Die Sicht auf Russland ist abwegig, um die relevanten Entscheidungsstrukturen zu rekonstruieren.
1. Entscheidend ist die Einsicht aus dem Jahr 1915, dass der Krieg zu Lande nicht zu entscheiden war und Alternativen gefunden werden mußten für den "Sieg-Frieden".
Von der Prämisse des "Siegfriedens" war ich hier ausgegangen. Die Sicht auf Russland ist aber, meine ich, schon deswegen nicht abwegig, weil mit einem aktionsfähigen Russland im Rücken, auch unter Prämisse einer entsprechenden funktionierenden U-Boot-Waffe die Möglichkeit eines erfolgreichesn Abnutzungskrieges auch auf dem Papier in Frage stehen muss.
Ferner ist die Entwicklung im Osten bei gleichzeitiger Stagnation im Westen, neben dem Kriegseintritt Rumäniens für die Ablösung Falkenhayns von erhöhter Bedeutung gewesen und damit für die Verschiebung des Kräfteverhältnisesses innerhalb der deutschen militärischen Leitung, was die Präferenz eines verschärften U-Boot-Krieges betrifft.
2. Die zentrale Größe ist dabei der Blick auf die USA, die Bethmann bewog, keinen uneingeschränkten U-Boot-Krieg zuzustimmen. Unterstützt durch entsprechende Bericht des Botschafters Bernstorff. Die entsprechende "Stimmung" von Bethmann gegenüber den - unverantwortlichen - Befürwortern ist sehr gut in Riezler`s Tagebücher beschrieben.
3. Admiral von Holtzendorff hatte als Ergebnis eines uneingeschränkten U-Boot-Krieges "Sieg vor dem Herbst" (1917) prognostiziert.
Die Logik des Plans war, die westlichen Armeen im Rahmen eines "Abnutzungskrieges" zu schwächen und die Zufuhr entsprechenden Nachschubs durch die Versenkung von Schiffen zu unterbinden.
4. Im Prinzip war es das Konzept eines "Blitzkrieges" zu See, der die USA als Faktor ausblendete, da Holtzendorff davon "überzeugt" war, dass die USA entweder gar nicht oder zu spät und zu gering auf dem kontinentalen Kriegsschauplatz mit Logistik und Truppen eingreifen könnte.
Alles richtig, aber ich sehe nicht so ganz, wo das meinen Ausführungen widerspricht. Vielleicht reden wir auch aneinander vorbei oder meine Ausdrucksweise war diesbezüglich nicht hinreichend klar.
Selbstverständlich ist die Zentrale Größe bei der letztendlichen Entscheidungsfindung der Blick auf die USA das bestreite ich nirgendwo.
Ich würde, wie gesagt aber auch meinen, dass die Logik eines Abnutzungskrieges erst nach dem Aufbrechen des 2-Fronten-Krieges oder mindestens der starken Aussicht darauf tatsächlich an Plausibilität gewinnen konnte, denn so lange die deutliche nummerische und materielle Überlegenheit der Entente anhielt konnte ein "Abnutzungskrieg" nicht geeignet sein um eine Entscheidung im Sinne der Zentralmächte herbei zu führen.
Das von dir angesprochene "Blitzkriegskonzept" konnte in der Theorie nur dann funktionieren, wenn man auch in der Lage war im Westen genügend Truppen aufzufahren um in einer schnellen Aktion die, durch den U-Boot-Krieg in ihrer Versorgung angeknaxten Truppen der Entente, auch schlagen und einen "Siegfrieden" im Besonderen mit Frankreich erzwingen zu können. Diese Kräfte konnten aber nur aus dem Osten kommen, womit wir automatisch wieder beim zwischenzeitlichen Aktionsschwerpunkt Ost sind, der für die praktische Umsetzung weitgehend abgewickelt sein musste.
Daher halte ich eine Annäherung an das Thema über Russland für durchaus plausibel. Die dortigen Entwicklungen führten nicht direkt eine Entscheidung herbei, setzten aber den Rahmen für die weiteren, strategisch sinnvollen Szenarien und die wiederrum drängten, wollte man weiterhin auf einen Siegfrieden hinaus den U-Boot-Krieg geradezu auf, schon allein, weil man sich doch aus straegischer Perspektive für den immer wahrscheinlicher werdenden Fall einens russischen Kollaps Gedanken über seine weiteren Optionen machen musste. In Anbetracht der von dir angesprochenen Unmöglichkeit oder mindesens großen Unwahrscheinlichkeit einen rein als Landkrieg geführten Krieg mit einem "Siegfrieden" zu beenden.
Heißt, sobald Russland am Ende war, drängte sich eine strategische Entscheidungsfindung auf, die im Prinzip zwei Schlüsse zuließ:
1. Anstreben eines Status-quo-ante-Friedens, gegebenenfalls mit minimalen Veränderungen, was vor dem Brest-Litowsker Diktat sicherlich ein Unterfangen mit einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit gewesen wäre.
2. Radikalisierung des Krieges, was unter anderem auf den U-Boot-Krieg hinausläuft um mittels außerkonventionellen Maßnahmen das blutige Patt im Westen in eine für die Zentralmächte vorteilhafte Lage zu wandeln.
Nun mag uns aus der ex-post-Perspektive sicherlich die erste Option als sinnvoller erscheinen, die brachte aber zeitgenössisch betrachtet einige Schwierigkeiten mit sich, die sie als wenig attraktiv ercheinen lassen musste:
1. Bei der Verhandlung eines Friedens auf Basis des Vorkriegszustands an allen Fronten, hätte es keine Garantie für den Zerfall der Entente gegeben. Gehen wir davon aus, dass die "Bluff-Politik", sofern wir uns hier etwa an Clark halten wollen, der Juli-Krise, die in den Krieg führte vorwiegend den Zweck der Sprengung der Entente verfolgte, musste das für die etablierten Außenpolitiker, wie auch für Bethmann-Hollweg eine strategisch ungünstige Lösung darstellen.
2. Wollen wir etwa Münklers Ausführungen zur Problematik der Liquidierung des Krieges bereits nach den fehlgegangenen Planungen des ersten Kriegsjahres, bedingt durch die zu rechtfertigenden Verluste folgen, so muss dies wohl im Ausgang des Jahres 1916 und dem Beginn des Jahres 1917 erst recht gelten. Aus einem auf dem Vorkriegszustand basierenden Frieden hätten keine nennenswerten Gewinne resultiert, die man der aufgestachelten Bevölkerung, die die Lasten des Krieges im Wesentlichen zu tragen hatte, hätte präsentieren können. Bedenkt man die, sich durch die Geschiche des Kaiserreichs ziehende Furcht vor der Revolution, die schon vor dem Krieg erheblich gestärkte Ausgangslage der Sozialdemokratie, so wie die schon vor dem Krieg existierenden latenten Schwierigkeiten der alten Eliten ihre soziale Stellung zu behaupten und dazu noch die Problematik, dass sich durch eine Liquidierung des Krieges die zurückzuzahlenden Kriegsanleihen keinesfalls ebenso liquidiert hätten, musste dass die politische Leitung des Reiches und auch die dem Adel zugehörigen, ranghohen Militärs tendenziell abstoßen, diese mussten eine solche Option als innenpolitische Gefahr wahrnehmen.
3. Es konnte auch nicht die Wunschlösung des Militärs sein, dessen Aufgabe immerhin in der Organisation der Landesverteidigung besteht und dass mit der nicht durch Zugewinne kompensierten Mittellage, bei schwindender militärischer Leistungsfähigkeit der österreichisch-ungarischen Verbündeten nicht zufrieden sein konnte, zumal sich ja gerade erwiesen hatte, dass der große Krieg kein Hirngespinst aus dem Gruselkabinett war, sondern durchaus real werden konnte. Das aber hätte das Militär, ohne drastische Veränderung der politischen Großwetterlage von unmögliche Aufgaben gestellt.
Bedenkt man das, musste sich innerhalb der militärischen, wie zivilen Eliten des Kaiserreiches eine tendenzielle Vorliebe für die Radikalisierung des Krieges entwickeln und dadurch war diese Entscheidung, auch wenn ich persönlich kein Fan übertriebener Determinismen bin, wie ich meine, vor ihrem mainfesten Beschluss durchaus vorgefasst und dann unterhalten wir uns über lange und kurze Wege auf die Entscheidung hin.
Es ist ja nicht so, dass der verschärfte U-Boot-Krieg als Radiaklisierungsmaßnahme des Krieges zur Schwächung des Gegners als Ausgleich für die britische Blockade 1917 eine neue Idee gewesen wäre. Als neu könnte man allenfalls deren direkte Einbindung in einen groß angelegten Offensivplan-West charakterisieren, wohingegen es sich vor dem Lusitania-Zwischenfall um eine diffusere indirektere Maßnahme handelte.
Ich bleibe dennoch dabei, dass die strategische Lage-Ost für den Entscheidungsprozess eine tragende Rolle spielte, einfach weil eine schnelle Liquidierung des Krieges im Erfolgsfall, so wie überhaupt eine aussichtsreiche Schwerpunktbildung-West mit einem militärisch noch aktivem Zarenreich im Rücken ein Hirngespinst sein musste, an letzterem hatten sich ja schon Moltke und vor allem Falkenhayn die Zähne ausgebissen. Auch wenn der letztendliche Beschluss erst zu Beginn 1917 zu stande kam, war die Radikalisierung des Krieges bereits Mitte 1916 in der Absetzungs des eher auf Eingrenzung bedachten Falkenhayn und dessen Ersetzen durch die risikofreudigeren Hindenburg und Ludendorff bereits angelegt und durch das aus verschiedenen Motiven resultierende Desinteresse der politischen und militärischen Leitung an einem Verständigungsfrieden, weitgehend vorgezeichnet.
Clark: Schlafwandler (Bluffpolitik zwecks Sprengung der Entente)
Münkler: der große Krieg (Problematik der Liquidierung des Krieges Ende 1914)
Pyta: Hindenburg (Strategische Präferenzen des Gespanns Hindenburg-Ludendorff in Abgrenzung zu Falkenhayn)
Afflerbach: Auf Messer Schneide (Operationsgeschichtlicher Überblick, Darstellung der Option eine Beendigung des Krieges und die Auswirkungen von Brest-Litowsk auf dieselbe).