Reichsunmittelbarkeit

Naresuan

Aktives Mitglied
Ich verstehe nicht ganz, warum im 13. und anfangs 14. Jahrhundert von einigen Städten und Tälern in der heutigen Schweiz um die Reichsunmittelbarkeit soviel Aufhebens gemacht wurde.
- sie war umkehrbar bzw. musste von neuen Königen bestätigt werden.
- sie änderte nichts an den Grundbesitz- und Eigentumsverhältnissen.
- sie galt nur für bereits als "Freie" bezeichnete Personen.
- sie änderte nichts an der Höhe der Steuern.
- als Richter der hohen Gerichtsbarkeit gab es statt eines Grafen einen Reichsvogt (und der konnte u.U. derselbe sein wie vorher)

Die einzigen Vorteile dieser "Reichsunmittelbarkeit" waren die garantiert eigene niedere Gerichtsbarkeit und dass die hohe Gerichtsbarkeit nicht erblich war. Nun umfasste die niedere Gerichtsbarkeit nicht gerade viel an Kompetenz und wenn die hohe Gerichtsbarkeit von einem willkürlichen Reichsvogt ausgeübt wurde, war auch nicht viel Freiheit erreicht (Freiheit im Sinne Kants: die Abwesenheit nötigender Willkür).
Unter den habsburgischen Königen der 1. Generation (Rudolf, Albrecht und Friedrich) ist es müssig darüber zu spekulieren, ob nun eine erbliche Landgrafschaft oder eine kaiserliche Reichsvogtei die hohe Gerichtsbarkeit ausübte, da sie eh habsburgisch war.
Auch die nicht-habsburgischen Könige konnten natürlich, je nach Belieben die Habsburger als Reichsvögte einsetzen.
Insofern konnte die Reichsunmittelbarkeit eigentlich kein besonderer Schutz vor territorialen Ansprüchen, so weit sie denn überhaupt vorhanden waren, bieten.

Wirkliche juristische Freiheit war doch eigentlich erst mit der Übertragung der hohen oder Blutgerichtsbarkeit erlangt.
Im Fall Zürichs wäre das 1400 durch König Wenzel, Bern 1300?, Uri 1389 durch König Wenzel und Schwyz/Unterwalden 1415 durch König Sigismund.
Oder übersehe ich da etwas Grundlegendes?
 
Auch die nicht-habsburgischen Könige konnten natürlich, je nach Belieben die Habsburger als Reichsvögte einsetzen.
Insofern konnte die Reichsunmittelbarkeit eigentlich kein besonderer Schutz vor territorialen Ansprüchen, so weit sie denn überhaupt vorhanden waren, bieten.
Warum genau konnte sie keinen besonderen Schutz vor Ansprüchen territorialer Art bieten?
Die Einsetzung eines Reichsvogtes ist das eine, der Übergang eines Territoriums in den erblichen Besitz eines Fürstengeschlechtes etwas anderes.
 
Warum genau konnte sie keinen besonderen Schutz vor Ansprüchen territorialer Art bieten?
Die Einsetzung eines Reichsvogtes ist das eine, der Übergang eines Territoriums in den erblichen Besitz eines Fürstengeschlechtes etwas anderes.
Ich dachte da an einen instrumentalisierten korrupten Reichsvogt, der bei fingierten Territoriums-Ansprüchen Urteile zu Gunsten seiner Auftraggeber fällt, vielleicht bis hin zu Todesurteilen.
Unberechtigte Ansprüche mit gefälschten Urkunden zu stellen war in der Zeit nicht unüblich. Da brauchte es dann nur noch einen geneigten Richter.
 
Ich dachte da an einen instrumentalisierten korrupten Reichsvogt, der bei fingierten Territoriums-Ansprüchen Urteile zu Gunsten seiner Auftraggeber fällt, vielleicht bis hin zu Todesurteilen.
Unberechtigte Ansprüche mit gefälschten Urkunden zu stellen war in der Zeit nicht unüblich. Da brauchte es dann nur noch einen geneigten Richter.
Warum sollte der König/Kaiser Interesse an der Einsetzung oder Beibehaltung eines Reichsvogtes haben, der sofern das nicht zu Gunsten der Eigenen Familie geht, die Rechte des Reiches an diesen Territorien untergräbt und somit die königliche/kaiserliche Gewalt schmälert?

Das in dem besonderen Fall, dass der Kaiser/König der selben Dynastie entstammte, die dort Ansprüche erhob, bot es auch noch insofern einen gewissen Schutz, als dass eine Abwicklung der Reichsunmittelbarkeit automatisch den Wiederstadand anderer reichsunmittelbarer Territorien und Stände hervorrufen musste, die in dieser Hinsicht sicherlich keine Präzedenzfälle geschaffen sehen wollten.
Auch den Wiederstand der rivalisierenden Fürstengeschlechter, wenn der König/Kaiser die mit dem Amt verbundenen Rechte ungeniert für die eigene Hausmachtspolitik anwandte, was dann für die Nachfolge im Amt des Königs gegebenenfalls negative Folgen zeitigen konnte.
 
Warum sollte der König/Kaiser Interesse an der Einsetzung oder Beibehaltung eines Reichsvogtes haben, der sofern das nicht zu Gunsten der Eigenen Familie geht, die Rechte des Reiches an diesen Territorien untergräbt und somit die königliche/kaiserliche Gewalt schmälert?
Das würde voraussetzen, dass der König ständig über die Machenschaften seiner Reichsvögte informiert gewesen wäre.
Scheint mir in der Zeit nicht so gewesen zu sein.

Auch den Wiederstand der rivalisierenden Fürstengeschlechter, wenn der König/Kaiser die mit dem Amt verbundenen Rechte ungeniert für die eigene Hausmachtspolitik anwandte, was dann für die Nachfolge im Amt des Königs gegebenenfalls negative Folgen zeitigen konnte.
So weit ich informiert bin, machte das König Rudolf I. in Zürich in seiner Königszeit ungeniert, bestimmte den Reichsvogt aus seinen eigenen habsburgischen Reihen und zog Steuern ein ohne Rücksicht auf Widerstand anderer, den es meines Wissens auch nicht gab.
 
Das würde voraussetzen, dass der König ständig über die Machenschaften seiner Reichsvögte informiert gewesen wäre.
Scheint mir in der Zeit nicht so gewesen zu sein.

Wenn die Vögte sich über die Maßen daneben benahmen bestand für die entsprechenden Territorien/reichsunmittelbaren Stände ja durchaus die Möglichkeit sich mit entsprechenden Bescherweden an den König/Kaiser zu wenden, was auch hinreichend oft praktiziert wurde.
Wenn es über die Maßen zu Missbräuchen kam, gelangte das dem König/Kaiser früher oder später zur Kenntnis.


So weit ich informiert bin, machte das König Rudolf I. in Zürich in seiner Königszeit ungeniert, bestimmte den Reichsvogt aus seinen eigenen habsburgischen Reihen und zog Steuern ein ohne Rücksicht auf Widerstand anderer, den es meines Wissens auch nicht gab.
Einen Reichsvogt aus der eigenen Familie einzusetzen, ist eine Sache, hat aber nichts mit der Verwirklichung territorialer Ansprüche im Rahmen der Dynastie zu tun.

Die Reichsunmittelbarkeit verhinderte nicht, dass ein Territorium via Reichsvogtei vorrübergehend unter die Kuratell eines lokalen Adelsgeschlechts geriet. Daraus ergaben sich aber keine dauerhaften Besitzansprüche an diesem Territorium und auch für die Zeit, in der die entsprechende Dynastie die Vogteirechte inne hatte auch keine unbegrenzten Möglichkeiten in diesen Territorien zu schalten und zu walten, sondern lediglich die Möglichkeit, dass im dem König/Kaiser genehmen Rahmen zu tun, wenn sie nicht riskieren wollten der Vogteirechte wieder enthoben zu werden.

Natürlich gibt es auch Beispiele für den Verlust einer einmal erreichten Reichsunmittelbarkeit, eines der prominenteren wäre die Stadt Donauwörth, die am Vorarbend des 30-Jährigen Krieges im Rahmen konfessioneller Auseinandersetzungen ihren Status einbüßte und an den Herzog von Bayern fiel:

Kreuz- und Fahnengefecht – Wikipedia .

Sich in das Beispiel einzulesen, macht aber auch deutlich, welche überregionalen politischen Konsequenzen ein solcher Schritt für den amtierenden Kaiser und seine politischen Spielräume haben konnte.

Nun waren die Habsburger anno 1607 eine der mächtigsten Dynastien Europas mit gewaltiger Hausmacht innerhalb des Reiches und außerhalb davon. Eine Ausgangsposition, von der die kleineren Könige der nachstaufischen Zeit und auch die früheren Habsbuurger und Luxemburger allenfalls träumen konnten, was die eigene Machtbasis und somit auch den Spielraum angeht.

Insofern war die Reichsunmittelbarkeit keine letztendliche Garantie, dass ein Territorium nicht dauerhaft an einen lokalen Landesherren fallen konnte es bedurfte dazu aber außergewöhnlicher Umstände, nämlich entweder eines so Königs/Kaisers, der so schwach war, dass er die Rechte des Reiches gegenüber den Territorialherren nicht in hinreichendem Maße durchsetzen konnte, wenn Bedarf daran bestand oder aber eines Königs/Kaisers, der so mächtig war, dass er die Konsequenzen eines solchen Schrittes politisch weitgehend unbeschadet überstehen konnte.
 
Einen Reichsvogt aus der eigenen Familie einzusetzen, ist eine Sache, hat aber nichts mit der Verwirklichung territorialer Ansprüche im Rahmen der Dynastie zu tun.
Vom rechtlichen Standpunkt her gesehen mag die reine Einsetzung eines Reichsvogts aus den eigenen Reihen rechtens sein. Erst die Taten und Urteile dieses Vogtes könnten allenfalls übergriffig sein.
Im Fall der Stadt Zürich war aber bereits die Einsetzung von Leuten wie der "von Bonstetten" und "von Rüssegg" juristisch ein Übergriff. Die Stadt war freie Reichsstadt und hatte damit das Privileg ihre Reichsvögte aus ihren eigenen Reihen zu wählen. Die Rechtstreue der Könige in dieser Zeit liess meines Erachtens zu wünschen übrig.
Ich denke auch, dass die Stadtbürger mit dem Vorgehen des Königs nicht einverstanden waren, sonst hätten sie sich nach seinem Tod nicht sofort (allerdings vergeblich) versucht, sich gegen Herzog Albrecht zu erheben (und das unter einem nicht-habsburgischen König Adolf).

Ich glaube, die landesherrlichen Ambitionen (und nur das meine ich mit territorialen Ansprüchen) der Habsburger im Raum Zürich sind unbestritten oder unterliege ich da einer Legende?
Entsprach es nicht geradezu der Strategie jener Zeit, möglichst viel Grundbesitz und Vogteien in einem Gebiet zu erlangen, um es dann als Landesherr zusammenzufassen? Ich weiss zwar immer noch nicht, wie das juristisch funktionierte, aber es scheint mir doch in weiten Teilen des HRR (auch seitens der eidgenössischen Städte und Länder) funktioniert zu haben.
entweder eines so Königs/Kaisers, der so schwach war, dass er die Rechte des Reiches gegenüber den Territorialherren nicht in hinreichendem Maße durchsetzen konnte, wenn Bedarf daran bestand oder aber eines Königs/Kaisers, der so mächtig war, dass er die Konsequenzen eines solchen Schrittes politisch weitgehend unbeschadet überstehen konnte.
Aus welcher Position heraus (Stärke oder Schwäche) verpfändete König Heinrich VII. 1310 das reichsfreie Haslital an die Herren von Weissenburg, die es dann auch gleich landesherrlich in Anspruch nahmen?
In diesem Zusammenhang frage ich mich auch, wie Bern später die "Reichsvogtei" über das Haslital durch all die vielen Jahre inne haben konnte? Gab es gar eine Art unveräusserlichen Anspruch auf dieses Amt? Das würde allerdings nicht dem Sinn der Reichsunmittelbarkeit entsprechen.
 
@Naresuan darf ich fragen welche Literatur du schon dazu verwendet hast?

Das Thema ist komplex und evt. habe ich ja andere auf die ich zurückgreifen kann, um so deine Fragen zu beantworten oder für weitere Recherche.
 
@Naresuan darf ich fragen welche Literatur du schon dazu verwendet hast?
Ui, das wären aber viele.
Diverse Bücher von Sablonier, Niederhäuser, Bruno Meyer, Maissen - Urkundensammlungen von Kopp, Herrgott
Artikel aus vielen Jahrgängen der "Mitteilungen des historischen Vereins des Kanton Schwyz"
"Geschichte des Kanton Zürich"
und natürlich das Historische Lexikon der Schweiz.

Das Thema ist wirklich komplex und man kann es aus vielen Perspektiven betrachten. Ich stolpere einfach über den Begriff bzw. an der Bedeutung der Reichsunmittelbarkeit für die betroffenen Leute. Wussten sie um die Vergänglichkeit oder den Unzulänglichkeiten ihres Glücks oder wiegten sie sich in Sicherheit?
Natürlich werden wir das nie ganz erfahren, die Dokumentenlage aus dieser Zeit ist nicht gerade gross, aber darüber nachdenken (gerade um den 1. August) ist erlaubt.
 
Ui, das wären aber viele.
Diverse Bücher von Sablonier, Niederhäuser, Bruno Meyer, Maissen - Urkundensammlungen von Kopp, Herrgott
Artikel aus vielen Jahrgängen der "Mitteilungen des historischen Vereins des Kanton Schwyz"
"Geschichte des Kanton Zürich"
und natürlich das Historische Lexikon der Schweiz.

Dann hast du das was ich auch in etwa habe.

Interessant könnten noch diese sein:

Strecken, Martina: Städte der Herrschaft. Kleinstadtgenese im Habsburgischen Herrschaftsraum des 13. und 14. Jahrhundert. Städteforschung Band 68. Böhlau Verlag. 2006

Krieger, Karl-Friedrich: Rudolf von Habsburg. Primus Verlag 2003

und hier findest du auch viele Artikel (vielleicht kennst du die Seite ja schon): https://www.e-periodica.ch/
Hier hat man Zugriff auf Argovia und die Schweizerische Zeitschrift für Geschichte.


Das Thema ist wirklich komplex und man kann es aus vielen Perspektiven betrachten. Ich stolpere einfach über den Begriff bzw. an der Bedeutung der Reichsunmittelbarkeit für die betroffenen Leute. Wussten sie um die Vergänglichkeit oder den Unzulänglichkeiten ihres Glücks oder wiegten sie sich in Sicherheit?
Natürlich werden wir das nie ganz erfahren, die Dokumentenlage aus dieser Zeit ist nicht gerade gross, aber darüber nachdenken (gerade um den 1. August) ist erlaubt.

Ist schon spannend. Man kann auch über den 1. August hinaus darüber nachdenken und diskutieren :D
 
Ist schon spannend. Man kann auch über den 1. August hinaus darüber nachdenken und diskutieren
Vielen Dank für die guten Hinweise.
Vorallem e-periodica ist ja ein riesiger Fundus.

Da das Thema "Gründungszeit der Eidgenossenschaft" eher heikel ist, will ich mich auch gar nicht auf Uri, Schwyz und Unterwalden beziehen. Das Thema Reichsunmittelbarkeit kann auch mit anderen Beispielen wie Basel und Rheinfelden betrachtet werden.
 
Vielen Dank für die guten Hinweise.
Vorallem e-periodica ist ja ein riesiger Fundus.

Da das Thema "Gründungszeit der Eidgenossenschaft" eher heikel ist, will ich mich auch gar nicht auf Uri, Schwyz und Unterwalden beziehen. Das Thema Reichsunmittelbarkeit kann auch mit anderen Beispielen wie Basel und Rheinfelden betrachtet werden.

Leider war die Geschichtsschreibung in der Schweiz bis vor ein paar Jahren zu sehr auf die Mythen fixiert und erst mit Sablonier kam eine "neuere" Geschichtsschreibung dazu. Ich würde das Thema Reichsunmittelbarkeit im historischen Kontext zum HRR und den unterschiedlichen Herrschen anschauen. Denn die Gebiete waren teil des HRR und können meiner Ansicht nach nicht losgelöst betrachtet werden. Interessant ist auch wer am Reichstag teilnahm und welche Positionen sie innehatten.

Eine grosse Hilfe bin ich bei deiner Frage wohl eher nicht - bin mehr in der Neuzeit zu Hause und müsste mich erst wieder ins Mittelalter einlesen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Stadt war freie Reichsstadt und hatte damit das Privileg ihre Reichsvögte aus ihren eigenen Reihen zu wählen.
Nein, nicht zwangsläufig. Reichsunmittelbarkeit war kein einheitlicher Rechtsstatus. Reichsstädte und reichsunmittelbare Regionen hatten - auch ausserhalb der Eidgenossenschaft - unterschiedliche Privilegien. Stark vereinfacht dargestellt: Reichsunmittelbarkeit bedeutete zunächst einmal lediglich, dass das betreffende Gebiet direkt dem Reich unterstellt und damit sogenanntes "Reichsland" war. Grundsätzlich konnte der regierende König dieses Gebiet jedem ihm genehmen Adligen, Bischof oder Kloster zum Lehen geben. Reichsunmittelbarkeit wurde man zunächst in der Regel nur durch das Aussterben der Familie (meist im Mannesstamm) des ursprünglichen Besitzers. (Im Fall der Stadt Bern war es beispielsweise das Aussterben der Hauptlinie der Zähringer). Dies geschah auch im Fall des Haslitals, indem das reichsunmittelbar gewordene oder schon "immer" gewesene Haslital an die aus dem Simmental stammenden Freiherren von Weissenburg - im vorliegenden Fall eben nicht verliehen sondern lediglich verpfändet wurde.

Wollte man sich den Status der Reichsunmittelbarkeit für immer sichern, so musste mit dem König verhandelt werden. Waren die Verhandlungen erfolgreich, gab es eben einen Vertrag - mancherorts Freiheitsbrief genannt - in welchem festgehalten war, dass die Region oder die Stadt für "ewig" reichsunmittelbar bleiben soll und nicht vom Reich resp. von keinem König mehr weiter verliehen werden durfte. Uri beispielsweise hat sich seine Reichsunmittelbarkeit erkauft (von den Staufern) - der entsprechende Vertrag (Freiheitsbrief) existiert meines Wissens noch im Original.

Was den Umfang der Reichsunmittelbarkeit betrifft, welche Hoheits-, Gerichtsrechte und sonstige Privilegien damit verbunden waren, war Gegenstand des einzelnen Vertrages / Freiheitsbriefes und dieser war durchaus individuell. Im Fall der Stadt Zürich könnte es also durchaus sein - ich kenne die einzelnen Freiheiten von ZH nicht - dass die Wahl des Reichsvogts nicht dazugehörte oder dieses Privileg erst später erworben wurde. Im Fall von Uri beispielsweise, welches "seine Reichsunmittelbarkeit" von den Staufern gekauft hatte, weiss ich zufällig, dass zum Mindesten ursprünglich das Recht zur Wahl des Reichsvogts beim König blieb. Allerdings durfte der Reichsvogt sich nicht in der Talschaft niederlassen und musste seine Steueren als "Reisender" eintreiben. Die umfangreichsten Freiheiten resp. die "grösste Reichsunmittelbarkeit" dürften die oberitalienischen Städte gehabt haben.

Im weiteren konnte der König nicht nur Reichsland verleihen oder verpfänden oder Privilegien/"Freiheiten" gewähren sondern - wie jeder andere Machthaber - auch einzelne Rechte verleihen. So konnte er auch das Amt des Reichsvogts nicht nur an eine einzelne Personen sondern dieses auch als "Erblehen" vergeben. Ich vermute mal, dass dies im Falle der Reichsvogtei der Stadt Bern über das Haslital geschehen ist.

Um die Sache noch komplizierter zu machen: Räumlich vollständige Reichsunmittelbarkeit konnte es nur für Städte geben (und auch dort nicht überall), nicht aber für Regionen. Uri beispielsweise war reichsunmittelbar, aber in Uri hatte auch die Fraumünsterabtei Zürich, die Freiherren von Attinghausen, die Herren und Meier von Silenen, das Kloster Wettingen etc. etc. Besitztum und Rechte. Und dieser Besitz und diese Rechte waren unabhängig vom jeweiligen Rechtsstand gegenüber dem Reich - d.h. ob Uri reichsunmittelbar oder nicht war für die Fraumünsterabtei Zürich belanglos: ihre Hoheitrechte in Uri wurden dadurch nicht tangiert (Die "reichsunmittelbare Talschaft Uri" hatte der Fraumünsterabtei ihre Rechte in der Talschaft später abgekauft).
 
Hoffentlich fasse ich das jetzt richtig zusammen: es gab Reichsunmittelbarkeit und Reichsvogteien in verschiedenen Formen: verpfändete, erbliche, durch andere Hoheitsrechte beschränkte und voll ausgebildete.
Das scheint sich mit meinen anfänglichen Annahmen zu decken, dass nämlich die Reichsunmittelbarkeit alleine noch nicht viel bewirkte. Sie musste schon mit anderen Privilegien wie Unveräusserlichkeit und eigener Wahl der hohen Gerichtsbarkeit verbunden sein, damit die Betroffenen von so etwas wie Freiheit sprechen konnten.
Im Fall der Stadt Zürich könnte es also durchaus sein - ich kenne die einzelnen Freiheiten von ZH nicht - dass die Wahl des Reichsvogts nicht dazugehörte oder dieses Privileg erst später erworben wurde.
Zu Zürich aus dem Historisches Lexikon der Schweiz (HLS): Die 1098 den Hzg. von Zähringen übertragene Reichsvogtei Z. blieb zwar nach deren Aussterben 1218 bestehen, doch verlieh sie der König nicht mehr als erbl. Amt an einen Fürsten, sondern zeitlich beschränkt an einen Reichsbeamten, der in der Regel aus der Bürgerschaft stammte.
Inwieweit das auf einem Privileg des Königs basierte oder ob daraus ein Gewohnheitsrecht resultierte, kann ich tatsächlich nicht belegen.

Was die Reichsunmittelbarkeiten für die Urschweiz (Uri, Schwyz, Unterwalden) anbelangt, bewegen wir uns auf ganz dünnem Eis. Die neuere Forschung geht davon aus, dass die für diese Zeit in Chroniken fast inflationär erscheinenden und meist nicht mehr vorhandenen Freiheitsbriefe und deren Bestätigungen in diesem Raum spätere Konstruktionen sind, um eine (eventuell vorhandene) Reichsunmittelbarkeit nachträglich zu belegen.

Uri beispielsweise hat sich seine Reichsunmittelbarkeit erkauft (von den Staufern) - der entsprechende Vertrag (Freiheitsbrief) existiert meines Wissens noch im Original.
Das Original des sog. Freiheitsbriefes für Uri von 1231 existiert nicht mehr oder hat vielleicht nie existiert. Dazu wieder das Historische Lexikon im Artikel Uri:
Gemäss einer von Aegidius Tschudi kopial überlieferten Urkunde, deren Echtheit von der neueren Forschung z.T. angefochten wird, verlieh Kg. Heinrich (VII.), der Sohn Ks. Friedrichs II., den in U. lebenden Leuten die Reichsunmittelbarkeit.

Gemäss dieser Überlieferung sollte also Rudolf II. von Habsburg 1218 Uri verpfändet worden sein um es ihm dann 13 Jahre später wieder abzukaufen. Ein Vorgang, den ich bis jetzt noch nicht ganz verstanden habe, wenn er denn tatsächlich so statt fand. Motive für die Verpfändung, Motive für den Rückkauf?

Wenn ich die modernen Schweizer Historiker richtig verstehe, ist die Dokumentenlage für diese Zeit in diesem Raum viel zu dünn, um genaue Aussagen über die Art der Reichsunmittelbarkeit dort zu machen.
Ich denke auch, dass das HLS diese Ansicht gut umsetzt.

Quellen:
Max Schultheiss: "Zürich (Gemeinde)" Kap. 2.1 in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 25.01.2015. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/000171/2015-01-25/, konsultiert am 14.08.2020
Hans Stadler: "Uri" Kap. 2.2 in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.05.2017. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007384/2017-05-30/, konsultiert am 14.08.2020
 
Noch ein kleiner Nachtrag zu Zürich:
Belegen lässt sich ein Versprechen vom 5. Nov. 1273 von König Rudolf an die Zürcher, den Reichsvogt jedes zweite Jahr neu zu besetzen und dass der gleiche Reichsvogt erst in 5 Jahren wieder gewählt werden dürfe.
Rudolf - RI VI,1 n. 31
Ob die Zürcher sich erhofften, dass dem König die Reichsvögte ausgehen? Ob er sich daran gehalten hat?
Jedenfalls erscheint der Hermann von Bonstetten 1274 und 1281 als Reichsvogt in den Urkunden.
 
Das scheint sich mit meinen anfänglichen Annahmen zu decken, dass nämlich die Reichsunmittelbarkeit alleine noch nicht viel bewirkte. Sie musste schon mit anderen Privilegien wie Unveräusserlichkeit und eigener Wahl der hohen Gerichtsbarkeit verbunden sein, damit die Betroffenen von so etwas wie Freiheit sprechen konnten.

MMn machst du hier bei diesem Schluss nach wie vor den Fehler den Schacher mit Rechten in reichsunmittelbaren Territorien mit einem Schacher um diese Territorien selbst gleichzusetzen.

Was die Reichsunmittelbarkeit von Territorien als kleinsten gemeinsamen Nenner gemein hat, ist, dass das Reich, unmittelbar also der Kaiser Rechte an diesen Territorien hatte.
Die ganz konkrete Folge daraus ist zunächst mal, dass dynastisch motivierte Aufteilungen in Heirats- oder Erbschaftsangelegenheiten, so wie Fehden unter den lokalen Adelsgeschlechtern diese Territorien in der Regel nicht oder in deutlich geringerem Maße betrafen, als nicht reichsunmittelbare Territorien, weil solche Umständen den Kaiser selbst als, nennen wir es mal, Vertreter des Reiches als dritte Partei mit hineinziehen mussten.


Das mag sich zunächst mal nicht nach viel anhören, versucht man sich aber gedanklich mal in diese Weit hinein zu versetzen, bedeutet jede Erbteilung oder Teilung durch kriegerische Auseinandersetzung, Neueinteilung/Umverteilung von Wegerechten etc. Verwüstung, die Zerstörung wirtschaftlicher Zusammenhänge, möglicherweise die Trennung von Familien (im größeren Sinne) als anschließde Untertanen verschiedener Herren etc. etc.
Wenn dergleichen in der Regel wegen der unmittelbaren Zugehörigkeit von Territorien zum Reich, statt lediglich zum unsteten Lehensverband einer lokalen Dynastie, die jederzeit untergehen kann, wonach wegen rivalisierender Ansprüche über die "Konkursmasse" mit einiger Wahrscheinlichkeit die Hölle hereinbrach, war alleine das schonmal eine ganze Menge wert.

Auch im Hinblick auf Beschwerden über sich schlecht oder sittenwidrig betragende Statthalter/Vögte war die Reichsunmittelbarkeit sicherlich insoweit ein Vorteil, dass solche Beschwerden, wenn ihnen nicht nachgegangen wurde, das Ansehen des Königs/Kaisers beschädigen konnten, was diesem, dadurch, dass es sich ja nicht um ein Erbkönigtum handelte, nicht recht sein konnte, wollte er seinen Söhnen den Thron erhalten.
Ein lokaler Adeliger ohne überregionale Bedeutung hatte war da sicherlich weit weniger im Zugzwang sich als gerechter Herrscher zu gerieren, sofern sich das Territorium/die Rechte, die davon betroffen waren, im Erblichen Besitz der Familie befanden oder wenigsten so weit allodifiziert waren, dass die Belehnung reine Formsache geworden war.

Wenn das Königtum/Kaisertum in nachstaufischer Zeit jemals zu einer faktisch unter den Habsburgern vererbten Angelegenheit geworden ist, dann in der Periode zwischen dem Ende des 30-Jährigen Krieges und dem Österreichischen Erbfolgekrieg.

Alles was vor dieser Periode als reichsunimttelbar galt, hatte den ungemeinen Vorzug nicht an das Schicksal eines einzelnen Fürsten oder seiner Dynastie und ihrer Geschicke gekettet zu sein, sondern davon allenfalls tangiert zu werden, in ihrer Existenz und ihrem territorialen Bestand hingen sie aber von der Instution des Reiches und des Königtums/Kaisertums ab.
 
MMn machst du hier bei diesem Schluss nach wie vor den Fehler den Schacher mit Rechten in reichsunmittelbaren Territorien mit einem Schacher um diese Territorien selbst gleichzusetzen.
Das kann gut sein, dass ich einen Fehler mache. Ich versuch mich ja in die Gedankenwelt der damaligen Zeit hinein zu begeben. Eure Antworten sind ein wertvoller Beitrag, das Thema aus verschiedenen Perspektiven anzuschauen und ich hätte das Thema nicht eröffnet, wenn ich die Antwort schon zu wissen geglaubt hätte.
Ich hätte vielleicht besser von Herrschaftsansprüchen, statt von territorialen Ansprüchen gesprochen. Es geht mir ja nicht um die Angst vor Verlust des Grundeigentums, das war in der Reichsunmittelbarkeit sicher besser aufgehoben als anderswo, sondern um den Begriff Freiheit. Die Städte und Täler, die eine Reichsunmittelbarkeit erlangten oder aushandelten, taten dies mMn um in ihrem Gebiet die eigene Herrschaft auszuüben. War dieser Wunsch erreicht, wenn man einen fremden Vogt vorgesetzt bekam?

Mit dem Überblick über die ganze Geschichte des HRR wissen wir natürlich mehr, als es die Leute damals wussten. Die Zeiten waren für sie im Umbruch. Das Lehenswesen wurde allmählich durchsetzt von allerlei Kuriositäten wie Verpfändungen von Reichsvogteien. Man wusste noch nicht recht was es damit auf sich hatte. Wielange die Dynastie der Habsburger als Könige an der Macht bleiben wird, wussten sie auch noch nicht.
 
Hoffentlich fasse ich das jetzt richtig zusammen: es gab Reichsunmittelbarkeit und Reichsvogteien in verschiedenen Formen: verpfändete, erbliche, durch andere Hoheitsrechte beschränkte und voll ausgebildete.
Das scheint sich mit meinen anfänglichen Annahmen zu decken, dass nämlich die Reichsunmittelbarkeit alleine noch nicht viel bewirkte. Sie musste schon mit anderen Privilegien wie Unveräusserlichkeit und eigener Wahl der hohen Gerichtsbarkeit verbunden sein, damit die Betroffenen von so etwas wie Freiheit sprechen konnten.

Ich würde es so definieren: Freiheit gab es im Mittelalter überhaupt nicht - zum Mindesten nicht im europäischen Mittelalter. Es gab lediglich "Freiheiten". Freiheit war auch nicht in jedem Fall erstrebenswert - denn grosse Freiheit bedeutete Schutzlosigkeit, so dass man für seinen Schutz selbst verantwortlich war.
Insofern gab es so etwas wie eine "voll ausgebildete Reichsunmittelbarkeit" wohl nicht, nicht einmal bei den norditalienischen Städten.

Zu Zürich aus dem Historisches Lexikon der Schweiz (HLS): Die 1098 den Hzg. von Zähringen übertragene Reichsvogtei Z. blieb zwar nach deren Aussterben 1218 bestehen, doch verlieh sie der König nicht mehr als erbl. Amt an einen Fürsten, sondern zeitlich beschränkt an einen Reichsbeamten, der in der Regel aus der Bürgerschaft stammte.
Inwieweit das auf einem Privileg des Königs basierte oder ob daraus ein Gewohnheitsrecht resultierte, kann ich tatsächlich nicht belegen.

Ergänzung:
Das erbl. Amt musste ja nicht unbedingt an einen Fürsten verliehen werden - man konnte es auch an eine Stadt resp. an eine Bürgerschaft verleihen. Und so blieb es auf jeden Fall erblich.

Was die Reichsunmittelbarkeiten für die Urschweiz (Uri, Schwyz, Unterwalden) anbelangt, bewegen wir uns auf ganz dünnem Eis. Die neuere Forschung geht davon aus, dass die für diese Zeit in Chroniken fast inflationär erscheinenden und meist nicht mehr vorhandenen Freiheitsbriefe und deren Bestätigungen in diesem Raum spätere Konstruktionen sind, um eine (eventuell vorhandene) Reichsunmittelbarkeit nachträglich zu belegen.


Das Original des sog. Freiheitsbriefes für Uri von 1231 existiert nicht mehr oder hat vielleicht nie existiert. Dazu wieder das Historische Lexikon im Artikel Uri:
Gemäss einer von Aegidius Tschudi kopial überlieferten Urkunde, deren Echtheit von der neueren Forschung z.T. angefochten wird, verlieh Kg. Heinrich (VII.), der Sohn Ks. Friedrichs II., den in U. lebenden Leuten die Reichsunmittelbarkeit.

"Zum Teil angefochten" - an anderer Stelle hat das Historische Lexikon keine Zweifel:
Friedrich II.
Privilegien

Ich sehe jetzt nicht, weshalb man die Freiheitsbriefe von Uri und Schwyz anzweifeln sollte. Für beide Orte sind recht früh Landammänner nachgewiesen - spätestens Ende des 13. Jahrhunderts bei einem ersten Bund resp. Pakt (ich meine nicht den "ewigen Bund" von 1351) zwischen Uri und Schwyz mit Zürich. (Werner Stauffacher tritt als Zeuge bei einem Handel 1267 auf). Und von der ("freien") Bevölkerung gewählte Landammänner kann es naturgemäss nur in reichsunmittelbaren Regionen geben (genauso wie ein Bürgermeitster oder Schultheiss nur von den "freien Bürger" einer reichsunmittelbaren Stadt gewählt werden konnte).

Gemäss dieser Überlieferung sollte also Rudolf II. von Habsburg 1218 Uri verpfändet worden sein um es ihm dann 13 Jahre später wieder abzukaufen. Ein Vorgang, den ich bis jetzt noch nicht ganz verstanden habe, wenn er denn tatsächlich so statt fand. Motive für die Verpfändung, Motive für den Rückkauf?

Motive für die Verpfändung - man benötigte schlicht und ergreifend Geld -:)

Motive für den Rückkauf: Dies wird, im Fall von Uri, in der Regel mit den Auseinandersetzungen von Friedrich II mit dem Papsttum erklärt. Die Habsburger waren, dafür gibt es zum Mindesten Indizien, nicht immer "kaiserlich" (oder "ghibellinisch") und Friedrich II wollte sich den Gotthard für Truppennachschub freihalten. Jedenfalls war es günstiger, wenn er die Kontrolle über die Region selbst inne hatte.
Der Freiheitsbrief von Schwyz ist schon etwas sagenhafter - er soll ausgestellt worden sein, als die Schwyzer Friedrich II bei Faenza mit einem kleinen Kontigent aushalfen. Dennoch braucht dieser Brief auch nicht unbedingt angezweifelt zu werden - da er sowieso das Manko hatte, dass sich Friedrich II zur Zeit seiner (behaupteten) Ausstellung unter dem Kirchenbann befand. Somit war er sowieso anfechtbar.
Ein (früher) Freiheitsbrief für Unterwalden hat es nie gegeben - als Heinrich VII von Luxemburg die Privilegien von Uri und Schwyz bestätigte, hat sich Unterwalden einfach "angehängt" und auch eine frühere Reichsunmittelbarkeit behauptet - und Heinrich VII hat diese Behauptung "gnädigerweise" akzeptiert . Ob dies aus Nachlässigkeit, Desinteresse oder aus politischem Kalkül geschah, darüber kann spekuliert werden. Ich tippe auf politisches Kalkül - immerhin war sein Vorgänger als König ein Habsburger gewesen und Habsburg hatte in Unterwalden recht umfangreichen Besitz und Rechte.
 
"Zum Teil angefochten" - an anderer Stelle hat das Historische Lexikon keine Zweifel:
Darum: "zum Teil".
Ich sehe jetzt nicht, weshalb man die Freiheitsbriefe von Uri und Schwyz anzweifeln sollte.
Würde ich auch nicht empfehlen, sonst kriegst du hierzulande sofort Probleme.
Die Habsburger waren, dafür gibt es zum Mindesten Indizien, nicht immer "kaiserlich"
Stimmt, nur bei Rudolf dem 2. Graf von Habsburg sehe ich dafür zwischen 1218 und 1231 noch keine Anzeichen. Einer seiner Söhne soll dann päpstlich geworden sein.
 
Ich sehe jetzt nicht, weshalb man die Freiheitsbriefe von Uri und Schwyz anzweifeln sollte.
Den Versuch einer Erklärung dafür, warum diese teilweisen Zweifel am Freiheitsbrief Uris entstanden sind, könnte ich noch nachliefern:

Die moderne Forschung am "Chronicon Helveticum" von Aegidius Tschudi, in dem dieser Brief einzigartig erscheint, wurde eigentlich erst 2001 mit der Veröffentlichung von Bernhard Stettlers Neu-Edition wieder aufgenommen.
Inzwischen wurden darin Fälschungen, Manipulationen und Falschdatierungen festgestellt, die offenbar dazu führten die Glaubwürdigkeit der Chronik zu schmälern.
Ob es legitim ist, dann auch diesen Freiheitsbrief zu bezweifeln, kann und will ich nicht beurteilen.

Quellen:
Bernhard Stettler, 2001: "Tschudi-Vademecum. Annäherungen an Aegidius Tschudi und sein Cbronicon Helveticum" und "Sieben Abhandlungen zur Entstehung der Eidgenossenschaft"
Katharina Koller-Weiss und Christian Sieber, 2002: "Aegidius Tschudi und seine Zeit"
Roger Sablonier, 2008: "Gründungszeit ohne Eidgenossen - Politik und Gesellschaft in der Innerschweiz um 1300"

Klaus Graf fasst es hier zusammen:
"Tschudis konservative Ordnungsvorstellungen, sein wiederholt laxer Umgang mit der historischen Wahrheit und den Quellen (Fälschung, Fiktion, Manipulation), ..."

Paul Zinsmaier in seinen Studien zu den Urkunden von Heinrich VII. versuchte alle Urkunden einem bestimmten königlichen Kanzleischreiber Heinrichs zuzuschreiben. Bei dieser Urkunde konnte er es, soweit ich das beurteilen kann, nicht zweifelsfrei. Nur ein Indiz, aber in einem Gerichtsfall würde das zusammen mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen (Tschudi) vermutlich zu einem Freispruch reichen.

Weil diese Forschung noch nicht so alt ist, kann man vielleicht auch erklären, warum ältere Artikel im HLS, diese neueren Erkenntnisse noch nicht so abbilden.
 
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