baskenbereich auch LP speziell anhand 13910*T (oder anderer Allele) aufgetreten ist, oder bei Südskandinavischen Populationen seit dem Neolithikum, ist beides mE irrelevant, weil es nicht um die Evolution des Allels geht (die ungeklärt ist, und die Anlagen älter sein können). Die mitteleuropäischen Populationen zur Zeit der hier diskutierten "Völkerwanderung" verfügte mangels Nachweis nicht darüber, bei den Einwanderern ist ein nach derzeitigem Stand unwesentlicher Anteil nachgewiesen, der nur im Verhältnis zu anderen bronzezeitlichen Populationen bemerkenswert ist.
 
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