Danke für die Antworten!
Mir fehlt aber komplett die plastische Vorstellung. Wie soll man sich das vorstellen?
In Nordfriesland leben Kimbern (muss jetzt nicht richtig sein), sagen Odin und ordnen sich einer Herrschaftssippe unter, die "kimbrische" Traditionen pflegt. Hier hat man eine andere Art der Viehzucht, eine andere Rinderrasse, macht einen anderen Käse (Wilster Marschkäse oder sein Urahn) und lebt auch vom Meer.
Die Kimbern lebten im Norden Jütlands, das Himmer in Himmersyssel ist regelmäßig durch nordgermanischen Sprachwandel aus Kimbern entstanden. (Syssel sind mittelalterliche dänische Verwaltungseinteilungen, die als ersten Teil Landschaftsbezeichnungen haben.) Zudem trafen römische Expeditionen dort den zurückgebliebenen Teil der Kimbern an, die sich mit dem Geschenk eines Kultkessel bei Augustus entsühnten.
Die Sprache war noch nicht geteilt. Wenn es den Glauben an Woden schon gab, wäre es gemeingermanisch *Wothanaz.
Wieso muss es da eine Herrschaftssippe geben? Tacitus bezeugt eine unterschiedliche Organisation in verschiedenen Gegenden.
Aber klar, je nach Gegend unterschied sich die Wirtschaftsform, die Organisation und sicher gab es auch immer kleinere dialektische Unterschiede.
Im oberen Leinegraben ist es vielleicht die Segestes-Familie, denen das Land und die Rinder gehören. Die Bauern kennen das Meer nicht, sagen Wotan und pflegen ihre eigenen Sitten und Gebräuche. Sie müssen sich nicht an die Gezeiten anpassen, wohl aber an die Leinehochwasser.
Nimm das mit der Kriegerbande unter Führung einer Adelsclique nicht so ernst. Das widerspricht nämlich den Quellen, die auch für die Cherusker die üblichen Versammlungen und Ämter der Stammesgesellschaften des germanischen Barbaricums erwähnen.
Wir wissen nichts über die Besitzverteilung und die Abhängigkeiten. Hier dürfte *Wothanaz klar gesprochen worden sein. Woden wurde es in Norddeutschland erst im 9. Jahrhundert. (Wotan ist hochdeutsch.)
Es sind die Herrscherfamilien, die "Kriegs- und Friedensfürsten" (wenn man davon ausgeht, dass es eine herausragende Führungsqualität war, welche den jeweiligen Stammeshäuptling, Familienoberhaupt, Clanchef, was auch immer ... bitte nicht an den Namen hochziehen) stellen, ...
Könige (reges) wurde nach Tacitus nach dem Adel, Kriegsführer (duces / Herzöge) nach der Fähigkeit gewählt. Vorsitzende der Versammlungen und Anführer von pagi (Gaue oder Dörfer) gab es auch. Sie bezeichnet Tacitus als Erste (principes / Fürsten). Die Versammlungen kannst du ruhig Thing nennen. Sie trafen wichtige Entscheidungen und fungierten als Gericht. Ansonsten können wir feststellen, dass es die genannten pagi als Einteilung gab und die Funktionen, meist sehr verändert, noch in frühmittelalterlichen Volksrechten zu finden sind und schon vorher bei den Goten wieder auftauchen, wo König und Parlamentspräsident verbunden sind. Tacitus sagt, dass einige Stämme, besonders im Osten von Königen regiert wurden, während woanders die Versammlungen die Macht hätten. Er bleibt aber so vage, undeutlich und widersprüchlich, dass viel hineingelesen werden kann. Ob er wirklich Daten für Skandinavien hatte, kann bezweifelt werden. Halten wir fest:
Ämter:
rex (Plural/Mehrzahl: reges) = König
dux (Pl.: duces) = Anführer im Krieg "Herzog/Kriegshäuptling" (wörtlich: Anführer, Führer)
princeps (Pl. principes) = ("Erster"); die Anführer in den pagi ("Gaufürsten") und der Vorsitzende des Thing
pagus (Pl. pagi) = Dorf, Gau (Hier mag eher Gau gemeint sein, genau wissen wir es aber nicht. Wir wissen nicht einmal, ob es eine Einteilung in Dörfer gab. Das heutige Dorf entwickelte sich erst im Frühmittelalter.)
Abgesehen vom Thing sind die lateinischen Wörter am sichersten: Denn dann ist klar, dass das durch die römische Brille gesehen ist. König, Herzog und Gaufürst finden sich aber auch in der Literatur. Und Thing ist eben auch immer noch so üblich, dass jeder eine ungefähre Ahnung hat, was gemeint ist und uns mehr als eine ungefähre Ahnung aus den Quellen auch nicht gegeben ist.
Daneben setzt Tacitus voraus, dass bestimmte Familien/Sippen als adelig galten. Ein Adeliger konnte eine Gefolgschaft anwerben. Es wird aber in Zusammenhang mit der Schlacht an den Pontes Longi gesagt, dass Arminius und sein Onkel Inguiomer verschiedener Ansicht über das Vorgehen waren, aber Inguiomer sich durchsetzte, weil er der gewählte dux war. Das wäre bei einer Gefolgschaft anders. An anderer Stelle ist von Entscheidungen des Things der Cherusker die Rede. Bei einer Gefolgschaft hätte der Gefolgschaftsführer das Sagen.
Gefolgschaften gab es wie gesagt auch, und Arminius hatte sicher eine, aber das führt jetzt zu weit.
..., diese für mich unverständliche Verbindung weltlicher Herrscher und Seher/Priester.
Das habe ich nie verstanden. Bruder A führt seine Gefolgschaft und Bruder/Neffe/Onkel=Oheim B aus der gleichen Familie ist Seher/Schamane, evtl. auch bei einem ganz anderen Stamm.
Also Tiergänger (Wolfgang, der sich bei Vollmond in einen Wolf verwandelt), Verbindung von Menschen und Natur, Trommel und versetzt sich in Ekstase, um Verbindung mit den Göttern oder was auch immer aufzunehmen. Zufälligerweise Angehöriger einer Fürstenfamilie.
Aber wie kann ein Cheruskerseher auf einmal diese Funktion bei den Ubiern einnehmen? Für mich klingt das höchst nebulös. Fahrender Mönch, Preacherman ... warum kein einfaches Bauernmädchen, auf dessen Schulter sich ein Rabe setzt und die auf einmal eine Verbindung zu Wotan hat.
Bis heute werden Adelige Priester und Bischof von Rom waren /sind nacheinander ein Pole, ein Deutscher und ein Argentinier.
Es wird gesagt, dass Adlige priesterliche Funktionen ausüben konnten, besonders als Leiter des Thing. Bei den Römern waren ja auch der Adel und die Magistrate als Priester berufen. Ob das bei den Germanen ähnlich waren oder die Beobachtung beim Niederschreiben an das für Römer Gewohnte angepasst wurde, können wir nicht sagen.
Sonst sind nur weise Frauen erwähnt. Eher nicht als Priesterin, sondern als Seherin. Aber so klar lässt sich das wahrscheinlich auch wieder nicht trennen. Raben erwähnen die Quellen nicht.
Der Altar der Ubier diente dem römischen Provinzialkult für Augustus und Caesar. Ein römischer Parteigänger brauchte eine Beschäftigung und da war ein Posten frei. Ohne Zynismus gesagt, war damit der Adel der Cherusker im Reich eingebunden.
Und nochmal zu Wotan: Wir wissen nicht, ob es den schon zu Arminius Zeiten gab. So wie später ward er aber sicher noch nicht beschrieben worden sein. Da stammt vieles aus frühmittelalterlichen walisischen Sagen. Vielleicht war es aber auch umgekehrt. Jedenfalls bleibt so etwas nicht 700 Jahre lang gleich.
Da es zu lang wurde, folgt ein zweiter Teil.