Heidnische Zeremonien

Eumolp

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Ich lese gerade das große Werk von Edward Gibbon, da gibt es in Kap. XX eine Bemerkung:
...das Predigen, das einen beträchtlichen Teil des christlichen Gottesdienstes auszumachen scheint, war in den Tempeln des Altertums nicht gang und gäbe...

Wenn ich das so lese, wird mir klar, dass ich von den "heidnischen Gottesdiensten" (wenn man sie so nennen kann) eigentlich nichts weiß. Daher eine ganze Batterie von Fragen, die vor allem auf die griechische und römische Religion abzielt:

Wie lief denn ein heidnischer Gottesdienst ab? War das nur ein Opfer, oder gab es da mehr, etwa eine Verteilung der Opfergaben o.ä.? Hat da nur der Priester geopfert oder jeder vor einer Götterstatue? Prozessionen sind mir bekannt, aber waren die immer ein Bestandteil? Hat man vielleicht auch außerhalb eines Tempels vor Götterstatuen geopfert? Auf jeden Fall hatten die Griechen ein Hausaltar, da wurden auf Opfergaben hingestellt.

Zu welchen Anlässen wurde der Gottesdienst abgehalten: alle x Tage oder nur an den Festtagen zu Ehren eines Gottes?

War man frei, "seine" Gottheit zu wählen, z.B. zum Tempel der Minerva zu gehen, oder zum Jupiter, zum Mars, zur Venus etc.? Oder besuchte man mal den, mal die?

War das "Fußvolk" auch im Tempel oder wartete es draußen? Sagte man im Gottesdienst etwas, etwa religiöse Formeln, sang man z.B. Hymnen? Beteten die Gläubigen? Betete der Priester? Standen die Leute, knieten sie oder was taten sie sonst? Tanzten da die Mädchen?

Waren die Tempel außerhalb des Gottesdienstes geschlossen oder konnte da jeder rein, der wollte? Gab es vielleicht Wächter oder Aufpasser? Oder gab jeder "seiner" Gottheit, von der man irgendetwas wollte, irgendwelche Gaben, zündete eine Kerze, Myrrhe o.ä. an?

Wie gesagt, ich tue mich schwer, mir eine heidnische religiöse Zeremonie vorzustellen und inwiefern diese sich vom christlichen Gottesdienst unterscheidet.
 
Interessante Frage. Mein Eindruck (den ich aber nicht direkt belegen kann) ist, dass regelmäßige gemeinsame Gottesdienste abseits der großen Feste eine gering(er)e Rolle spielten, aber persönliche bzw individuelle Zeremonien eine größere. Wenn Kleon-Normal-Athener Welchemgottauchimmer ein Opfer darbringen wollte, ging er eben zum entsprechenden Tempel, bezahlte Priester und/oder Opfergabe und bekam halt seine Privatshow (wenn die Spenden ausreichten...). Auf der anderen Seite kannten manche Kulte (bspw Mysterienkulte wie der von Eleusis) mWn auch regelmäßige Veranstaltungen, was immer da auch ablief; war vielleicht auch einer der Vorzüge solcher Kulte. Das waren auf jeden Fall geschlossene Veranstaltungen.

Bei der Wahl der Gottheit werden mE viele Dinge eine Rolle gespielt haben, von der Tradition (evtl auch der familiären) über den "Aufgabenbereich" der Gottheit bis zur Frage, welche Tempel es überhaupt in erreichbarer Nähe gab. Ein Athener hatte sicher sehr viel mehr Auswahl als der Bewohner des polis-Äquivalents von Buxtehude...
 
Neben wir den Mithras-Kult. Geschlossene Veranstaltungen, wie von Reinecke beschrieben. Zentrales Motiv ist, wie Mithras den Stier ersticht. Die Archäologie findet aber im Zusammenhang mit Mithräen vorwiegend Hühnerknochen. Da Mithräen einen typischen Aufbau haben (häufig in den Erdboden eingetiefte langezogen rechteckige Räume mit Sitz- bzw. accumbare-Gelegenheiten an den Wänden, die Eintiefung in den Boden soll den Höhlencharakter der Geburtsstätte des Mithras hervorheben). Offensichtlich - so zumindest lässt sich aus dem archäologischen Befund schließen - wurde in den Mithräen gespeist und zwar eben hauptsächlich Huhn (wobei man sich im Klaren sein muss, dass Obst und Gemüse nur unter besonderen Bedingungen archäologisch nachzuweisen sind, eine Chance hätte man evtl. am Mithräum Brocolitia (Hadrianswall, östlich Chester, nordöstlich Hexham), vielleicht 20 km von Vindolanda oder Housesteads entfernt (Vindolanda liegt zwar vielleicht ein oder zwei Kilometer südlich vom Hadrianswall, ist aber älter und war zum Zeitpunkt des Baus des Walls schon aufgelassen).

Dass die Opferungen bei den römischen oder griechischenn Hauptkulten nur Privatangelegenheiten waren, glaube ich nicht. Teilweise müssen das regelrechte Großveranstaltungen gewesen sein, wenn ich allein an die Blutablauf"rinne" beim Baal-Tempel in Palmyra denke, da müssen an einem Tag etliche Dutzend Tier geopfert worden sein, wenn das nicht noch zu knapp bemessen ist.

Wichtig für Kulte ist i.d.R. nicht so sehr eine Predigt, sondern v.a. kultisches Verhalten (dazu gibt es auch in den Neurowissenschaften interessante Untersuchungen), kultisches Verhalten verlangt Rituale und gewissermaßen auch Gemeinschaft. Also gemeinsame Opferhandlungen und Gebete, Bewegungen bzw. ritualiserte Bewegungsabläufe sind dabei auch aus neurowissenschaftlicher Perspektive wichtig.
 
Dass die Opferungen bei den römischen oder griechischenn Hauptkulten nur Privatangelegenheiten waren, glaube ich nicht. Teilweise müssen das regelrechte Großveranstaltungen gewesen sein, wenn ich allein an die Blutablauf"rinne" beim Baal-Tempel in Palmyra denke, da müssen an einem Tag etliche Dutzend Tier geopfert worden sein, wenn das nicht noch zu knapp bemessen ist.

Sicher gab es öffentliche, oft "staatlich" organisierte oder finanzierte Opferungen, aber mein Eindruck ist, dass das die zu den großen Festen waren; durchaus auch in großem Maßstab. Hab mal i-wo gelesen, dass bei oder vor den olympischen Spielen Stiere (glaub ich) im dutzend dran glauben mussten. Was es nicht gab (wieder, mein Eindruck) sind wöchentliche (bzw dekadenmäßige oder was auch immer) Zusammenkünfte mit rituellen Handlungen, wie das im Christentum üblich ist; bzw war, bevor die Mehrzahl der Christen die Kirche nur noch zu Weihnachten und Ostern aufsuchen... ;)

Wie gesagt, manche Kulte, besonders Mysterienkulte für eine begrenzte, "initiierte" Mitgliederschar mögen hier die Ausnahme gewesen sein.

Auf der anderen Seite ist es heute nur noch sehr begrenzt üblich, dass man mehr oder minder jederzeit zur Kirche gehen kann, und dann eine "private", nicht für die ganze Gemeinde gedachte, kultische oder rituelle Handlung bekommt. Seelsorge (im Idealfall) klar, aber Ritus? Außer der katholischen Beichte fällt mir da nicht viel ein, bin mit dem tatsächlichen Kirchenleben aber auch eher unvertraut, zugegeben...

Das war im antiken Hellas anders, glaub ich. Da war das Normalität, zumindest für die, die es sich leisten konnten.

Grade zum Thema "Predigt" stellt sich mir die Frage, inwieweit die antiken, polytheistischen Religionen überhaupt das "standing", die Anerkennung als moralische Autorität hatten, um dem Großteil der Bevölkerung regelmäßig Vorhaltungen zu einem einwandfreien Lebenswandel zu machen. Bin ich mir tatsächlich mehr als unsicher (und gehe davon aus, dass es starke Unterschiede gab, lokal/regional, zeitlich etc; in Athen 350 sah das sicher anders aus als i-wo auf dem Land 200 Jahre vorher).

EDIT & P.S.: Eine andere Sache ist vielleicht der Stellenwert von religiösem Wahrsagen. Das gehörte bei mWn allen antiken Kulten dazu, in verschiendenen Ausformungen (Orakel, Leberschau, röm. Auguren etc).
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht sollte man die griechischen Polis und Rom auseinanderhalten. In Rom waren regelmäßige vom Senat, also quasi staatlich organisierte Rituale üblich. Und auch der Mithraskult, wenn auch von mazedonischem Ursprung, wurde hauptsächlich von Römern gepflegt.
Hier mal ein Bild, was da im Lauf eines (!) Jahres in Rom geopfert wurde:
Opfertiere.JPG
 
Erstmal herzlichen Dank für die Antworten.

Was die Tieropfer im Römischen Reich betrifft, so lese ich bei Gibbon, dass Kaiser Julian an einem Tag "nicht selten 100 Ochsen" geopfert hatte. Das kontrastiert mit der Grafik von Kochant, die doch sehr mäßig aussieht. Allerdings war Julian nun mal Kaiser.

Was ich aus den Antworten mitnehme, ist, dass das Opfer im privaten oder öffentlichen Raum Hauptbestandteil des Kultes war, und dieses Fleisch auch durchaus an die Anwesenden verteilt wurde. Und, wie El Q. beim Mithras-Kult beschreibt, man im Grunde zu einem Gastmahl zusammenkam, mit einem religiösen Firlefanz drumherum.

Hierzu auch noch ein paar Takte aus einem wiki-Artikel, der mir bei der Recherche unterkam, hier allerdings über "Römische Religion":
Die Opfertiere, meistens Haustiere wie Schafe, Schweine oder Rinder, wurden unterschieden nach Geschlecht, Alter, Hautfarbe, ob sie kastriert waren oder nicht, noch gesäugt wurden (lactentes) oder nicht (maiores). Als besonders geeignet galten zweijährige Tiere (damals genannt bidentes: „zweizahnig“). Für verschiedene Tiere waren verschiedene Holzarten für das Opferfeuer vorgeschrieben, man unterschied u. a. glücksbringende Bäume (arbores felices) und unheilvolle Bäume (arbores infelices). Das ausgesuchte Tier wurde festlich geschmückt und in einer feierlichen Prozession zum Altar geführt. Unter der Begleitung von Flötenmusik zog sich der Opferherr die Toga über den Kopf, dann sprach er exakt die bisweilen komplizierte Darbringungsformel nach. Dann bestrich er die Stirn des Tieres mit Salz und Schrot (mola salsa) und fuhr mit dem Messer vom Nacken bis zum Schwanz über den Rücken des Tieres, danach erst erfolgte die Tötung. Die Untersuchung der Eingeweide des Tieres, die in ihrer Form wiederum bestimmten Regeln entsprechen mussten, entschied über die Frage, ob der Gott das Opfer akzeptiert hatte, also ob die Opferung gültig war oder wiederholt werden musste.

Zur Frage: privat / öffentlich:
Zwar bedurfte der einzelne Gläubige in der römischen – wie übrigens auch in der griechischen – Religion grundsätzlich keines Priesters, um mit den Göttern zu kommunizieren. Öffentliche Kulte entstanden aber wohl dennoch schon sehr früh; eine durchorganisierte und sich selbst ergänzende Staatspriesterschaft führte die Aufsicht darüber und verkehrte im Namen der Gemeinschaft mit den Göttern.

Und zum Gebet:
Neben dem Tieropfer, häufig verstanden als heilige Mahlzeit mit den Göttern, zu der auch Feldfrüchte und Getränke dargeboten wurden (bei häuslichen Opferungen überwogen die vegetarischen Opfergaben) zählte das Gebet zu den wichtigsten kultischen Äußerungen, aber auch öffentliche Prozession etwa anlässlich von Siegesfeiern und die Wahrsagung durch die Auslegung göttlicher Zeichen.

In dem wikipedia-Artikel (https://de.wikipedia.org/wiki/Römische_Religion) gibt es sogar eine Wandmalerei eines betenden Dionysos-Jüngers.
 
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