Griffel

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:) Ich bin es mal wieder! Und da ist mir doch mal wieder ein Thema eingefallen, das zwar interessant ist. Aber meines Wissens, noch nie wirklich beachtet wurde! Nicht von der Wissenschaft jedenfalls. Obwohl es sicherlich jede Menge Stoff gäbe, welchen man bearbeiten könnte.:rolleyes:

Hoffentlich ist es das richtige Forum; ansonsten bitte verschieben liebe Administration. Aber jetzt zum eigentlichen Thema:

Durch die starke Zersplitterung, war das Gebiet, das einmal "Deutschland" werden sollte, immer wieder verschiedenen Einflüssen ausgesetzt. Dabei, kam es neben vielen negativen auch zu einzelnen positiven Effekten. Oder in diesem Fall ihrem Ausbleiben. Konkret geht es mir darum, dass ein Teil Deutschlands, dass Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg und spätere Königreich Hannover, stark mit England verbunden war. Insgesamt 123 Jahre um genau zu sein.

Als ich über diese Fakten nachdachte, drängte sich mir eine Frage, gerade zu auf: "Warum, hat das Kurfürstentum und spätere Königreich, nicht stärker profitiert? Warum, gab es keine Doppeleffekte?

Natürlich, muss ich nun erklären, was ich mit Effekten meine! Also fangen wir mal an. Es wird ja wohl niemand ernsthaft bestreiten, dass England, zu seiner Zeit das mächtigste und fortschrittlichste Land der Welt war. Da frage ich mich doch, warum Braunschweig, nicht stärker davon profitiert hat, sich seinen Fürsten mit dem mächtigsten Land der Welt zu teilen?

Wieso wurden in Braunschweig, nicht Schulen und Hochschulen nach britischem Vorbild gegründet? Immerhin, war das britische Schulsystem eines der ältesten und besten. Im Gegensatz zu dem was damals im HRR üblich war. Und auch die britische Verwaltung, dürfte ja um einiges professioneller gewesen sein, als die Braunschweig.:rolleyes: Wieso also, hat man die Verwaltung nicht angepasst. Es wundert mich, dass die wohlhabenden Bewohner dieses Fürstentums, nicht auf die Idee gekommen sind, eine Gleichbehandlung mit den englischen Untertanen zu verlangen!

Als wichtigste Punkte, neben dem Bildungswesen, fallen mir da ein:

  1. Die Schaffung unabhängiger Gerichte, nach englischem Vorbild.
  2. Die Schaffung eines Landtages nach britischem Vorbild, gerne auch mit zwei Kammern. Um den Adel nicht zu verprellen.
  3. Die Abschaffung der Sklaverei bzw. Leibeigenschaft. Soweit mir bekannt ist, wurde diese ja in England in der 2. Hälfte des 18. Jhrd. abgeschafft. Wobei man auch hier zwischen dem englischen Mutterland und den Kolonien unterscheiden muss. Immerhin,:confused::rolleyes:gab es in gewissen nordamerikanischen Kolonien ja Sklavenhaltung! Und diese hielt noch 3 Generationen an, nachdem, diese Kolonien aufgrund von "Meinungsverschiedenheiten" ihre Unabhängigkeit von England erklärten und erkämpften.
Das hätte sicherlich vieles in Braunschweig zum besseren verändert. Freue mich wie immer auf eine rege Beteiligung.
 
Was mir dazu auf die Schnelle einfällt: England blickte zu diesem Zeitpunkt schon auf eine lange Geschichte des Parlamentarismus zurück – siehe dazu Magna Carta und Bill of Rigths. Die Macht lag in England also beim Parlament und nicht mehr so sehr beim Königshaus.

Bei den deutschen Fürstentümern lag die ganze Macht nach wie vor bei den Fürsten, die natürlich keine Lust hatten, davon was abzugeben. Also blieb in Deutschland alles beim Alten – bis die industrielle Revolution kam und das neue Geld das alte des Adels marginalisierte und die Zeit reif für Bismarck wurde. Erst mit der Vereinigung zu einem großen Staat konnte man die zuvor zerstreuten Ressourcen bündeln und das Land auf Vordermann bringen.

Leider geschah das mehr oder minder diktatorisch, d.h. fast ohne Einfluss des (ohnehin noch schwachen) Parlaments, was auch aufgrund des Minderwertigkeitskomplexes des Kaisers erst zur Hybris und dann zum Weltkrieg führte.
 
Wer die eingangs gestellte Frage besser beantworten kann als ich, soll er oder sie das tun. Ich meine, statt nur meine Meinung zu kritisieren bzw. mir etwas zu unterstellen, das ich nicht gesagt habe.
Besser nicht regieren beantworten als falsch regieren beantworten.
 
Es wird ja wohl niemand ernsthaft bestreiten, dass England, zu seiner Zeit das mächtigste und fortschrittlichste Land der Welt war.

Das bestreite ich ganz entschieden.
Du solltest vielleicht genauer beschreiben, auf welchen Feldern das gewesen sein soll. Vielleicht bekommt England dann den einen oder anderen Punkt. Aber total gesehen? Nein.

Zum eigentlichen Thema: Wer hätte Initiator dafür sein sollen?

Gruss, muheijo
 
Leider geschah das mehr oder minder diktatorisch, d.h. fast ohne Einfluss des (ohnehin noch schwachen) Parlaments, was auch aufgrund des Minderwertigkeitskomplexes des Kaisers erst zur Hybris und dann zum Weltkrieg führte.
[Von mir hervorgehoben]

O sancta Simplicitas. Fehlt nur noch, dass Hitler den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brach, weil er nur ein Ei hatte.

Wer die eingangs gestellte Frage besser beantworten kann als ich, soll er oder sie das tun. Ich meine, statt nur meine Meinung zu kritisieren bzw. mir etwas zu unterstellen, das ich nicht gesagt habe.

@Dion: Die Kritik von "Beaker" ist absolut nachvollziehbar. Es gibt im Moment einen Trend im Forum schnell mal eine "Meinung" zu schreiben. Leider häufig relativ frei von Bezügen auf seriöse Darstellungen.

Und den "Minderwertigkeitskomplex" als eine Ursache des Weltkrieges zu benennen, ist, gemessen an der komplexen Diskussion zu den Ursachen des WW1, einfach nur "O sancta Simplicitas".

Warum wird nicht versucht mal wieder näher an der Literatur eine Antwort zu geben und im Zweifel lieber nichts zu schreiben wie eine "Meinung", die einfach nur dubios ist.

Damit will ich natürlich nicht Motivation destruieren. Und ich freue mich ja über Deine Bereitschaft kontrovers zu diskutieren.

In Zeiten von "Fake-News" sollte man diesem allgemienen, schlechten Trend dadurch entgegenwirken, dass man eine Lanze bricht für die seriöse Geschichtsschreibung, auch indem man sie nutzt und zitiert. Und das ist meine Meinung.
 
Wieso wurden in Braunschweig, nicht Schulen und Hochschulen nach britischem Vorbild gegründet?

Das ist ein generelles Problem, das noch heute das moderne "Wissensmanagemement" beschäftigt (vgl. beispielsweise die Literaturhinweise). Im Kern steht die Frage nach Arten von Wissen und dem gemeinsamen Zugriff darauf.

Beim expliziten Wissen, das u.a. in manifester Form als Dokument vorliegt, kann man allseits zugreifen. Es ist als formalisiertes Wissen zugängig. Im Gegensatz dazu steht das informelle Wissen der Personen, die an Prozessen beteiligt sind, die nicht kodifiziert sind, aber durch die Praxis den beteiligten zugänglich.

Vor diesem Hintergrund wurde das Problem erklärt, dass es zwar problemlos möglich ist, eine funktionsfähige Industrieanlage als exakte Kopie 100 m von der ursprünglichen Industrieanlage zu erstellen, aber weil es andere Mitarbeiter mit einem komplett anderem "impliziten Wissen" sind, kann die zweite duplizierte Industrieanlage unter Umständen deutlich schlechter funktionieren.

Damit soll kurz angedeutet werden, dass selbst wen die Bereitschaft zur Übernahme britischer Vorbilder in Hannover vorhanden gewesen wären, sie dennoch komplett anders an die Bedingungen in Hannover angepasst hätten werden müssen. Aber das hätte auch bedeutet, dass die kulturellen Traditionsbestände einem radikalen Wandel unterzogen worden wären. Mit u.U. gravierenden - teils auch negativen - Folgen für Personen in den entsprechenden Verwaltungen.

Es ist in der Regel sehr schwer, ein externes Modell über vorhandene Strukturen zu stülpen, da die Betroffenen es in der Regel als "fremd" ablehnen und diese Form von erzwungener "sozialer Modernisierung" tendenziell negativ gegenüber stehen.

Und nicht zuletzt, weil eine erzwungene Übernahme - eine Oktroierung - ein hohes Interesse bei dem voraussetzt, der es durchsetzen möchte. Und die war nicht vorhanden, weil sie die Machtmittel deutlich überstiegen hätte.

Brown, John Seely; Duguid, Paul (2017): The social life of information. Updated, with a new preface. Boston, Mass.: Harvard Business School Press.
Davenport, Thomas H.; Prusak, Laurence (20]10): Working knowledge. How organizations manage what they know. Boston, Mass.: Harvard Business School Press
Nonaka, Ikujirō; Takeuchi, Hirotaka (2012): Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen. Aufl. Frankfurt, M., New York, NY: Campus-Verl.
Takeuchi, Hirotaka; Nonaka, Ikujiro (2004): Hitotsubashi on knowledge management. Singapore: Wiley
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für die Antworten, soweit sie meine Fragen betreffen. Offenbar, war ich mit manchem doch etwas voreilig. Also habe ich sowohl England, als auch Braunschweig, etwas zu viel zugetraut. Was den Punkt der Sklaverei anbetrifft.
Ich ging bei meiner Idee, von folgender Annahme aus:

England, war damals im Handel führend. Mit welchen Mitteln, diese Führung erreicht wurde, ist eine andere Sache. Aber auch die Industrialisierung ging ja von der Insel aus. Und hatte somit eine gewisse Strahlkraft möchte, ich mal meinen. Auch ein weiterer Punkt ist wichtig. Mag sein, dass ich diesen nicht richtig herausgestellt habe!

Natürlich ist es korrekt, dass der Adel versucht hat, seine Vorrechte zu sichern! Auf dem Wiener Kongress und danach. Aber es ist ebenso richtig, dass die wahre Macht, immer mehr bei den Banken und Industriellen lag. Nicht zu vergessen die Kaufleute! Die EIC ist dafür ein Beispiel wenn, auch kein gutes. Nach heutigen Maßstäben. Denn dort lag das Kapital sprich Geld. :cool: Viele Adelige, hatten neben ein paar Ländereien und in Ihrem Titel, nicht viel mehr. Auch wenn, sie das natürlich wurmte. Viele Kaufleute, Händler und Handwerker, waren besser gestellt.

Natürlich war auch das britische Imperium, weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber welcher Staat war das schon. Insbesondere im 19. Jahrhundert! Und dennoch bin ich der Meinung, dass Braunschweig von einer Angleichung an die britischen Verhältnisse profitiert hätte. Es ist auf jeden Fall schade, dass daraus nichts wurde.;)

Aber in 120 Jahren, müsste doch das Eine oder Andere "abgefärbt" haben. Und wenn, es auch nur die "Teekultur" ist. Im Norden trinkt man eher Tee, als Kaffee.
 
@Dion: Die Kritik von "Beaker" ist absolut nachvollziehbar. Es gibt im Moment einen Trend im Forum schnell mal eine "Meinung" zu schreiben. Leider häufig relativ frei von Bezügen auf seriöse Darstellungen.
Ich gebe zu, dass ich etwas vorschnell und kurz war. Nichtsdestotrotz waren meine Hinweise auf die parlamentarische Tradition Englands und das Fehlen einer solcher in den Kleinstaaten des Deutschen Bundes richtig. Aufgrund der Kleinstaaterei konnte man keine große Projekte finanzieren wie z.B. England. Die Kolonialpolitik des II. Reiches war getrieben von dem Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, also mussten auf Biegen und Brechen Kolonien her, denn nur wer Kolonien hatte – und die meisten hatte England –, war wirklich groß und bedeutend. Im Denken vieler im Deutschen Reich.

Und auch meine Aussage „Leider geschah das mehr oder minder diktatorisch, d.h. fast ohne Einfluss des (ohnehin noch schwachen) Parlaments, was auch aufgrund des Minderwertigkeitskomplexes des Kaisers erst zur Hybris und dann zum Weltkrieg führte.“ ist richtig, denn sie enthält das Wort auch, was impliziert, dass es auch andere Gründe für den I. Weltkrieg gab.

Ich halte die psychische Verfassung von politisch handelnden Personen für sehr wichtig. Der Minderwertigkeitskomplex des Kaisers ist keine neue Erkenntnis, für einen schnellen Überblick reicht vielleicht das, was der französische Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre 1940 über Wilhelm II. geschrieben hatte (bitte ganz nach unten scrollen): Samt und Stahl. Kaiser Wilhelm II. im Urteil seiner Zeitgenossen – Zitat:

Seine Mutter ist Engländerin und Anglomanin. Und England ist zunächst seine Mutter. Aber diese Mutter verachtet und haßt ihn, vor allem weil er ein Krüppel ist.
(…)
Demütigungen in der Kindheit. Englische Demütigungen, das Kind wird englisch erzogen, und es haßt seine englische Erziehung. Trotzdem bleibt es beherrscht von der englischen Hoffart, England gegenüber hat es seinen Minderwertigkeitskomplex. Aber es findet gerade in der Besonderheit seines Seins-zum-Herrschen eine Art Revanche.
 
Leider geschah das mehr oder minder diktatorisch, d.h. fast ohne Einfluss des (ohnehin noch schwachen) Parlaments, was auch aufgrund des Minderwertigkeitskomplexes des Kaisers erst zur Hybris und dann zum Weltkrieg führte.

Es bei meiner Antwort nur um die Frage der Verbindung von Persönlichkeit und der Bedeutung des Auslösens des WW1. Und was Sartre zu KW II. geschrieben hat, ist vielleicht interessant, aber müßte zunächst einem historischen Check unterzogen werden. Röhl, Mommsen und Fischer haben sich deutlich zur Person von KW II. sehr faktenorientiert geäußert. Deren Einschätzung ist wohl wenig hinzuzufügen.

Dennoch wird in der aktuellen Diskussion die Persönlichkeit von KW II. in keinen direkten ursächlichen Zusammenhang zum WW1 gebracht. Sofern man nicht pauschal trivialisierend anmerken möchte, dass alle Entscheidungen von Personen gefällt werden und somit zwangsläufig auch von ihrer Persönlichkeit abhängen.

In der Diskussion über die Ursachen des WW2 sind die Motive der unterschiedlichen Akteure andiskutiert worden. Wie beispielsweise in der Darstellungen von Riezler zu Bethmann-Hollweg und seinen Gedanken über Russland etc., die Arbeit von Mombauer zu Helmut von Moltke und von Afflerbach zu Falkenhayn.
 
Was ich sagen wollte: In jener Zeit hing viel von einer Person ab – eben vom Kaiser. Und weil er viel Macht hatte, konnte auch viel Unsinn anrichten. Ich erinnere nur an: „Gefangene werden nicht gemacht“.

Klar, die Frage des Threadstarters berührte das Thema Wilhelm II. nicht, insofern war das eine Abweichung meinerseits. Und just zu dieser Abweichung gab es gleich Feuer. Tut mir echt leid.

Bei Interesse könnten wir das Thema Minderwertigkeitskomplex Willhelm II. in einem anderen Thread fortsetzen, falls das nicht schon in Vergangenheit geschehen ist.
 
Wie bereits gesagt, man kann nicht gleich alles haben. Es ist jedoch eindeutig, dass das britische Parlament, für die damalige Zeit, durchaus großen Einfluss hatte! Und das war zu dem damaligen Zeitpunkt ziemlich einzigartig in der Welt.
 
Es ist jedoch eindeutig, dass das britische Parlament, für die damalige Zeit, durchaus großen Einfluss hatte! Und das war zu dem damaligen Zeitpunkt ziemlich einzigartig in der Welt.
Der "große Einfluss" dürfte nicht unerheblich auf Wilhelm III. (von Oranien) zurückgehen. Unter den Stuarts und Tudors war noch eine stärker absolutistische Herrschaftsauffassung in GB tonangebend. Dies führte zu Konflikten und mündete schließlich in der englischen Revolution, der Hinrichtung von König Charles I. und der Republik England (1649-60). Es folgte eine monarchische Restaurantsphase der Stuarts mit "Rekatholisierungstendenzen", die jedoch scheiterten und schließlich mit der "Glorious Revolution" Wilhelm von Oranien als neuen englischen König auf den Thron brachte. Wilhelm etablierte ein Herrschaftsmodell, das stark an seiner niederländischen Heimat angelehnt war - mit einem starken 2-Kammer-Parlament innerhalb der Monarchie (vgl. Generalstaaten). Man kann auch die große Fokussierung auf den Handel als monarchischen Stabilitätsfaktor als "niederländisch beeinflusst" ansehen. Auf Wilhelm folgte seine Schwägerin Anne (Stuart) und dann die braunschweigisch-lüneburgische Dynastie der "Georges".
Aufgrund des großen niederländischen Einflusses würde ich das englische Modell als nicht sooo einzigartig ansehen.
 
:) Ich bin es mal wieder! Und da ist mir doch mal wieder ein Thema eingefallen, das zwar interessant ist. Aber meines Wissens, noch nie wirklich beachtet wurde! Nicht von der Wissenschaft jedenfalls. Obwohl es sicherlich jede Menge Stoff gäbe, welchen man bearbeiten könnte.:rolleyes:

Hoffentlich ist es das richtige Forum; ansonsten bitte verschieben liebe Administration. Aber jetzt zum eigentlichen Thema:

Durch die starke Zersplitterung, war das Gebiet, das einmal "Deutschland" werden sollte, immer wieder verschiedenen Einflüssen ausgesetzt. Dabei, kam es neben vielen negativen auch zu einzelnen positiven Effekten. Oder in diesem Fall ihrem Ausbleiben. Konkret geht es mir darum, dass ein Teil Deutschlands, dass Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg und spätere Königreich Hannover, stark mit England verbunden war. Insgesamt 123 Jahre um genau zu sein.

Als ich über diese Fakten nachdachte, drängte sich mir eine Frage, gerade zu auf: "Warum, hat das Kurfürstentum und spätere Königreich, nicht stärker profitiert? Warum, gab es keine Doppeleffekte?

Natürlich, muss ich nun erklären, was ich mit Effekten meine! Also fangen wir mal an. Es wird ja wohl niemand ernsthaft bestreiten, dass England, zu seiner Zeit das mächtigste und fortschrittlichste Land der Welt war. Da frage ich mich doch, warum Braunschweig, nicht stärker davon profitiert hat, sich seinen Fürsten mit dem mächtigsten Land der Welt zu teilen?

Wieso wurden in Braunschweig, nicht Schulen und Hochschulen nach britischem Vorbild gegründet? Immerhin, war das britische Schulsystem eines der ältesten und besten. Im Gegensatz zu dem was damals im HRR üblich war. Und auch die britische Verwaltung, dürfte ja um einiges professioneller gewesen sein, als die Braunschweig.:rolleyes: Wieso also, hat man die Verwaltung nicht angepasst. Es wundert mich, dass die wohlhabenden Bewohner dieses Fürstentums, nicht auf die Idee gekommen sind, eine Gleichbehandlung mit den englischen Untertanen zu verlangen!

Als wichtigste Punkte, neben dem Bildungswesen, fallen mir da ein:

  1. Die Schaffung unabhängiger Gerichte, nach englischem Vorbild.
  2. Die Schaffung eines Landtages nach britischem Vorbild, gerne auch mit zwei Kammern. Um den Adel nicht zu verprellen.
  3. Die Abschaffung der Sklaverei bzw. Leibeigenschaft. Soweit mir bekannt ist, wurde diese ja in England in der 2. Hälfte des 18. Jhrd. abgeschafft. Wobei man auch hier zwischen dem englischen Mutterland und den Kolonien unterscheiden muss. Immerhin,:confused::rolleyes:gab es in gewissen nordamerikanischen Kolonien ja Sklavenhaltung! Und diese hielt noch 3 Generationen an, nachdem, diese Kolonien aufgrund von "Meinungsverschiedenheiten" ihre Unabhängigkeit von England erklärten und erkämpften.
Das hätte sicherlich vieles in Braunschweig zum besseren verändert. Freue mich wie immer auf eine rege Beteiligung.


Ganz grundsätzlich würde ich meinen, dass Braunschweig/Lüneburg durchaus von der Verbindung mit Großbritannien profitiert hat.
Immerhin, es überlebte nicht nur letztendlich nach zeitweiligem Verschwinden die Revolutionskriege und die napoléonische Epoche, sondern es konnte unter der Personalunion mit Großbritannien darüber hinaus sein Staatsgebiet noch anhezu verdoppeln.
Das für sich ist mit dem expandierenden Preußen in der direkten Nachbarschaft alleine schon bemerkenswert, zumal, wenn man bedenkt, in welcher Form demgegenüber das einst mal so stolze Sachsen eingedampft wurde und fast vollkommen verweschwunden wäre, wenn sich die Russisch-Preußische Position auf dem Wiener Kongress hinsichtlich der Kompensation für die an Russland abgetretenen polnischen Gebiete hätte durchsetzen lassen.

Im 19. Jahrhundert war Hannover mindestens mal flächenmäßig nach Österreich, Preußen und Bayern der viertgrößte deutsche Staat.

Im Hinblick auf Hochschulen, brachte das Königreich Hannover mit Göttingen eine durchaus bedeutende Universität hervor, die im deutschsprachigen Raum rang und Namen hatte, die sich während des "Vormärz" auch durchaus im liberalen Sinne bemerkbar machte:
Göttinger Sieben – Wikipedia


Was die Übertragung andere Innovationen angeht, muss man da, meine ich auch den Hypothekten des hannoveranischen Gebiets Rechnung tragen.
Bodenschätze für eine flächendeckende Industrialisierung des Landes gab es nicht, bis auf ein wenig alten Erzbergbau im Harz und ein paar Salzvorkommen.
Dementsprechend war es auch vom Urbanisierungsgrad der englichen Boom-Regionen weit entfernt, was Dinge wie die Konstruktion eines wirklich raumgreifenden Schulsystems etc. natürlich massiv erschweren musste, entsprechend dem drastsch verkleinerten Wirkradius der einzelnen Einrichtungen, wenn man das an den städtischen Gegenden Englands messen wollte.
Der territoriale Zuschnitt Hannovers im Hinblick auf die Küstenlinie, bileb, insofern, dass mit Hamburg und Bremen die bedeutensten deutschen Nordseehäfen außerhalb des Territoriums blieben, wohingegen Emden als bedeutenstes ökonomisches Ausfalltor nach Übersee dann doch eher bescheiden war.

Ich würde meinen, dass Hannover da durchaus deutlich von Großbritannien profitiert hat, um deutlich mehr profitieren zu können, stand die Struktur der Personalunion als lockeres Konstrukt und der falsche Zuschnitt des Territoriums auf dem Festland ohne nennenswerte Bodenschätze und wirklich bedeutende Häfen im Wege.
Letzteres ließ sich aber nicht verändern oder Britannien hätte seine Energien mehr auf eine aktive Machtpolitik auf dem kontinent verwenden müssen.
Aber aus der wollte es ja gerade herauskommen und ohne da heraus zu kommen, wäre es auch nicht gelungen das britische Weltreich in seiner späteren Form konstruieren zu können.

Wenn du schreibst, dassGroßbritannien damals das mächtigste und fortschrittlichste Land der Welt gewesen wäre, halte ich das für deutlich überzogen.

Die Briten haben es in der Zeit des Bestands der Personalunion geschafft die Franzosen aus Amerika und Indien zu vertreiben, aber bis auf Kanada und einige karibische Inseln ging ihnen ja Nordamerika auch bereits deutlich vor der napoléonischen Zeit wieder verloren und davon, dass GB damals in indien eine starke Macht gewesen wäre, kann man zu diesem Zeitpunkt so eigentlich auch noch nicht reden, weil die indischen Territorien sich zu dieser Zeit im Besitz der East India Company befinden, nicht etwa im direkten Besitz des britischen Staates, so dass dieser darauf ohne weiteres hätte zugreifen können. Das ändert sich erst 1858 und davon ab sind die indischen Besitzungen zu diesem Zeitpunkt auch alles andere als befriedet.
Im Hinblick auf den wirtschaftlichen Wert der heute US-Amerikanischen Territorien, sollte man sich auch nicht von der territorialen Größe dieser Gebiete täuschen lassen.
Lies dich mal ein wenig, in den amerikanischen unabhängigkeitskrieg ein, dann wirst du feststellen, dass die meisten da ausgefochtenen Schlachten eher Scharmützel mit Beteiligungen von deutlich weniger als 10.000 Mann auf jeder Seite waren oder sich jedenfalls im Bereich von 10.000-15.000 Mann auf jeder Seite bewegten.

Das sind, wenn man es mal mit den Truppenstärken des Österreichischen Erbfolgekrieges, des Siebenjährigen Krieges in Europa oder mit den Revolutionskriegen vergleicht, geradezu lächerliche nummerische Stärken und dass obwohl das amerikanische Miliz-System das Prinzip der Volksbewaffnung mehr oder minder bereits vorweg nahm und sich von dem Modell der teuren absolutistischen Söldnerheere mit ihren langen Ausbildungszeiten und kostspieliger Ausrüstung bereits abhoben.
So viel war da noch nicht heraus zu holen, als diese Kolonien noch fest bei der britischen krone waren, da dürften mutmaßlisch die britischen Antillen schon ähnlich profitabel, wenn nicht sogar profitabler gewesen sein, als manches Gebiet auf dem nordamerikanischen Festland.

Was verblieb, war wie gesagt Kanada, ein paar afrikanische Stützpunkte, mit den napoléonischen Kriegen und dem Wiener Kongress kommt die ehemals niederländische Kapkolonie hinzu, am Ende der Personalunion noch die "Strait-Settlements" in der Straße von Malakka.

Die ausgedehnten afrikanischen Territorien, Britisch-Malaya, Birma und Hongkong kommen erst zu einem Zeitpuntk hinzu, als die Personalunion schon lange passé ist und Indien ist zu diesem Zweitpunkt, wie gesagt nicht unmittelbar mit der britischen Korne verbunden, noch bereits wirklich gesichert und pazifiziert.

So viel war da noch nicht raus zu holen und das mächtige British-Empire der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist das auch noch nicht.
Den Suez-Kanal gab es auch noch nicht, so dass die Seerouten nach Indien und Ostasien auch noch viel länger waren, bei entsprechend kleinerem Handelsvolumen etc.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich gebe zu, dass ich etwas vorschnell und kurz war. Nichtsdestotrotz waren meine Hinweise auf die parlamentarische Tradition Englands und das Fehlen einer solcher in den Kleinstaaten des Deutschen Bundes richtig.

Dann sollte man aber auch dazu sagen, wie denn dieser Parlamentarismus aussah. Bis 1911 nämlich so, dass das "House of Lords" über ein Veto-Recht verfügte, kraft dessen es so ziemlich jede unliebsame Vorlage abschmettern konnte.
Auf die Problematik der "Rotten Boroughs" ist bereits hingewiesen worden, zumal wenn man diese noch auf die zusammensetzung des "House of Lords" bezieht, mit dem Ergebnis, dass gewisse Adelscliquen in Großbritannien, Kraft derjenigen Sitze, die sie als Rotten Boroughs, mehr oder minder erblich in der Tasche hatte, Gesetzesvorlagen blockieren konnten ohne Ende, so dass das im Endeffekt im Ergebnis von den auf dem Kontinent gebräuchlichen parlamentarischen Ansätzen so weit nicht weg war.

Im Endeffekt ließen sich ohne die Lords, die ihre Sitze über dieses System in weiten Teilen seit Generationen gepachtet hatten und mehr oder minder vererbten, lediglich Gesetzesvorlagen einbringen und Haushaltsmittel bewilligen.
Das ähnelt in der Kompetenz dann sehr dem Reichstag im späteren Bismarck-Reich, bis zur liquidierung des Vetorechtes für die Lords und der sukzessiven Bereinigung und Anpassung der Wahlbezirke. Aber das wiederrum sind Entwicklungen, die sich bis in die ersten 2 Dekaden des 20. Jahrhunderts hineinziehen und definitiv nicht am Anfang des 19. jahrhunderts so gegeben sind.


Aufgrund der Kleinstaaterei konnte man keine große Projekte finanzieren wie z.B. England. Die Kolonialpolitik des II. Reiches war getrieben von dem Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, also mussten auf Biegen und Brechen Kolonien her, denn nur wer Kolonien hatte – und die meisten hatte England –, war wirklich groß und bedeutend. Im Denken vieler im Deutschen Reich.

Jetzt sage ich "o sancta simplicitas!".

Das Deutschland als Kolonialmacht in dieser Form nichts werden konnte, liegt nicht an der Kleinstaaterei zu tun die war ja längst beendet, als die zweite große Welle der Kolonisation losbrach oder mit parlamentarismus, sondern an dem Umstand der Mittellage zwischen Frankreich und Russland und darüber hinaus der vergleichsweise kurzen Küstenlinie und daran, dass die Hälfte der bedeutenden deutschen Häfen eher verkehrsungünstig an der Ostsee lagen.
Mit der Mittellage mussten, mit den entsprechenden Kosten natürlich Land- gegenüber Seestreitkräften priorisiert werden, da beides nebeneinander kaum finanzierbar, währen die Russen für ihr Imperium den Landweg nehmen konnten, also keine Flotte brauchten, die Briten kein großes Landheer brauchten und die Franzosen wenigstens nur mit einer potentiell wirklich gefährlichen Front zu tun hatten.

Im diese Gangart sich Kolonien beschaffen zu wollen, war ja nun bei leibe keine Spezialität und man könnte da durchaus mit Fug und Recht behaupten, dass andere Mächte episodisch noch deutlich agressiver auftraten.

Die USA griffen sich die Philippinen, Guam und diverse Pazifikinseln selbstredend, nach dem sie Spanien mit kriegerischen Mitteln von dort vertrieben hatten. Zwischn den Briten, den Franzosen und Russen gab es vor dem Russisch-Japanischen Krieg und dem 2. Burenkrieg auch Säbelgerassel ohne Ende.


Und auch meine Aussage „Leider geschah das mehr oder minder diktatorisch, d.h. fast ohne Einfluss des (ohnehin noch schwachen) Parlaments, was auch aufgrund des Minderwertigkeitskomplexes des Kaisers erst zur Hybris und dann zum Weltkrieg führte.“ ist richtig, denn sie enthält das Wort auch, was impliziert, dass es auch andere Gründe für den I. Weltkrieg gab.

Ja, und weil der der Kaiser mit seinen Minderwerigkeitskomplexen so ein hohes Risiko für den europäischen Frieden darstellte, schickte man ihn während eines beträchtlichen Abschnitts der Juli-Krise 1914 auch auf "Nordlandreise" und enthielt ihm zunächst die serbische Antwortnote auf das Österreichische Ultimatum vor, während die Falken in Bethmann-Hollwegs Kabinett, Kriegsministerium und Generalstab, sich bereits damit beschäftigten, die Vorbereitungen für die Generalmobilmachung zu treffen und die Sozialdemokraten auf Kriegskurs einzuschwören.

Das nun ausgerechnet die Hybris des Kaisers in den Weltkrieg geführt habe, ist schon eine ziemliche Grotteske. Denn wenn man dem Kaiser etwas vorwerfen kann, dann dass er am Ende der Generalmobilmachung zugestimmt hat, statt den anrollenden Zug anzuhalten.
Aber eingefädelt haben die Angelegenheit andere. Bethmann-Hollweg, Jagow, Delbrück, Moltke d.J., Falkenhayn etc. dürften da die weit maßgeblicheren Herrschaften gewesen sein.
Aber ich lasse mich natürlich gerne durch einschlägige Verweise auf den Forschungsstand davon überzeugen, dass des Kaisers Hybris schuld am Weltkrieg war.


Ich halte die psychische Verfassung von politisch handelnden Personen für sehr wichtig. Der Minderwertigkeitskomplex des Kaisers ist keine neue Erkenntnis, für einen schnellen Überblick reicht vielleicht das, was der französische Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre 1940 über Wilhelm II. geschrieben hatte (bitte ganz nach unten scrollen): Samt und Stahl. Kaiser Wilhelm II. im Urteil seiner Zeitgenossen – Zitat:

Seine Mutter ist Engländerin und Anglomanin. Und England ist zunächst seine Mutter. Aber diese Mutter verachtet und haßt ihn, vor allem weil er ein Krüppel ist.
(…)
Demütigungen in der Kindheit. Englische Demütigungen, das Kind wird englisch erzogen, und es haßt seine englische Erziehung. Trotzdem bleibt es beherrscht von der englischen Hoffart, England gegenüber hat es seinen Minderwertigkeitskomplex. Aber es findet gerade in der Besonderheit seines Seins-zum-Herrschen eine Art Revanche.

Bevor man sich in Hobbypsychologie ergeht um das Handeln einer Person zu erklären, sollte man aber vielleicht erstmal reflektieren, worin dieses Handeln bestand.
Ja, die verbalen Ausfälle des Kaisers waren grauenhaft, teilweise (Hunnen-Rede) auch verbrecherisch.
Zu was hat es aber geführt?
Im Grunde hat es zu seiner Regierungszeit 4 größere Auseinandersetzungen mit deutscher Beteiligung gegeben.
Die internationale "China-Mission", die Niederschlagung des Herero-Aufstands, die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands und den 1. Weltkrieg.

Die beiden Aufstafrikanischen Aufstände waren die typischen innerkolonialen Auseinandersetzungen, wie sie jede größere Kolonialmacht hatte und darüber hinaus ohne besonders starke Einmischung des Kaisers.
Die Hunnenrede war sicher verbrecherisch und mag sich auf die Art und Weise in der die Truppen in China agierten ausgewirkt haben, aber im Hinblick auf das Eingreifen in China an und für sich, verfolgte man durchaus keinen Sonderweg, sondern das war die Politik, die die anderen Kolonialnationen auch betrieben, in Teilen mit größeren Truppenkontingenten und auf der Zeitachse gesehen, war Deutschland hier eher Nachzügler.
Die eigenen Truppen trafen ja erst in China ein, als andere Kontingente schon längst vor Ort waren.

Im Hinblick auf die Juli-Krise, möchte ich bei obigem bleiben.
Natürlich agierte der Kaiser unglücklich und natürlich war der Blanko-Scheck an die österreichische Seite alles andere als eine besonnene Politik.
Aber wenn man sich die Ereignisse ansieht, war Wilhelm der Letzte nun wirklich keine der treibenden Kräfte, die darauf hingearbeitet hätte einen möglichen Weltkrieg vom Zaun zu brechen.

Das es nach der Antwort auf das Ultimatium im Grunde keinen Kriegsgrund mehr gab, hat der Mann selbst bemerkt, und selbst als es dann los ging, stand der "Halt-in-Belgrad"-Vorschlag auch immer noch im Raum.
Wenn man Wilhelm II. im Hinblick auf den 1. Weltkrieg etwas vorwerfen kann, dann nicht, dass er zu impulsiv gewesen wäre, sondern dass er zu passiv war und nicht fähig auf den Tisch zu hauen, die Maschinerie anzuhalten und nötigenfalls Moltke, Falkenhayn und die zivilen Kriegstreiber vor die Tür zu setzen, als sich abzeichnete, dass man zu einer Verhandlungslösung kommen könnte und als sich gleichzeitig abzeichnete, dass diese Sitaution auf dem Weg war auszuarten.
 
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