Udo Grebe
Aktives Mitglied
Um die Wirkung einer Persönlichkeit auf die Geschichte zu erkennen, könnte man sich überlegen, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn diese Person früher als historisch aus der Geschichte verschwunden wäre.
Ich weiß, dass viele Leute hier Probleme mit kontrafaktischen Überlegungen haben. Aber in diesem Kontext können sie einem verbesserten Geschichtsverständnis dienen. Ich setze gute Geschichtskenntnisse voraus. Auf Wunsch kann ich bis ins Detail einen Vergleich mit der tatsächlichen Geschichte machen, und warum ich glaube, dass an bestimmten Punkten die Geschichte so verlaufen wäre, wie ich es hier darstelle.
Ich mache hier mal ein paar Beispiele, und werde erst mal nicht sehr ins Detail gehen. Alternate History wird mit kursiver Schrift gekennzeichnet. Ich benutze absichtlich die Gegenwartsform ab dem Versterben der Persönlichkeiten.
Mit Hannibal möchte ich anfangen.
Dieser hat im Jahre 219 BC Sagunt in Spanien belagert. Bei dieser Belagerung wurde er schwer verwundet. Was wäre nun, wenn Hannibal an Wundfieber oder Lungenentzündung erkrankt wäre und infolge dessen 219 BC verstorben wäre?
Am Beispiel von Hannibal skizziere ich einen groben, meiner Meinung nach wahrscheinlichen Geschichtsverlauf.
Hannibals jüngerer Bruder Hasdrubal hat das Kommando über die Armee übernommen. Sagunt wird trotzdem eingenommen und der zweite punische Krieg findet trotzdem statt, weil der Karthagische Senat nicht auf die Forderungen Roms eingeht.
Hasdrubal ist ein fähiger General, aber er besitzt nicht die Genialität und die Fähigkeiten zur Truppenführung seines Bruders. Daher entwickelt er auch keinen Plan zum Marsch über die Alpen nach Italien. Damit bleibt Karthago strategisch in der Defensive. Der historische römische Kriegsplan wird entfaltet.
Die römische Armee 1 geht unter Konsul Scipio dem älteren nach Spanien, während die zweite
römische Armee unter Konsul Sempronius in Afrika landet und Karthago belagert.
Die karthagische Armee in Spanien hat ausgezeichnete Truppenqualität, also gelingen ihr einige Siege über die Römer. Hasdrubal ist aber nicht in der Lage solch herausragenden Siege wie Cannae, Trasimerischer See, oder Trebia zu erzielen.
Es fallen also auch keine Verbündeten von Rom ab. Abgesehen von Raids der karthagischen Flotte finden in Italien, Sizilien, und Sardinien keine Kriegshandlungen statt. Philipp von Makedonien schließt kein Bündnis mit Karthago. Auf der griechischen Seite der Adria finden keine Kriegshandlungen statt.
Der Krieg wird nur in Spanien und in Afrika ausgetragen und entschieden. Die römische Truppenqualität erreicht irgendwann die Karthagos. Dann führt die römische materielle Überlegenheit zu einem Sieg Roms. Es spielt auch eine Rolle, dass einige römische Feldherren wie Marcellus dem Hasdrubal überlegen sind. Der Krieg endet deutlich früher als historisch etwa 210 BC mit der römischen Kontrolle Spaniens und ansonsten etwas milderen Friedensbedingungen für Karthago.
Man kann sich über einzelne Punkte oben streiten. Sicher ist aber, dass Karthago ohne Hannibal keine realen Aussichten auf einen Sieg im 2. punischen Krieg hatte.
Hannibals Wirkung auf die Geschichte
Diese besteht erst mal im historischen Verlauf des 2. Punischen Krieges gegenüber der alternativen kontrafaktischen Timeline oben.
Von besonderer Tragik ist dass, er die Haltung vieler Römer gegen seine Heimatstadt verhärtet und so ungewollt deren Zerstörung mit herbei geführt hat. Damit möchte ich natürlich nicht Hannibal die moralische Verantwortung für die Zerstörung Karthagos und den Völkermord geben, diese liegt allein bei den Römern.
Die auf Betreiben Catos des Älteren ausgelöste Senatsabstimmung zum 3. punischen Krieg war knapp für den Krieg mit dem ausdrücklichen Kriegsziel der Zerstörung. Ohne das Hannibal Trauma ist ein anderes Resultat der Abstimmung zu erwarten.
Es ist wahrscheinlich, dass man Karthago, wie auch vielen anderen besiegten Völkern, das Weiterexistieren als römischer Klientelstaat oder Provinz gestattet hätte.
Dafür spricht auch, dass viele Römer später ein schlechtes Gewissen hatten und zur Zeit Cäsars damit begannen Karthago wieder aufzubauen.
Das Hannibal Trauma.
Nach den grossen Siegen in der Anfangsphase des zweiten punischen Krieges fürchteten die Römer Hannibal so sehr, dass sie sich nicht mehr trauten Hannibal in einer offenen Feldschlacht gegenüber zu treten. Daraus resultierte die Cunctator Taktik. Das Verweigern einer offenen Feldschlacht und stattdessen ein Ermattungskrieg mit kleinen Gefechten.
„Hannibal ante Portas“ (Hannibal steht vor den Toren) lautete der Schreckensruf, wenn Hannibal sich einer römischen Stadt nur näherte.
Hannibal kam einem Sieg über Rom sehr nahe, jedenfalls wesentlich näher als jeder andere.
Dennoch hat es am Ende nicht gereicht, aber auch dieser Punkt hat ebenfalls wesentlich zum Hannibal Trauma beigetragen.
Die Römer sind bei Hannibal in eine harte Schule gegangen.
Seine Taktik wurde zum Lernmuster für die Römer. Nicht nur die Cunctator Taktik, sondern auch die ständige Aufklärung gehören dazu. Durch Hannibal wurde die römische Kriegsführung massiv verbessert.
Hannibal musste sich nach dem Krieg in seiner Heimatstadt Karthago rechtfertigen, wegen seiner Niederlage in der letzten Schlacht des Krieges bei Zama. Es wurden damals in Karthago nicht erfolgreiche Feldherren oft gekreuzigt.
Zu seiner Rechtfertigung sagte er laut Livius: Er habe im Verlauf des Krieges mehr als 300 000 römische Soldaten getötet und mehr als 400 Städte zerstört.
Das hört sich übertrieben an. Nachdem was wir wissen können diese Zahlen aber durchaus zutreffen, wenn man kleinere Städte mit einrechnet.
Dann argumentierte er, wenn andere Karthagische Feldherren auch nur ein Bruchteil dessen erreicht hätten, wäre Karthago siegreich gewesen. Damit hat er vermutlich recht.
Der zweite punische Krieg hat die römische Bevölkerung massiv geschädigt.
Wesentlich war auch die massive Schädigung der römischen Landwirtschaft durch Hannibal. Folgen davon waren noch im späten 2. Jahrhundert BC spürbar.
Die meisten Römer hegten einen unversöhnlichen Hass gegen Hannibal.
Hannibal wurde im Jahre 197 BC zum Sufeten gewählt (Höchster Karthagischer ziviler Administrator, eine Art Konsul ohne Militärkommando). Er reformierte die Karthagische Verfassung. Die Mitgliedschaft im Rat der 104 wurde nicht mehr auf Lebenszeit vergeben sondern nur noch für 1 Jahr. Das ist wichtig, weil in Karthago ( wie auch in Rom) Magistrate vor Strafverfolgung geschützt waren. Nach dieser Reform konnte man für Korruption belangt werden. So verschwanden vor der Reform soviel Steuern und Zölle in privaten Kanälen, dass es schwierig wurde die 200 Talente jährlicher Reparationen aufzubringen, welche Rom Karthago auferlegt hatte.
Nach der Reform konnte das Steuer und Abgabenwesen von Korruption gesäubert werden und es war kein Problem mehr, die Abgaben aufzubringen.
Hannibals Gegner in Karthago waren von diesen Maßnahmen stark betroffen, so dass sie ihn bei den Römern anschwärzten. Er bereite einen neuen Krieg gegen Rom vor.
Hannibal konnte sich der Auslieferung an Rom durch Flucht entziehen und lebte noch lange im Exil. Sein Einfluss auf die Geschichte tendierte nach der Flucht aber gegen Null.
Andere Themenstellungen:
Der jugendliche Offizier Publius Cornelius Scipio der jüngere und später bekannt als Scipio Africanus hat in der Reiterschlacht am Ticinus 218 BC laut Livius seinem schwer verwundeten Vater und Konsul gleichen Namens in einer riskanten Aktion das Leben gerettet.
Was wäre, wenn diese Aktion Scipio Africanus das Leben gekostet hätte?
Julius Cäsar war im frühen Erwachsenenalter, als Sulla seine Schreckensherrschafft ausübte. Sulla brachte damals tausende seiner Gegner ums Leben, indem er sie auf eine Todesliste setzte, Proskription genannt.
Cäsar wurde von Sulla auf Bitten von einflussreichen Freunden verschont.
Dabei war Cäsar mit der Tochter des Cinna verheiratet und war auch noch Neffe des Marius. Beide waren Erzfeinde von Sulla. Damit war Cäsar ein vorrangiger Kandidat für Sullas Liste. Was wäre wenn Cäsar damals von Sulla ums Leben gebracht worden wäre?
Was haltet Ihr von einer solchen Themenstellung? Ist das von allgemeinem Interesse, oder aber weil von den historischen Fakten abweichend unerwünscht?
Ich weiß, dass viele Leute hier Probleme mit kontrafaktischen Überlegungen haben. Aber in diesem Kontext können sie einem verbesserten Geschichtsverständnis dienen. Ich setze gute Geschichtskenntnisse voraus. Auf Wunsch kann ich bis ins Detail einen Vergleich mit der tatsächlichen Geschichte machen, und warum ich glaube, dass an bestimmten Punkten die Geschichte so verlaufen wäre, wie ich es hier darstelle.
Ich mache hier mal ein paar Beispiele, und werde erst mal nicht sehr ins Detail gehen. Alternate History wird mit kursiver Schrift gekennzeichnet. Ich benutze absichtlich die Gegenwartsform ab dem Versterben der Persönlichkeiten.
Mit Hannibal möchte ich anfangen.
Dieser hat im Jahre 219 BC Sagunt in Spanien belagert. Bei dieser Belagerung wurde er schwer verwundet. Was wäre nun, wenn Hannibal an Wundfieber oder Lungenentzündung erkrankt wäre und infolge dessen 219 BC verstorben wäre?
Am Beispiel von Hannibal skizziere ich einen groben, meiner Meinung nach wahrscheinlichen Geschichtsverlauf.
Hannibals jüngerer Bruder Hasdrubal hat das Kommando über die Armee übernommen. Sagunt wird trotzdem eingenommen und der zweite punische Krieg findet trotzdem statt, weil der Karthagische Senat nicht auf die Forderungen Roms eingeht.
Hasdrubal ist ein fähiger General, aber er besitzt nicht die Genialität und die Fähigkeiten zur Truppenführung seines Bruders. Daher entwickelt er auch keinen Plan zum Marsch über die Alpen nach Italien. Damit bleibt Karthago strategisch in der Defensive. Der historische römische Kriegsplan wird entfaltet.
Die römische Armee 1 geht unter Konsul Scipio dem älteren nach Spanien, während die zweite
römische Armee unter Konsul Sempronius in Afrika landet und Karthago belagert.
Die karthagische Armee in Spanien hat ausgezeichnete Truppenqualität, also gelingen ihr einige Siege über die Römer. Hasdrubal ist aber nicht in der Lage solch herausragenden Siege wie Cannae, Trasimerischer See, oder Trebia zu erzielen.
Es fallen also auch keine Verbündeten von Rom ab. Abgesehen von Raids der karthagischen Flotte finden in Italien, Sizilien, und Sardinien keine Kriegshandlungen statt. Philipp von Makedonien schließt kein Bündnis mit Karthago. Auf der griechischen Seite der Adria finden keine Kriegshandlungen statt.
Der Krieg wird nur in Spanien und in Afrika ausgetragen und entschieden. Die römische Truppenqualität erreicht irgendwann die Karthagos. Dann führt die römische materielle Überlegenheit zu einem Sieg Roms. Es spielt auch eine Rolle, dass einige römische Feldherren wie Marcellus dem Hasdrubal überlegen sind. Der Krieg endet deutlich früher als historisch etwa 210 BC mit der römischen Kontrolle Spaniens und ansonsten etwas milderen Friedensbedingungen für Karthago.
Man kann sich über einzelne Punkte oben streiten. Sicher ist aber, dass Karthago ohne Hannibal keine realen Aussichten auf einen Sieg im 2. punischen Krieg hatte.
Hannibals Wirkung auf die Geschichte
Diese besteht erst mal im historischen Verlauf des 2. Punischen Krieges gegenüber der alternativen kontrafaktischen Timeline oben.
Von besonderer Tragik ist dass, er die Haltung vieler Römer gegen seine Heimatstadt verhärtet und so ungewollt deren Zerstörung mit herbei geführt hat. Damit möchte ich natürlich nicht Hannibal die moralische Verantwortung für die Zerstörung Karthagos und den Völkermord geben, diese liegt allein bei den Römern.
Die auf Betreiben Catos des Älteren ausgelöste Senatsabstimmung zum 3. punischen Krieg war knapp für den Krieg mit dem ausdrücklichen Kriegsziel der Zerstörung. Ohne das Hannibal Trauma ist ein anderes Resultat der Abstimmung zu erwarten.
Es ist wahrscheinlich, dass man Karthago, wie auch vielen anderen besiegten Völkern, das Weiterexistieren als römischer Klientelstaat oder Provinz gestattet hätte.
Dafür spricht auch, dass viele Römer später ein schlechtes Gewissen hatten und zur Zeit Cäsars damit begannen Karthago wieder aufzubauen.
Das Hannibal Trauma.
Nach den grossen Siegen in der Anfangsphase des zweiten punischen Krieges fürchteten die Römer Hannibal so sehr, dass sie sich nicht mehr trauten Hannibal in einer offenen Feldschlacht gegenüber zu treten. Daraus resultierte die Cunctator Taktik. Das Verweigern einer offenen Feldschlacht und stattdessen ein Ermattungskrieg mit kleinen Gefechten.
„Hannibal ante Portas“ (Hannibal steht vor den Toren) lautete der Schreckensruf, wenn Hannibal sich einer römischen Stadt nur näherte.
Hannibal kam einem Sieg über Rom sehr nahe, jedenfalls wesentlich näher als jeder andere.
Dennoch hat es am Ende nicht gereicht, aber auch dieser Punkt hat ebenfalls wesentlich zum Hannibal Trauma beigetragen.
Die Römer sind bei Hannibal in eine harte Schule gegangen.
Seine Taktik wurde zum Lernmuster für die Römer. Nicht nur die Cunctator Taktik, sondern auch die ständige Aufklärung gehören dazu. Durch Hannibal wurde die römische Kriegsführung massiv verbessert.
Hannibal musste sich nach dem Krieg in seiner Heimatstadt Karthago rechtfertigen, wegen seiner Niederlage in der letzten Schlacht des Krieges bei Zama. Es wurden damals in Karthago nicht erfolgreiche Feldherren oft gekreuzigt.
Zu seiner Rechtfertigung sagte er laut Livius: Er habe im Verlauf des Krieges mehr als 300 000 römische Soldaten getötet und mehr als 400 Städte zerstört.
Das hört sich übertrieben an. Nachdem was wir wissen können diese Zahlen aber durchaus zutreffen, wenn man kleinere Städte mit einrechnet.
Dann argumentierte er, wenn andere Karthagische Feldherren auch nur ein Bruchteil dessen erreicht hätten, wäre Karthago siegreich gewesen. Damit hat er vermutlich recht.
Der zweite punische Krieg hat die römische Bevölkerung massiv geschädigt.
Wesentlich war auch die massive Schädigung der römischen Landwirtschaft durch Hannibal. Folgen davon waren noch im späten 2. Jahrhundert BC spürbar.
Die meisten Römer hegten einen unversöhnlichen Hass gegen Hannibal.
Hannibal wurde im Jahre 197 BC zum Sufeten gewählt (Höchster Karthagischer ziviler Administrator, eine Art Konsul ohne Militärkommando). Er reformierte die Karthagische Verfassung. Die Mitgliedschaft im Rat der 104 wurde nicht mehr auf Lebenszeit vergeben sondern nur noch für 1 Jahr. Das ist wichtig, weil in Karthago ( wie auch in Rom) Magistrate vor Strafverfolgung geschützt waren. Nach dieser Reform konnte man für Korruption belangt werden. So verschwanden vor der Reform soviel Steuern und Zölle in privaten Kanälen, dass es schwierig wurde die 200 Talente jährlicher Reparationen aufzubringen, welche Rom Karthago auferlegt hatte.
Nach der Reform konnte das Steuer und Abgabenwesen von Korruption gesäubert werden und es war kein Problem mehr, die Abgaben aufzubringen.
Hannibals Gegner in Karthago waren von diesen Maßnahmen stark betroffen, so dass sie ihn bei den Römern anschwärzten. Er bereite einen neuen Krieg gegen Rom vor.
Hannibal konnte sich der Auslieferung an Rom durch Flucht entziehen und lebte noch lange im Exil. Sein Einfluss auf die Geschichte tendierte nach der Flucht aber gegen Null.
Andere Themenstellungen:
Der jugendliche Offizier Publius Cornelius Scipio der jüngere und später bekannt als Scipio Africanus hat in der Reiterschlacht am Ticinus 218 BC laut Livius seinem schwer verwundeten Vater und Konsul gleichen Namens in einer riskanten Aktion das Leben gerettet.
Was wäre, wenn diese Aktion Scipio Africanus das Leben gekostet hätte?
Julius Cäsar war im frühen Erwachsenenalter, als Sulla seine Schreckensherrschafft ausübte. Sulla brachte damals tausende seiner Gegner ums Leben, indem er sie auf eine Todesliste setzte, Proskription genannt.
Cäsar wurde von Sulla auf Bitten von einflussreichen Freunden verschont.
Dabei war Cäsar mit der Tochter des Cinna verheiratet und war auch noch Neffe des Marius. Beide waren Erzfeinde von Sulla. Damit war Cäsar ein vorrangiger Kandidat für Sullas Liste. Was wäre wenn Cäsar damals von Sulla ums Leben gebracht worden wäre?
Was haltet Ihr von einer solchen Themenstellung? Ist das von allgemeinem Interesse, oder aber weil von den historischen Fakten abweichend unerwünscht?