Verschwörungstheorien

Dazu möchte ich einen Autor mit seiner frühen Dissertation empfehlen, der allerdings in späteren Jahren offenbar selbst ein verbissenes Opfer seiner Jagd auf Verschwörungstheorien bzw. Verschwörungstheoretiker geworden ist:

Rogalla von Bieberstein, Johannes : Die These von der Verschwörung 1776 - 1945, Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung. Lang, Frankfurt/M. 1976, Europ. Hochschul. III/63

zu der Person:
Johannes Rogalla von Bieberstein ? Wikipedia

Ganz interessante Arbeit, weil sie den Wurzeln dieser "Theorien" nachzuspüren versucht.
 
In Heft Nr.1 Januar/Februar 2011 der Zeitschrift 'Sinn und Form' findet sich ein lesenswerter Beitrag von Joachim Kalka 'Zur Mythologie der geheimen Gesellschaften'. Darin Einiges zu Freimaurern und Illuminaten. Unvollständige Fassung online:

SINN UND FORM
 
Ich mag vor allem die Theorie, dass Flugzeuge gar keine Kondensstreifen erzeugen, sondern dass sog. "Chemtrails" sind, die uns gefügig und konsumfreudig halten sollen. Manchmal sind die Dinger auch für angeblich da, um die "Bevölkerungsreduktionsprogramme" umzusetzen, die "sie" beschlossen haben.

Ich denke, dass wie bereits angesprochen die einfache Kausalität Verschwörungstheorien so attraktiv macht. Keine komplexen Ursachenbündel und ernsthaftes Nachdenken über unser Wirtschafts- und Regierungssystem, sondern eine mächtige Gruppe, die für alles verantwortlich ist und alles ist so, weil diese Leute es so wollen.
Es scheint ganz wichtig zu sein, dass hinter allem ein Sinn steckt. Selbst Naturkatastrophen werden von einigen auf das Wirken ominöser Mächte zurückgeführt. Alles Böse dieser Welt wird auch von bösen Leuten verursacht.
 
Die neue Bibel für Verschwörungsphantasten ist erschienen. Angesichts des Unsinns, der da verbreitet wird, ist es schwer zu entscheiden ob man lachen oder weinen soll. Zumal in dieses Buch die übelsten Verleumdungen und Volksverdummungen zu finden sind.

Und dennoch muss man als kritischer Mensch sich damit auseinandersetzen, um zu verhindern, dass diesen absurden Thesen nicht faktenorientiert widersprochen wird.

Ein Anliegen, dem das Geschichtsforum für mein Empfinden in den letzten Jahren bei historischen Themen gut nachgekommen ist.

https://www.deutschlandfunk.de/gerh...-almanach.2852.de.html?dram:article_id=469127
 
Zuletzt bearbeitet:
Und dazu eine aktuelle Publikation von Butter

Butter, Michael (2018): "Nichts ist, wie es scheint". Über Verschwörungstheorien. Bonn: Suhrkamp, Berlin
 
Der Boden auf dem Verschwörungstheorien gedeihen ist die Leichtgläubigkeit.
Das nehm ich mal als These.

Shermer hat dazu ein interessantes Buch geschrieben.

Also über den Widerstreit von skepticism und credulity (Skepsis und Leichtgläubigkeit)

Er hebt das hervor, und beleuchtet vor diesem Hintergrund, nur auf den ersten Blick, sehr verschiedene Erscheinungen. Vom Glaube an UFOs bis zur Leugnung des Holocaust.
Auf Seite 292 zitiert er ein Gallup-Umfrage unter US-Amerikanern aus dem Jahre 2001.
50% glauben an übersinnliche Wahrnehmungen und nur 27% lehnen das ab.
An Spukhäuser und Teufelsbessenheit glauben ungefähr gleich viele, wie nicht daran;
jeweils gut 40%.
An die Existenz von Hexen immerhin ein gutes Viertel der Bevölkerung. [1]

Der Bischof von Lyon beschreibt 1200 Jahre zuvor eine Verschwörungstheorie seiner Zeit:
Der Erzbischof Agobard von Lyon schreibt, „wenige Jahre nach 816“ AD ein Büchlein „Über Hagel und Donner“
„Hierzulande glauben fast alle Menschen, Adel und Volk, Stadt und Land, Alt und Jung, daß Hagel und Donner von Menschen gemacht werden können.
….........
Wir haben es ja gesehen und gehört, wie die meisten von solchem Wahnsinn gepackt, von solcher Dummheit besessen sind, daß sie glauben und sagen, es gebe ein Land namens Magonia. Aus dem kämen Schiffe in den Wolken gefahren; in ihnen würden die Früchte, die vom Hagel abgeschlagen werden und im Gewitter verkommen, ...“

Es sei ihm, dem Bischof, nur mit Mühe und langem Zureden gelungen, vier gefesselte Menschen (eine Frau und drei Männer) vor der Steinigung zu bewahren.
Der Vorwurf war, sie seien aus den Luftschiffen (im frühen 9. Jhd. spielt sich das ab !) der Zauberer gefallen, welche Unglück über die Ernte der Bauern bringen wollten.
Na, Fantasie hatten sie wohl damals auch schon. [2]

Wenn man nun annehmen will, dass Leichtgläubigkeit, und dessen Geschwister Aberglaube, Dünger in dem Boden sind, auf dem Verschwörungstheorien bevorzugt wachsen, dann lohnt ein Blick auf deren Entwicklung. [3]

[1] Shermer, Michael (2002 ...): Why people believe weird things. Pseudoscience, superstition, and other confusions of our time ; Rev. and expanded, 12. pr. New York: St. Martin's Griffin.
[2] (Arno Borst – Lebensformen im Mittelalter S. 385ff)
[3] https://www.ifd-allensbach.de/fileadmin/kurzberichte_dokumentationen/Prd_0025.pdf
 
Leider muss ich hier widersprechen. Im Gegensatz zum Volk wusste der gute Bischof Agobard nichts mehr von den berühmten Hochgebirgsflotten, wie wir sie hier im Forum vor einigen Jahren wiederentdeckten. ;)

Oftmals scheint es mir eher darum zu gehen, dass eine Erklärung nicht verstanden oder geglaubt wird und dann eine andere genommen wird, die bei genauem Hinsehen Quatsch wäre, vor jenem unverstandenen komplexen Hintergrund aber glaubwürdiger erscheint, weil sie leichter verstanden werden kann. Vor 2 Wochen fragte jemand, was wohl wirklich hinter Corona stecke. Es sei ja klar, dass es keine Krankheit sein könne, weil man keine Kranken sehe. Und es sei auch unglaubwürdig, dass es bei einer Krankheit unterschiedlich hart in Frankreich und Deutschland zuschlage. Die unterschiedlichen Verwaltungs- und Gesundheitssysteme wurden z.B. gar nicht bedacht. Und auch nicht, dass die Kranken isoliert werden. Zu dem Zeitpunkt war auch noch kein Promille der Bevölkerung erkrankt. Schon das nächste Problem: Dann sei das ja gar nicht gefährlich. Ich habe mich gefühlt, als ob ich einem Kind etwas erkläre, das immer weiter nachfragt.

Hätte der mit einem Verschwörungstheoretiker gesprochen, hätte er die scheinbar einfache Erklärung sicher angenommen.

Hinzu kommt, dass es einige Stellen Verschwörungstheorien auch allzu leicht machen. Wenn die WHO in ihren Aussagen weitgehend chinesische Verlautbarungen zitierte, ohne darauf hinzuweisen, dass es noch keine anderen Stellen gab, die entsprechende Untersuchungen zur Herkunft des Virus durchgeführt haben, dann war das ganz einfach eine Steilvorlage für jede Verschwörungstheorie. Wenn jetzt, nachdem mehrere Staatschefs genauere Aufklärung von Seiten Chinas erwarten einfach dasselbe wiederholt wird, ist es vielleicht der Versuch zu beschwichtigen, aber nicht mehr glaubwürdig als Trump, zumal es ja gar nichts gegen dessen Vorwürfe aussagt: Es soll ja mittlerweile darum gehen, ob ein Tier aus jenem Labor bei Wuhan auf jenem Wildtiermarkt in den Handel kam, nicht darum, ob das Virus künstlich ist. Die korrekte Entgegnung wäre ganz simpel gewesen, dass das eine Räuberpistole ist, für die es keinen Beweis gibt. Und eigentlich auch ein Anlass für die Opposition einen Untersuchungsausschuss zu fordern, wenn dem Geheimdienstausschuss die entsprechenden Informationen verweigert werden. Statt dessen eine Aussage, die nichts mit dem Vorwurf zu tun hat, was ein Verschwörungstheoretiker dann als Bestätigung nimmt.

Das Problem ist, dass staatliche Pressestellen und Politiker lieber irgendwas Undurchdachtes sagen, als sich Zeit für eine Antwort zu erbitten. Als junge Ministerin gab Angela Merkel einst zu, dass sie sich in ein Thema noch einarbeiten müsse. Darüber wird bis heute gespottet, obwohl es nicht nur ehrlich war, sonder auch selbstverständlich ist, dass ein neuer Minister nicht gleich seinen kompletten Bereich aus dem ff kennt. Schon das Dienstgeheimnis verhindert das. Aber wenn Verschwörungstheorie auf Politik trifft, dann ist es eben kontraproduktiv, wenn es unausgegorene, halbgare, ausweichende oder nur scheinbare Antworten gibt. Es bestärkt nur den Glauben an das eigentlich Unwahrscheinliche.
 
@hatl: Leichtgläubigkeit wird natürlich eine wesentliche Voraussetzung sein, für die Verbreitung.

Andere Aspekte:

menschliche Umwelt: Suche nach Schuld, Verantwortlichkeiten, Haftbarmachen, Greifbarkeit, Ordnung und Sühne. Alles eine Soße.

sonstige Umwelt: Suche nach Simplifizierungen, einfache Kasualketten. Akzeptierte Erklärungen, Verstehenwollen.

Und das alles: sofort. (wie @Riothamus an der "Ungeduld" erläuterte).



Von den Verhaltensstrategien würde das auch sicher gut zu Überlebensstrategien in der Horde passen.
Hammer et al. (ed.): Handbook of Conspiracy Theory and Contemporary Religion, 2018
Forgas/Baumeister (ed.): The Social Psychology of Gullibility, 2019.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und das alles: sofort. (wie @Riothamus an der "Ungeduld" erläuterte).

“Der Jammer mit der Menschheit ist, dass oft die Klugen feige, die Tapferen dumm und die Fähigen ungeduldig sind. Das Ideal wäre der tapfere Kluge mit der nötigen Geduld.“
(Truman Capote)

“Ein Tag an dem man ins Lexikon schaut, das ist ein guter Tag.“
Irgendwann hat das mal irgendwer mir gegenüber geäußert. Ist nachhaltig bei mir hängengeblieben - es bedeutet mir u.a. sich Zeit nehmen für eine Frage, eine Herausforderung, ...

Fight, freeze or flee - womöglich wirkt dieses archaisch angelegte Verhaltensmuster öfter in Situationen hinein für die es ursprünglich nicht konzipiert wurde? Womöglich kollidiert es aufgrund von Überforderungsempfindungen zunehmend mit so manch “hausgemachter“ Schneller-höher-größer-weiter-Bestrebung von homo sapiens?
 
Oftmals scheint es mir eher darum zu gehen, dass eine Erklärung nicht verstanden oder geglaubt wird und dann eine andere genommen wird, die bei genauem Hinsehen Quatsch wäre, vor jenem unverstandenen komplexen Hintergrund aber glaubwürdiger erscheint, weil sie leichter verstanden werden kann.
Ja, das ist wohl so.
Man könnte auch sagen, dass einfachere Botschaften eine höhere Ausbreitungspotenz haben.
 
Eine Zeitlang habe ich mal versucht mit Verschwörungstheoretikern zu diskutieren. War aber komplett sinnlos, da Argumente, Fakten usw. in diesen Kreisen nichts zählen. Faszinierend im gewissen Sinn war aber zu merken, dass manche Leute gleichzeitig sogar sich total widersprechende Theorien glauben konnten, Hauptsache es war entgegen wissenschaftlich abgesicherten Theorien. Und leicht glitten Diskussionen ab in übelste Beleidigungen, da eben Argumente fehlen. Kann man aktuell leider auch wieder schön sehen bei einem Betrag in "deutschland3000" über Verschwörungstheorien. Ist zwar sicher deutlich vereinfacht, aber was sich dort in den Kommentaren an Hass über die Autorin findet, ist schon heftig. Vor allem kann keiner erklären, was genau in dem Beitrag falsch ist. Wenn es doch so eindeutig falsch ist, was sie produziert hat, dann sollte es doch ein leichtes sein, die Fehler auch aufzuzeigen. Aber das wollen diese Leute gar nicht. Nicht sachliche Kritik, sondern Shitstorm, um jemanden hoffentlich ruhig zu stellen, ist das Ziel. Ein leider deutliches Beispiel, dass man mit diesen Leuten kaum sachlich und sinnvoll diskutieren kann.
 
Suche nach Schuld, Verantwortlichkeiten, Haftbarmachen, Greifbarkeit, Ordnung und Sühne. Alles eine Soße.
Misstrauen gehört noch rein in die "Soße". Sozusagen als Verschwörungs-Soßenbinder für "einfache Kasualketten", die umso dringlicher werden, je weniger verstanden wird, während das "Verstehenwollen" bzw. das Verstehenmüssen schmerzhaft unverzichtbar bleibt.
 
Ja, in der Schule wird gesagt, sie sollen mündige Bürger sein und misstrauisch, wenn jemand um Vertrauen bittet. Und von der Politik kommt heute oft nur, dass der Bürger es nicht versteht, weil es kompliziert ist. Wir sollen ihren unehrlichen Augen trauen. Der gerade verstorbene Norbert Blüm war noch einer, der nicht aufgehört hat, Erklärungen für seine Politik zu wiederholen. Auch das Ansehen der Kanzlerin beruht zumindest teilweise darauf, dass sie zumindest die wichtigen Entscheidungen einfach fassbar zu machen sucht.

Der Rest ist kleines Verschwörungs-Einmaleins: 'Die wollen uns da oder dort nicht die Wahrheit sagen, also haben sie was zu verbergen, mal schauen, wer uns aufklären kann.'

Weil es von Adenauer kommt, wird es oft gering geachtet, aber es ist eben wichtig: Gerade die wichtigen Dinge lassen sich leicht erklären. Wenn man will.
 
Ja, in der Schule wird gesagt, sie sollen mündige Bürger sein und misstrauisch, wenn jemand um Vertrauen bittet. Und von der Politik kommt heute oft nur, dass der Bürger es nicht versteht, weil es kompliziert ist.

Wobei ich gerade, zumindest aus meiner persönlichen Erfahrung heraus, gerade die Institution Schule für das Gegenteil eines sinnvollen Vorbilds dessen halte, mindestens, wenn man dort in Teilen Leherer beschäfftigt, die von der Materie, die sie lehren sollen, selbst keine Ahnung haben und sich dann auf das vorlesen und Einhämmern von Lehrbuchtexten beschränken.
Was ich, gerade im schulischen Kontext (nicht bei allen, aber doch in Teilen) erlebt habe, von Lehrerseite her kommend, war viel mehr, dass verlangt wurde uniform irgendwelche Thesen herunter zu beten, während Diskussion darüber im Unterricht nicht stattfand und das in Fächern wie SoWi oder vorher Politik, in Geschichte glücklicher Weise eher weniger.

Der Rest ist kleines Verschwörungs-Einmaleins: 'Die wollen uns da oder dort nicht die Wahrheit sagen, also haben sie was zu verbergen, mal schauen, wer uns aufklären kann.'

Ich würde sagen, das klassische Verschwörungs-1x1 fängt ja schon beim Begriff "die" an und bei der geistigen Schöpfung in der Realität so nicht existierender Kollektive.
 
In dem Fall sind mit 'die' allerdings noch 'die Anderen' im Gegensatz zu 'wir' gemeint. Aber natürlich verführt es gleich das Wort zu nehmen und ein Kollektiv zu konstruieren.

Meine Erfahrungen in der Schule waren da wesentlich besser. Abgesehen von den amtlich vorgeschriebenen Gebeten -und natürlich auch den kirchlicherseits vorgeschriebenen- mussten wir keine Thesen herunterbeten und es wurde eher dazu erzogen Widerspruch zu erheben und selbst zu denken.
 
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