Geschichte zwischen Deskription und Spekulation, zwischen Faktischem und gewesen sein Könnendem

Clemens64

Aktives Mitglied
Wenn man sich nie überlegt, was unter anderen Umständen passiert wäre, könnte man ja gar keine kausale Aussagen treffen. Dann wäre die Geschichtswissenschaft rein beschreibend.
 
Wenn man sich nie überlegt, was unter anderen Umständen passiert wäre, könnte man ja gar keine kausale Aussagen treffen. Dann wäre die Geschichtswissenschaft rein beschreibend.
Die Möglichkeiten des was wäre wenn sind dennoch sehr begrenzt. Es sind allenfalls Handlungsalternativen die man aufzeigen kann (und darauf aufbauend das Werturteil fällend), als große Geschichtsentwürfe. Da fehlen dann einfach die validen Daten. Unsere validen Daten sind die Quellen. An denen kommen wir nicht vorbei.
 
Kausal? In der Geschichtswissenschaft ist mir die Verwendung dieses Begriffes unbekannt. Kontrafaktische/spekulative und kausale Geschichte? Das wäre mir neu...

Kontrafaktische Geschichte gibt es schon, Kausal eher in der Philosophie.
Kontrafaktische Geschichte – Wikipedia

Der britische Historiker Richard J .Evans hat ein Buch dazu geschrieben. Mir der Frage: Worin liegt die Faszination, die Geschichte im Rückblick zu verändern?

„Aus Frustration über die Komplexität und Ungewissheit des modernen Lebens ziehen moderne Leser dem realen Mittelalter die Mittelerde aus Tolkiens Herr der Ringe vor [...]. Besonders attraktiv sind derlei Fantasiewelten in Zeiten, die von politischen und kulturellen Ängsten, Ungewissheiten, Krisen oder Enttäuschungen geprägt sind.“
Richard Evans.

Titel des Buches: Richard J. Evans
Veränderte Vergangenheiten
Über kontrafaktisches Erzählen in der Geschichte
DVA Sachbuch

Quelle: "Was wäre wenn...?" - Wenn die Fantasie die Macht übernimmt (Archiv)

Der letzte Satz des Beitrags sagt vieles aus:

"Deshalb hatte schon Walther Rathenau im Jahr 1918 und im Rückblick auf den Ersten Weltkrieg festgehalten:

„Die Geschichte konjugiert nicht im Konditionalis, sie redet von dem, was ist und war, nicht von dem, was wäre und gewesen wäre.“

Wie Recht er hatte."
 
Zuletzt bearbeitet:
Jaaa...kontrafaktische Postulate in den Geschichtswissenschaften auch als 'Übung' kenn ich natürlich, also nicht nur die negative Version des Kontrafaktischen als 'wissenschaftlich-geschichtliche' Tatsachenbehauptung.

Die Formulierung von Hypothesen eingangs in beispielsweise geschichtswissenschaftlichen Dissertationen, die Bestätigung bzw. Nichtbestätigung anhand der nachfolgenden Untersuchung, formuliert im Resümee, das ist keine Methodik ala kontrafaktisch/spekulativ und kausal, meine ich.

Clemens64 behauptet hier einen nicht existierenden Zusammenhang, die angeblich Notwendigkeit kontrafaktischer/spekulativer Behauptungen als notwendige Voraussetzung für die nachfolgende Erkenntnis/Formulierung/Feststellung einer angeblich kausalen Geschichte.
 
Wenn man sich nie überlegt, was unter anderen Umständen passiert wäre, könnte man ja gar keine kausale Aussagen treffen. Dann wäre die Geschichtswissenschaft rein beschreibend.

Ich möchte mich da @El Quijote und @andreassolar anschließen, die Möglichkeiten im Rahmen kontrafaktischer Spekulation zur Kontrastierung und zum Herausstellen wirklich sinnvoller Erkenntnisse, sind doch arg begrenzt.

Und darüber zu spekulieren ob einzelne Schlachten mit einem anderen Ausgang die Geschichte grundlegend verändert hätten, ist doch in der Regel müßig, weil solche Spekulation in aller Regel die sozialen und ökonomischen Grundlagen der Entwicklung vollkommen auér Acht lässt.
Da wird das Modell der "Entscheidungsschlacht" dann doch etwas oft überstrapaziert.

Wenn man sich auf Spielereien mit kontrafaktischen Betrachtungen einlässt, wäre auch wichtig zu beachten, wie weit man dabei geht.
Spekulation über ein mögliches Entwicklungsspektrum, dass die unmittelbar folgende Situation betrifft, mögen möglicherweise noch einen gewissen Sinn ergeben.
Aber was darüber hinaus geht, tut es nun wirklich nicht mehr.
 
Ich möchte mich da @El Quijote und @andreassolar anschließen, die Möglichkeiten im Rahmen kontrafaktischer Spekulation zur Kontrastierung und zum Herausstellen wirklich sinnvoller Erkenntnisse, sind doch arg begrenzt.

Und darüber zu spekulieren ob einzelne Schlachten mit einem anderen Ausgang die Geschichte grundlegend verändert hätten, ist doch in der Regel müßig, weil solche Spekulation in aller Regel die sozialen und ökonomischen Grundlagen der Entwicklung vollkommen auér Acht lässt.
Da wird das Modell der "Entscheidungsschlacht" dann doch etwas oft überstrapaziert.

Wenn man sich auf Spielereien mit kontrafaktischen Betrachtungen einlässt, wäre auch wichtig zu beachten, wie weit man dabei geht.
Spekulation über ein mögliches Entwicklungsspektrum, dass die unmittelbar folgende Situation betrifft, mögen möglicherweise noch einen gewissen Sinn ergeben.
Aber was darüber hinaus geht, tut es nun wirklich nicht mehr.

Ich bin eigentlich völlig mit dir einer Meinung, aber das mit der Entscheidungsschlacht hat mich dann doch getriggert...

Nehmen wir mal den D-Day. Stellen wir uns vor, es wäre der Wehrmacht und den Kampfverbänden der SS etc. gelungen, die Landung der alliierten Truppen in der Normandie zurückzuschlagen. Es wäre trotzdem nur eine Frage der Zeit gewesen, dass Deutschland den Krieg verloren hätte. Aber andere Menschenleben wären verloren gegangen, ganz andere Familiengefüge wären in der Folge entstanden, als in der Realgeschichte entstanden sind. Vor allem wäre aber wohl festzustellen, dass bei einer nichterfolgreichen Landung in der Normandie der Krieg wesentlich länger gedauert hätte. Mit Folgen für alle von Krieg und Schoah betroffenen. Vor allem aber wäre zu fragen, ob nicht vielleicht, anstatt auf Japan auf Deutschland die erste Atombombe gefallen wäre. Insofern würde ich z.B. dem D-Day durchaus das Attribut einer Entscheidungsschlacht geben, der womöglich dafür gesorgt hat, dass Dtld. von der Atombombe verschont blieb.
Der D-Day hat so stattgefunden, wie er stattgefunden hat und in Europa ging der Krieg im Mai zu Ende. In Asien dauert er bis Mitte August bzw., wenn man die verzögerte Kapitulation der japanischen China-Armee einbezieht, sogar bis Mitte September. Auf den 6. und 9. August datieren die beiden Atombombenabwürfe.
Wäre der D-Day gescheitert, hätte der Krieg sicherlich noch die drei Monate länger gedauert, die es zwischen Kriegsende in Europa und Atombombenabwurf brauchte.
 
Ich bin eigentlich völlig mit dir einer Meinung, aber das mit der Entscheidungsschlacht hat mich dann doch getriggert...

Nehmen wir mal den D-Day. Stellen wir uns vor, es wäre der Wehrmacht und den Kampfverbänden der SS etc. gelungen, die Landung der alliierten Truppen in der Normandie zurückzuschlagen. Es wäre trotzdem nur eine Frage der Zeit gewesen, dass Deutschland den Krieg verloren hätte. Aber andere Menschenleben wären verloren gegangen, ganz andere Familiengefüge wären in der Folge entstanden, als in der Realgeschichte entstanden sind. Vor allem wäre aber wohl festzustellen, dass bei einer nichterfolgreichen Landung in der Normandie der Krieg wesentlich länger gedauert hätte. Mit Folgen für alle von Krieg und Schoah betroffenen. Vor allem aber wäre zu fragen, ob nicht vielleicht, anstatt auf Japan auf Deutschland die erste Atombombe gefallen wäre. Insofern würde ich z.B. dem D-Day durchaus das Attribut einer Entscheidungsschlacht geben, der womöglich dafür gesorgt hat, dass Dtld. von der Atombombe verschont blieb.
Der D-Day hat so stattgefunden, wie er stattgefunden hat und in Europa ging der Krieg im Mai zu Ende. In Asien dauert er bis Mitte August bzw., wenn man die verzögerte Kapitulation der japanischen China-Armee einbezieht, sogar bis Mitte September. Auf den 6. und 9. August datieren die beiden Atombombenabwürfe.
Wäre der D-Day gescheitert, hätte der Krieg sicherlich noch die drei Monate länger gedauert, die es zwischen Kriegsende in Europa und Atombombenabwurf brauchte.

Na, ich will ja gar nicht bestritten haben, dass es von Zeit zu Zeit, so etwas wie tatsächliche Entscheidungsschlachten gibt oder gegeben hat, die ganz maßgeblich die spätere Geschichte bestimmt haben.

Die Schlacht um die Strände in der Normandie und damit das Wettrennen, wer es schaffen würde wie große Teile Kontinentaleuropas in den eigenen Einflussbereich zu bringen, ist sicher so ein Ereignis gewesen.

- Vielleicht war die Kerenskij-Offensive mit ihren brutalen innenpolitischen Auswirkungenn in Russland ein solches Ereignis.
- Vielleicht die Schlacht von Poltawa, nach der es sich mit der Herrlichkeit schwedischer Großmacht mehr oder weniger erledigt und nach der Russland in Folge in den Kreis der europäischen Mächte stößt.
- Mit Sicherheit wird man die Seeschlacht bei Kap Trafalgar als einen historischen militärischen Wendepunkt betrachten können, setzte sie doch Napoléons Ehrgeiz Grenzen, wichtiger aber noch, sie legte die Grundlage dafür die britische Seeherrschaft auf 100 jahre zu sichern und damit die Grundlagen für das 2. Empire.
- Sicherlich wird man, wegen ihrer weitrechenden politischen Folgen auch etwa Solferino-San martino, Königgräz und Sedan 1870 für weitgehende Entscheidungsschlachten in diesem Sinne halten können.

- Und dann gibt es eben absolute Gegenbeispiele wie Cannae oder auch Waterloo.
Cannae mag einer der glänzensten Siege der Militärgeschichte gewesen sein, der politisch und entwicklungstechnisch den karthagern aber eben überhaupt nichts nutzte.
- Waterloo hätte der kleine Korse 10 mal gewinneen können, auf die Dauer wäre Frankreich aber so oder so nicht in der Lage gewesen sich gegenüber den überlegenen Ressourcen dieser Koalition zu behaupten.
- Wie viele in diesem Ausgang spektakuläre Siege haben die Generale der Konföderierten im amerikanischen Bürgerkrieg zustande gebracht, ohne dass es am Ende irgenwas genutzt hätte?


Ich denke, wenn man das Thema "Entscheidungsschlacht" theoretisch zuspitzen wollte, wird eine solche immer genau dann vorliegen, wenn potentielle militärische Wendepunkte mit politischen und sozio-ökonomischen Wendepunkten zusammenfallen.

Das sehe ich aber im genannten Beispiel der Schlacht von Marignano allerings nicht, weil mir da eben die anderen, nicht militärischen faktoren fehlen.
 
Kausal? In der Geschichtswissenschaft ist mir die Verwendung dieses Begriffes unbekannt.
Ich bin kein Historiker, aber in der Philosophie hat man sich vor allem seit Hempel/Oppenheims deduktiv-nomologischem Schema auch mit der Möglichkeit befasst, allgemeine Gesetze, die sich aus psychologischen, soziologischen oder politologischen Modellen ableiten, für die Geschichte nutzbar zu machen.

Das Modell geht recht simpel syllogistisch vor:
1. Es gibt empirische Gesetze der Art: Für alle x gilt: wenn x dann y
2. Es liegen Randbedingungen für diese Gesetze vor, so dass x vorliegt
3. Dann kann man y folgern.

Ein Beispiel wäre etwa die J-Kurven-Theorie von Davies zur Auslösung von Revolutionen:
1. Immer dann, wenn Erwartungen über die tatsächliche Realisierung hinausgehen, wird Unzufriedenheit erzeugt.
2. Vor der Französischen Revolution gab es hohe Erwartungen, doch die Verwirklichung blieb dahinter zurück.
3. Somit gab es vor der Französischen Revolution Unzufriedenheit.

Ein weiteres Gesetz müsste nun zeigen, dass eine gewisse Größe von Unzufriedenheit Revolution erzeugt.
1. Immer dann, wenn UZf größer als ein gewisser Wert ist, revoltieren die Menschen
2. Vor der Fr. Rev. hat die UZf diesen Wert überschritten
3. Also gab es eine Revolution.

Ich bin mir bewusst über die sehr schwammige Formulierung, ich habe das auch nur aus dem Gedächtnis. Aber sie sollte nur zur Illustration dienen. Hier geht es nur darum, ob kausale Theorien in der Geschichtswissenschaft möglich sind, nicht, ob die Fr. Rev. genau diesen Verlauf nahm. Hempel sagt: ja, es gibt kausale Gesetze, die in der Geschichte wirken. Sie könnten zur Erklärung gewisser hist. Vorgänge dienen.

Eigentlich, wenn ich das so sagen darf, eine Trivialität: Geschichte bewegt sich ja schließlich nicht außerhalb von sozialen Zusammenhängen, die ihrerseits mehr oder weniger gewissen Gesetzen unterliegen, nur eben nicht in der starren Art wie in den Naturwissenschaften, sondern sehr viel komplexer und auch selten rein-deterministisch. Allerdings hat das mit kontrafaktischen Überlegungen nichts zu tun.

Carl Gustav Hempel, Paul Oppenheim: Studies in the Logic of Explanation in Philosophy of Science 15 (1948)
J. C. Davies: Toward a theory of revolution, American Sociological Review 27 (1962)
 
Kausal? In der Geschichtswissenschaft ist mir die Verwendung dieses Begriffes unbekannt. Kontrafaktische/spekulative und kausale Geschichte? Das wäre mir neu...
Also ohne Ursache-Folge-Überlegungen kann man meines Erachtens nicht nur nicht wissenschaftlich arbeiten, sondern überhaupt nicht denken. Vielleicht leidet jemand, der Geschichtswissenschaft unter Verzicht von Kausalität betreiben möchte, ein bisschen unter deformation professionelle oder so.
Das D-Day-Beispiel von El Quichote ist ein Beispiel für eine einfache kausale Überlegung. Weil Historiker keine Experimente machen können, bleiben diese kausalen Überlegungen allerdings in der Regel im Bereich des Spekulativen.
 
Ich bin kein Historiker, aber in der Philosophie hat man sich vor allem seit Hempel/Oppenheims deduktiv-nomologischem Schema auch mit der Möglichkeit befasst, allgemeine Gesetze, die sich aus psychologischen, soziologischen oder politologischen Modellen ableiten, für die Geschichte nutzbar zu machen.

Das Modell geht recht simpel syllogistisch vor:
1. Es gibt empirische Gesetze der Art: Für alle x gilt: wenn x dann y
2. Es liegen Randbedingungen für diese Gesetze vor, so dass x vorliegt
3. Dann kann man y folgern.

Nur folgt Geschichte eben keinem System in diesem Sinne.



Ein Beispiel wäre etwa die J-Kurven-Theorie von Davies zur Auslösung von Revolutionen:
1. Immer dann, wenn Erwartungen über die tatsächliche Realisierung hinausgehen, wird Unzufriedenheit erzeugt.
2. Vor der Französischen Revolution gab es hohe Erwartungen, doch die Verwirklichung blieb dahinter zurück.
3. Somit gab es vor der Französischen Revolution Unzufriedenheit.

Teilweise einverstanden.
Natürlich gab es da Erwartungen, die über die Realisierung hinausgingen, was im Bürgertum zur Unzufriedenheit geführt hat, aber das wäre keine ausgewachsene Revolution in diesem Sinne geworden, wären nicht die vorangegangenen Ernten schlecht ausgefallen, worunter die gesamte Bevölkerung zu leiden hatte.

Die aber wiederrum hatten nichts mit irgendwelchen politischen Erwartungen zu tun, die erfüllt oder nicht erfüllt werden konnten, sondern weil es an die Grundbedürfnisse der Bevölkerung ging.

Insofern heb sich dieses Modell in übertrieben idealistischer Weise von den materiellen Grundlagen des einzelnen Ereignisses ab.


Ein weiteres Gesetz müsste nun zeigen, dass eine gewisse Größe von Unzufriedenheit Revolution erzeugt.
1. Immer dann, wenn UZf größer als ein gewisser Wert ist, revoltieren die Menschen
2. Vor der Fr. Rev. hat die UZf diesen Wert überschritten
3. Also gab es eine Revolution.

Das wiederspricht, eigentlich denn historischen Erfahrungen.
In der Regel revoltieren Menschen nicht einfach, wenn die Unzufriedenheit zu groß wird, sondern sie versuchen in aller Regel erstmal Appellations- und Petitionsmöglichkeiten wahrnzunehmen, um die tatsächlichen Machthaber von ihrer Lage in Kenntnis zu setzen und Linderung der sie belastenden Umstände zu erbitten, so auch im Rahmen der französischen Revolution, bzw. im rahmen ihres Vorlaufs.

Ob sich die Stimmung dann zu einem revolutionären Aufstand steigert hängt zum einen davon ab, welche Schichten überhaupt betroffen sind.
Trifft die unzufriedenheit nur die unteren wirtschaftlich bedrückten Schichten, ohne entsprechende intellektuelle Anantgarde, die das politische System en gros im Blick hat und über weitergehende als regionale Kenntnisse verfügt, wird daraus in der Regel eine Hungerrevolte oder etwas in der Art, was darauf abzielt spontan doe dringensten bedürfnisse zu befriedigen oder die schlimmstenn Lasten los zu werden, aber dabei wird das System nicht in Frage gestellt.
Andersherum entwickelt Unzufriedenheit in der geistigen Avantgarde, die sich sozial in den mittleren Rängen befindet, die sich ausgebremst und zurückgesetzt wähnt, die aber keine Massenbasis hat, keine dementsprechenden revolutuonären Energien.
Daraus wird dann vielleicht der Versuch eines Staatsstreiches oder eine Fronde, aber keine Revolution.

Revolutionäres Potential ergibt sich dann, wenn eine enttäusche geistige Avantgarde aus der Mittelschicht, die avancieren möchte, aber nicht kann, weil das gesellschaftliche System erstarrt ist und es nicht zulässt, auf eine in ihren Grundbedürfnissen bedrückte Unterschicht trifft, und sich beide verbünden.
Dann wird es für ein System potentiell gefährlich, vorher nicht.

Aber auch dann, werden, in aller Regel zunächst mal Appellations- und Petitionsmöglichkeiten ausgeschöpfpt und nicht gleich das ganze System und die herrschenden Autoritäten in Frage gestellt.

Ob es dann zum revolutionären Umsturzversuch kommt und ob der Aussicht auf Erfolg hat, hängt ganz maßgeblich vom Handlungsspielraum der Herrschenden ab ob sie in der Lage sind auf die Forderungen, die an sie herangetragen werden einzugehen und ob und wie weit sie dazu auch willens sind.

Und spätestens ab diesem Punkt, wird das durch kein empirisches System mehr berechnbar, weil es dann von der Gesamtsituation des Staatengebildes und von der Persönlichkeit und Strategie und der Vorstellungswelt der Herrschenden abhängt, ob die Situation weiter eskaliert wird oder nicht.


Die Schwäche solcher Modelle, ist, dass sie nur die messbare Seite der Geschichte, die sich in historischen Ereignissen manifestiert hat, betrachten kann.
Wenn man das so betrachtet, führt ein gewisses Maß a Unzufreidenheit natürlich zur revolution, weil das einmal jeder Revolution inhärent ist.
Es ist aber eben nur der Messbare Teil. Wenn man wirklich eine einigermaßen exakte Gleichung entwerfen wollte, müsste man dabei auch betrachten, welche Revolutionen alle nicht zustande gekommen sind, weil welche Vorbedingung auch immer nicht hinhaute oder weil sich im Verlauf dessen, Möglichkeiten fanden die Unzufriedenheit noch nachträglich durch kompromissfindungen abzubauen oder weil Forderungen einfach zurückgezogen wurden.
Das wiederrum ist in diesem Modell nicht erfassbar und deswegen ist es in dieser Form unzureichend.
 
Ich bin mir bewusst über die sehr schwammige Formulierung, ich habe das auch nur aus dem Gedächtnis. Aber sie sollte nur zur Illustration dienen. Hier geht es nur darum, ob kausale Theorien in der Geschichtswissenschaft möglich sind, nicht, ob die Fr. Rev. genau diesen Verlauf nahm. Hempel sagt: ja, es gibt kausale Gesetze, die in der Geschichte wirken. Sie könnten zur Erklärung gewisser hist. Vorgänge dienen.

Nein, das ist überdeterminiert, weil es die Handlungsmöglichkeiten und die geistigen Dispositionen, Persönlichkeiten etc. vollkommen außer acht lässt.
Und den Fehler haben schon große Denker der Geschichte gemacht.

Karl Marx zum Beispiel.

Der Mann hat die soziale Revolution und den Sturz der monarchischen Ordnungen überall in Europa für unausweichlich betrachtet, weil er bei sämtlichen seiner Annahmen in dieser Beziehung, davon ausgegangen ist, dass die Herrschenden, alten Eliten im Falle wachsender Unzufriedenheiten auf soziale Unruhepotentiale mit einem determinierten Konfrontationskurs reagieren würden, weil er sie für unfähig hielt, sich empathisch zu präsentieren und auf teile ihrer macht und Einflussmöglichkeiten zu verzichten oder sie dahingehend zu verwenden, aktiv und von sich aus Abhilfe zu schaffen.
Die Annahme konnte er aus Teilen der französischen Revolution, bestimmten Begebenheiten der sogenannten "Restaurationszeit", der Reaktion der altem Monarchen auf die Ereignisse 1848 und im Hinblick auf die Niederschlagung der Pariser Kommune durchaus auch gewinnen.
Nur kommt dann eben 20 Jahre später ein Bismarck daher fängt an eine einigermaßen moderne Sozialpolitik zu betreiben und damit soziale Gefahrenpotentiale und revolutionäre Energien abzukaufen und stellt damit die Annahme auf den Kopf.


Eigentlich, wenn ich das so sagen darf, eine Trivialität: Geschichte bewegt sich ja schließlich nicht außerhalb von sozialen Zusammenhängen, die ihrerseits mehr oder weniger gewissen Gesetzen unterliegen, nur eben nicht in der starren Art wie in den Naturwissenschaften, sondern sehr viel komplexer und auch selten rein-deterministisch. Allerdings hat das mit kontrafaktischen Überlegungen nichts zu tun.

Carl Gustav Hempel, Paul Oppenheim: Studies in the Logic of Explanation in Philosophy of Science 15 (1948)
J. C. Davies: Toward a theory of revolution, American Sociological Review 27 (1962)

Doch, Geschichte bewegt sich außerhalb solcher Gesetze, weil sie im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, vollkommen vom menschlichen Faktor abhängt und der wiederrum ist in seiner abstrakten Form nicht berechnbar.

Wenn man Wasser über seinen Siedepunkt erhitzt, verdampft es. Da gibt es keine anderen Möglichkeiten.

Was passiert wenn man beispielsweise einen Menschen bedroht?

Lässt er sich einschüchtern? Versucht er zu fliehen? Versucht er sich freizukaufen? Versucht er sich einzuschmeicheln um sich so aus seiner misslichen Lage zu winden? Wird er den Versuch unternehmen, die ihn bedrohende Person anzugreifen?

Alles Möglichkeiten und es kommt auf den speziellen Menschen an.
Ebenso viele Möglichkeiten hat die bedrohende Person ihrerseits auf das Tun der bedrohten Person zu reagieren.
Und bei historischen Ereignissen haben wir es nicht mit 2 Menschen und ihren Handlungsoptionen zu tun, sondern möglicherweise mit Millionen Menschen, die jeder für sich eine Fülle von eigenen Handlungsmöglichkeiten und Reaktionsmöglichkeiten besitzen.
Die Möglichkeiten, welches Ergebniss, mögen sich einzelne davon auch nur in Nuancen unerschieden, aus einer gegebenen Grundsituation herauskommt, tendieren gegen unendlich.
Das ist nicht präzise einzuschätzen.

Man wird für etwas, wie einen revolutionären Umsturzversuch zwar grob notwendige Bedingungen umreißen können, man wird aber nie und schon gar nicht im konkreten Einzelfall und im Voraus und abstrakt die hinreichenden Bedingungen benennen können.

Und deswegen kann man auch kein System entwickeln an Hand dessen man benennen könnte, dass es zu einem revolutionären Umsturzversuch kommen wird oder muss, da sind zu viele Unbekannte drinn.
Man kann allenfalls Modelle entwickeln, mit denen sich sagen lässt, das im Vergleich zu einem angenommenen abstrakten Normalzustand die Chancen auf dieses und jenes Ereignis, auf Grund des Vorhandenseifeststellbarer, abstrakter notwendiger Vorbedingungen gerade größer oder kleiner sind.
Daraus aber ableiten, dass es zu diesem oder jenem Ereigniss kommen wird, kann man nicht. Und das wird man auch mit keinem noch so komplexen Modell können.
Wenn Millionen von Menschen x verschiedene Handlungs und Gegenhandlungsmöglichkeiten haben, übersteigt das in seiner Komplexität und Erfassbarkeit einfach alles, was irgendwie darstellbar ist.
 
Also ohne Ursache-Folge-Überlegungen kann man meines Erachtens nicht nur nicht wissenschaftlich arbeiten, sondern überhaupt nicht denken. Vielleicht leidet jemand, der Geschichtswissenschaft unter Verzicht von Kausalität betreiben möchte, ein bisschen unter deformation professionelle oder so.
Das D-Day-Beispiel von El Quichote ist ein Beispiel für eine einfache kausale Überlegung. Weil Historiker keine Experimente machen können, bleiben diese kausalen Überlegungen allerdings in der Regel im Bereich des Spekulativen.

Das hat doch nichts mit deformation professionelle zu tun.

Es hat doch niemand den Sinn bestritten grundsäzlich kontrafaktische Überlegungen anzustellen oder grundsätzliche kausale Zusammenhänge festzustellen, sondern es geht doch viel mehr darum, wie weit kontrafaktische Überlegungen maximal gehen können, wenn sie noch irgendwas sinnvolles mit der Würdigung der historischen Situation zu tun haben sollen und darum, dass man Kausalität nicht mit Determination verwechseln sollte.

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Natürlich ist die historische Tatsache, dass die Westalliierten ab dem Sommer 1944 Westeuropa militärisch aufrollen konnten, eine kausale Folge der Tatsache, dass die Landung in der Normandie funktionierte und auch der Art und Weise, wie sie funktionierte.

Daraus lässt sich mindestens auch negativ ableiten, dass ein derartigesn weitergehendes militärisches Vorgehen der Westalliierenten jedenfalls in dieser Form und zu diesem Termin nicht möglich gewesen wären, insofern ist dieses Ereignis kausale Voraussetzung dafür, dass NS-Deutschland, in eben dieser Form und Zeitspanne militärisch niedergeworfenn wurde und die Nachkriegsordnung, wie sie war, etabliert wurde.

Was aber wäre positiv passiert, wenn dieser Versuch der Westalliierten fehlgeschlagen wäre?

- Hätten sie es einfach 3-4 Monate später nochmal versucht? Hätte es dann geklappt? Wenn ja, welche Auswirkungen hätte das auf den Kriegsverlauf gehabt und auf die Nachkriegsordnung? Hätte es den Sowjets ein Zeitfenster eröffnet, dass ihnen vielleicht ermöglicht hätte bis an den Rhein vorzustoßen? Und wenn ja, hätte es dann viellecht ein einiges, sozialistisches Deutschland gegeben? Wenn ja, wie hätte sich das auf den weiteren Veerlauf der Geschichte Europas ausgewirket? Hätte sich dadurch vielleicht die Machtdynamik innerhlab der "kommunistischen" Welt nochmal völlig verändert, weil innerhalb Europas und dann ein zweites Machtzentrum da gewesen wäre, dass auf dieser Ebene ein Gegengewicht zur Sowjetunion darstellen konnte? Hätte das möglicherweise die Moskauer Despotie über Osteuropa etwas eingeschränkt und den dortigen Staaten eigenen Entwicklungsspielraum gelassen? Wäre dann das Modell des Staatssozialismus dergestalt in Misskredit geraten?
- Hätte ein Fehlschlag der Westalliierten in der Normandie dazu geführt, das Nazi-Deutschland Truppen für den Osten frei hätte machen und die Sowjets an der Reichsgrenze oder an der Oder noch ein paar Monate hätte hinhalten können? Wäre die Atombombe dann an Deutschland getestet worden? Wie würden sich die Folgen auf die spätere Gesellschaft und die entsprechend betroffene Umgebung ausgewirkt haben? Hätten man, wenn das passiert wäre in Deutschland vielleicht von Beginn an ein völlig anderes Verhältnis zur Atomkraft gehabt und von Anfang an auf erneuerbare Energien gesetzt?
- Hätten die Westalliierten im Falle eines Fehlschlags in der Normandie am Ende doch in den sauren Apfel gebissen und wären in Verhandlungen mit NS-Deutschland getreten, um auf diese Weise dafür zu sorgen, dass, nach dem man selbst keinen Zugriff gehabt hätte, zu verhindern, das ganz Europa Stalin überlassen würde?
Was wäre dann passiert? Wiederherstellung Westruropas, Abzug der deutschen truppen von dort in den Osten und Durchmarsch der Westalliierten um die deutsche zu unterstützen die Sowjets zu bekämpfen und von Mitteleuropa vor den Sowjets zu retten, was da zu retten war?

Alles Möglichkeiten und jede davon eine Verzweigung weiter, im Grunde unsinnig darüber nachzudenken, zumal mit jedem weiteren Schritt die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen oder theoretischen Eintreten des Ereignisses um ein vielfaches geringer wird.

Natürlich gibt es so etwas wir rückwärts gewandte Kausalitäten. Aber daraus entwickeln sich keine vorwärts gewandten Notwendigkeiten.
 
Immer dann, wenn Erwartungen über die tatsächliche Realisierung hinausgehen, wird Unzufriedenheit erzeugt.

Wann ist das nicht so?
Ein weiteres Gesetz müsste nun zeigen, dass eine gewisse Größe von Unzufriedenheit Revolution erzeugt.
1. Immer dann, wenn UZf größer als ein gewisser Wert ist, revoltieren die Menschen

Und, gibt es da inzwischen einen empirisch aufgestellten Wert; der auch allgemein anerkannt, empirisch überprüfbar und skalierbar ist? Nein, meine ich.
Hier wird mit unscharfen, nicht in Messgrößen umwandelbaren Begriffen hantiert. Das ist wiederum eine hypothetische Formulierung, die damit spielt, es könne eines Tages eine messbare, valide Skala zum Begriff Unzufriedenheit geben.

Das geht mit dem Begriff Revolution weiter. Daladier, der MP zu Zeiten des Münchner Abkommens, bezeichnete die Machtübernahme der Nationalsozialisten ausdrücklich als Revolution.
Gibt es eine eindeutige, allgemein anerkannte, wissenschaftliche Definition von Mindeststandards einer Revolution?


Das D-Day-Beispiel von El Quichote ist ein Beispiel für eine einfache kausale Überlegung. Weil Historiker keine Experimente machen können, bleiben diese kausalen Überlegungen allerdings in der Regel im Bereich des Spekulativen.

Eben, alles was E.Q. geschrieben hat, bleibt spekulativ, Behauptungen, die unterschiedliche Plausibilitäten zeigen.
Was ist daran 'kausal'? Sicher, der Krieg wäre wahrscheinlich wenige Monate länger gegangen, voraus gesetzt, alle
anderen Parameter, Ereignisse und Entwicklungen hätten sich nicht geändert. Die werden hier, erstaunlicher weise, übersehen. Wäre die sowjet. Armee weit stärker, schneller und massiver auf Berlin vorgedrungen, wäre der Krieg dennoch wahrscheinlich im Mai oder gar noch früher beendet worden. Wäre H. womöglich bei einem Allierten (Luft-) Angriff Mitte Juni 1944 getötet worden, wäre der Krieg wahrscheinlich wenige Tage später ebenso beendet worden.

Nachträglich konstruierte Mono-'Kausalitäten' mit ebenso spekulativen mittelfristigen Folgen, scheint mir. Mutig finde ich Deine diffuse Behauptung, die wohl 'Kausalität' retten soll,
Also ohne Ursache-Folge-Überlegungen kann man meines Erachtens nicht nur nicht wissenschaftlich arbeiten, sondern überhaupt nicht denken. Vielleicht leidet jemand, der Geschichtswissenschaft unter Verzicht von Kausalität betreiben möchte, ein bisschen unter deformation professionelle oder so.

Daher noch meine Frage, wer von vielleicht bekannten HistorikerInnen ausdrücklich und hauptsächlich mit Kausalitäten arbeitet? Also nur Kausal-Forscher-Denker-Historiker können beispielsweise über den D-Day oder über Ruhrbesetzung 1923 wissenschaftlich schreiben und arbeiten, können denken? :D
 
Ich bin kein Historiker, aber in der Philosophie hat man sich vor allem seit Hempel/Oppenheims deduktiv-nomologischem Schema auch mit der Möglichkeit befasst, allgemeine Gesetze, die sich aus psychologischen, soziologischen oder politologischen Modellen ableiten, für die Geschichte nutzbar zu machen.

Das Modell geht recht simpel syllogistisch vor:
1. Es gibt empirische Gesetze der Art: Für alle x gilt: wenn x dann y
2. Es liegen Randbedingungen für diese Gesetze vor, so dass x vorliegt
3. Dann kann man y folgern.

Ein Beispiel wäre etwa die J-Kurven-Theorie von Davies zur Auslösung von Revolutionen:
1. Immer dann, wenn Erwartungen über die tatsächliche Realisierung hinausgehen, wird Unzufriedenheit erzeugt.
2. Vor der Französischen Revolution gab es hohe Erwartungen, doch die Verwirklichung blieb dahinter zurück.
3. Somit gab es vor der Französischen Revolution Unzufriedenheit.

Ein weiteres Gesetz müsste nun zeigen, dass eine gewisse Größe von Unzufriedenheit Revolution erzeugt.
1. Immer dann, wenn UZf größer als ein gewisser Wert ist, revoltieren die Menschen
2. Vor der Fr. Rev. hat die UZf diesen Wert überschritten
3. Also gab es eine Revolution.

Ich bin mir bewusst über die sehr schwammige Formulierung, ich habe das auch nur aus dem Gedächtnis. Aber sie sollte nur zur Illustration dienen. Hier geht es nur darum, ob kausale Theorien in der Geschichtswissenschaft möglich sind, nicht, ob die Fr. Rev. genau diesen Verlauf nahm. Hempel sagt: ja, es gibt kausale Gesetze, die in der Geschichte wirken. Sie könnten zur Erklärung gewisser hist. Vorgänge dienen.

Eigentlich, wenn ich das so sagen darf, eine Trivialität: Geschichte bewegt sich ja schließlich nicht außerhalb von sozialen Zusammenhängen, die ihrerseits mehr oder weniger gewissen Gesetzen unterliegen, nur eben nicht in der starren Art wie in den Naturwissenschaften, sondern sehr viel komplexer und auch selten rein-deterministisch. Allerdings hat das mit kontrafaktischen Überlegungen nichts zu tun.

Carl Gustav Hempel, Paul Oppenheim: Studies in the Logic of Explanation in Philosophy of Science 15 (1948)
J. C. Davies: Toward a theory of revolution, American Sociological Review 27 (1962)
Daran ist schon der Historische Materialismus gescheitert. Wie ich finde, ein tolles Erklärmodell, aber zwischen 1917 und 1990 dummerweise als wissenschaftlich gesetzmäßig unumstößlich betrachtet worden...
 
hätte es dann vielleicht ein einiges, sozialistisches Deutschland gegeben? Wenn ja, wie hätte sich das auf den weiteren Verlauf der Geschichte Europas ausgewirkt? Hätte sich dadurch vielleicht die Machtdynamik innerhalb der "kommunistischen" Welt nochmal völlig verändert, weil innerhalb Europas und dann ein zweites Machtzentrum da gewesen wäre, dass auf dieser Ebene ein Gegengewicht zur Sowjetunion darstellen konnte? Hätte das möglicherweise die Moskauer Despotie über Osteuropa etwas eingeschränkt und den dortigen Staaten eigenen Entwicklungsspielraum gelassen? Wäre dann das Modell des Staatssozialismus dergestalt in Misskredit geraten?
Nur, wenn man die Rechnung ohne den Stalinismus aufmacht.

Hätte man, wenn das passiert wäre in Deutschland vielleicht von Beginn an ein völlig anderes Verhältnis zur Atomkraft gehabt und von Anfang an auf erneuerbare Energien gesetzt?
Hier können wir Japan als Folie betrachten: Japan hat für sich Atomwaffen geächtet, nutzt die Atomkraft aber friedlich unkritisch (wie man in Japan erschreckenderweise nach Fukushima gesehen hat, wo die Folgen bis heute kleinzureden versucht werden).

Alles Möglichkeiten und jede davon eine Verzweigung weiter, im Grunde unsinnig darüber nachzudenken, zumal mit jedem weiteren Schritt die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen oder theoretischen Eintreten des Ereignisses um ein vielfaches geringer wird.
Sic!
 
Nur, wenn man die Rechnung ohne den Stalinismus aufmacht.
Geschenkt.

Hier können wir Japan als Folie betrachten: Japan hat für sich Atomwaffen geächtet, nutzt die Atomkraft aber friedlich unkritisch (wie man in Japan erschreckenderweise nach Fukushima gesehen hat, wo die Folgen bis heute kleinzureden versucht werden).

Erscheint mir fragwürdig, Japan hatte ja nun auch so ziemlich keine fossilen Energieträger als Alternative, wirklich Platz um da erneuerbare Energien in der Fläche aufzubauen gibt es bei der Bevölkerungszahl und der größe an wirklich bewohnbarem und geeignetem Gebiet auch nicht und ob die Bedingungen des Pazifiks so unbedingt geeignet sind, was off-shore-Windparks angeht, wenn man in einiger Regelmäßigkeit mit Tsunamis etc. zu kämpfen hat, weiß ich auch nicht.
Ich denke, dass kann man so nicht einfach übertragen, weil es im fall Japan etwas andere Sachzwänge gegeben hat, was die Energieversorgung betrifft.
 

Daraus: "Kontrafaktisches Erzählen nennt man dieses Nachdenken über „veränderte Vergangenheiten“. "
Auch Faktisches Erzählen ist der Versuch eine "Geschichte" darzustellen.
Aber ich denk ich kann mir vorstellen worauf er hinaus will. Er beklagt ein aufstrebendes Genre welches geeignet ist dem allgemeinen Geschichtsverständnis zu schaden.


Und doch müssen wir in der Lage sein uns ernsthaft zu fragen was wäre gewesen wenn..
..wenn der Petrov 1983 nicht dem Andropov mitgeteilt hätte, dass der detektierte Start von mehreren US Interkontinentalraketen wahrscheinlich ein Fehlalarm sei.
Daraus kann man eine kontrafaktische Story machen, am Besten aber drei oder vier. Man muss es sogar machen um aus Geschichte lernen zu können.

Kausal? In der Geschichtswissenschaft ist mir die Verwendung dieses Begriffes unbekannt.
Kausalitäten:
Diese gibt es nur in idealisierten Modellen welcher Art auch immer. Das gilt auch für die Physik.
Kommt man aber mit der Idealisierung dem beobachtbaren Verlauf nahe, so kann man hoffen eine neues Werkzeug im Bastelkasten der Erkenntnis zu haben.
Bei Geschichte ist das tricky, denn es gibt ja keinen Laboraufbau um einen ungestörten Ablauf eines Experiments zu gewährleisten.
Und dergestalt ist es schwierig Kausalitäten in einer sich stets ändernden Umgebung zu erkennen, die zudem chaotischen (zufälligen) Einflüssen ausgesetzt ist.

Aber man könnte die Frage der Kausalität auch etwas anders stellen:
Sind nachfolgende Ereignisse ohne ein bestimmtes vorheriges denkbar?
 
Das Beispiel von E.Q. mit dem D-Day, welcher E.Q. mit dem erfolgreichen Gegenangriff bzw. der erfolgreichen Abwehr durch deutsche Truppen enden lässt, zeigt eine typische kontrafaktische Szene samt kontrafaktischen, spekulativen Folgen/Weiterentwicklungen.

Das geschichtswissenschaftliche Gegenstück stellen nicht etwa, wie falsch behauptet, 'kausale', sondern natürlich faktische Geschichtsereignisse dar.

Ein weitere typische kontrafaktische, geschichtliche Fragestellung bot hier im Forum die Idee, ob der Nationalsozialismus hinsichtlich
der Verfolgung der und des Genozids an den Juden genauso ohne H. geschehen wäre.

Zu vorsichtigen, vorläufigen Beantwortung dieser Fragestellung waren substanzielle GeschichtsKenntnisse des Bereiches notwendig, nicht etwa primär die Kenntnis 'kausaler' Zusammenhänge.
 
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