Der Übergang zur Handfeuerwaffe in europäischen Heeren

Celsus

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In welchem zeitlichen Rahmen vollzog sich der Übergang von der Bogen- und Armbrustwaffe zur Handfeuerwaffe in Europa? Konkret bemessen am prozentualen Anteil der Truppen, die Handfeuerwaffen trugen, soweit solche Statistiken möglich sind.

Bei Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, S. 52 gibt es einen leider nur ganz kurzen Abriss, den ich aufschlußreich finde:

Schon auf dem Reichstag zu Nürnberg 1431 wird für den Feldzug gegen die Hussiten beschlossen, dass die Hälfte der Schützen mit Büchsen, die Hälfte mit Armbrüsten bewaffnet werden solle. Aehnliche Vorschriften finden sich öfter. Noch in den Heeren Karls des Kühnen gab es Bogner, Armbrustschützen und Feuerschützen nebeneinander. Im Jahre 1507 aber schloß Kaiser Maximilian die Armbrust von der Musterung aus.

Unterfrage: Hat jemand Zugang zu dem Wortlaut des Beschlußes von 1431? Mich würde vor allem das dekretierte Stärkeverhältnis der Fernwaffen (Pulver, Pfeil und Bolzen) zu den Blankwaffen interessieren.
 
Ja. Denke ich auch. In anderen erhaltenen Versionen heißt es "fuzgender wappner" oder "fußgengen wapenten". Demnach bestünde nicht bloß die Hälfte der "Schützen" aus Feuerschützen, wie Delbrück schreibt, sondern die Hälfte des gesamten Fußvolks. Also keinerlei Infanterie mit Blankwaffen bereits um 1430. Schwer vorstellbar. Aber genau so steht es da: "halb bussen und halb armbrust" an "fußgonde". Was denkst du?
 
In der "Völkerschlacht bei Leipzig" 1813 kämpften berittene Bogenschützen gegen Napoleon. Diese baschkirischen Truppen stammten allerdings aus dem Ural, dem äußersten Rand Europas.
Es war das letzte Mal, dass Bogenschütze in Mitteleuropa militärisch eingesetzt wurden.
 
Die 'Schützen zu Fuß' bekommen zur Hälfte Feuerwaffen und zur Hälfte Armbrüste. Philologisch und logisch korrekte Texte sind in der Zeit die Ausnahme.

nach Georg Ortenburg, Heerwesen der Neuzeit, Band Waffen der Landsknechte 1500-1650:

1444 nach einer Liste ("Reisrödel") aus Zürich trugen von 2770 Mann
-Helmbarten 1602
-Spieße 649
-Armbrüste 61
-Feuergewehre 458
1504 wollte der Schwäbischer Bund bei 100 Fußknechten 70 Spießer, 20 Helmbartenträger und 10 Schützen.
Generell seien es um 1500 ca. 10% Schützen gewesen.
1550 machten die Schützen 1/3 des Fußvolks aus, 1600 1/2 und Ende des 30jährigen Krieges 2/3.

In Städten sei erst um 1500 das Feuergewehr als den Stangenwaffen gleichwertig für die Bürger anerkannt gewesen. Er führt auch ein Beispiel für eine städtische Musterung an.
Musterung der Halberstädter Bürger 1537:
- Feuerrohre 255
- Helmbarte 150
- Langspieß 130
- kurzer Spieß 20

Zu den Armbrüsten sagt er, dass sie um 1500 in Deutschland und -wegen einer besondere Tradition in der Gascogne- erst 1528 in Frankreich verschwunden seien.
 
In Städten sei erst um 1500 das Feuergewehr als den Stangenwaffen gleichwertig für die Bürger anerkannt gewesen.
Finde ich im Übrigen angesichts der besseren Möglichkeiten zur Magazinbildung und zum Schutz des Pulvers vor Witterungseinflüssen und der damit zu erwartenden größeren Zuverlässigkeit der Feuerwaffen in städtischen Milizen gegenüber Feldheeren, äußerst bemerkenswert.
 
Es ging darum, dass die Bürger die Waffen selbst anschaffen mussten und Feuergewehre und die leichtere Schutzbewaffnung eben günstiger waren. Nicht jede Stadt hatte Magazine über den Bedarf für ihre Kanonen, wenn sie denn solche überhaupt besaßen, hinaus. Und wenn sie eins hatten, hatten die Bürger ihre Waffen dennoch selbst zu erwerben, zu pflegen und zu hüten, um bei Alarm bereit zu sein.

Auch wurden nicht immer glatte Läufe erwartet. Erst zu Beginn des 30jährigen Krieges versagten die Landwehren, Wall- und Grabensysteme, die einst das ganze Land durchzogen, endgültig. Diese wurden von Schützen verteidigt, die gezielt schossen und sich im Schutz der Landwehr zurückzogen. Nun erreichten die Heere aber Größen, die es ermöglichten, mit diesen Schützen Hase und Igel zu spielen.
 
Nicht jede Stadt hatte Magazine über den Bedarf für ihre Kanonen, wenn sie denn solche überhaupt besaßen, hinaus.
Deswegen sprach ich von der Möglichkeit der Magazinbildung.
Demgegenüber war es innerhalb von Feldheeren die ja Wind und Wetter ausgesetzt waren, sicherlich schwieriger, das Pulver, bei entsprechend schlechter Witterung in einem funktionsfähigen Zustand zu halten.
Die Möglichkeiten größere Reserven durch den Tross mitzuführen waren da zunächst auch sicherlich etwas begrenzter.
 
Zu den Armbrüsten sagt er, dass sie um 1500 in Deutschland und -wegen einer besondere Tradition in der Gascogne- erst 1528 in Frankreich verschwunden seien.

Als Ergänzung zu Riothamus: Um das Jahr 1500 wurden sie zunehmend nicht mehr verwendet. Der letzte Großmeister der Armbrustschützen starb in Frankreich 1534. Karl IX (1560-1574 König von Frankreich) ließ die Armbrust- und Bogenschützenschützen endgültig aus der Bewaffnung streichen (vgl, u.a Darstellung bei Howard oder Parker)

Eingebettet war die Entwicklung in die Revolution der Militärtechnik, die u.a. durch den Erfolg der Schweizer "Gewalthaufen" gegen Ritterheere und durch die Erfahrungen der Bedeutung von "Fernkampf" auch gegen Ritterheere z.B. bei Crecy eine komplette Neustrukturierung der Heere einläutete. Und sehr erfolgreich durch die spanischen "Tercios" u.a. praktiziert wurden.

Howard, Michael (2009): War in European history. Updated ed. Oxford: Oxford University Press.
Parker, Geoffrey (1990): Die militärische Revolution. Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens 1500 - 1800.
 
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Karl IX. verbot die Benutzung im Militär. In wie weit es bei dem Verbot in Frankreich um nur Ausnahmen wie z.B. geizige Städter ging, ist mir bisher nicht deutlich geworden. Das Verbot von Armbrust und Bogen 1595 in England zeigt natürlich, was den Bogen angeht ein Eingeständnis, dass mangels ausgebildeter Schützen keine Einheit mehr sinnvoll damit bewaffnet werden konnte. Aber hier rekuriert Ortenburg eben auf den tatsächlich relevanten Gebrauch, wie er nach den Quellen feststellbar ist. 1528 hat die Armbrust demnach in Frankreich letztmals eine Rolle gespielt. Bis zu jenem Verbot wird sie hier und da als Exot aufgetaucht sein. Jedenfalls, wenn wir aus der Sekundärliteratur Schlüsse ziehen wollen.

Hier wäre jedoch das Original interessant, um zu sehen, was verboten wurde, bzw. welche Quellen untersucht wurden. Vielleicht hatten sich Armbrüste ja nur in bestimmten Zusammenhängen und nicht beim Feldheer gehalten, auf das sich Ortenburg ja meist konzentriert. Ich hatte da heute nachmittag schon versucht nachzuschauen, aber sowohl bei Ortenburg als auch bei Parker keine einschlägigen Hinweise gefunden.
 
Auch wurden nicht immer glatte Läufe erwartet. Erst zu Beginn des 30jährigen Krieges versagten die Landwehren, Wall- und Grabensysteme, die einst das ganze Land durchzogen, endgültig. Diese wurden von Schützen verteidigt, die gezielt schossen und sich im Schutz der Landwehr zurückzogen. Nun erreichten die Heere aber Größen, die es ermöglichten, mit diesen Schützen Hase und Igel zu spielen.
das Problem mit gezogenen Läufen war das sehr schlechte Pulver, das eine Reinigung der Waffe nach wenigen Schüssen erfordert hat, während die Musketen Stunden schießen haben können. Mehr oder weniger ungezielt in die gegenüberstehende Linie. Helmbardenträger waren bis zum Aufkommen der Seitengewehre nötig da sich die Schützen bei Reiterangriffen hinter die Helmbarden zurückgezogen haben.
 
Die Schützen trugen schon immer ein Seitengewehr. Allerdings standen sie zu Anfang außerhalb der Formation und mussten wie alle Plänkler vor ihnen, sehen wo sie blieben, wenn sie angegriffen wurden. Erst später rückten sie näher an die Formationen, um bei diesen Schutz zu suchen, ohne das Seitengewehr, zu dieser Zeit wohl ein Katzbalger und später ein Degen oder Säbel aufzugeben.

Du meinst wohl das Bajonett. Und die Schützen zogen sich zuvor hinter die Piken zurück, die die Hellebarden als Mannschaftswache längst verdrängt hatten. Die Aufgabe der Pike geschah bei den meisten Armeen während des spanischen Erbfolgekriegs, nachdem schon Jahre zuvor -angeblich Vauban- das Tüllenbajonett erfunden hatte. Schon im 30jährigen Krieg dienten die Piken vorwiegend nur noch zum Schutz der Schützen.

Und das Laden dauerte auch deshalb länger, weil die Kugel bei gezogenen Läufen in den Lauf gehämmert werden musste. Das Verkleistern der Läufe geschah erst nach mehreren Schuss, in einer Zeit als die meisten Schützen nur 8 bis 10 Schuss für eine Schlacht vorportionierten wohl nicht sehr entscheidend.

Zudem kann ein Schütze in der Landwehr nicht von einer Reiterattacke angegriffen werden. Diese waren ja gerade als Hindernisse für Pferde und Kühe angelegt worden. In der Landwehr konnte sich keine große Einheit bewegen, die genügend zufällige Treffer generierte. Es musste mit Pfeil und Bogen oder Armbrust oder gezogenen Läufen gezielt geschossen werden. Für diesen Dienst werden ausdrücklich gezogene Läufe verlangt.

Oder verwechselst du die Einheit Landwehr mit dem Bauwerk Landwehr?

Die Landwehr bestand meist aus zwei Wällen. An beiden Seiten verlief ein Graben. Dazwischen war entweder ein weiterer Graben oder ein Fußweg. Auf den Wällen wuchs Dornengestrüpp, das in einer günstigen Höhe umgeknickt wurde, um darüber hinwegzuschießen, weshalb eine Landwehr niederdeutsch auch 'Knick' genannt wurde. Es konnte weitere Bestandteile geben, aber das führte hier zu weit. Es ging darum, zu verhindern, dass bei Fehden Rinder weggetrieben werden konnten und dass Reiter behindert wurden und so gestützt auf eine Landwehr auch von einem Bauernaufgebot bekämpft werden konnten. Die wichtigste Taktik war, dass sich kleine Gruppen von Schützen in der Landwehr bewegten und durch Nadelstiche angreifende Heere zermürbten. Und um dies effektiv zu gestalten musste hierzu gezielt geschossen werden.

Die Landesdefensionswerke hatten dann das Problem ganz andere Anforderungen an die Landwehr-Einheiten, auch Landesausschuss genannt, zu stellen.
 
Um es nochmal historisch ein wenig einzuordnen, ein paar kurze Anmerkungen. In der Periode des 16. und 17. verzeichnete Europa eine militärische Revolution (RMA / Revolution in Military Affairs). Parallel zum Aufkommen vor allem von Schusswaffen und Artillerie veränderte sich das Militärwesen drastisch. Die Veränderung der Bewaffnung ging einher mit der Ausweitung der Größe der Heere (vgl. Tabelle, Parker, 1990b, S. 96)

………….Spanien ………NL……Frankreich……..GB……….Schweden……….Russland
1470…….20.000……………………40.000………25.000
1590….200.000……20.000…..80.000……….30.000………15.000………………35.000
1630….300.000……50.000…150.000………………………….70.000………………35.000
1700……50.000….100.000….400.000……….87.000…….100.00……………..170.000

Die Ursachen für die RMA werden von den einzelnen Autoren unterschiedliche angesiedelt (vgl. z.B. Diskussion bei Kiser und Baer). Glete unterscheidet dabei Ansätze, die sich primär mit der Veränderung der Kriegsführung beschäftigen (wie Parker) und solchen, die diese Entwicklung in den Kontext der „State Formation“ (wie beispielsweise MacNeill) stellen.

Generell wird dabei angenommen, dass die Veränderung der Struktur des Militärs zur Voraussetzung hatte, dass Staaten wesentlich effizienter zentral handeln können. Dabei wird der „zentralen Bürokratie“ eines Staates eine wichtige Rolle zugesprochen, um im Rahmen der Besteuerung die immer höheren Kosten für die Aufstellung und Ausrüstung von Armeen und Flotten aufzubringen.

Glete, Jan (2002): War and the state in early modern Europe. Spain the Dutch Republic and Sweden as fiscal-military states 1500 - 1660. 1. publ. London, New York: Routledge
Kiser, Edgar; Baer, Justin (2005): The Bureaucratization of States: Toward an analytical Weberianism. In: Julia P. Adams und Elisabeth S. Clemens (Hg.): Remaking modernity. Politics, history, and sociology. Durham, NC: Duke University Press,S. 225–248.
Knox, Bernard MacGregor Walker; Murray, Williamson (Hg.) (r. 2009): The dynamics of military revolution, 1300-2050. Cambridge: Cambridge University Press.
MacNeill, William H. (1982): Krieg und Macht. Militär, Wirtschaft u. Gesellschaft vom Altertum bis heute. München: Beck.
Parker, Geoffrey (1990a): Die militärische Revolution. Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens 1500 - 1800.
Parker, Geoffrey (1990b): Spain and the Netherlands, 1559-1659. Ten studies. London: Fontana Press.
 
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