Ein interessanter Beitrag, der die politische und auch historische Sichtweise von Teilen der neuen Rechten sehr gut beschreibt. Lesenswert, weil er den Stil der Argumentation in vielen Diskursen verständlich macht. Und auch erklärt, warum ein "rationales Argument" nicht überall die gleiche Verbindlichkeit hat.
http://www.zeit.de/kultur/2017-11/r...extremismus-debatte-reden-anselm-neft/seite-2
Postfaktische Politik wird in allen Lagern betrieben, und dies nicht erst seit der "neuen Rechten". Ich halte es für wenig zweckdienlich, dieses Phänomen auf die Rechte verengend zu betrachten, oder auch nur als Neuerung zu begreifen. Neu ist nur, dass der Siegeszug der Emotionen über die Fakten die gesellschaftliche Mitte erreicht.
Überhaupt zeigt sich, wie auch in dem ferner zitierten Beitrag Herrn Güllners, die zunehmende Untauglichkeit bisheriger Deutungsansätze. Wenn z.B. Positionen der AfD in Teilen der Linken Beifall finden (siehe Frau Wagenknecht), wirft dies Fragen auf, deren Antworten im Einzelnen miteinander unvereinbar sind.
Sie zeigt sich auch in der Koalition zwischen Fünf Sterne und Lega in Italien. Sie zeigt sich in der Unterstützung, die der Brexit im linken Flügel der Labour Party erfährt, sie zeigt sich in der Anzahl der Counties, die 2012 für Herrn Obama votierten, 2016 aber für Herrn Trump.
Gerade im Wechselwählerverhalten, das sämtlichen konventionellen Denkmustern spottet, zeigt sie sich mit voller Wucht.
Letzthin kommentierte SPD-Urgestein Christian Ude, seine Partei könne ihren Verlusten immerhin dies abgewinnen, dass sie Wähler verloren habe, die sie ohnehin nie hätte haben wollen (gemeint waren Wähler der AfD).
Herr Ude, regelmäßig mit Zweidrittelmehrheiten im Bürgermeisteramt bestätigt, offenbarte damit, einem Trugschluss unterlegen zu sein, dem m.E.n. viele politische Menschen unterliegen, besonders solche, die einer Ideologie zuneigen: Sie überschätzen die Bedeutung der Politik und der Ideologie für den öffentlichen Diskurs und die öffentlichen Entscheidungsprozesse.
Die o.g. Widersprüche bestehen, so behaupte ich, schon lange. Die gegenwärtige politische Krise der liberalen westlichen Demokratien rührt nicht zuletzt daher, dass die Widersprüche die Grenzen dessen gesprengt haben, was der Politikbetrieb, der nun einmal von politischen Menschen und Ideologen dominiert wird, ertragen kann, ohne in seiner Arbeitsfähigkeit behindert zu werden.
Es mag politisch nützlich sein, der AfD das Prädikat der "bürgerlichen Partei" abzusprechen; erhellend ist es nicht. Vielmehr ist ihr Beharren erhellend, das zweifelsohne einer Überzeugung entspringt. Die Gemeinsamkeit nämlich, die all die vorgenannten politischen Gegner aufweisen, die am Ende irgendwie doch zusammenfinden, ist ihr Politikstil: der Populismus.
Der Populismus stellt jedoch keine Ideologie im engeren Sinne dar, sondern eine Haltung dazu,
wie die drängenden Fragen der Zeit zu beantworten seien, nicht
womit. Dies erlaubt Populisten Kompromisse, die lupenreinen Ideologen unmöglich wären.
Ihm entgegengesetzt ist, was man meist den Mainstream nennt, das Establishment, oder welchen Begriff auch immer man dafür verwenden will.
Obwohl ebenfalls ein politisch aufgeladener Begriff, würde ich den Antagonisten des Populisten aber als Elitisten bezeichnen. Denn erstens zielt er auf den Erhalt der bestehenden Ordnung ab, zweitens (und dies ist das Entscheidende) wird er vom Populisten der Vereinnahmung der Auslegungshoheit darüber beschuldigt, was für das Land gut sei, d.h. weg von der Masse und hin zu den Partikularinteressen der bestehenden Ordnung.
Infolgedessen versteht sich der Siegeszug des Populismus leicht (der wohl noch lange andauern wird), denn taktisch nimmt er die weitaus günstigere Ausgangsstellung ein. Der Elitismus hat dies zuerst nicht erkannt (und erkennt es vielleicht immer noch nicht), ist aber wohl aufgrund der Verhärtung der Fronten gar nicht länger frei in der Wahl seiner Mittel, um den Vorteil zunichtezumachen.
Der Schauspieler und Aktivist Stephen Fry hat dieses Problem einmal sehr pointiert zum Ausdruck gebracht, indem er (Gedächtniszitat, der genaue Wortlaut ist mir entfallen) Regierungen und Medien mit einem lange erfolgreichen Athleten verglich, der, als seine Leistungen nachlassen, seinen gefährlichsten Rivalen des Dopings beschuldigt. In den Augen des Publikums, so Fry weiter, komme es gar nicht darauf an, ob die Anschuldigungen wahr seien. Wichtig sei nur, in welchem (v.a.) zeitlichen Kontext sie gefallen seien.
Ich denke, und man erlaube mir hier einen politischen Einwurf, dass der vielfach gescholtene Sebastian Kurz Frys These nicht nur bestätigt, sondern auch das Handbuch schlechthin verfasst hat, wie der Populismus bekämpft werden kann. Leider hat keiner seiner Kollegen zugehört.
Kurz erkannte, dass der Populismus seine Kraft aus der Bekämpfung durch die Eliten bezieht, und erhob ihn kurzerhand selber in den Kreis der Eliten. Mit dem Resultat, dass die FPÖ entzaubert und nunmehr ein Schatten ihrer Selbst ist.
Im Übrigen sei auch daran erinnert, dass das Phänomen der postfaktischen Politik durch ein tiefgreifenderes gesellschaftliches Problem befeuert, vielleicht sogar hervorgerufen wird, nämlich dem Mangel eines normativen Konsenses insgesamt. Ich spreche hier nicht von einem sittlichen Verfall, sondern von einem Verlust grundlegenderer Übereinkünfte, die den gesellschaftlichen Diskurs ermöglichen.
Man mag von Jordan Peterson halten, was immer man da will, aber er hat viele dieser Widersprüche in seinen Büchern und Vorlesungen in einer nicht von der Hand zu weisenden Deutlichkeit herausgearbeitet.
Wie kann es z.B. sein, dass (so sein Beispiel) in Kanada über ein Drittel der Menschen, die in einer Umfrage die Leugnung des Klimawandels verurteilten, auch antworteten, dass die Sterne Macht über ihr Schicksal hätten – wo doch der Klimawandel ebenso sehr wissenschaftlich
belegt ist wie die Astrologie
widerlegt?
Das Problem ist, dass die Reduktion dieser Phänomene auf ideologische Gesichtspunkte die Ursachen unangetastet lässt.
Ja, sie wird sogar selbst zur Ursache, indem sie das Rad des Teufelskreises antreibend die Diskussion in ideologische Bahnen lenkt, wo sie im Niemandsland zwischen unvereinbaren Positionen versandet und ebendie Verbitterung erzeugen muss, deren reichliches Vorhandensein künftigen Diskurs immer nur noch mehr erschwert. Auch zwingt sie die Teilnehmer am Diskurs, also die Bürger, sich für eine Seite zu entscheiden, da sie keinen Platz lässt für vermittelnde Positionen.
Kurz gesagt, wir werden in Deutschland und im Westen allgemein wahrscheinlich solange unter den verderblichen Einflüssen radikaler Einflüsterungen leiden, wie wir uns nicht dazu aufraffen, den Radikalismus nicht länger mit Prädikaten zu versehen, die eher der Selbstversicherung im Sinne einer Lagerbildung dienen als der Gefahrenabwehr oder gar den Opfern, denen es herzlich egal ist, warum sie jemand bedroht.
Überhaupt weiß die Verhaltenspsychologie seit über fünfzig Jahren, dass die politische Einstellung eines Menschen, und in letzter Konsequenz seine Bereitschaft zur Radikalisierung, durch seine Charaktereigenschaften ganz entscheidend geprägt wird (es folgen das familiäre beziehungsweise soziale Umfeld, und, weit abgeschlagen, Alter und Besitzstand). Mit anderen Worten, es ist ein Kampf gegen Windmühlen.