Matsch21

Neues Mitglied
Hallo ihr Lieben,
im Rahmen meines Studiums halte ich einen Vortrag zum Thema Ärzte-Verschwörung. Kann mir jemand sagen, inwiefern die Ärzte-Verschwörung Stalin dabei geholfen hat eine Säuberungsaktion innerhalb der kommunistischen Partei zu planen?
Danke im Voraus und viele Grüße
 
Ich weiß ja nicht, in welchem Semester du dich befindest. Aber so ein Vortrag setzt natürlich voraus, dass man sich mit dem Thema beschäftigt und die vorhandene Literatur an seiner Uni gesichtet hat. Obwohl ich schon zu Internetzeiten studiert habe, war ich damals bei weitem nicht in der bevorzugten Situation, wie Studierende heute, wo Plattformen wie Research Gate und Academia.edu Wissenschaftlern eine Plattform bieten, wo sie ihre veröffentlichten Texte hochladen und der Öffentlichkeit leichter zugänglich machen können. Und gerade die derzeitige Pandemie hat ja dazu geführt, dass zumindest in der universitären Lehre beschäftigte Wissenschaftler vermehrt Texte hochladen, um sie ihren Studierenden, die gerade nur erschwerten Bibliothekszugang haben, Texte auch zugänglich zu machen.

Es wäre also gut, wenn du dich zunächst einmal in die Thematik deines Referats einlesen würdest. Dann dürften sich manche Fragen auch ganz von alleine klären. Wenn nicht, kannst du sie immer noch zur Diskussion stellen.

Aber es wäre schon schön, wenn man der Frage anmerkte, dass du dich bereits eingelesen hast.
 
Danke für die Antwort, jedoch heißt es in der Literatur, die ich für meinen Vortrag verwende, dass das Geständnis von Miron Wowsi der Durchbruch für Stalin war, um nun in der Öffentlichkeit für die Säuberung innerhalb der kommunistischen Partei werben zu können. Den Ärzte-Fall habe ich gründlich recherchiert, lediglich diesen Zusammenhang verstehe ich nicht.
 
Falls ein anderer Nutzer bereit wäre mir meine Frage ohne irrtümliche Vermutungen zu beantworten, wäre ich sehr dankbar:)
 
jedoch heißt es in der Literatur, die ich für meinen Vortrag verwende,

Lege Deine Literatur offen, damit andere nachvollziehen können, auf wen Du Dich beziehst. Also auf welche Literatur stützt sich das?

... um nun in der Öffentlichkeit für die Säuberung innerhalb der kommunistischen Partei werben zu können.

"Die Affäre,....entfaltete sich im Rahmen der allgemeinen antisemitischen Kampagne des Sowjetstaats" (Chlewnjuk: Stalin, S. 483)

Dabei ist die Motivation von Stalin vielfältig zu interpretieren und zielt nicht nur auf die Ärzte ab. Aber das steht sicherlich alles in Deiner verwendeten Literatur.

Zur innen- und außenpolitsichen Instrumentalisierung sage ich mal nichts. Allerdings war Stalin zum Zeitpunkt der Kampagne gegen die Ärzte auf dem Höhepunkt seiner Macht und hat sicherlich nicht für seine Politik "geworben". Das würde ich doch erneut nachlesen. Literatur zu Stalin wird gerne empfohlen.

Aber das Resümee ist m.E. zutreffend: "Die Historiker mögen darüber debattieren, ob Kalkül oder Wahnsinn bei Stalin`s letzten Kampagnen eine größere Rolle spielten." (ebd, S. 486)
 
Das ist ja eine ganz absurde Geschichte.

Stalin geht kurz vor seinem Tod auf seine Ärzte los, obwohl ihm hätte doch bewusst sein müssen, dass er sich nicht guter Gesundheit erfreute.
Sein Leibarzt hatte ihm Anfang 1952 gar geraten sein Amt niederzulegen. Im Herbst des Jahres lässt er gegen hochrangige Ärzte ermitteln, welche kommunistische Würdenträger vor ihrem Dahinscheiden behandelt hatten. - Snyder- Bloodlands TB 365ff

Nun pflegen auch kommunistische Würdenträger unter ärztlichem Beistand dahinzuscheiden,
und was „ermitteln“ heißt beschreibt Oleg Chlevnjuk S.483:
Viele Monate lang überwachte er wie ein Besessener die Fälschung von Beweisen gegen jüdische Ärzte und ihren angeblichen Förderern im Ministerium für Staatssicherheit.
Oktober und November 1952 ordnet er die Verhaftung sehr hochrangiger Mediziner an und weist persönlich die Leiter des Staatssicherheitsapparates an, die Gefangen zu foltern.

Am 4. Dezember 1952 wird dem Zentralkomitee eine Liste der „Doktorverschwörer“ vorgelegt. Einer der angeblichen Verschwörer ist sein Leibarzt, dessen Ethnie nicht erwähnt wird, während jene jüdischer Abstammung als Juden gekennzeichnet sind.
Snyder – Bloodlands TB S.366

Das war im Dezember 1952, wie Snyder sagt, ungefähr so, als hätte Stalin seinen künftigen Tod zum Anlass für eine Säuberung genommen.

Kurz darauf, am 28. Februar, hat Stalin seinen inneren Zirkel eingeladen, Malenkow, Berija, Chruschtschow und Bulganin.
Na, da schauen sie sich einen Film an, hören Musik und saufen wohl wie immer recht ordentlich und wie üblich endet die Party zur Dämmerung des nächsten Morgens, und die Gäste werden nach Hause gebracht.
Als die furchtsamen Leibwächter es erst spät an diesem Tag wagen in Stalins Privatsphäre einzudringen, finden sie den gänzlich hilflosen Stalin vor, wagen es aber nicht nach den „bösen“ Ärzten zu rufen.
(Chlevnjuk)

Was für eine verrückte Story!
…...... mit Happy End sogar: für die Gäste des Vorabends, außer Berija dem Geheimdienstchef.
Und Happy End auch für Mikojan und Molotow und jene Ärzte die schließlich freigelassen werden.

Was in den Stalin fuhr? Keine Ahnung.
Doch wäre er nicht erste einflussreiche Mensch, der im Alter ungeahnte Züge entwickelt.

P.S. @Matsch21
Du bist eingeladen auch mehr beizutragen als Fragen zu stellen, sondern auch darzulegen was Du herausgefunden hast.
Welches Datum hat das „Geständnis“ von Wowsi, was ist sein Wortlaut und war er der erste der gefolterten Ärzte die ein solches ablegten?
 
Zuletzt bearbeitet:
Kann mir jemand sagen, inwiefern die Ärzte-Verschwörung Stalin dabei geholfen hat eine Säuberungsaktion innerhalb der kommunistischen Partei zu planen?

"Die Affäre,....entfaltete sich im Rahmen der allgemeinen antisemitischen Kampagne des Sowjetstaats" (Chlewnjuk: Stalin, S. 483)

Guten Tag, Forum!

Ich glaube, dass die Ärtzteverschwörung ein kleiner Teil der großen antikosmopolitischen Kampagne ist, die in der UdSSR fast 5 Jahre lang gedauert hat (1948-1953). Wärend des Krieges hat Stalin stärker angefangen, zu altrussischer Geschichte zu appellieren. Deswegen hat er nach dem Krieg vielleicht befürchtet, dass russische Soldaten und Offizieren, genau wie im Jahr 1813 nach dem Sieg über Napoleon und nach dem Vormarsch durch die Länder Europas, die reicher als Russland waren, irgendwelche Veränderungen wollen könnten (die Analogie mit Dekabristen).

Vielleicht geht es um innere Patologie, die sich zu seinem Greisenalter nur etnwickelt hat (Stalins Entscheidungen sind am meisten unergründlich). Der Fakt ist, dass nach dem Anfang des Kalten Krieges die innere Politik und Schikanen gegenüber Organisationen und Völker, die internationale Abstammung hatte, verstärkt wurden. Z.b. wegen der schlechten diplomatischen Beziehungen mit Israel und zunehmender Rolle im Menschenrechtsaktivismus wurde 1948 das Jüdisches Antifaschistisches Komitee von Behörden aufgelöst. Sein Leiter, Solomon Michoels, wurde von MGB-Agenten (das MGB war der Vorläufer KGBs) grausam ermordet. Apropo - Michoels war Cousin zweiten Grades von Miron Wowsi).

Außerdem, die Ärzteverschwörung hat man als der Anlaß für geplannte Säuberung in MGB benutzt. Wiktor Abakumow, der Leiter von MGB, wurde verhaftet. Zuerst wegen der "ungenügenden Wachsamkeit" gegenüber Kosmopoliten angeklagt, wurde er später nach dem Stalins Tod wegen verschiedenen Missbräuchen erschossen.
Das MGB, die Armee und das Außenministerium wurden von Juden gesäubert (für das auswerige Amt war es schon zweite Säuberung: die erste war vor dem zweiten Weltkrieg, um mit Hitler der Pakt abzuschließen).

Die Literaturquellen kann ich empfehlen, aber die sind alle leider auf Russisch.

Mit freundlichen Grüßen, Ilja
 
Vielen Dank @ryadovoy588.

So ungefähr glaube ich auch die komplizierte Story zu verstehen.
(Ich hab Deinen Beitrag mal quergelesen bei den Quellen die ich nannte)

Abakumov ist eine interessante Figur in diesem irren Spiel.

1951-52 fand die Vorstellung sowjetische Juden seien geheime US-Agenten bei Stalin fruchtbaren Boden.
Ob er das selber geglaubt oder nur benutzt hat? Ich denke es bleibt so wie Du sagst: „Stalins Entscheidungen sind am meisten unergründlich“.
Letztlich musste er wohl undurchschaubar sein um überleben zu können.

Jedenfalls werden alte Fälle hervorgekramt: Shcherbakov und Zhdanov. Beide haben sich aktiv bei der Unterdrückung einer jüdischen Kultur in der SU hervorgetan.
Shcherbakov verstirbt am 10. Mai 1945, einen Tag nach der Siegesparade an der er gegen ärztlichen Rat teilgenommen hatte.
Der andere ist Zhdanov, der zunächst in eine Klinik eingeliefert wird und dort Ende August 1948 verstirbt. Es entstehen Beschuldigungen, es sei Mord durch Ärzte gewesen, in beiden Fällen.
Als einer der vorgeblichen Mörder wird der Arzt jüdischer Abstammung Yakov Etinger ausgemacht. Dieser verstirbt nach Verhören durch Mikhail Riumin im März 1951.
Dieser Riumin ist ein Mitarbeiter des MGB-Chefs Abakumov,
dem alsbald vorgeworfen wird, er habe nicht nur die Verschwörung übersehen, sondern sei ein Teil dieser.
Ja, er habe sogar den Doktor Etinger um das Eck gebracht um seine Schandtaten zu vertuschen.
(Soweit Snyder ab S.362)

Im Juli 1951 lässt Stalin „auf der Grundlage der üblichen erfundenen Beschuldigungen …. Wiktor Abakumow verhaften.. . Abakumows Verhaftung bahnte einer umfassenden Säuberung des Ministeriums den Weg.“
(Chlewnjuk S. 477)

Das ist ein wahrhaft intensives und auch tödliches Intrigenspiel. (Stalinismus eben)
Und es geht im Fall der „Ärzteverschwörung“ weiter zurück als ich zunächst dachte.

Danke für das Stichwort Abakumov,
und auch „innere Pathologie“.
Denn im Alter, am Rande der Gebrechlichkeit, bringt man doch nicht einfach seine Ärzte um.
Das ist doch absurd, oder täusche ich mich da und hab was wichtiges übersehen?

Grüße hatl

P.S. Bitte nenne doch Deine Quellen, auch wenn sie auf russisch sind, denn vielleicht gibt es ja Übersetzungen oder Verweise auf diese in anderen Büchern.
 
Shcherbakov verstirbt am 10. Mai 1945, einen Tag nach der Siegesparade an der er gegen ärztlichen Rat teilgenommen hatte.

Hallo, hatl.

Am 9. Mai 1945 gab es keine Siegesparade.
Der erste Siegesparade in der Sowjet Union fand am 24. Juni 1945 statt. Vor dem Zerfall der UdSSR wurden noch 3 Paraden durchgeführt - in 1965,1985 und 1990 Jahren.

Beide haben sich aktiv bei der Unterdrückung einer jüdischen Kultur in der SU hervorgetan.

Ich weiß nicht, ob Shcherbakow sich an der Parteilinie für Unterdrückung beteiligt hat. Ich habe keine Quellen für diese Behauptung. Vielleicht hast du was gefunden? Sein Tod hat man benutzt, um das Ermittlungsverfahren der Ärzteverschwörung anzufangen.

Aber Zhdanow war unbedingt wütender Anhänger der antikosmopolitischen Kampagne.
https://mus.academy/storage/magazin.../opMUKJvsMzFqFcuVKyHiwrXMMrifQDPQeruxcfyh.pdf

Hier ist ein Dokument - "К годовщине Постановления ЦК ВКП(б) об опере „Великая дружба" (Zum Jahrestag zur Verordnung über die Opera "große Freundschaft".

Zhdanow hat damals gesagt: «Забыть эту истину — означает потерять руководящую линию, потерять свое лицо, стать безродными космополитами» // "Diese Wahrheit zu vergessen, bedeutet die Leitlinie und Gesicht zu verlieren und wurzellose Kosmopoliten zu werden".

Diese Worte, "wurzelloser Kosmopolit", sind nach diesem Auftritt von Zhdanow zu der geflügelten ironischen Redewendung geworden.
 
Am 9. Mai 1945 gab es keine Siegesparade.
Der erste Siegesparade in der Sowjet Union fand am 24. Juni 1945 statt.
Danke für die Richtigstellung. Die offizielle Siegesparade fand, so wie Du sagst am 24. Juni statt.

Am 09. Mai 1945 fand eine große Siegesfeier statt. Dazu dieses Bild,
welches wohl tatsächlich Moskau am 09. Mai zeigt. Richard Overy - Russlands Krieg S.424, zeigt ein sehr ähnliches Bild und ordnet es diesem Datum zu. In den Morgenstunden wurde der Sieg verkündet, es gab spontane Kundgebungen und am "Abend drängten sich zwei bis drei Millionen Menschen am Roten Platz. Tausend Geschütze feuerten Salut , Hunderte von Kampfflugzeugen zogen im Tiefflug über die Stadt hinweg und ließen rote, goldene und violette Lichtblitze zucken". (Overy, gleiche Seite)
Ich nehme an, dass es das Ereignis ist welches Snyder als "Victory Day parade" bezeichnet, von mir wohl falsch als "Siegesparade" übersetzt.

Was den Shcherbatov angeht, so überwachte er lt. Snyder (S. 363) das von dir erwähnte Jüdische Antifaschistische Komitee und "säuberte" Zeitungen von jüdischen Journalisten.
 
Was den Shcherbatov angeht, so überwachte er lt. Snyder (S. 363) das von dir erwähnte Jüdische Antifaschistische Komitee und "säuberte" Zeitungen von jüdischen Journalisten.

Der "Doctors Plot" war Teil eines komplizierten Machtkampfs. Vereinfacht kann man sagen, dass Stalin die angebliche außenpolitische jüdische US-Verschwörung und die angebliche Vernichtung hoher sowjetischer Militärs als Instrument benutzt wurde, den MGB und von Stalin imaginierte Gegner zu eliminieren.

Dabei ist es erstaunlich, so belehrt Fitzpatrick "On Stalin`s Team" uns, das anti-semitische Ressentiments geschürt wurden. Diskussionswürdig ist dabei die Frage, ob Stalin anti-semitische Einstellungen hatte. Wie generell die Frage ist, ob er sich von derartigen "emotionalen" Haltungen leiten ließ. Vermutlich - so u.a. sinngemäß Fitzpatrick - war er "lediglich" ein kaltblütiger Mörder, der machiavellistisch als überzeugter "Stalinist" handelte und "lediglich" das staatliche Interesse - das von ihm definiert worden ist - durchsetzen wollte.

Die Kampagne gegen die Ärzte war zudem eingebettet in die plötzlich Gegnerschaft von Stalin u..a. zu Molotow, Beria oder Mykoyan Dieser - Molotow - äußerte, dass Stalin ihm nie einen Grund für die Gegnerschaft genannt hätte (Molotow remembers, S. 326). Es traf weitere Personen aus der nächsten Nähe von Stalin, wie seinen langjährigen Sekretär, Poskjobyschew.

Alexander Nikolajewitsch Poskrjobyschew – Wikipedia

Die Verfolgung der Ärzte im Kontext mit der außenpolitischen Verschwörung mit den USA sollte im Kontext gesehen werden mit der Vorstellung einer kollektiven Schuld, die auch die trifft, die nicht wachsam sind. Wie ein Artikel der "Prawda" aus der Zeit die Sowjetbürger belehrt. Da die Ärzte aber auch gleichzeitig im Kreml alle hochrangigen PP-Mitglieder behandelt haben war das aus der Sicht von Stalin ein Ansatzpunkt, ihnen ebenfalls die "Nähe" zu dieser Verschwörung vorzuhalten. Spricht: Nicht so wachsam gewesen zu sein, wie es notwendig wäre, um die UdSSR vor ihren äußen und inneren Feinden zu schützen.
 
.. Spricht: Nicht so wachsam gewesen zu sein, wie es notwendig wäre, um die UdSSR vor ihren äußeren und inneren Feinden zu schützen.
Wobei es den Vorwurf beinhaltet, der Beschuldigte sei selbst Teil der Verschwörung.
Und das beinhaltet ja auch die Pflicht zu denunzieren.
Solches ist für Denunzianten und Mordgesellen mit der schwindenden Lebenserwartung Stalins zunehmend riskant.
Dabei ist es erstaunlich, so belehrt Fitzpatrick "On Stalin`s Team" uns, das anti-semitische Ressentiments geschürt wurden.
Danke thane für den Hinweis.
Und Stalin ist ja tatsächlich schwächer geworden. Fitzpatrick beschreibt das im Kapitel 8 „Aging Leader“
Es scheint, dass er 1952 schließlich nahe daran gewesen war die Kontrolle zu verlieren (S. 214) und zudem:
„In diesen letzten Monaten schien Stalins Paranoia keine Grenzen zu kennen“
(In these last months, Stalin´s paranoia seemed to have no bounds.) ( S. 216)

Der mörderische Antisemitismus kam ihr gemäß gewissermaßen aus heiterem Himmel, waren doch vorher keine antisemitischen Veröffentlichungen erfolgt. Die herrschende Ideologie lehnte Rassismus ja stets ab.

Lehnte gar die Genetik ab und neigte eher dem Lamarckismus, hervorgehoben in der Gestalt Lyssenko, zu. Stalin selbst trat sogar als Herausgeber dessen Vorlesungen auf. ( Moshe Lewin - The Soviet Century S.90)

@ryadovoy588 weist darauf hin, dass es jedoch bereits vorher eine antisemitische Säuberung des Außenministerium im Vorfeld des Hitler-Stalin Pakts gab.

Insofern war das nicht ohne Vorläufer.
Auch hatte das Spielen des Antisemitismus als Karte im Poker der Macht in Russland eine lange Tradition aus dem noch nicht lange verblichenen Zarenreich.
(Arch Getty – Practising Stalinism, beschreibt die Sovietunion auch als Fortsetzung von Strukturen zaristischer Zeit)

Vermutlich - so u.a. sinngemäß Fitzpatrick - war er "lediglich" ein kaltblütiger Mörder, der machiavellistisch als überzeugter "Stalinist" handelte
Ich denke das war wohl so, und sicherlich war er ein Meister der undurchdringlichen mörderischen Intrige. „Das ganze Thema der internen Rivalität ist so verwirrend, dass es schwer ist einen anderen Sinn auszumachen, als dass jeder manövrierte und hoffte das Beil würde nicht auf sein Haupt fallen, sondern auf jemanden anderen im Netz der Patronage.“ (Fitzpatrick S. 206 – Übersetzung durch mich)
Er gehörte zu der Sorte von Machthabern, die nicht schwach werden können ohne große Gefahr physisch vernichtet zu werden.
(Das Ziel der Selbsterhaltung steht da ja über allen anderen Erwägungen, auch wenn „Staatsinteressen“ die Blöße decken sollen.)

Die Kampagne gegen die Ärzte war zudem eingebettet in die plötzlich Gegnerschaft von Stalin u..a. zu Molotow, Beria ...
Die Topmediziner Prof. Vinogradov und Wowsi waren gem. Fitzpatrick, mit der Familie Berias befreundet. Deren Verhaftung mit üblicher Folter musste den Geheimdienstchef Beria erheblich beunruhigen, insbesondere vor dem Hintergrund der Schicksale seiner Vorgänger.


P.S. Danke für Deine Buchempfehlungen Fitzpatrick und Getty.
 
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Anmerkung vorweg: Ich hätte es für angebracht gehalten, "Aerzte-Verschwoerung" in Anführungszeichen zu setzen, weil es ja nur eine angebliche war.

Zu Paranoia/Verfolgungswahn gibt es ja den Spruch: Just because you’re paranoid doesn’t mean they’re not after you.
Zumindest in Bezug auf Autokraten ist da viel dran. Weil bei den wenigsten von ihnen das Verhältnis zu ihren Mitarbeitern (die sie, trotz ihres Bedürfnisses, alles selbst unter Kontrolle zu haben, brauchen) auf Vertrauen beruht, entsteht eine Dynamik von sich verschärfendem, wechselseitigem Misstrauen und von Angst. Wenn schon das geringste (auch und gerade auch nur vermeintliche oder angebliche) Fehlverhalten schlimmste Folgen haben kann, kann ein "Unterhäuptling" schon auf die Idee kommen, diesen Folgen zuvorzukommen und den "Oberhäuptling" zu beseitigen. Dann geht es zu wie im "Wilden Westen", wer "zieht" zuerst?

Solange Stalin körperlich und geistig auf der Höhe war, konnte er seine Feinde auf Abstand halten und die Waffen, die er zu fürchten hatte, waren relativ zuverlässig einzuschätzen. Einen Arzt, der einem helfen soll, kann man aber nicht auf Abstand halten, man muss seine Schwächen offenbaren, es sollte eigentlich ein Vertrauensverhältnis bestehen, zumal eine Spritze oder Pille, falls sie als Waffe verwendet wird, nicht so leicht wie eine zB eine Schusswaffe als solche erkennbar ist. Das war ein letztlich unauflösliches Dilemma. Beseitigt man die fähigen Leute, weil sie einem, wegen ihrer Fähigkeiten, gefährlich werden könnten, fehlen sie auch, wo sie nützlich wären. Oder sie verhalten sich wie allem Anschein nach bei Stalins Tod - lieber nichts tun als etwas falsches.

Dass auch Antisemitismus einen Platz in diesen Verschwörungsbefürchtungen hatte, muss nicht verwundern, angesichts dessen unseliger Tradition in Russland.
 
Dass auch Antisemitismus einen Platz in diesen Verschwörungsbefürchtungen hatte, muss nicht verwundern, angesichts dessen unseliger Tradition in Russland.

Nein, so einfach ist das sicherlich nicht! Es war durchaus nicht selbstverständlich, den Antisemitismus für diesen politischen Konflikt in der Phase des Stalinismus zu instrumentalisieren.

Lange Zeit war es die Linie der KP sich eher von Antisemitismus zu distanzieren. Aus diesem Grund waren viele Kader und Intellektuelle irritiert als im Zuge der sogenannten Ärzte-Verschwörung antisemitische Untertöne einer Rolle gespielt haben. Und führte dann, so das Urteil in der Literatur, auch zur Entfremdung von Teilen der Partei und der Intellektuellen von Stalin.

Nicht zuletzt auch deswegen, weil Stalin mit hoher Wahrscheinlichkeit selber kein Antisemit war, wie er generell auf ethnische oder religiöse basierende Urteile sich nicht zu eigen machte. Er verstand sich als Marxist [in Kombination mit einem bismarckischen Machiavellismus] und sein politisches Weltbild basierte auf dem "Klassenkonflikt" und auf dieser Basis bewertete er "politische Konflikte". Auf persönlicher und auf zwischenstaatlicher Ebene.

Sein - plötzlicher - Tod wird von Vielen als Erleichterung wahrgenommen worden sein. Auch von denen, die man eigentlich als "Stalinisten" bezeichnen konnte. Ich persönlich halte es mit H. Arendt und gehe von einem Tötungsdelikt aus, da mit Beria, Molotov und anderen zu Viele zu Viel zu verlieren hatten.
 
Ich persönlich halte es mit H. Arendt und gehe von einem Tötungsdelikt aus, ...
Hannah Arendt vertrat diese These? Wie stell ich mir das vor?
Nur unterlassene Hilfeleistung, so nach dem Motto, jetzt schleichen wir uns besser und sagen nichts, sondern wird der Woschd womöglich wieder,
oder aktiv?
 
thanepower,
für mich war Stalin nicht in erster Linie Marxist (wenn er überhaupt einer war), sondern Stalinist. Soll heißen, dass Erlangung und Erhaltung der Macht für ihn an oberster Stelle stand und dann kam lange, wenn überhaupt noch, gar nichts. Diesen Dissens lasse ich aber einfach mal so stehen.

Was seinen Tod angeht, kommen wir vllt. ein kleines Stückchen näher. Allerdings halte ich es für sehr plausibel, dass ihn seine Hofkamarilla einfach verrecken ließ, aufgrund des angstgeschürten Grundsatzes "lieber nix machen als was falsches". Aber wir waren alle nicht dabei, also nix gewisses weiß man nicht.
 
"In Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" hatte ich es gelesen. Habe es auf die Schnelle nicht wiedergefunden, was sie genau geschrieben hat.

@Liborius: Natürlich war Stalin vor allem in seiner Außenwirkung ein "Stalinist". Diese These vertrete ich ja die ganze Zeit hier im Forum. Dennoch war er von seinem ideologischen Selbstverständnis "Marxist-Leninist". Und das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.

Die Umstände seines Todes sind im GF schon relativ ausführlich diskutiert worden.

So hatte ich folgendes geschrieben:
Folgt man Montefiore: Stalin. Am Hof des Roten Zaren, S. 727 und Wolkogonow: Stalin: Triumph und Tragödie, S. 766 ff, dann sind die Umstände des Todes von Stalin mindestens als dubios zu bezeichnen.

Beide deuten an, dass Stalin einen Teil seiner Gefolgsleute, darunter Berija, Molotow und auch Chrutschow aus dem Zentrum der Macht entfernen wollte. Und die Umstände des Todes von Stalin als eine Folge dieses Machtkampfes zu interpretieren sind. Die Betroffenen haben sich gewehrt.

Die Nichtverständigun von Ärzten, und die obige Darstellung ist nicht korrekt, wird als Indiz gewertet, dass es sich um eine Verschwörung gehandelt hat.

Berija soll sich zudem gebrüstet haben, dass er den anderen Betroffenen das Leben gerettet hätte, weil er Stalin umgebracht hat.

So kam er vermutlich durch eine Verschwörung aus dem innersten Kreis der Macht um Leben, die er Zeit seines Lebens immer gefürchtet hatte und die vermutlich eine Quelle seiner Motivation für die großen Säuberungswellen waren.

Der Tod Stalins
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich versuche mal eine psychologische Deutung der sogenannten Ärzteverschörung, obwohl ich weder von Psychologie noch von Stalin viel Ahnung habe:
Stalin hatte im Alter gesundheitliche Probleme, und es war für ihn naheliegend, zu versuchen, diese Probleme so zu lösen, wie er sein ganzes Leben Probleme sehr erfolgreich hatte lösen können: indem er gegen einige oder auch sehr viele seiner Mitmenschen gewalttätig wurde. Das war auch nicht so irrational wie es scheint, denn gerade aus seiner Sicht war durchaus denkbar, dass sich die Ärzte tatsächlich gegen ihn verschworen hatten; der Mensch kann ja nicht anders als sich vorzustellen, dass die Anderen ungefähr so ticken wie er selbst; mit türkischen Verschwörungen musste Stalin deshalb immer rechnen, und zuletzt durfte er hoffen, dass auch seine gesundheitlichen Probleme auf eine solche Verschwörung zurückzuführen waren.
 
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