Männer unter sich?

El Quijote

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Die Geschichtsschreibung vergisst vor lauter Kriegsgetümmel die Frauen.
Von Judith Scholter

Die Geschichte der Römer in Germanien ist oft eine Geschichte großer Männer. Caesar nimmt Germanien in den Blick. Augustus macht es Rom untertan. Varus unterliegt, Maximinus Thrax siegt. Es könnte so schön und männlich sein, wenn da nicht eine Leerstelle klaffte: Was ist eigentlich mit den Frauen? Zogen all diese Feldherren und Kaiser immer allein in den Krieg? Sicher nicht. Zumindest von einigen Frauen aus der höchsten Gesellschaftsschicht wissen wir, dass sie in Germanien waren. So verhinderte die Ehefrau von Germanicus, Agrippina die Ältere, 15 n. Chr. in der Schlacht an den Pontes longi die Zerstörung der Brücke und sicherte damit den Rückmarschweg der Soldaten. Agrippina die Jüngere, Tochter des Germanicus, ist eng mit der Stadtgründung Kölns verbunden. Und noch etwas wissen wir: Die untergegangenen Legionen des Varus führten Frauen in ihrem Tross mit sich. Doch warum kommen diese Frauen und ihr Alltag in so vielen Geschichtsbüchern nicht vor?

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Arminius' Frau Thusnelda findet in den Quellen noch Erwähnung - ebenso die Seherin Veleda, die (als Bruktererin?) eine Rolle beim Bataveraufstand 69 n.Chr. gespielt haben soll.
 
Ich habe schon immer geglaubt, dass Frauen oder besser mehr Frauen eine Rolle in der Geschichte gespielt haben, als die Überlieferung das darstellt.
 
Doch warum kommen diese Frauen und ihr Alltag in so vielen Geschichtsbüchern nicht vor?

"One of the biggest new departures subsumed beneath the sloganeering of the "new cultural history" during the 1980 was feminist advocacy of gender history. Perhaps the single most influential ....early prospectus for approaches in general was Joan Scott`s 1986 article "Gender:..." , which became a benchmark text for any historian seeking to grasp what was at stake in the linguistic turn. ......Scott`s essay presented gender as the variable and contested construction of sexual difference, which was also "a primary way of signifying relations to power." (Eley, S. 157)

Dabei ist dieser letzte Aspekt für die Frage der Definitionsmacht, welche Attribute in der Beziehung der Geschlechter als relevant und überlegen angesehen werden und wie daraus ein Abhängigkeitsverhältnis und ein Herrschaftsverhältnis entstanden ist. Interessanterweise kulturübergreifend.

In diesem Sinne ist die Eingangsfrage auch eine Frage nach dem "Forschungsinteresse" und einer ideologiekritischen Betrachtung. Die zumindest zunehmend geleistet wird und die Wirkung der systematischen Benachteiligung von Frauen durch die vor allem feministische Kritik an diesen ideologischen Rechtfertigungen - auch durch die Geschichtsschreibung - zurückgedrängt wird.

Eley, Geoff (2005): A crooked line. From cultural history to the history of society. Ann Arbor: University of Michigan Press.
Scott, Joan Wallach (2007): Gender as a useful category of historical analysis. In: Richard Parker und Peter Aggleton (Hg.): Culture, society and sexuality: Routledge, S. 77–97.
 
Vielleicht hat es Männer wie Frauen unter den römischen Lesern nicht interessiert über Frauen in der Geschichte zu lesen?

Natürlich hat man sich für Person und Ideale von Boudicca interessiert.
Und bei den Kimbern und Teutonen die Frauen beschrieben die die Männer anfeuerten. Man beschrieb am Schicksal der Frauen das Barbarische, Exotische.
Es gab aber, trotz Bildung, keine weiblichen Geschichtsschreiberinnen.

Bücher über geschichtliche Ereignisse wurden von von interessierten Männern für interessierte Männer geschrieben.

Dankbar sein dürfen wir aber über die wenigen erhalten geblienenen persönlichen Briefe von Frauen sein. Es wird eine weibliche Literatur von hohem Stil in Form von Briefen gegeben haben. Aber diese Briefe wurden nicht durch Abschreiben erhalten.
 
Ich habe schon immer geglaubt, dass Frauen oder besser mehr Frauen eine Rolle in der Geschichte gespielt haben, als die Überlieferung das darstellt.

Das denke ich auch.
Da passt sicher auch ein Blick gen Norden.
Der Deutschlandfunk veröffentlichte am 14.10.v.Jhr. einen recht wissenswerten Beitrag von Frau Ana Suhr (Dr. Andrea – Ana – Suhr/Bonn).
„Zwischen Odin, Thor und Maria“:

https://www.deutschlandfunk.de/wiki...und-maria.2540.de.html?dram:article_id=485178
 
Kommt der Tross denn sonst in den Geschishtsbüchern vor?
Der zitierte Text stammt nicht von mir sondern von Judith Scholter in dem Zeit-Magazin Geschichte.
Wir haben über den Varuszug die Beschreibung von Cassius Dio, dass dort Frauen anwesend waren, wobei das dort vor allem der Dramatisierung des Geschehens dient. Aber auch bei der Flucht aus (mutmaßlich) Aliso sollen die Frauen nd Kinder die Flucht verlangsamt und den Germanen durch ihr Geschrei zur Kenntnis gebracht haben. Auch hier ist das natürlich ein narratives Element, welches zur Dramatisieurng des Geschehens beitragen soll. Allerdings haben wir bei Tacitus eine Stelle über eine Senatsdebatte im Jahr 20, bei der Caecina (der, der sich in der taciteischen Darstellung selbst mit Varus im Traum mit vergleicht und der von Arminius gegenüber seinen Leuten mit Varus verglichen wird [Schlacht an den langen Brücken]) sich gegen die Anwesenheit von Frauen auf Feldzügen ausspricht. Diese Setasdebatte dürfte historisch sein. Aus Kalkriese haben wir zumindest einzelne Gegenstännde, die Frauen zugeschrieben werden, obgleich natürlich z.B. die Anwesenheit einer Haarnadel nicht gleich belegt, dass sie von einer Frau mitgeführt wurde (gleichwohl ist das natürlich der naheliegendste Grund).
 
Ausgehend von der Arbeit von Collins Randall, der die Geschlechterungleichheit noch als Ausdruck von militarisierten Strukturen (vgl. auch Lenski: Mcht und Privileg) interpretiert hat, stellen sich Sanderson und Dubrow die Frage nach einer angemessenen theoretischen Erklärung von Daten.

Ihr Ergebnis ist wie folgt.

This study tested three types of theories of gender inequality in preindustrial societies by using half the societies in the Standard Cross-Cultural Sample: militarist, Marxian, and non-Marxian materialist theories. The first phase of the research used simple cross-tabulations with chi-square as a test of significance and gamma as a measure of association. The results from this phase showed no support for militarist theories, some support for Marxian theories, and substantial support for non-Marxian materialist theories. Since the first phase involved no control variables, a second phase was conducted using multivariate analyses. These analyses confirmed that militarist theories must be emphatically rejected, and that both Marxian and non-Marxian materialist variables help determine gender inequality. Non-Marxian materialist variables, however, explain much more of the variance in gender inequality than Marxian variables do.

(PDF) Militarist, Marxian and Non-Marxian Materialist Theories of Gender Inequality: A Cross-Cultural Test

In diesem Sinne ist die Geschlechterungleichheit ein soziales Phänomen, das über den Zugang zu "Machtmitteln" gesteuert wird. Die Berücksichtigung oder Nicht-Berücksichtigung einer sozialen Gruppe, also der Frauen in diesem Fall, sollte als Ausdruck der De-Legitimierung ihrer historischen Bedeutung interpretiert werden.

Nicht zuletzt auch deswegen, weil der historische Bezug von "Geschlechtern" auf dem schriftlich fixierten Narrativ beruht. Und alles, was nicht niedergeschrieben wurde, ist praktisch nicht existent. In diesem Sinne wird man beispielsweise im generellen "Alltagsgeschichte" - auch von Frauen - deutlich schwerer rekonstruieren können.

Anzumerken ist, dass die "Historisierung" von Ereignissen in der Regel der "Überhöhung" der jeweils beteiligten Führer galt. Die Heroisierung betraf somit in der Regel die "Männer" und sofern Frauen heroisiert wurden, erfolgte das in männlichen Rollen.

Boudicca – Wikipedia

Mit dieser Heroisierung erfolgte aber auch die Legitimierung des universellen "Machtinstruments", der Gewalt und trug zur Legitimierung ihres Herrschaftsanspruchs bei. Das ganze kann man dann als ein selbstreferentielles System begreifen zwischen Gewaltanwendung, Heroisierung, Legitimisierung und erneuter Gewaltanwendung.

Und führt dann nach 3000 Jahren der Verherrlichung von - männlicher - Gewalt zu der bekannten Glorifizierung, dass der Krieg angeblich die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei.

Collins, Randall (2016): Conflict sociology. A sociological classic updated. Hg. v. Stephen K. Sanderson. London: Routledge, Taylor & Francis Group
Sanderson, S. K.; Heckert, D. A.; Dubrow, J. K. (2005): Militarist, Marxian, and Non-Marxian Materialist Theories of Gender Inequality: A Cross-Cultural Test. In: Social Forces 83 (4), S. 1425–1441.
 
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Es gab aber, trotz Bildung, keine weiblichen Geschichtsschreiberinnen.
Doch, gab es.
Zu nennen wäre Pamphile von Epidauros, die in der frühen Kaiserzeit u. a. eine Sammlung historischer Anekdoten sowie eine Kurzfassung des Werks von Ktesias verfasste. Die Anekdotensammlung ist heute zwar verloren, wurde aber in der Antike und in byzantinischer Zeit anscheinend durchaus gelesen und geschätzt, jedenfalls öfter zitiert.
Eine gewisse Nikobule, über die nichts weiter bekannt ist, verfasste ein Werk über Alexander den Großen (zitiert bei Athenaios, der allerdings ihre Verfasserschaft anzweifelte).

Aus allerdings schon späterer Zeit wäre Anna Komnena zu nennen. Sie steht dafür aber auch gleich an der Spitze der byzantinischen Geschichtsschreibung.

Dankbar sein dürfen wir aber über die wenigen erhalten geblienenen persönlichen Briefe von Frauen sein. Es wird eine weibliche Literatur von hohem Stil in Form von Briefen gegeben haben. Aber diese Briefe wurden nicht durch Abschreiben erhalten.
Nicht nur in Form von Briefen. Es gab neben Sappho noch einige weitere weibliche Dichterinnen (Erinna, Nossis etc.), die durchaus gelesen und geschätzt wurden, wie die Aufnahme von Gedichten mehrerer Frauen in die "Griechische Anthologie" zeigt.
Auch Philosophinnen und Autorinnen erotischer Literatur gab es.
 
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