Kolonisation Afrikas. Warum nicht etwa China?

Necron

Mitglied
Hallo!
Ich stelle mir die Frage warum man (bzw die großen europäischen Kolonialmächte) im 19. Jhd gerade Afrika und nicht etwa China kolonisierte? Schließlich hatte man dieses im Laufe der Opiumkriege ja auch "in die Knie zwingen" können.
 
Hallo!
Ich stelle mir die Frage warum man (bzw die großen europäischen Kolonialmächte) im 19. Jhd gerade Afrika und nicht etwa China kolonisierte? Schließlich hatte man dieses im Laufe der Opiumkriege ja auch "in die Knie zwingen" können.

Die Frage wäre besser gestellt, wenn Du erst einmal versucht hättest, die Gründe für die ursprüngliche Kolonialisation und die folgenden Phasen des sich entwickelnden Imperialismus zu verstehen.

Aus diesem "Warum" ergibt sich dann auch die Antwort, warum nicht anders.

Vielleicht könnte das Buch von Kennedy, das relativ bekannt ist, "Aufstieg und der Fall der großen Mächte" eine denkbare Einstiegslektüre sein.
 
Ich hatte nicht vor, ein komplettes Buch als „Einstiegslektüre“ zu lesen. Dass die Voraussetzungen in Afrika andere waren, ist mir auch klar. Trotzdem kann ich die Gründe nicht ganz nachvollziehen
 
Ein Buch? Ich glaube schon, dass man da ganze Bücher (Plural) braucht, um das zu verstehen.

"In die Knie zwingen" trifft es auch nicht wirklich. Eine Reihe von Nationen ist in einer Reihe von Jahrhunderten in die Knie gezwungen worden, ohne kolonisiert worden zu sein. Dazu gibt es massenhaft Unterschiede in der "Kniebeuge".
 
Nur kurz ein paar Gedanken/Stichpunkte dazu:
China hatte weniger Bodenschätze als etwa Afrika oder Indien, war militärisch stärker, eher als eine „Einheit“ zu betrachten, ein sehr bevölkerungsreiches Land, das folglich schwieriger zu kontrollieren war. Außerdem lief der Handel nach den Opiumkriegen auch „so“, man musste das Hinterland (außer relevanten Stützpunkten an der Küste) nicht kolonialisieren
 
Hallo!
Ich stelle mir die Frage warum man (bzw die großen europäischen Kolonialmächte) im 19. Jhd gerade Afrika und nicht etwa China kolonisierte? Schließlich hatte man dieses im Laufe der Opiumkriege ja auch "in die Knie zwingen" können.
Neben den bisher vorgebrachten Einwänden, möchte ich präzisierend hinzusetzen:

Die Briten schafften es zwar China in den Opiumkriegen gründlich zu demütigen, allerdings handelte es sich dabei um Auseinandersetzungen, die vorweigend auf See und in den direkten Chinesischen Küstenregionen punktuell ausgetragen wurden.
Von der Fähigkeit dabei China zu Lande militärisch klar zu besiegen und weitere Gebiete des Landesinneren zu kontrollieren, war man von britischer Seite jedoch weit entgernt. Dies gelang ansatzweise, und wirklich nur ansatzweise, nach der internationalen Intervention in Folge des Boxeraufstands, nach der für die beteiligten Mächte keine direkten Landkolonien, aber doch zumindest Stützpunkte und feste Einflusszonen im Hinterland abfielen.

(Britannien, vor allem Shanghai, und das Gebiet um den Yangtsee, als informelle Einflusszohne)
(Frankreich Kwang-Tschou-Wang und im besonderen die Priovinzen Guangxi und Guangdong nebst Hainan als Einglusszone)
(Deutschland Qingdao und eine informelle Einflusszone in der gesammten Provinz Shangdong).

Dazu die Öffnung diverser "Vertragshäfen/Treaty-Ports" und einigen kleinere Stützpunkte.

Das passiert durch die Massierung der überseeischen Kräfte der europäischen Großmächte in den 1890er Jahren. Also zu einem Zeitpunkt als der teschnische Vorsprung der Europäer noch einmal ein ganz anderer war, als in der ersten hälfte des 19. Jahrhunderts, in der man auch in Europa noch mit Vorderladern hantierete und Begriffe wie "Machinengewehre" und "Brisanzmunition" nebst moderner Kommunikationssysteme Fremdworte waren.



Die einzigen Länder, die es nach dem Mongolen und den Mandschu (wenn man die als separat betrachten will), den Chinesen größere Landgebiete abzutrotzen waren Russland (Amur-Gebiet und Küstenregion), so wie Japan (de facto die Mandschurei und Formosa/Taiwan)
Beide Mächte hatten den Vorteil wesentlich kürzerer Versorgungswege nach China.
Die übrigen europäischen Mächte und die Briten ohne starkes Landheer im Besonderen , mussten sich auf ihre Flotten und die entsprechend langen Versorgungswege stützen. Dadurch waren sie de facto überhaupt nicht in der Lage genügend Truppen in China zu unterhalten um damit größere Eroberungszüge dort zu betreiben. Das ging alleinfalls an der Peripherie des chinesischen Einflussgebietes (franz. Expansionen in Indochina in den 1880er Jahren), wo auch den Chinesen die Basis fehlte.

Von dem her war China unrealistisch, bzw. es war in jedem Fall wesentlich leichter in Afrika Herrschaften zu errichten und an Ressourcen zu kommen.

Zumal da nicht nur die Problematik der Eroberung, sondern auch die der Herrschaft ist, und da machten die in weiten Teilen wesentlich stärker organisierten Gesellschaften Asiens, ganz andere Herrschaftstechniken notwendig, als in Afrika, wohin man ohne weiteres seine eigenen Aparate verpflanzen konnte (oder jedenfalls bildete man sich das ein).
 
Nur kurz ein paar Gedanken/Stichpunkte dazu:
China hatte weniger Bodenschätze als etwa Afrika oder Indien, war militärisch stärker, eher als eine „Einheit“ zu betrachten, ein sehr bevölkerungsreiches Land, das folglich schwieriger zu kontrollieren war. Außerdem lief der Handel nach den Opiumkriegen auch „so“, man musste das Hinterland (außer relevanten Stützpunkten an der Küste) nicht kolonialisieren

Hierzu eine Anmerkung:

1.
Über den Bestand von Bodenschätzen in Afrika gab es vor der Kolonialisierung und Erschließung dieser Gebiete eigentlich keine realistischen Vorstellungen. Das Landesinnere des afrikanischen Kontinents, ist in weiten Teilen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr oder minder Terra Incognita.
Mit den größeren Afrika-Expeditionen, eines Stanley, eines Brazza oder eines Livingstone, wurden dann ab den 1860er Jahren allmählich die geographischen Gegebenheiten bekannt, von einer großangelegten wirtschaftlichen Exploration konnte hier aber noch keine Rede sein.
Hätte man zu diesem zeitpunkt genaue Vorstellungen gehabt, hätten die Europäer vermutlich von einem Großteil der Gebiete, die man da kolonisierte, zunächst mal die Finger gelassen, die verursachten in Teilen nämlich laufende Defizite.

2.
Indien war für die Europäer nie wegen seiner Bodenschätze interessant. Indien war zum einen ein logischer Stützpunkt auf dem Weg nach China und Japan. Das Problem mit China und Japan war handelstechnisch vor allen Dingen, dass sie an den europäischen Handelsgütern bis weit in das 19. jahrhundert hinein herzlich wenig Interesse hatten. Somit konnten Tee, Seide und Porzellan lange zeit fast ausschließlich im Austausch gegen Edelmetalle aufgekauft werden. Mit anderen Worten Europa hatte bis in das 19. Jahrhundert hinein ein notorisches Handelsdefizit mit China, welches sich vor allem durch den zufluss der Edelmetalle aus Lateinamerika nach Europa ausgleichen ließ. Indien war in der frühen Neuzeit, wegen des Gewürzhandels in Europa begehrt, später im Besondern durch die Möglichkeit zur Produktion von Opium und der Kultivierung von Baumwolle, die sich in China als Handelsgüter einigermaßen absetzen ließen und auf diesem Weg das Handelsdefizit einigermaßen ausglichen, gerade im Bezug auf das Opium den Abfluss von Edelmetall zwischen China und Europa umkehrten.
Aus diesem Grund war die Möglichkeit mit Opium in China möglichst unumschränkt handeln zu können, für die briten von größtem Interesse und darin liegt auch der britisch-chinesische Interessengegensatz begründet, der die Opiumkriege maßgeblich herbei führte.
Die zunehmende Abhängigkeit und vergiftung der Chinesischen Bevölkerung war das eine, der zunehmende Abfluss von Edelmetall aus China, der zur Destabilisierung von Währungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten in China führte kam da oben drauf.
Indien war zunächst einmal nicht interessant wegen Bodenschätzen, sondern weil es für die briten den Schlüssel des China-Handels darstellte.

3.
In China interessierte sich auch kaum niemand für Bodenschätze. Die Ausbeutungsmengen waren auf Grund fehlender Industrialisierung im modernen Sinne relativ gering und die Seewege so weit, auch nach dem Bau des Suez-Kanals, dass sich das mindestens im Bezug auf gewöhnliche Erze oder Kohlevorkommen kaum rechnete.

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Betreffs der Einheit Chinas:

Das müsste man etwas differenzierter sehen. China war zwar formal ein einheitliches imperium mit einem Kaiser, der es theoretisch kontrollierte, die faktische Kontrolle, die Peking über die einzelnen Provinzen aber wirklich inne hatte, konnte sehr verschieden sein.
Zumal, wenn man bedenkt, dass es sich bei der regiernden Qing-Dynastie ursprünglich um Usurpatoren aus der Mandschurei handelte, woraus sich gerade vor dem Hintergund des Niedergangs Chinas in Verbindung mit der sich negativ entwickelnden Handelsbilanz mit Europa, dem Abfluss von Edelmetall und dem zunehmenden opium-Problem auch ein gewisses Legitimationsproblem ergab, was nicht zuletzt zum Ende des Kaiserreichs und der Ausrufung der 1. Republik unter Yuan Shikai und Sun Yat-Sen, einen ganz erheblichen Teil mit Beitrug.
der anschließende Zerfall Chinas und das Aufkommen der diversen Warlords nebst Übergang in den Bürgerkriegszustand ab 1927 mag eine Ahnung von der seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmenden Erosion der chinesischen Zentralgewalt, vermitteln.

Ein größeres Problem im hinblick auf militärische Aktionen im Landesinneren, waren einfach die Schiere Masse und die eingeschränkten logistischen Möglichkeiten in Übersee.

Um eine Zahl da hinein zu werfen:

Als die Franzosen 1854 im Krimkrieg aktiv wurden, taten sie das mit etwa 30.000 Soldaten. Nachdem man sich in der Krim festgesetzt hatte, kam man mit Briten und Piemontesen zusammen anno 1855 auf etwa 150.000 Mann mehr werden es in der Krim nicht. Wären schlicht und einfach nicht zu versorgen gewesen.
und das unter der Prämisse, dass die größtenteils noch mit Vorderladern kämpften und die Rolle der Artillerie noch überschaubar war, im Vergleich zu der, die sie nach dem amerikanischen Bürgerkrieg einnimmt, mit anderen Worten der Nachschubverbrauch war verhältnismäßig gering und die verbindung zum europäischen Kernland, dass den Nachschub zu stellen hatte vergleichsweise gering.

Auch wenn sich die Transportkapazitäten noch erweiterten, die möglichkeit in dieser Entfernung mit Truppen zu aggieren ohne eigene territoriale Ausgangsbasis im Gebiet beschränkte sich (wie auch bei der internationalen koalition zur Niederschlagung der Boxer gesehen) auf ein paar Tausend bis Zehntausend Mann. Mehr war mit den damaligen Möglichkeiten nicht drinn und viel mehr wäre auf die Entfernung auch heute nicht drinn.
Flächendeckende Eroberungen großer Territorien, sind mit solchen Möglichkeiten schlicht nicht machbar. von daher stellte sich die Frage China lange Zeit einfach überhaupt nicht.

Japan und Russland sind hier Sonderfälle, wegen der Aufmarschmöglichkeiten an der Chinesischen Peripherie. Für Japan trifft das aber frühestens ab der späten Meiji-Ära in relevanter weise zu und für Russland erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach der Fertigstellung mindestens von Teilstücken der Transsibirischen Eisenbahn, die einen größeren Aufmarsch ermöglichten.


Einzelne Literaturhinweise zu diesen zusammehängen, werde ich dir gerne einstellen, wenn du schreibst, welche Aspekte dieses zusammenhangs dich näher interessieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Indien war zunächst einmal nicht interessant wegen Bodenschätzen, sondern weil es für die briten den Schlüssel des China-Handels darstellte.

Indien war Wirtschaftsmarkt sui generis. Wenn eine Kolonisation durch die Absatzmärkte (und den billigen Beschaffungsmarkt für die Weiterverarbeitung) getrieben wurde, dann die Indiens.
Der "Schlüssel" zu China ergab sich erst später.

Zu den späteren Handelsbilanzdefiziten im Kreiselverkehr gibt es scharfe wirtschaftshistorische Kontroversen, die hier im Forum an anderer Stelle angerissen sind.
 
Indien war Wirtschaftsmarkt sui generis. Wenn eine Kolonisation durch die Absatzmärkte (und den billigen Beschaffungsmarkt für die Weiterverarbeitung) getrieben wurde, dann die Indiens.
Der "Schlüssel" zu China ergab sich erst später.

Natürlich war es das zunächstmal, bestreite ich gar nicht, aber nicht, wie sich @Necron das vorstellte im Hinblick auf Bodenschätze, wenn wir vom üblichen Umschlag von Edelmetallen und -Steinen einmal absehen, der hier aber nicht die Hauptatraktion bildete.
Das sich die enge Verpflechtung zwischen Indien und China ver allem in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts intensivierte, ist mir dabei völlig klar, allerdings vor dem 19. Jahrhunder lag die Kolonisation ja für gewöhnlich auch nicht direkt in staatlicher Hand, sondern weitgehend noch in derjenigen der priviligierten, semistaatlichen Monopolfirmen.
Von dem her, bezog ich mich im Hinblick auf Indien als britisches Kolonialprojekt auf die Periode der Niedergangsphase der E.I.C., die anschließende Umwandlung zur Kronkolonie 1858 und auf das, was folgte, nicht so sehr schwerpunnktmäßig auf das 18. Jahrhundert.

Wenn man die Frage stellt, warum Afrika und nicht China, bewegt sich der Diskurs ja mehr oder minder zwangsläufig in einer Zeitspanne von etwa 1830 bis 1890 oder 1935, wenn man die verspäteten Aktivitäten der Italiener mit einbeziehen möchte.

Zu den späteren Handelsbilanzdefiziten im Kreiselverkehr gibt es scharfe wirtschaftshistorische Kontroversen, die hier im Forum an anderer Stelle angerissen sind.
Die Darstellung war natürlich etwas aus dem Diskurs heraus gerissen und mehr darauf ausgerichtet den Zusammenhang für sich genommen einigermaßen plastisch zu schildern. Von dem her, nehme ich hier auch sicherlich keine Korrektheit der Ausführungen in Anspruch, sondern es bildet einfach einen Rekurs auf diejenigen Thesen im Rahmen der Debatte, die den Zusammenhang verständlich machen, zumal sie, wenn ich das richtig auf dem Schirm habe zwar umstritten, aber nicht aus der Welt sind.

Von daher danke ich recht herzlich für den Hinweis, weil ich über die entsprechende Debatte hier noch nicht gestolpert bin, dafür bin ich wahrscheinlich noch nicht lange genug dabei.

Ich wollte hier andererseits aber auch keine zu großen Textwände produzieren, weil es mir gerade zunächst mal darum ging auf welchen Teilaspekt das hier hinauslaufen soll, wenn es um Literatur zur Unterfütterung geht.
 
Wie könnte man denn in 5-6 Stichpunkten zusammenfassen warum China nicht auf ähnliche Weise wie Afrika „flächendeckend“ kolonisiert worden ist? Wäre um eine finale Antwort dankbar.
 
Wie könnte man denn in 5-6 Stichpunkten zusammenfassen warum China nicht auf ähnliche Weise wie Afrika „flächendeckend“ kolonisiert worden ist? Wäre um eine finale Antwort dankbar.

Das kann man in einem einzigen zusammenfassen:

- Weil militärisch und logistisch zu jeder Zeit derartig unrealistisch, dass ein solcher Versuch (mindestens innerhalb des 19. Jahrunderts, im 20. versuchten es die Japaner ja und verhoben sich gründlich daran) keinem einigermaßen rational tickenden Menschen überhaupt in den Sinn hätte kommen können.
China umfasste bereits damals mehr oder minder das gleiche Gebiet wie heute, seine Bevölkerung ging schon damals in den dreistelligen Millionenbereich.
Die logistischen Kapazitäten der potentiellen Kolonialmächte ausnehmlich Russlands (Japan spielte noch keine Rolle) über diese Entfernungen hinweg überstiegen das gesamte 19. Jahrhunder lang nicht die Kapazität des Einsatzes von mehr als ein paar 10.000 Mann mit anständiger Ausrüstung.
Die bloße Vorstellung mit 10.000-30.000 Mann ließe sich eine Bevölkerung von mehreren 100 Millionen Menschen niederkämpfen oder ein Territorium von ein paar 100.000.000 Km² (inklusive Dschungel, Wüsten und Hochgebirge) besetzen und effektiv kontrollieren, ist schlicht aberwitzig.

Das konnte in Afrika funktionieren, weil die Bevölkerungsdichte wesentlich geringer, die Bevölkerungen weniger organisiert und im vergleich mit Ostasien technisch in weiten Teilen auf einem recht primitiven Level unterwegs waren und darüber hinaus die Versorgungswege zurück nach Europa vergleichsweise kurz waren, sich in Teilen auch die Möglichkeit bot, auf das Modell von Siedlungskolonien (Algerien, Tunesien, Libyen, Südafrika, Namibia) und sich somit vor Ort den Kern einer loyalen Machtbasis zu schaffen.

Das ermöglichte eine periphere Kontrolle strategisch wichtiger Punkte und Korridore, womit sich eine strategisch einigermaßen stabile Position errichten ließ, besonders dann, wenn es gelang verschiedene einheimische Gruppen gegeneinander auszuspielen.
Selbst das war (man denke an die notorischen Probleme der Briten mit Ägypten nach dem 1. und Frankreichs mit Algerien und Marokko nach beiden Weltkriegen), keine Lösung für die Ewigkeit, sondern nur so lange, bis durch die technischen Neuerungen und das im Laufe der Zeit veränderte/erwachende politische, soziale und nationale Bewustsein der Unterworfenen weit größer angelegte und organsiertere Widerstandsbewegungen ermöglicht wurden. Und das ist spätestens ab den späten 1910er Jahren der Fall.

Diese Möglichkeiten bestanden in Ostasien nicht annähernd.


Im Hinblick auf die logistische Leistungsfähigkeit Europas hinsichtlich des Einsatzes militärischer Kräfte, möchte ich dich da abschließend beispielhaft noch auf den Französisch-Chinesischen Krieg 1884-1885 hinweisen:

Chinesisch-Französischer Krieg – Wikipedia

Man konnte französischerseits in dieser Zeit 15.000-20.000 Mann in diesen Gegenden unterhalten und versorgen. Und das obwohl sich Frankreich zu diesem Zeitpunkt bereits in Cochinchina, Cambodia und Annam festgesetzt hatte und demnach über eine respektable territoriale Basis in der unmittelbaren Umgebung verfügte:

Französisch-Indochina – Wikipedia

Die Briten mögen matitim und logistisch grundsätzlich etwas leistungsfähiger gewesen sein, verfügten aber zum einen über ein deutlich kleineres, stehendes Heer (sonst wäre die Flotte nicht zu finanzieren gewesen) und waren schon stark dadurch eingebunden ihre Stellung in Indien zu behaupten die zum Teil bereits 1857 mit dem Sepoy-Aufstand recht prekär wird:

Indischer Aufstand von 1857 – Wikipedia

Die Kapazitäten der Russen im Chinesichen Raum, sind vor Vollendung mindestens von Teilstücken der Transsibirischen Eisenbahn ähnlich einzuschätzen.
Es gelang den Russen zwar 1859-1860 den Chinesen das Amur- und das Küstengebiet abzutrotzen, aber da wird man hinzusetzen müssen, dass das ohnehin abgelegene, kaum bewohnte Peripherie war, über die die chineische Zentrale kaum eine effektive Kontrolle hatte und die dementsprechend auch leicht aus dem chineischen Reichsverband zu entfernen war, besonders als die Krise des Chinesischen Systems durch die "ungleichen Verträge" manifest wurde und die inneren Unruhen und Zustände der chinesischen Regierung andere Prioritäten abrangen, als den Erhalt relativ unbedeutender Teile der Peripherie.

Japan kämpfte zu diesem zeitpunkt eher noch darum nicht selber in der kolonialen Zwickmühle zu landen, auf die es nach der erzwungenen Öffnung und dem Vertrag von Kanagawa zuschlitterte:

Vertrag von Kanagawa – Wikipedia

Als wirklich ernstzunehmende Großmacht spielt Japan erst ab frühestens den 1890er Jahren eine Rolle.


Deutschland, hat zu dem Zeitpunkt noch weniger maritime Kapazitäten als Frankreich und im Gegensatz zu diesem (Pondicherry, Cochinchina) auch noch nicht mal Stützpunkte auf dem Weg nach Ostasien (vor der Kolonisierung Afrikas, danach konnte man immerhin, wenn man den umweg inkauf zu nehmen bereit war Ostafrika anlaufen), geschweige denn einen direkten zugang zum Mittelmeer.
Die logistische Situation war also noch präkerer als die der Franzosen.

Die USA haben in diesem Sinne kolonialpolitisch ja noch nie eine Rolle gespielt, zumal die zum einen noch vollständig mit der inneren Kolonisation und dem Landesausbau im mittleren Westen und den Folgen des Bürgerkrieges beschäftigt waren, so wie damit die Europäer aus der westlichen Hemisphäre heraus zu halten. Als Kolonialmacht im größeren Stil, wenn man so will, treten sie erst nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 auf, da ist Afrika schon längst verteilt (es sei denn man wollte jetzt den Erwerb von Alaska noch zu dezidierter
Kolonialpolitik erklären).
 
Die Bevölkerung Indiens umfasste allerdings ebenfalls 1800/50 über 250 Millionen Menschen.
Die britische Kolonialadministration umfasste wenig mehr als 100.000, Militär, Verwaltung, Wirtschaft etc.

Die Kolonialherrschaft in Indien wies eben spezielle indische Strukturen auf (natürlich das Kastenwesen, bestehende lokale und konkurrierende Herrschaftsstrukturen etc.) und nutzte diese, um mit relativ wenigen Menschen die riesige Region (Vasallenstaaten, Protektoratssysteme) zu beherrschen.

Hier ein Beispiel:
Mysore (Staat) – Wikipedia
Man ist erstaunt, wenn man selbst in großen Städten heute noch bauliche Reste von ein paar Dutzend Briten findet, die vor Ort die Strippen zogen, die nächsten britischen Regimenter hunderte Kilometer entfernt.
 
Naja, bei der Kolonisation Indiens spielten ja noch einige andere nicht oder kaum auf China anwendbare Tatsachen eine Rolle.
Sowohl im Hinblick darauf, dass es nie eine institutionalisierte zentrale Herrschaftsinstanz wie das Chinesiche Kaisertum in Indien gab, als auch im Hinblick auf die Kriese und den sukzessiven Zusammenbruch des Mogulreiches im 18. Jahrhundert.

Als die Briten, respektive die EIC mit dem größeren kolonialen Engagement in Indien begannen, befand sich der Subkontinent gerade in einer Phse des machtpolitischen Umbruchs, insofern waren unter den lokalen Eliten und abtrünnigen Regionen machtpolitische Bündnispartner relativ leicht zu finden und mit zentral organisiertem Widerstand nicht zu rechnen.

Zusätzlich zum Kastensystem und den Partikularinteressen der lokalen Rajas kommt ja in diesem Zusammenhang noch der einigermaßen scharfe religiöse Gegensatz zwischen Muslimen, Hindus und im weiteren Sinne Sikhs, die eine zusätzliche Bruchlinie bildeten, auf der herrschaftstechnisch angesetzt werden konnte.

Insofern kontrollierten die Briten in Indien ja im Grunde nicht einen annähernd homogenen großen Raum, sondern einen ziemlich heterogenen Teppich kleiner Räume, zum Teil auch nicht direkt, sondern im Einvernehmen, mit lokalen Machthabern, die aus diesen Verhältnissen Vorteile hatten.

Da war China schon weit zentraler organisiert, jedenfalls vor dem Zerfall der 1. Republik.
 
Danke für die Ergänzungen. Alles d'accord.

Mir ging es letztlich - wie in Deinem Resümee - nur darum, den einfachen Vergleich der Kolonialoptionen China/Indien auszuschließen.
 
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