Ist Deutschlands Blick auf Osteuropa "kolonial"? (Zitat Timothy Synder)

Ist das jetzt ein Schreib- und Redeverbot?

Es ist nicht an mir hier irgendwem irgendwas zu verbieten.
Ich versuche nur gleichzeitig auf das, was @-muck- geschrieben hat einzugehen, ohne mich über die von der Moderation gesetzten Grenzen hinwegzusetzen.

Ich denke, dass der Einwand, dass Herrn Melnyks Handeln auf Dinge jenseits der moralischen Ebene gerichtet war/ist, an und für sich diese Grenze nicht überschreitet.
Aber ich wollte an dieser Stelle keine Diskussion triggern, die das dann doch tun würde.

Insofern würde ich dich darum bitten wollen, die Diskussion nicht in diese Richtung zu lenken.
 
Mein Argument in Bezug auf Shinigamis letzte Aussage lautete und lautet, dass Kiew als Regierung des unmittelbar betroffenen Staates in einer weit besseren Position ist als das 2.000 Kilometer von der Front entfernte Berlin, um zu entscheiden, welche Hilfe die Ukraine benötigt, und dass es in der Tat paternalistisch wäre, dem Land vorzuschreiben, welche Hilfe es vernünftigerweise erbitten soll und moralisch erbitten darf.

Hierauf bezog ich mich.

Hervorhebung durch mich. Deine Ausführung ist der Putzkolonne zum Opfer gefallen. Da stand auch etwas von "Hilfe erbitten".
 
Nur als Chronist: Snyder holte auch zum Rundumschlag gegen Habermas Ukraine-Thesen aus.
Gegen Habermas’ Ukraine-Thesen :
Deutsche Verantwortung

(Artikel Habermas in der Sz, hinter paywall: Krieg und Empörung )
ersatzweise: War and Indignation. The West's Red Line Dilemma

Adam Tooze zur Snyder-Habermas-Debatte
http://logikendermacht.de/wp-content/uploads/2022/06/Macht-Cafe-10_Tooze_Buzzsprout.png
Im Beißreflex der WSWS, 4. Internationale, wird Synder dann zB zum lügenden, kriegstreibenden Propadandisten.
 
Wenn man den "kolonialen Blick der Deutschen" mit der Einwanderung ins Russische Zarenreich* begründen will, müsste man sich auch überlegen, ob Deutschland einen kolonialen Blick auf die USA hat. Auch dort gab es deutsche "Kolonien". Texasdeutsch und Pennsylvania Dutch sind deutsche Dialekte.

Dazu kann ich was aus der eigenen Familiengeschichtte beisteuern:
Ein Zweig unserer Familie gehörte zu den deutschen Badenern aus dem Schwarzwald, die sich vom Zaren als Kolonisten mit gewissen Privilegien (Religionsfreiheit,Befreiung vom Militärdienst, lokale Selbstverwaltung in gewissem Rahmen,etc) für das Gebiet nördlich von Odessa anwerben liessen.
Als in den 1890ern der Zar sich an diese verbrieften Rechte nicht mehr erinnern wollte,sind sie von dort nach North Dakota ausgewandert.
Haben wir es also als kleine Familie geschafft gleich 2 Großmächten unseren kolonialen Stempel aufzudrücken?:eek:
Sicher nicht.
Die Vertreter dieser These scheinen vielmehr Kolonisten mit Kolonialisten zu verwechseln. Ist aber nicht identisch. Kolonisten arbeiten selbst,Kolonialisten lassen i.d.R. andere arbeiteno_O
Eine Kleingartenkolonie ist auch nicht mit der Kolonie Deutsch-Südwest gleichzusetzen und genauso abwegig ist die These die den alten Kolonistensiedlungen in der Ukraine einen Kolonialstatus zumisst.
 
Über den Tellerand hinaus

Die US-Neocons und die Ukraine | Karenina

Zivilgesellschaftlicher Dialog | Deutsch-Russisches Verhältnis verbessern

Washington Denies Reality of “Spheres of Influence”–a New Pinnacle of Hypocrisy

Und noch zur Erinnerung eine kritische Stimme, RIP Egon Bahr

Kooperative Existenz | Blätter für deutsche und internationale Politik

Und einmal mehr zu den "Fakten"

Zur Logik von Kriegszielen und den Bedingungen von Friedensschlüssen:
Goemans, Hein Erich (2000): War and punishment. The causes of war termination and the First World War. Princeton, N.J: Princeton University Press (Princeton studies in international history and politics).

Und für ein "Verstehen" der russischen Außenpolitik:
Tsygankov, Andrei P. (2019): Russia's foreign policy. Change and continuity in national identity. Fifth edition. Lanham, Maryland: Rowman & Littlefield.
Tsygankov, Andrei P. (Hg.) (2020): Routledge Handbook of Russian Policy. London, New York: Routledge.
Tsygankov, Andrei P. (2022): Russian realism. Defending 'Derzhava' in international relations. London, New York: Routledge (Worlding beyond the West).

Zum nach wie vor relevanten Hintergrund des Ukraine-Konflikts
Averre, Derek; Wolczuk; Kataryna (Hg.) (2019): The Ukraine Conflict. Security, identity and politics in the wider Europe. London: Routledge (Routledge Europe-Asia studies series).
Charap, Samuel; Colton, Timothy J. (2017): Everyone loses. The Ukraine crisis and the ruinous contest for post-Soviet Eurasia. London: IISS, The International Institute for Strategic Studies (Adelphi series, 460).
Charap, Samuel; Krumm, Reinhard; Weiß, Simon (Hg.) (2017): Foresight Ukraine : Four scenarios for the development of Ukraine. Scenario Group Ukraine 2017. Vienna: Friedrich-Ebert-Stiftung, Regional Office for Cooperation and Peace in Europe.
Rose, Gideon (Hg.) (2014): Crisis in Ukraine. New York, N. Y.: Foreign Affairs (Foreign Affairs special collection).
Sakwa, Richard (2022): Frontline Ukraine. Crisis in the borderlands. New edition. London: I.B. Tauris.
 
Der Aufsatz von Egon Bahr zeigt natürlich genau eine bestimmte Denkweise die ich für die Zeit der Blockbildung vor dem Mauerfall durchaus für opportun halte und die sich auf das deutsch -russische Verhältnis beschränkt , die veränderte Interessenlage der danach autonom gewordenen osteuropäischen Staaten nicht oder nur am Rande berücksichtigt.
Dieses Denken in festgelegten Einflussgebieten ist natürlich im Ansatz in gewisser Weise schon mit der Betrachtungsweise zu Zeiten des kolonialen Imperialismus vergleichbar
 
Dieses Denken in festgelegten Einflussgebieten ist natürlich im Ansatz in gewisser Weise schon mit der Betrachtungsweise zu Zeiten des kolonialen Imperialismus vergleichbar

Ich denke ob dabei Ähnlichkeiten zu kolonialen Bildern/Systemen greifbar sind, hängt ganz davon ab, was den Vormächten dieser jeweiligen Einflussgebiete an Handlungsspielraum zugebilligt wird.

Tritt die entsprechende Vormacht mit dem Anspruch auf, die weiteren Geschicke dieses Raums weitgehend zu bestimmen, würde ich dem zustimmen wollen.
Anders sieht es aus, wenn die entsprechende Vormacht lediglich als Veto-Player und Schlichtungsinstanz in diesem Raum agiert oder als Interventionsmacht, die auf die Sicherung des Status Quo abzielt.


Der Imperialismus vor allem im kolonialen Sinne, basiert ja letztendlich darauf, dass es zunächst mal zwischen den beteiligten/betroffenen Subjekten keine unmittelbaren, gravierenden Wechselwirkungen gibt, sondern dass der Kolonisator einseitig gegenüber den davon betroffenen Kolonisierten machtpolitisch übergriffig wird.

In diesem Sinne müsste man hinsichtlich der Einflusspähre auch die Geographie in die Kalkulation mit einbeziehen.
Was in unmittelbarer Nähe der eigenen Grenzen stattfindet, kann entgegen dem, was irgendwo am anderen Ende der Welt vorfällt, ja durchaus sehr konkrete, unmittelbare Auswirkungen auf den Akteur selbst haben.
Und wenn dieser interveniert um die eigenen Grenzverhältnisse zu stabilisieren, ist dass, meine ich, qualitativ etwas anderes, als wenn dieser Akteur meint irgendwem am anderen Ende der Welt den eigenen Stempel aufdrücken zu müssen.
Das bedeutet natürlich nicht das ein solches Handeln immer berechtigt wäre, aber ich denke, dass das doch mit etwas anderen Augen gesehen werden sollte, als der Versuch Akteure zu beeinflussen, bei denen keine unmittelbare, möglicherweise gravierende Wechselwirkung unterstellt werden kann.
 
Hier könnte man im Falle Russlands und anderer Grossmächte ohne machtpolitisch relevante Flottenstrukturen die für Überseekolonien erforderlich waren,natürlich einwenden, dass die imperialistisch-kolonialen Bestrebungen sich zwangsläufig immer auf die benachbarten Grenzregionen erstreckten, selbst wenn man diese dann nicht Kolonien nannte.
Zumindest wenn die Herrschafts- und Wirtschaftsstrukturen dieser eroberten Gebiete kolonialer Natur wären, würde man m.E. von Kolonien reden können, selbst wenn eine Landverbindung zum "Mutterland" bestand.
 
Hier könnte man im Falle Russlands und anderer Grossmächte ohne machtpolitisch relevante Flottenstrukturen die für Überseekolonien erforderlich waren,natürlich einwenden, dass die imperialistisch-kolonialen Bestrebungen sich zwangsläufig immer auf die benachbarten Grenzregionen erstreckten, selbst wenn man diese dann nicht Kolonien nannte.

Das schon. Aber wenn man das uneingeschränkt stehen ließe, würde das darauf hinauslaufen jede direkte Aktion einer Großmacht gegenüber ihren Nachbarn als koloniales Projekt auszudeuten.
Das wiederrum ginge mir entschieden zu weit.
Außerdem würde sich dann die Schwierigkeit ergeben einmal genau zu definieren, wer nun eigentlich als Großmacht anzusehen und folglich zu kolonialem Handeln in der Lage ist und wer nicht.

Ich denke hier bedarf es zusätzlicher Kriterien um zu differenzieren und da wäre für mich wie gesagt in erster Linie wichtig , welcher Zweck mit einer Aktion angestrebt wird.
Ob es dabei um Aneignung von Territorium oder um die dauerhafte Usurpation der politischen Macht in einem fremden Land geht oder mehr darum in einer einmaligen Aktion eine als nachteilig empfundene Entwicklung zu unterbinden.


Wenn im 19. Jahrhundert sich z.B. das russische Zarenreich diverse zentralasiatische Gebiete aneignete mit der Absicht dort dauerhaft die politische Macht auszuüben, wird man das in diesen Sinne ein koloniales Projekt nennen können.

Kann man es aber so ohne weiteres ein koloniales Projekt nennen, wenn etwa Österreich-Ungarn anno 1914 Serbien den Krieg erklärte, mit der Zielsetzung eine Art Strafexpedition durchzuführen, aber auch der expliziten Erklärung sich dort kein Territorium aneignen und auch nicht dauerhaft die politische Macht usurpieren zu wollen?

Ich würde dem eine Absage erteilen wollen.

Und würde dementsprechend auch mit der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit verfahren wollen.
 
Deine Bedenken teile ich durchaus, daher auch mein Hinweis auf die kolonialen Herrschafts- und Wirtschaftsstrukturen, die in den okuppierten Nachbargebieten eingeführt wurden als zusätzliches Abgrenzungskriterium.
 
Deine Bedenken teile ich durchaus, daher auch mein Hinweis auf die kolonialen Herrschafts- und Wirtschaftsstrukturen, die in den okuppierten Nachbargebieten eingeführt wurden als zusätzliches Abgrenzungskriterium.
Nach den Kriterien - beabsichtigte totale Ausbeutungs-Strukturen, völkische ("oben/unten") oder gar rassistische Komponente, Hegemonialanspruch - sind die deutschen Pläne 1918 und 1941 dann durchaus auch als kolonial einzusortieren (für 1941 mit dem Vernichtungsgedanken nahezu verharmlosend). Das würde sich von der "einfachen" Eingliederungs-Zielsetzung unterscheiden.

Das ist wohl Snyders Ansatz.
 
Nach den Kriterien - beabsichtigte totale Ausbeutungs-Strukturen, völkische ("oben/unten") oder gar rassistische Komponente, Hegemonialanspruch - sind die deutschen Pläne 1918 und 1941 dann durchaus auch als kolonial einzusortieren (für 1941 mit dem Vernichtungsgedanken nahezu verharmlosend). Das würde sich von der "einfachen" Eingliederungs-Zielsetzung unterscheiden.
Das ist wohl Snyders Ansatz.
Genau das war ja m.E. die Gedankenwelt der damaligen herrschenden Protagonisten 1941 ohnehin und in Teilen wohl auch 1914, zumindest wenn man sich Pläne für den Osten im Falle eines Sieges so ansieht.
Gab es dazu hier nicht sogar mal nen thread ?
 
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