Zur Bedeutung rechtsradikaler Einstellungen in der deutschen Gesellschaft

Ein neues Buch von Volker Weiss "Die autoritäre Revolte" beschäftigt sich mit den intellektuellen Wurzeln extremer nationalistischer Ideologien in Deutschland.

Ein interessantes Buch, weil es die Tiefenstruktur dieser Ideologie beleuchtet, die deutlich über das Sujet "Pöbelnde Nazis" hinausgeht. Und eher in die Richtung des "Instituts für Staatspolitik" weist.

Und im Rahmen seines Buches auch die historische Dimension, die Kontinuitäten und die Brüche einer sich als "revolutionär" definierenden rechtsextremen Ideologie ausleuchtet.

Vertreter dieser Sichtweise haben auch hin und wieder im GF "Gastspiele" gegeben und ihre Vorstellungen präsentiert.

„Wünschen wir uns die Krise!“ | Literatur - Frankfurter Rundschau

Die historischen Wurzeln dieser Sichtweise hat Weiss bereits vor Jahren in seiner Studien "Moderne Antimoderne" näher betrachtet.

SEHEPUNKTE - Rezension von: Moderne Antimoderne - Ausgabe 13 (2013), Nr. 9
 
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Ein französischer Soziologe, der die neue Rechts undercover untersucht hatte, kam zum Ergebnis, dass das einzige innovative an dieser Bewegung ist, ihr Verständnis der Medien. Die Fähigkeit "Buzz" zu generieren und die Aufmerksamkeit der Medien zu erhalten. Das Äquivalent von Green Peace für den Schutz des "Völkischen" zu sein.

Das Anliegen der neuen Rechten im Bereich der medialen Öffentlichkeit ist, den Bereich der ideologischen Diskussion so zu erweitern, dass schrittweise eine Akzeptanz der Ideologie der extremen Rechten erreicht wird. Inklusive der ideologischen Gehalte, die die Voraussetzung für den Holocaust gebildet haben.

Relevant für ein Geschichtsforum ist dabei aber das "Agenda-Setting", das in den letzten Jahren auch das Geschichts-Forum betroffen hatte.

Auf das hervorragende Buch von Volker Weiss wurde hingewiesen und als informative Ergänzung zwei Links mit guten Beiträgen zu dem Thema.

Sie sind zu empfehlen, wenn man die Positionen und Meinung mancher Teilnehmer im GF - auch und vor allem zwischen den Zeilen - lesen möchte.

Das Agenda-Setting wird dann deutlich transparenter und es wird erklärlicher, warum bestimmte Konfliktlinien im GF so konträr diskutiert worden sind. Und dann mag jeder seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen.


Politische Mythologie: Im Geisterreich des Völkischen | ZEIT ONLINE

Identitäre Bewegung: Die Scheinriesen | ZEIT ONLINE
 
Selbst in Erziehungsratgebern. Johanna Haarer erfuhr im der Bundesrepublik Neuauflagen, ihre Pädagogik war für Jahrzehnte prägend.
 
Ein neues Magazin von "Aus Politik und Zeitgeschichte" zum Rechtsterrorismus und zur Einordnung dieses Phänomens.

https://www.bpb.de/apuz/301126/rechtsterrorismus

Und ein interessanter Beitrag von einem renomierten Wahlsoziologen - Güllner - zur Persistenz rechtsextremer Einstellungen vom 3. Reich, über die NPD zu neueren "populistischen Gruppierungen".

https://www.deutschlandfunk.de/afd-parteitag-meinungsforscher-die-afd-ist-keine.694.de.html?dram:article_id=464736&fbclid=IwAR3FqcEKbbe3eFJ7cYjOy402JjAZ9dezKTC_c0mdLKnOVRq6JTk51CsVA-I

Wenn die Vergangenheit zur Zukunft werden soll. Und legt die Vermutung nahe, dass manche aus Geschichte nichts gelernt haben.
 
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Ein interessanter Beitrag, der die politische und auch historische Sichtweise von Teilen der neuen Rechten sehr gut beschreibt. Lesenswert, weil er den Stil der Argumentation in vielen Diskursen verständlich macht. Und auch erklärt, warum ein "rationales Argument" nicht überall die gleiche Verbindlichkeit hat.

http://www.zeit.de/kultur/2017-11/r...extremismus-debatte-reden-anselm-neft/seite-2
Postfaktische Politik wird in allen Lagern betrieben, und dies nicht erst seit der "neuen Rechten". Ich halte es für wenig zweckdienlich, dieses Phänomen auf die Rechte verengend zu betrachten, oder auch nur als Neuerung zu begreifen. Neu ist nur, dass der Siegeszug der Emotionen über die Fakten die gesellschaftliche Mitte erreicht.

Überhaupt zeigt sich, wie auch in dem ferner zitierten Beitrag Herrn Güllners, die zunehmende Untauglichkeit bisheriger Deutungsansätze. Wenn z.B. Positionen der AfD in Teilen der Linken Beifall finden (siehe Frau Wagenknecht), wirft dies Fragen auf, deren Antworten im Einzelnen miteinander unvereinbar sind.

Sie zeigt sich auch in der Koalition zwischen Fünf Sterne und Lega in Italien. Sie zeigt sich in der Unterstützung, die der Brexit im linken Flügel der Labour Party erfährt, sie zeigt sich in der Anzahl der Counties, die 2012 für Herrn Obama votierten, 2016 aber für Herrn Trump.

Gerade im Wechselwählerverhalten, das sämtlichen konventionellen Denkmustern spottet, zeigt sie sich mit voller Wucht.

Letzthin kommentierte SPD-Urgestein Christian Ude, seine Partei könne ihren Verlusten immerhin dies abgewinnen, dass sie Wähler verloren habe, die sie ohnehin nie hätte haben wollen (gemeint waren Wähler der AfD).

Herr Ude, regelmäßig mit Zweidrittelmehrheiten im Bürgermeisteramt bestätigt, offenbarte damit, einem Trugschluss unterlegen zu sein, dem m.E.n. viele politische Menschen unterliegen, besonders solche, die einer Ideologie zuneigen: Sie überschätzen die Bedeutung der Politik und der Ideologie für den öffentlichen Diskurs und die öffentlichen Entscheidungsprozesse.

Die o.g. Widersprüche bestehen, so behaupte ich, schon lange. Die gegenwärtige politische Krise der liberalen westlichen Demokratien rührt nicht zuletzt daher, dass die Widersprüche die Grenzen dessen gesprengt haben, was der Politikbetrieb, der nun einmal von politischen Menschen und Ideologen dominiert wird, ertragen kann, ohne in seiner Arbeitsfähigkeit behindert zu werden.

Es mag politisch nützlich sein, der AfD das Prädikat der "bürgerlichen Partei" abzusprechen; erhellend ist es nicht. Vielmehr ist ihr Beharren erhellend, das zweifelsohne einer Überzeugung entspringt. Die Gemeinsamkeit nämlich, die all die vorgenannten politischen Gegner aufweisen, die am Ende irgendwie doch zusammenfinden, ist ihr Politikstil: der Populismus.

Der Populismus stellt jedoch keine Ideologie im engeren Sinne dar, sondern eine Haltung dazu, wie die drängenden Fragen der Zeit zu beantworten seien, nicht womit. Dies erlaubt Populisten Kompromisse, die lupenreinen Ideologen unmöglich wären.

Ihm entgegengesetzt ist, was man meist den Mainstream nennt, das Establishment, oder welchen Begriff auch immer man dafür verwenden will.

Obwohl ebenfalls ein politisch aufgeladener Begriff, würde ich den Antagonisten des Populisten aber als Elitisten bezeichnen. Denn erstens zielt er auf den Erhalt der bestehenden Ordnung ab, zweitens (und dies ist das Entscheidende) wird er vom Populisten der Vereinnahmung der Auslegungshoheit darüber beschuldigt, was für das Land gut sei, d.h. weg von der Masse und hin zu den Partikularinteressen der bestehenden Ordnung.

Infolgedessen versteht sich der Siegeszug des Populismus leicht (der wohl noch lange andauern wird), denn taktisch nimmt er die weitaus günstigere Ausgangsstellung ein. Der Elitismus hat dies zuerst nicht erkannt (und erkennt es vielleicht immer noch nicht), ist aber wohl aufgrund der Verhärtung der Fronten gar nicht länger frei in der Wahl seiner Mittel, um den Vorteil zunichtezumachen.

Der Schauspieler und Aktivist Stephen Fry hat dieses Problem einmal sehr pointiert zum Ausdruck gebracht, indem er (Gedächtniszitat, der genaue Wortlaut ist mir entfallen) Regierungen und Medien mit einem lange erfolgreichen Athleten verglich, der, als seine Leistungen nachlassen, seinen gefährlichsten Rivalen des Dopings beschuldigt. In den Augen des Publikums, so Fry weiter, komme es gar nicht darauf an, ob die Anschuldigungen wahr seien. Wichtig sei nur, in welchem (v.a.) zeitlichen Kontext sie gefallen seien.

Ich denke, und man erlaube mir hier einen politischen Einwurf, dass der vielfach gescholtene Sebastian Kurz Frys These nicht nur bestätigt, sondern auch das Handbuch schlechthin verfasst hat, wie der Populismus bekämpft werden kann. Leider hat keiner seiner Kollegen zugehört.

Kurz erkannte, dass der Populismus seine Kraft aus der Bekämpfung durch die Eliten bezieht, und erhob ihn kurzerhand selber in den Kreis der Eliten. Mit dem Resultat, dass die FPÖ entzaubert und nunmehr ein Schatten ihrer Selbst ist.

Im Übrigen sei auch daran erinnert, dass das Phänomen der postfaktischen Politik durch ein tiefgreifenderes gesellschaftliches Problem befeuert, vielleicht sogar hervorgerufen wird, nämlich dem Mangel eines normativen Konsenses insgesamt. Ich spreche hier nicht von einem sittlichen Verfall, sondern von einem Verlust grundlegenderer Übereinkünfte, die den gesellschaftlichen Diskurs ermöglichen.

Man mag von Jordan Peterson halten, was immer man da will, aber er hat viele dieser Widersprüche in seinen Büchern und Vorlesungen in einer nicht von der Hand zu weisenden Deutlichkeit herausgearbeitet.

Wie kann es z.B. sein, dass (so sein Beispiel) in Kanada über ein Drittel der Menschen, die in einer Umfrage die Leugnung des Klimawandels verurteilten, auch antworteten, dass die Sterne Macht über ihr Schicksal hätten – wo doch der Klimawandel ebenso sehr wissenschaftlich belegt ist wie die Astrologie widerlegt?

Das Problem ist, dass die Reduktion dieser Phänomene auf ideologische Gesichtspunkte die Ursachen unangetastet lässt.

Ja, sie wird sogar selbst zur Ursache, indem sie das Rad des Teufelskreises antreibend die Diskussion in ideologische Bahnen lenkt, wo sie im Niemandsland zwischen unvereinbaren Positionen versandet und ebendie Verbitterung erzeugen muss, deren reichliches Vorhandensein künftigen Diskurs immer nur noch mehr erschwert. Auch zwingt sie die Teilnehmer am Diskurs, also die Bürger, sich für eine Seite zu entscheiden, da sie keinen Platz lässt für vermittelnde Positionen.

Kurz gesagt, wir werden in Deutschland und im Westen allgemein wahrscheinlich solange unter den verderblichen Einflüssen radikaler Einflüsterungen leiden, wie wir uns nicht dazu aufraffen, den Radikalismus nicht länger mit Prädikaten zu versehen, die eher der Selbstversicherung im Sinne einer Lagerbildung dienen als der Gefahrenabwehr oder gar den Opfern, denen es herzlich egal ist, warum sie jemand bedroht.

Überhaupt weiß die Verhaltenspsychologie seit über fünfzig Jahren, dass die politische Einstellung eines Menschen, und in letzter Konsequenz seine Bereitschaft zur Radikalisierung, durch seine Charaktereigenschaften ganz entscheidend geprägt wird (es folgen das familiäre beziehungsweise soziale Umfeld, und, weit abgeschlagen, Alter und Besitzstand). Mit anderen Worten, es ist ein Kampf gegen Windmühlen.
 
Tagespolitische Bezüge sollten hier natürlich vermieden werden. Ich versuche daher, dass Thema auf den Kern Erinnerungskultur zum Dritten Reich zu beziehen.

Ob Fr. Wagenknecht Positionen der AfD angeblich teilt, ist für die Diskussion hier völlig Banane. Es geht um die Frage der historischen Kontinuität, bzw. die Vitalität bzw. Revitalisierung von zentralen Inhalten rechtsextremer Ideologie. Das ist das Anliegen des Threads und es wäre freundlich, wenn man beim Thema bleiben könnte, was man normalerweise jedem Threadersteller zugesteht.

Sollte Interesse an einer Diskussion über die Konstanz bzw. Brüche von "Cleavages" im Sinne der politikwissenschaftlichen Forschung vorhanden sein, könnte man über die Thesen von Güllner diskutieren. Denn darauf bezieht er sich. Und er ordnet seine Analyse in die von Klingemann (1978) und anderen ausgearbeitete Links-Rechts-Dimension ein. Und sieht zudem eine Konstanz zu den wahlsoziologischen Arbeiten aus den Siebzigern als die NPD vor allem in Länderparlamenten stark waren (Klingemann und Pappi 1972)

Überhaupt weiß die Verhaltenspsychologie

Die wohl weniger. Eher die Sozialpsychologie bzw. im engeren Sinne die politische Psychologie bzw. Soziologie. In diesem Kontext sind die frühen Studien zum "autoritären Charakter" der "Frankfurter" einzuordnen. Während Reich sich dieser Einordnung im Kontext seiner Faschismusstudien entzieht und eine Kombination aus Marx`scher Gesellschaftsanalyse und Freud`scher Thesen zur "Triebsublimierung" anbietet.

Während sich die "analytical sociology" (vgl. z.B. Hedström & Bearman: Oxford Handbook of Analytical Sociology) primär mit der Frage der Operationalisierung und Messung von menschlichem Verhalten beschäftigt und damit die methodischen Voraussetzungen für die empirische Analyse politischer Einstellungen und Verhaltensweisen anbietet

Klingemann, Hans-Dieter; Pappi, Franz Urban (1972): Politischer Radikalismus. Theoretische und methodische Probleme der Radikalismusforschung, dargestellt am Beispie einer Studie anlässlich der Landtagswahl 1970 in Hessen. München: Oldenbourg.
Klingemann, Hans-Dieter (1978): Ideologisches Denken in der Bevölkerung westlicher Industriegesellschaften. Habilitationsschrift, Mannheim: Universität Mannheim.
 
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Wendet man sich aktuellen Ergebnissen der Extremismusforschung zu, dann beschreibt Miliopoulus die unterschiedlichen Ansätze zur Erklärung von Extremismus.

Und faßt die bisherigen Sichtweisen als "Idealtypus" für ein "totalitäres" Denken folgendermaßen zusammen (S. 207)

- holistischer Anspruch, der die Gesellschaft nach einem rigiden Freund-Feind-Muster organisiert
- Utopismus und Integrismus, verbunden mit einer Totalkritik am Status quo
- Fanatismus, Aktivismus und Mitleidslosigkeit
- Egozentrik als Unfähigkeit zur inneren Selbstprüfung und als rein instrumentele Haltung zu Mitmenschen
- Konspirationsgläubigkeit
- latenten oder manifestem Bellizismus, der Kampf als "inneres Erleben" begreift
- einen ausgeprägten Wertepessimismus vertritt
- sich entfremdet fühlt gegenüber den Mechanismen demokratischer Entscheidungsfindung.

Diese Deskription kann man ganz oder teilweise über extreme bzw. terroristische Gruppen - auch die RAF oder die NSU etc. - legen und wird einen relativ hohen Anteil der idealtypischen Kriterien in der Realität wiederfinden.

Ansonsten sind es eine Reihe von Ansätzen, die herangezogen werden rechtsextreme Einstellungen und Verhalten zu erklären. Im Einzelnen unterscheidet Miliopoulos - wie auch ähnlich Salzborn (S. 91 ff) - resümierend die bereits vorliegende Forschung dahingehend (S. 210 ff):

- als Ergebnis von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen, wie dem "autoritären Charakter"
- als Folge einer bestimmten familiären Sozialisation
- als Erfahrung von relativer Deprivation, die in einen Radikalisierungsprozess mündet
- als Ergebnis von gruppenbezogenen - Peers etc. - Prozessen, in denen dynamisierende Prozesse, als "Erlösungsrituale" etc. ablaufen
- als Ergebnis von bestimmen sozioökonomischen Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Bildung oder Schichtenzugehörigkeit etc.
- Wahrnehung von Prozessen des sozialen Wandels und der Modernisierung und der radikalen Ablehnung
- Vermutung von Legitimationsdefiziten als politische Grund
- ideologische Faktoren, die die Grundlage als "wertebasierte Radikalisierung" bieten

Diese kurze Darstellung vermittelt einen Eindruck, wie vielfältig mittlerweile das Thema Extremismus im Allgemeinen und Rechtsextremismus als konkretes Problem untersucht wird.

Da kann man die relative Deprivation und die Problematik der Globalisierung in den Darstellungen von Loch und Heitmeyer (Schattenseiten der Globalisierung) als aktuelle Studien anführen. Das Entstehen von "Rechtsextremen Erlebniswelten" erkennen, die die Beiträge in Glaser und Pfeiffer beschreiben. Oder auch das zentrale - Carl Schmitt`sche - Freund-Feind-Denken, das Holtmann mit den "Völkischen Feindbildern" thematisiert.

Insgesamt eine breite und vielschichtige Diskussion, die zusätzlich Verschwörungstheorien mit einbezieht, wie bei Butter (Nichts ist, wie es scheint) und ebenfalls die sozialen Wirkungen der Globalisierung auf traditionelle Arbeitermilieus aufgreift, wie Eribon es mit "Rückkehr nach Reims" zutreffend beschrieben hat.

Miliopoulos, Lazaros: Ursachen für politischen Radikalismus. In: Eckhard Jesse und Tom Mannewitz (Hg.): Extremismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden: Nomos, S. 205–243.
Salzborn, Samuel (2014): Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. Baden-Baden: Nomos
 
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Die neue rechte ist heutzutage auch weitaus subtiler und "cooler" unterwegs als noch in meiner Jugend.
neulich hat mich der youtube algorithmus zu deutschem hiphop gelenkt und das war weder (rap)technisch noch textlich irgendwie plump oder direkt zu erkennen - war aber "rechtsrap" und führt dann in den weiteren "recommendations" direkt zu ziemlich widerlichem kram. In dem text ging es um widerstand gegen den mainstream - das hätte durchaus auch was alternatives/linkes sein können.
 
In dem text ging es um widerstand gegen den mainstream - das hätte durchaus auch was alternatives/linkes sein können.
Das Lied Lug & Trug (1994) würde Wizo nach 2015 sicher nicht mehr so geschrieben haben. Das war aber schon immer so, dass die extremen Ränder alles andere als Mainstream definiert haben (einen Mainstream an sich gibt es ohne Frage, nur versuchen halt die Splittergruppen am Rand immer zu definieren, was der Mainstream sei), man muss halt zusehen, dass man das Re-Framing als solches erkennt und benennt und damit entlarvt. Es gibt ja Menschen, die es für völlig normal halten, öffentlich und im politischen Kontext zu sagen, dass man andere Menschen erschießen solle und das für sich unter "Meinungsfreiheit" verbuchen, wohingegen dieselben dann die Kritik an diesen Äußerungen als "Hetze" begreifen wollen und sich als Opfer der Gesellschaft oder des Mainstreams sehen. Das ist Re-Framing par excellence! Die Frage ist halt, ob man es zulässt, dass gewisse gesellschaftliche Gruppen Wording betreiben und damit Worte oder Symbole (z.B. schwarz-rot-gold) ent- und rekontextualisieren.
 
Nunja Wizo hatte schon immer teilweise fragwürdige Texte (Bad kleinen, Kein Gerede z.b.).
Ich musste jetzt zweimal den text von Lug und Trug lesen um zu merken was du meinst. den Kontext der "Lügenpresse" hab ich da nie gesehen, wohl weil ich das lied seit 1994 kenne ;)

Aber stimmt schon, heute müsste man da etwas mehr Kontext mitgeben, sonst würde man wieder von den Braunen instrumentalisiert. Ich erinnere nur daran das die NPD das lied "gekommen um zu bleiben" von wir sind Helden auf ihren Demos spielt.
 
Danke thane für den interessanten Faden.

Ein Gedanke dazu:
- als Ergebnis von gruppenbezogenen ..... Prozessen, in denen dynamisierende Prozesse..... ablaufen.
Wäre es nun so, dass der Mensch an sich unentschlossen sei, ob er sich dem Guten oder Bösen zuwendet, dann hätte dieser Aspekt die höchste Potenz der Gestaltungsmacht.

(Es ist uns ja eine vertraute Story, dass die Nationalsozialisten im Wirbel der Weltwirtschaftskrise emporstiegen.
Das muss aber nicht so sein, und es erstaunt, dass sich auch in sehr zuträglichen Umständen ähnliche Muster herausbilden können.)
 
Die Erklärungen von Rechtsextremismus durch gruppensoziologische Prozesse, die Miliopoulous referiert (S. 221-225) ist vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden Individualisierung bzw. Vereinsamung von Menschen zu verstehen und wurde ursprünglich von D. Riesman: Die einsame Masse präzise beschrieben. Diesen Prozess greift Beck in seinen Bezügen zu unserer globalisierten, Risiko-Industriegesellschaft auf. Die Auflösung von traditionellen sozialen Bezügen, auch die Auflösung traditioneller sozialer Milieus, verstärkt das Bedürfnis nach neuen Formen der Vergesellschaftung bzw. der Integration und nach sozialer Anerkennung.

In diesem Kontext soll an das zentrale Anliegen von Adorno u.a. erinnert werden, die Veränderungen des Menschen im Rahmen der modernen Industriegesellschaft im Kontext der "Authoritarian Personality" zu beschreiben. In diesem Sinne formulierten sie:

"ein relativ neues Konzept das Aufkommen einer "anthropologischen" Spezies, die wir als den autoritären Menschentypus bezeichnen. Im Gegensatz zum Fanatiker früherer Zeiten scheint er die für eine hochindustriealisierte Gesellschaft charakterischen Vorstellungen und Fähigkeiten mit irrationalen und antirationalen Überzeugungen zu verbinden. Er ist zugleich aufgeklärt und abergläubisch, stolz Individualist zu sein und in ständiger Furcht, nicht so zu sein wie alle anderen, eifersüchtig auf seine Unabhängigkeit bedacht und geneigt, sich blindlings der Macht und Autorität zu unterwerfen." (vgl. Adorno 2019b, Einleitung)

Der Tendenz zur Isolierung von Individuen in den modernen Industriegesellschaften steht der Wunsch entgegen, im Rahmen von Gruppen anerkannt zu sein. Dieser Prozess zur Bildung von "freiwilligen" Milieus, auch als Sub-Kultur zu bezeichnen, ist beispielsweise in den früheren Arbeiten von Willis: Spass am Widerstand. Gegenkultur in der Arbeiterschule, J. Clarke: Jugenkultur als Widerstand oder R. Schwendtner: Theorie der Subkultur beschrieben.

Die gruppendynamischen Prozesse, die für derartige Milieus kennzeichnend sind hat beispielsweise Homans beschrieben, die Frage der Auswahl von Führungspersonen, der Integration als Differenzierungsprozess, die Bedeutung von Peers, und der Stellung gegenüber Nicht-Mitgliedern beschrieben hat.

Diese auf Gruppenprozessen aufbauende Konstituierung von "rechtsextremen Milieus", die auch Weiß (Die autoritäre Revolte) und Heitmeyer (Autoritäre Versuchungen) so konzeptionell begreifen, bilden den Kontext, in dem sich die realen und virtuellen Netzwerke bilden. Und in diesen Netzwerken - teilweise auch die Rolle von Echochambers übernehmend - findet die politische Sozialisation über Peer-Groups statt.

Dabei ist diese politische Sozialisation in einem rechten Milieu stark durch Gruppenerlebnisse geprägt, die emotionalisierend wirken, und erfüllt damit durch andererseits politische Zielsetzungen zu einem nicht geringen Anteil den Wunsch von Individuen, ein "sinnvolles" und "erfülltes" Leben zu leben.

An diesem Punkt kann man auffällige Parallelen zum islamischen oder linken Extremismus erkennen. In allen Fällen - wenn man es wohlwollend formulieren möchte - sind es im Prinzip "Altruisten", die für Andere in ihrer Gesellschaft nur !!!!! das Beste wollen. Und sich selten zum einen als "Vorkämpfer" verstehen, aber auch als "latenter" Märtyrer. Nicht zuletzt, weil jede Revolution Opfer bringen muss und so ihre Mythen und Helden stilisiert, so die gängige Ideologie.

So unterschiedlich sich die "Neue Rechts", im Sinne eines Generationswechsels von der "Alten Rechten" abgrenzt, so stark ist sowohl die strukturelle Persistenz, die Rechtsextremismus hervorbringt. Aufschlussreich ist da beispielsweise der Vortrag von Adorno aus den späten sechziger Jahren, der in den Mechanismen bis heute richtig ist. Und das spiegelt sich auch in den wahlsoziologischen Betrachtungen von Güllner wider, der heute ähnliche rechtsextreme Einstellungsmuster empirisch feststellt wie beispielsweise in den sechziger Jahren, zur Hochzeit der NPD.

Adorno, Theodor W. (2019b): Bemerkungen zu ›The Authoritarian Personality‹. Und weitere Texte. . Berlin: Suhrkamp
Beck, Ulrich; Beck-Gernsheim, Elisabeth (2001): Individualization. Institutionalised Individualism and its Social and Political Consequences. London: SAGE Publications Ltd.
Homans, George Caspar (1978): Theorie der sozialen Gruppe. Opladen: Westdt. Verl.
Miliopoulos, Lazaros: Ursachen für politischen Radikalismus. In: Eckhard Jesse und Tom Mannewitz (Hg.): Extremismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden: Nomos, S. 205–243.
 
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Diese auf Gruppenprozessen aufbauende Konstituierung von "rechtsextremen Milieus", die auch Weiß (Die autoritäre Revolte) und Heitmeyer (Autoritäre Versuchungen) so konzeptionell begreifen, bilden den Kontext, in dem sich die realen und virtuellen Netzwerke bilden. Und in diesen Netzwerken - teilweise auch die Rolle von Echochambers übernehmend - findet die politische Sozialisation über Peer-Groups statt.

Den Begriff „Echochamber“ will ich aufgreifen.
Ich würde den erweitern wollen auf Resonanzräume, deren Wirkung darin besteht Ansichten, welcher Art auch immer, zu verfestigen und auch hochzuschwingen.

Solche Erscheinungen zeigten sich z.B. im Erfolg der Alldeutschen und den folgenden Nazis.
(gibt wahrscheinlich schier unzählige Beispiele)

Dass also eine Gruppe sich selbst immer mehr in ihrer Vorstellungswelt bestärkt.
Diese kann sich dabei fast beliebig weit abgekoppelt von der Realität entwickeln, und dennoch den Erfolg der Verbreitung erreichen.

Das wäre jetzt die ‚Echokammer‘; der Resonanzraum.
Interessant fand ich in dem Zusammenhang diese Arbeit:
https://www.ssoar.info/ssoar/bitstr...rokin_et_al-Radikal_Online_-_Das_Internet.pdf

Sie beschäftigt sich mit der derzeitigen Dynamik solcher Räume, hier spezielle „digitale Resonanzräume“ .

„Wenn sich Akteur_innen im Internet gegenseitig und ohne alternative Impulse in ihren Denk und Sichtweisen reflektieren und verstärken, entstehen digitale Resonanzräume (Silber/Bhatt 2007; Stevens/Neumann 2009; Wojcieszak 2010), die auch Echokammern genannt werden (z.B. Sunstein 2017). Die Resonanzmechanismen virtueller Räume und der geographisch und zeitlich uneingeschränkte Zugang zu ihren ideologischen Inhalten können zu einer neuen Qualität eines ideologischen und hermetisch in sich geschlossenen Weltbildes beitragen. Dem Resonanzraum Internet kommt dabei sowohl eine ermöglichende als auch eine beschleunigende Wirkung im Zusammenhang mit Radikalisierungsprozessen zu (Behr et al. 2013).
……………..
Eine Funktionsweise in sozialen Netzwerken, aber auch Suchmaschinen wie Google, die dies zusätzlich begünstigt, ist die algorithmusbasierte Auswahl angezeigter Inhalte, die der Netzkritiker Eli Pariser (2011) als Filterblase bezeichnet. Den Nutzer_innen werden dabei abhängig von ihren individuellen Online-Verhalten themenbezogene Links und Inhalte präsentiert. Beispielsweise enthält YouTube ein automatisches Videovorschlagsystem, welches auf Basis der Sehgewohnheiten der Nutzer_innen oder denen anderer Anwender_innen mit ähnlichem Nutzerverhalten weitere relevante und thematisch ähnliche Videos aussucht. So kann das Betrachten eines Videos mit radikalen Inhalten dazu führen, dass durch das automatische Vorschlagsystem innerhalb kurzer Zeit eine große Anzahl an ähnlichen Inhalten komprimiert dargeboten und konsumiert werden (O'Callaghan et al. 2013).“


Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie sich dieser moderne Rahmen auf die Virulenz der Alldeutschen ausgewirkt haben könnte.
 
Hallo Zusammen,

ich habe mich jetzt durch viele Beträge des Themas hier gelesen und finde es sehr interessant, wie hier auf sachlicher und wissenschaftlicher Ebene das Thema, Rechtsradikalismus, besprochen und beleuchtet wird.
Aber ist das rechte Gedankengut und der auch daraus resultierender Rechtsradikalismus mit wissenschaftlichen Worten immer erklärbar oder ist es einfach nur die Ansammlung von Ängsten, unbegründeten Schuldigen und einem erfundenen "Feindbild" um genau die Urängste vor dem Fremden oder Anderen eines Menschen zu erwecken?

Beste Grüße
Eastman
 
Aber ist das rechte Gedankengut und der auch daraus resultierender Rechtsradikalismus mit wissenschaftlichen Worten immer erklärbar

1. Ideengeschichtlich ist die Entwicklung rechtsextremer Ideologien in den unterschiedlichen Facetten ausreichend für Deutschland nach 1945 beschrieben (vgl. z.B. Pfahl-Traughber )

2. Ja er ist erklärbar. Allerdings im Rahmen unterschiedlicher Ansätze, wie ausgeführt

3. Er ist empirisch nachgewiesen im Rahmen von Studien zur Messung von "Rechtsextremismus", wie bei Güllner ausformuliert oder im Rahmen der "Sinus-Studie": Wir sollten wieder einen Führer haben.

Pfahl-Traughber, Armin (2018): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. In: Eckhard Jesse und Tom Mannewitz (Hg.): Extremismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden: Nomos, S. 303–338.
 
Hallo Zusammen,

Aber ist das rechte Gedankengut und der auch daraus resultierender Rechtsradikalismus mit wissenschaftlichen Worten immer erklärbar oder ist es einfach nur die Ansammlung von Ängsten, unbegründeten Schuldigen und einem erfundenen "Feindbild" um genau die Urängste vor dem Fremden oder Anderen eines Menschen zu erwecken?

Nein, es handelt sich definitiv um mehr als eine Ansammlung von Ängsten, gerade auch, wenn man historische Beispiele Bemüht.
Wären alleine Ängste und unbegründete Schuldzuweisungen konstituieren, wäre der Rechtsradikalismus eine allein auf das Reagieren als Mittel der Wahl ausgelegte Strömung. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall.
Wenn, wie etwa um nicht allzu tagesaktuell politisch zu werden, wie in Rostock-Lichtenhagen, Zusammenrottungen aus diversen verschiedenen Gegenden, die mit dem lokalen Kontext in Teilen so überhaupt nichts zu tun haben, gezielt losschlagen, handelt es sich ganz offensichtlich um eine gezielte Aktion, die eine spezielle lokale Situation betreffen, die die konkrete Lebenssituation von weiten Teilen der Akteure eigentlich nicht tangiert, sprich von der sie sich eigentlich nicht einmal in noch so haluzigenen Wahnvorstellungen bedroht fühlen konnten.


Wenn es sich hierbei um reflexartie Urängste handeln würde, müssten die ja immer vorhanden sein. Wie sollte man dann aber politische Karrieren, wie die von Horst Mahler oder prominenter Benito Mussoline erklären, die den Schwenk aus einer ideologisch eher linken Ecke an den rechten Rand vollzogen?
Nehmen wir das mal als Fälle an, handelt es sich offensichtlich nicht um immer vorhandene Urängste, sondern um opportunistische Entscheidungen und adaptierte Feindbilder.
 
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