Was genau hat sich in den 80ern geändert?

Striezi

Neues Mitglied
Hallo..

In den 70er Jahren ist es ja ziemlich nach links gegangen während anfang der 80er eine konservative Wende vollzogen eurde. Was genau hat sich in den 80er Jahren im Vergleich zu den 70ern geändert.
 
@Striezi,
"genau" wird es nicht werden können.
Zeitliche Übergänge sind ja fließend.
Und Erkenntnisse oder Messungen sind selbst in der Physik manchmal prinzipiell ungenau.
Umso mehr ist das bei einer solchen Fragestellung gegeben.
Es geht meistens darum zu einer fundierten Einschätzung zu kommen.
Mehr ist es nicht, aber auch nicht weniger,
 
...
In den 70er Jahren ist es ja ziemlich nach links gegangen ...

Ich meine nicht, dass es in den 70ern "ziemlich nach links" ging. Man darf nicht vergessen, dass sich in den 70ern auch rechte Gruppen verstärkt organiert hatten (z.B. Wehrsportgruppe Hoffmann).
Was wohl in den 70ern stattfand, war die Loslösung von alten, konservativen "Zöpfen". So gab es bis 1973 in den Schulen der meisten Bundesländer noch ein Züchtigungsrecht (also Prügelstrafe). Bis 1977 durften Ehefrauen nur mit Erlaubnis der Ehemänner arbeiten gehen. Ich kenne es noch von der Grundschulzeit, dass meine Mutter nur mit Genehmigung des Vaters meine Zeugnisse unterschreiben durfte.
Dies sind nur einige wenige Beispiele für gesellschaftliche Lockerungen, die sich in den 70ern vollzogen. Dieser Wandel hat aber meiner Meinung nach nichts mit einem Linksruck, sondern mit Liberalisierung zu tun.

Gruß
Andreas
 
Bereits 1977 publiziere Inglehart den Befund, dass die traditionellen Konfliklinien - Cleavages - sich verändert haben. Die Zuordnung von Problemen zu einer Links-Rechts-Dichotomie und deren Repräsentanz im Parteiensystem beschrieb nicht mehr ausreichend, die ideologischen Sichten - Wertorientierung - in der Bevölkerung.

Die bis dahin relevante Dichotomie von Links vs Rechts beschrieb er empirisch fundiert mit einer zweiten Dimension, die er als "Materialistisch" vs. "Postmaterialistisch" bezeichnet hatte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Wertewandel

Dieser "Wertewandel" spiegelte die Veränderung wider, die Bösch beschrieben hat. Die Nachkriegswelt des Kalten Krieges veränderte sich. Im Islam zeigten sich neue Ansätze, ein neues Selbstbwußtsein - "Identität" - zu formulieren und manifestierte sich in Veränderungen im Iran - Khomeini - und in Afghanistan. Mit Papst Johannes II betrat ein neuer Typ von politische Kirchenmann die Bühne und wirkte massiv in den Ostblock hinein. Befreiungsbewegungen wie die Sandinisten in Nicaragua stürzten autoritäre Diktaturen und es folgte eine Welle der Solidarität. Deng öffnete China, Der Neoliberalismus verdrängte den Keyynesianismus und der Sozalstaat kam in die Defensive. Es gab die zweite Ölkrise in Kombination mit dem Fast-Gau in Harrisburg. Es gab aber auch den Bericht des "Club of Rome" und eine zunehmende Sensibilisierung in Bezug auf den "ökologischen Fussabdruck"

Und es formierten sich in der BRD die "Grünen" bzw. die "Alternativen Listen" und griffen die Veränderung der "Werte" auf, die Inglehart beschrieben hatte.

Diese globale Veränderung, die innenpolitisch 1982 in der BRD mit der Wahl von Kohl zum Kanzler ihren Ausdruck fand, wurde thematisch bereits davon beispielsweise mit den Bänden von Habermas und Glaser zur Diskussion gestellt. Und Habermas beschreibt in seiner Einleitung die Veränderung der politischen Kultur und die abnehmende Bedeutung der links-liberalen Intellektuellen in diesem Kulturbetrieb.

Die Konflikte sind vielschichtig, aber von "Rechts" wurde es primär unter dem Gesichtspunkt der sogenannten These von der "Unregierbarkeit" und der "staatlichen Bevormundung" geführt. Und wendete sich damit gegen Bestrebungen der Demokratisierung und der Aufrechterhaltung des Sozialstaates. Diese "konservative Revolution" ist bei Dubiel beschrieben.

Die Folgen der von Kohl eingeleiteten Wende waren u.a. "Austeritätspolitik" und Abbau sozialstaatlicher Versorgung, Abbau von Mitbestimmungen, Reduzierung der "Staatsquote", und die Zunehmende soziale Polarisierung von Arm und Reich.

Die Beschreibung hat versucht der Komplexität der Ereignisse halbwegs gerecht zu werden, aber muss auch selektiv bleiben.

Bösch, Frank (2019): Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann. München: C.H. Beck.
Dubiel, Helmut (1987): Was ist Neokonservatismus? Frankfurt
Glaser, Hermann (Hg.) (1981): Fluchtpunkt Jahrhundertwende. Ursprünge und Aspekte einer zukünftigen Gesellschaft. 2 Bände. Frankfurt/M, Berlin, Wien: Verl. Ullstein
Habermas, Jürgen (Hg.) (1979): Stichworte zur "Geistigen Situation der Zeit". 2 Bände. Frankfurt a.M: suhrkamp
Inglehart, Ronald (1977): The silent revolution. Changing values and political styles among western publics. Princeton: Princeton University Press
 
Wir hatten ja damals gewissermaßen ein Drei-Parteiensystem: Mehr als CDU/CSU, SPD und FDP schaffte, zumindest auf Bundesebene, nicht den Sprung in die Parlamente. Dabei stellte den Kanzler nicht unbedingt die stärkste Partei, sondern die FDP übernahm - mit der Ausnahme der großen Koalition (der einzigen großen Koalition der Alten Bundesrepublik [mit Absicht alt groß]) - die Rolle der Königsmacherin: Die Partei von den beiden großen Parteien, die der FDP die meisten Zugeständnisse zu machen bereit war, stellte den Kanzler. So war z.B. In den Bundestagswahlen 1972 die SPD die stärkste Fraktion im Bundestag, 1976 und 1980 stellten CDU/CSU die größte Fraktion im Wasserwerk. Aber Kohl wurde erst 1982 Kanzler, weil erst da, die FDP Kanzler Schmidt die politische Zusammenarbeit aufsagte. Es waren also weniger die Wähler, als die FDP, welche darüber bestimmte, ob wir eine sozialliberale oder eine konservativliberale Koalition hatten. Mit der Anti-AKW-Bewegung, die es schaffte, die Interessen von Umweltschützern, Pazifisten, Frauenrechtlern etc. zu bündeln, gelang es dann in den 1980er Jahren neben der SPD eine zweite linke Kraft in das Wasserwerk zu bekommen, bezeichnenderweise 1983.
1990 kam dann die SED-Nachfolge-Partei PDS dazu, die aufgrund der einmaligen Aufhebung der 5%-Hürde für Ostdeutschland und Überhangmandate es überhaupt nur ins Bonner Wasserwerk schaffte. In den 1990er Jahren war die PDS bzw. später Links-Partei dann hauptsächlich eine ostdeutsche Regionalpartei, wobei sich das immer stärker aufhob, so richtig dann, als sich in den 2000ern die WASG von SPD (und Grünen) abspaltete und dann mit der Linkspartei zur Linken fusionierte. Spätestens da war die Linke eine gesamtdeutsche Partei. Mit der €-Krise bekamen dann EU-Kritiker Oberwasser, was die „Professorenpartei“ AfD nach oben spülte, sie es aber verabsäumte, sich nach rechts abzugrenzen und im Zuge der Verwaltungskrise 2015 immer weiter nach rechts entwickelte. Von den Professoren der ehem. „Professorenpartei“ ist kaum noch einer übrig. Meuthen.
Und so haben wir heute kein Drei-Fraktionenparlament mehr, wie in den 70ern, sondern nach dem Vier-Fraktionen-Parlament der 80er und dem Fünf-Fraktionen-Parlament der 90er und 2000er mittlerweile ein Sechs-Fraktionen-Parlament. Das macht Regierungsbildung immer komplizierter.
 
Die 1980-er Jahre waren vom Niedergang der DDR-Wirtschaft geprägt. Anders als in den 70-ern wurden der Mangel und die Unzufriedenheit jetzt immer öfters sichtbar…

Gruss Pelzer
 
Bezogen auf den Thread-Titel eine Erinnerung eines damaligen Pubertiers:

“Dem Wald zuliebe 100“ prangte zunehmend auf manchen Autos - vielfach auf solchen die ohnehin kaum schneller als 100 km/h zu fahren in der Lage waren, wie nicht selten auf solchen, die schon damals Oldtimer-Status genossen, und sich wie der VW-Käfer einen satten Schluck Sprit genehmigten um überhaupt von der Stelle zu kommen.
 
“Dem Wald zuliebe 100“ prangte zunehmend auf manchen Autos - vielfach auf solchen die ohnehin kaum schneller als 100 km/h zu fahren in der Lage waren, wie nicht selten auf solchen, die schon damals Oldtimer-Status genossen, und sich wie der VW-Käfer einen satten Schluck Sprit genehmigten um überhaupt von der Stelle zu kommen.

Wenn man dieses Thema anspricht, dann wäre es aber auch durchaus hilfreich darauf hinzuweisen, dass als Ergebnis der Diskussion der Katalysator eingeführt wurde. Und das wird normalerweise als ein ausgesprochen erfolgreiches ökologisches Reformprojekt wahrgenommen, neben der Umstellung des Einsatzes von FCKW.

Und es hatte deutlich gemacht, dass es möglich ist, aufgrund eines gewachsenen ökologischen Bewußtseins die Agenda zu verändern und neben Verteilungsfragen auch diese "neuen" ökologischen Themen - basierend auf einem Weltbild, das "postmaterialistischen Werte" priorisiert - auf die Agenda zu setzen.

Und parallel dazu entwickelte sich in den 80er Jahren eine Bürgerinitiativbewegung, die fließende Übergänge in die "Alternative Ökonomie" aufwies. Und in der Gesamtheit ein neues sozio-kulturelles Milieu generierte, das als Wählerbasis die Grünen bzw. die Alternativen Listen ermöglicht hatte. Einen Wegweiser durch dieses Alternativkultur boten die "Stattbücher" an.

https://www.zeit.de/1981/14/wegweiser-durch-das-andere-leben

In einem weiteren Sinne drückte sich als "gemeinsamer Nenner" darin der Wunsch aus, einen "Dritten Weg" (Ota Sik) zu finden, der jenseits von Kapitalismus oder Staatssozialismus gangbar wäre.

Interessanterweise knüpft beispielsweise Welzer mit "Futurzwei" an diese Ideen der alternativen Projekte an, dass Zukunft selbstbestimmt und optimistisch machbar ist und es wird erneut der Löschpapiereffekt bemüht, um die flächendeckende - potentielle - Relevanz dieser Überlegungen zu illustrieren.

https://www.br.de/nachrichten/kultu...ld-welzer-plaediert-fuer-neue-utopien,RsGlWCL

Aber so genau wollte "striezi" das vermutlich alles gar nicht wissen.
 
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Aus linker Perspektive könnte man auch sagen, die Ideen der Chicago Boys wurden sozusagen propagandareif, nachdem man sie in Chile erprobt hatte.

Chicago Boys – Wikipedia
Chicagoer Schule (Ökonomie) – Wikipedia
Milton Friedman – Wikipedia

Die Reichen dieser Welt hatten dann eine Ideologische Grundlage, um Anarchie auf den Wirtschafts- und Arbeitsmärkten predigen zu können. Wohlwissend, dass unreguliert der wirtschaftlich Stärkere immer am längeren Hebel sitzen und seinen Reichtum weiter mehren können würde.

Das ohnehin schon vorhandene Geld wurde dann genutzt, um sich publizistisch Einfluss zu sichern und diese Ideen als angeblich vernünftig propagieren zu können. Beispiel: Gründung der Bertelsmann-Stiftung 1977. So glaubte das Volk an diese Ideen und wählte Kohl, Thatcher und Reagan. Bzw. wurde in D. Kohl am Anfang, wie schon erwähnt, von der FDP zum Kanzler erkoren. Hierbei ist insbesondere der Name Otto Graf Lambsdorff (damals Wirtschaftsminister) zu nennen, mit seinem "Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit". (Lambsdorff-Papier).
Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – Wikipedia

Die Inhalte dürften maßgeblich von seinem Staatssekretär Otto Schlecht erstellt worden sein.

Otto Schlecht – Wikipedia

Die Verbindung zu den Chicago Boys besteht über die Mont Pèlerin Society, bei der auch Schlecht Mitglied war.

Mont Pèlerin Society – Wikipedia

Parallel dazu wurde durch parteiinterne Mauscheleien der einst große sozialliberale Flügel der FDP (Gerhard Baum, Leutheusser-Schnarrenberger) aufgerieben, er hat sich bis heute nicht davon erholt.

Man könnte also sagen, dass in den 1960ern zwar die Linke den Marsch durch die Institutionen propagierte, aber genau dies letztlich den reichen Besitzstandwahrern viel nachhaltiger und wirkmächtiger gelang. Und das ging eben in den 1980ern sichtbar los.

Nach Chile... Meiner Meinung wird die Bedeutung des Putsches und der anschließenden Reformen durch Pinochet in Chile für die Wirtschaftsordnung, die heute dominiert, weithin ziemlich unterschätzt.
 
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Hier ging es ja wohl eher um die Bundesrepublik. Nur ein Kontinuitätshinweis zum vorherigen Post: der derzeitige Regierungschef Chiles ist einer von Pinochets Chicago Boys.
 
MOD: verschwörungstheoretischer "Strippenzieher"-Quark über bundesdeutsches Wahlausgänge und politische Machtverhältnisse ist nicht Gegenstand des Geschichtsforums.
 
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