Fragen zur römischen Germanienpolitik

BerndH

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Hallo liebe Geschichtsfreunde,

glaubt Ihr, dass Augustus niemals vorhatte Germanien überhaupt zu erobern? Ihm war es nur wichtig, dass der Limes gesichert ist und sein Nachfolger Tiberius hat in seiner 20-jährigen Regierungszeit gar nichts erobert. Gemäß seinen Zeitgenossen war er einer der besten Feldherren überhaupt, als Kaiser jedoch eroberte er nichts, stattdessen bevorzugte er Diplomatie. Meint Ihr, dass wenn Tiberius Germanien hätte erobern wollen, er dies selbst gemacht und dann auch mit Sicherheit Erfolg gehabt hätte, mit der gleichen Taktik wie in Pannonien, die er ja auch in Germanien anwendete (erfolgreich), wenn er nicht zurückbeordert worden wäre? Aber letzten Endes behandelte er Germanien wie den persönlichen Spielplatz des Germanicus, der dort mit Legionen operierte, die er selbst bezahlte.

Wie ist Eure Meinung?
 
Hallo,

zunächst einmal zu deinen Formulierungen. Geschichte ist keine Sache von Glauben und eher weniger um Meinungen, wenn es um belegbare Sachverhalte geht.
Hallo liebe Geschichtsfreunde,
glaubt Ihr, dass Augustus niemals vorhatte Germanien überhaupt zu erobern? Ihm war es nur wichtig, dass der Limes gesichert ist

Mit dem Bau des Limes wurde erst nach Ende von Augustus begonnen, zu seiner Zeit gab es ihn noch gar nicht.

Kochant
 
glaubt Ihr, dass Augustus niemals vorhatte Germanien überhaupt zu erobern? Ihm war es nur wichtig, dass der Limes gesichert ist und sein Nachfolger Tiberius hat in seiner 20-jährigen Regierungszeit gar nichts erobert.
BerndH wollte sicher nur sagen, dass es Augustus um die Grenzsicherung ging, ein Satz, den Augustus nach Tacitus in dieser Art Weise explizit gegenüber seinem Nachfolger geäußert haben soll. Das ist nach dem Eklat von 9 nChr. verständlich, zudem er damals schon älter war und gerade noch 5 Jahre lebte. Zudem war Augustus' Politik oftmals Symbolpolitik, vgl. die Rückgabe der Feldzeichen aus der Schlacht von Carrhae 53 vChr.

Zuvor hatte Augustus sehr wohl an Expansion in Germanien gedacht: s. 4-6 nChr. ein Germanienfeldzug mit Tiberius an der Spitze. Der Feldzug des Tiberius nach der Varus-Schlacht war deshalb auch nicht expansiv, sondern stellte lediglich die Ordnung wieder her, war also defensiv.

Insofern gebe ich dir Recht: nach der Varus-Schlacht hatte Augustus die Lust an Expansion erst einmal verloren.

Was nun Tiberius betrifft: seine Herrschaft muss man in 2 Teile unterteilen, vor und nach Capri. Nur die ersten 12 Jahre hat Tiberius überhaupt effektiv regiert. Aber er war schon 55 Jahre alt, als er an die Macht kam, Germanicus war damals gerade mal 29, da handelt man anders und will sich Meriten verdienen. Was sollte aber T. mit außenpolitischen Abenteuern anfangen? Er hatte sich schon als Feldherr hervorgetan und musste sich nicht mehr beweisen, zudem war seine Herrschaft schon von Anfang an wenig populär: T. war eher ein Arbeitsmensch und oberster Beamter, das aber kam beim Publikum nicht an. Auch in seiner Feldherrenzeit unter Augustus war er nicht der Draufgänger gewesen (wie Germanicus), sondern der Befehlsempfänger.

Und endlich: als T. auf Capri saß, nun schon 68jährig, hatte er jegliche Lust an seiner Herrschaft verloren.
 
Augustus hat sehr aktiv in den kantabrischen Kriegen die Eroberung der Hispania abgeschlossen, da war er bereits Kaiser. Aber römische Eroberungspolitik war häufig gar nicht so gezielt nach dem Motto: Wir erobern jetzt Gebiet X, sondern eher eine Reaktion auf Grenzkonflikte, so etwa der Rheinübergang nach der clades Lolliana. Oder die Eroberung Spaniens, um den Karthagern ihren Zugriff auf Edelmetalle und Söldner zu entziehen. Fragt man aber Augustus selbst, so war dessen Selbstverständnis, Germanien bis zur Elbe erobert zu haben:

Gallias et Hispanias provincias, item Germaniam, qua (eas) includit Oceanus a Gadibus ad ostium Albis fluminis, pacavi,

Die gallischen und spanischen Provinzen, ebenso wie Germanien, was den Ozean von Cádiz bis zur Mündung der Elbe einschließt, befriedete ich.

Quelle: Res Gestae Divi Augsti/Monumentum Ancyranum

nach der Varus-Schlacht hatte Augustus die Lust an Expansion erst einmal verloren.

Die letzte von Augustus autorisierte Fassung der RGDA/des MA stammt wohl aus dem Jahr 13.
 
Während des Feldzugs 3 v. Chr Lucius Domitius Ahenobarbus errichtete einen heiligen Altar, um die Grenzen der neuen Provinz "Germania Magna" nahe der Elbe zu markieren.
Diese Geste von Ahenobarbus ist identisch mit der von Augustus am Ende des Kantabrischen Krieges.
 
Während des Feldzugs 3 v. Chr Lucius Domitius Ahenobarbus errichtete einen heiligen Altar, um die Grenzen der neuen Provinz "Germania Magna" nahe der Elbe zu markieren.

So steht es bei Cassius Dio (Übersetzung Otto Veh):

"Nicht lange zuvor [also irgendwann vor 1 n. Chr.] hatte nämlich Domitius, während er noch die Gebiete der Donau entlang verwaltete, die Hermunduren, die aus einem mir unbekannten Grunde ihr Heimatland verlassen hatten und auf Landsuche hin und her zogen, abgefangen und in einem Teil des Markomannengebietes angesiedelt. Dann war er, ohne auf Widerstand zu stoßen, über die Elbe gegangen, wo er mit den dortigen Barbaren einen Freundschaftsvertrag schloß und am Flußufer zu Ehren des Augustus einen Altar errichtete."

Der Feldzug spielte sich offensichtlich zwischen Donau und Elbe ab, also im heutigen Tschechien (wo damals auch die Markomannen saßen).


Diese Geste von Ahenobarbus ist identisch mit der von Augustus am Ende des Kantabrischen Krieges.
An welcher Grenze wurde damals ein Altar aufgestellt und welche Quelle berichtet darüber?
 
Es gibt eine umstrittene Inschrift um eine Arae / August(a)e / civitas Lougeiorum, die sich in der Epigraphikdatenbank befindet und die im Archäologischen Museum in A Coruna ausgestellt wird, die aber von manchen für eine Fälschung gehalten wird. Sie nennt als Konsuln den Kaiserenkel Caius Caesar und Lucius Aemilius Paullus und ist somit auf das Jahr 1 unserer Zeitrechnung datierbar (so es sich nicht um eine moderne Fälschung handelt).
 
Es gibt eine umstrittene Inschrift um eine Arae / August(a)e / civitas Lougeiorum, die sich in der Epigraphikdatenbank befindet und die im Archäologischen Museum in A Coruna ausgestellt wird, die aber von manchen für eine Fälschung gehalten wird. Sie nennt als Konsuln den Kaiserenkel Caius Caesar und Lucius Aemilius Paullus und ist somit auf das Jahr 1 unserer Zeitrechnung datierbar (so es sich nicht um eine moderne Fälschung handelt).

... und datiert jedenfalls lange nach dem Ende des Kantabrischen Krieges.

Und mir ist auch nicht klar, welche Grenze da markiert worden sein soll.
 
Geschichte ist keine Sache von Glauben und eher weniger um Meinungen, wenn es um belegbare Sachverhalte geht.

Leider lässt sich zu den Hintergründen und Motiven der augusteischen Germanienpolitik nur sehr wenig belegen:

"Es ist vor allem das nahezu völlige Schweigen der antiken Überlieferung zu diesem Punkt, das dazu geführt hat, daß die von der heutien Forschung entwickelten Hypothesen so zahlreich sind und teilweise so weit auseinandergehen, daß es schwierig ist, sie in eine einigermaßen systematische Ordnung zu bringen."

Jürgen Deininger, Germaniam pacare. Zur neueren Diskussion über die Strategie des Augustus gegenüber Germanien, in: Chiron 30 (2000)

Die Systematik wird von Peter Kehne, Limitierte Offensiven, wie folgt aufgegriffen und kommentiert:
"1. Zum Schutz der Tres Galliae habe Augustus nie mehr als eine bloße Machtdemonstration und eine politisch-militärische Vorfeldkontrolle in Germanien beabsichtigt, keinesfalls die Eroberung einer wie auch immer begrenzten territorialen provincia Germania.
2. Die Sicherung von Roms Herrschaft über Gallien war das Zeil der römischen Rheingrenzenpolitik zwischen Caesars Rheinübergängen und der Drusus-Offensive. Auch diese wurde nicht mit dem Ziel einer Eroberung Germaniens begonnen. Vielmehr habe sich die augusteische Germanienpolitik nach 12 v. Chr. sukzessive weiterentwickelt und sei bis zur Varus-Niederlage allmählich auf die Schaffung einer förmlichen germanischen Provinz hinausgelaufen.
3. Spätestens vom Jahre 16 bzw. 12 v. Chr. an habe Augustus die systematische Eroberung Germaniens mindestens bis zur Elbe und die Etablierung einer germanischen Provinz geplant.
4. Der römische Imperialismus sei von der bei Vergil formulierten Idee eines imperium sine fine geleitet gewesen. Demnach habe die augusteische Außenpolitik überhaupt keine Grenzen gekannt. Einige Forscher unterstellen Rom über die Okkupation Germaniens hinausreichende Eroberungsabsichten bis zum Chinesischen Meer, o der auch nur bis zum Iran bzw. dem Ende Skythiens.
In der Kontroverse um diese bislang als unvereinbar geltenden Positionen hat die Forschung bislang wenig Fortschritte erzielt. Immerhin: Zumindest die vor allem von Konrad Kraft pointierte These, die Unterwerfung der Zentralalpen und des Alpenvorlandes durch Drusus und Tiberius im Jahre 15 v. Chr. sei bereits Bestandteil einer längerfristig geplanten, umfassenden Germanienkonzeption des Augustus [...] zu Recht als erledigt betrachtet werden. Dasselbe darf für die völlig überzogene These einer auf unbeschränkte Eroberung, mithin auf faktische "Weltherrschaft" Roms abzielenden Außenpolitik gelten [...]"
Res publica reperta
 
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