Elefant auf Adenauer-Karikatur

Ich wüsste auch wirklich nicht warum der Alte der "Einheit" einen nur annähernd so hohen Stellenwert zugemessen haben sollte wie der Westintegration der jungen BRD.
Wirklich nicht? Im Gegensatz zur Westintegration stand im Grundgesetz schon damals das Wiedervereinigungsgebot. Und der Alte, wie du den Adenauer nennst, handelte mit der Westintegration gegen dieses Gebot.
 
Die Wiedervereinigung zu diesem Zeitpunkt hätte geheißen, Stalin (man denke an die Stalin-Noten) zu vertrauen, der starb erst 1953, die Bundesrepublik nahm erst 1955 offizielle diplomatische Beziehungen zur UdSSR auf, 1956 wurden die Verbrechen Stalins auf dem 20. Parteitag der KPdSU erstmals öffentlich thematisiert und in der UdSSR damit überhaupt thematisierbar. Für Adenauer - unabhängig wie wir das heute bewerten - war klar, dass eine Wiedervereinigung Deutschlands nur in einem demokratischen Europa vollzogen werden könne, so äußerte er sich 1952 in einem Interview gegenüber dem NWDR (heute WDR und NDR) und so gibt in der britische Außenminister Kirkpatrick 1955 wieder. Adenauer selbst schreibt das in seinen posthum erschienenen Memoiren, wobei Memoiren ja eine problematische Q-Gattung sind, aber das Interview und Kirkpatricks Aufzeichnungen zeigen, dass sie hier valide sind.
 
Das Weltbild von Adenauer war sicherlich geprägt durch die Erfahrungen der Weimarer Republik und der NS-Periode.
Seine damaligen Entscheidungen orientierten sich an einer Reihe von Aspekten, die auf eine Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit deutscher Regierungen abzielten und den "Langen Weg nach Westen", als Form des Deutschen "Sonderwegs" beenden sollte.

In diesem Sinne formuliert Haftendorn (S. 50), dass die Politik von Adenauer aus innerer Überzeugung und aus äußerer Notwendigkeit vier zentrale Elemente aufwies:

- die ungefestigte Demokratie im Inneren durch die enge Verbindung zu den westlichen Demokratien abzusichern
- das erzwungene Besatzungsregime durch eine Form der freiwilligen Übernahme von Verpflichtungen zu überwinden und so die Erwartungen der westlichen Partner zu erfüllen und gleichzeitig in seinen Entscheidungen semi-souverän zu werden
- die historischen Belastungen gegenüber den Nachbarn durch eine enge wirtschaftliche und politische Integration in die Strukturen Westeuropas zu überwinden und so ebenfalls eine vertrauensvolle Form der Partnerschaft für die Zukunft aufzubauen, besonders gegenüber Frankreich.
- den Schutz der BRD vor militärischer Aggression sicher zu stellen durch ein enges Bündnis mit den USA

Realpolitisch ergab diese Politik in vielerlei Hinsicht Sinn. Es entsprach den Bestrebungen der westlichen Besatzungsmächte, gezielt einen Einfluss auf die demokratische Entwicklung der politischen Kultur zu nehmen, wie Jarausch es beschreibt. Die Übernahme des American Style of Life in der populären Kultur, im Haushalt und im generellen Habitus wirkte nachhaltig in Richtung der Westintegration.

Und gleichzeitig profitierte Adenauer von der Popularität eines Eisenhower, der in den USA sowohl bei den Republikaner wie bei den Demokraten hohe Zustimmungswerte hatte (vgl. Hitchcock). Insofern war "Ike" - auch als typischer Vertreter der Republikaner - für konservative Politiker - wie Adenauer - als politischer Partner attraktiv.

Die Formulierung seiner Politik war aus der damaligen Perspektive eine durchaus sinnvolle. Und sie wurde - als Form der Anerkennung - von Brandt und Schmidt nachvollzogen. Und in der Folge profitierte noch ein Kohl von der Deutsch-Französischen Freundschaft.

Zu dem damaligen Zeitpunkt - Mitte der fünfziger - war eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten wohl kaum zu haben. Sie hätte zuviele Befürchtungen erzeugt, u.a. auch in Paris und in London.

Haftendorn, Helga (1986): Sicherheit und Entspannung. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland ; 1955 - 1982. Baden-Baden: Nomos
Hitchcock, William I. (2018): The age of Eisenhower. America and the world in the 1950s. New York, London, Toronto: Simon & Schuster
Jarausch, Konrad Hugo (2010): After Hitler. Recivilizing Germans, 1945-1995. Oxford: Oxford Univ. Press.
 
Wirklich nicht? Im Gegensatz zur Westintegration stand im Grundgesetz schon damals das Wiedervereinigungsgebot. Und der Alte, wie du den Adenauer nennst, handelte mit der Westintegration gegen dieses Gebot.
Ist das so? Hat die Präambel Rechtsverbindlichkeit und wenn, wann wurde diese festgestellt? Oder war es von Anfang an klar, dass diese eine solche hatte?
Und wenn eine Aufforderung in der Präambel (das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert ...) ein Gebot ist, also eine Verpflichtung in bestimmter Weise zu handeln, ist dann nicht auch das Erstreben eines "vereinten Europa" Gebot? Ebenso wie die Wahrung des Friedens?
documentArchiv.de - Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (23.05.1949)

Wenn nun die 'Wiedervereinigung" tatsächlich ein Verfassungsgebot sein sollte, kann daraus ja nicht abgeleitet werden, dass es zulässig sei zu deren Durchsetzung den Frieden oder andere, ebenfalls formulierte Grundsätze, zu gefährden.
Es würde mich wirklich interessieren was Juristen, oder andere die mehr davon verstehen als ich, dazu sagen
Jedenfalls schiene es mir falsch, wenn der Eindruck entstehen würde, der Alte habe sich hier außerhalb des Grundgesetzes bewegt.
 
Die zwei zentralen Aussagen:

"seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen,..... Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden."


Unter der Gefahr einer "Finnlandisierung" hätte die Gefahr bestanden die nationale und staatliche Einheit zu verlieren und nicht gleichberechtigt in Europa zu agieren.

Diesem Ziel der Präambel fühlte sich die Westintegration von Adenauer in besonderem verbunden.

Zum zweiten Teil wird nichts über den Weg und auch nichts über die Frist zur Erlangung ausgesagt. Und vor diesem Hintergrund bewegte sich Adenauer - aus der Sicht der damaligen Verfassungswirklichkeit - natürlich innerhalb des GG.

Er hatte andere Prioritäten gesetzt und war der Überzeugung, dass gleichzeitig nicht beide Aspekte der Präambel zu realisieren sind. Dieser zweite Part fiel dann Kohl zu, der auf die Vorarbeiten von Adenauer, Brandt und Schmidt aufbauen konnte.

Und mit dieser Einschätzung für das besiegte und besetzte Deutschland hatte Adenauer natürlich Recht, angesichts der eingeschränkten Handlungsfreiheit deutscher Regierungen.
 
Bleibt die Frage inwiefern die Präambel als verbindlich zu gelten hat oder hatte.
Mir ist das nicht klar.
Es unterscheidet sich diese ja dadurch vom eigentlichen GG, dass keine Definitionen über Möglichkeiten, oder Unmöglichkeiten, einer Anpassung zu finden sind (so wie ich es verstehe).
Der Artikel 79 stellt Regeln dafür auf, ignoriert aber die Präambel.

Weiß jemand ob, oder wann, und in welcher Weise, die Präambel als verbindlich eingestuft wurde.
Und wenn dem so war, hätte sie dann einen ähnlichen Rang wie etwa Artikel 1 und 20, deren Grundsätze gem. Artikel 79.3 in keinem Fall geändert werden dürfen?
 
Bleibt die Frage inwiefern die Präambel als verbindlich zu gelten hat oder hatte.

Normal gilt:
"Inhalt der Präambel
Meist enthält die Präambel eine kurze Beschreibung der Vertragsparteien und deren Motive für den Vertragsschluss. Daraus entnimmt die Rechtsprechung oft den Zweck des gesamten Vertrags im Sinne einer Leitlinie für die weitere Auslegung."

In diesem Sinne orientiert sich das EuGH an der Präambel um den rechtlichen Gehalt einzelner Normen zu präzisieren.

Wiki:
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zieht die inhaltlichen Aussagen der Präambeln der europäischen Verträge regelmäßig als Auslegungshilfen des Artikel-Rechts heran.

https://de.wikipedia.org/wiki/Präambel


Wiki schreibt in Bezug auf obige Frage von hatl:
Nachdem in der Anfangszeit der Bundesrepublik die ganz überwiegende Lehre der Präambel des Grundgesetzes lediglich Bedeutung als Auslegungshilfe beimaß, stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem KPD-Urteil[2] fest, dass darüber hinaus das Wiedervereinigungsgebot in der Präambel als unmittelbare Rechtsnorm zu gelten habe

https://de.wikipedia.org/wiki/Präambel_des_Grundgesetzes_für_die_Bundesrepublik_Deutschland
 
Danke thane für die Hinweise.

So wie ich es verstehe besagt das Urteil des Verfassungsgerichtes von 1956, dass aus der Präambel (Vorspruch) des GG ein "Wiedervereinigungsgebot" abzuleiten ist,
nicht jedoch eine Handlungsanleitung zur Erreichung des Ziels.
- 226 „Dem Vorspruch des Grundgesetzes kommt naturgemäß vor allem politische Bedeutung zu. Er geht von der Vorstellung des fortbestehenden gesamtdeutschen Staates aus und betrachtet die von ihm aufgerichtete Staatsordnung als eine Ausübung gesamtdeutscher Staatsgewalt auf einem räumlich zunächst beschränkten Gebiet. Er ist daher politisches Bekenntnis, feierlicher Aufruf des Volkes zu einem Programm der Gesamtpolitik, das als wesentlichsten Punkt die Vollendung der deutschen Einheit in freier Selbstbestimmung enthält. Darüber hinaus hat aber der Vorspruch auch rechtlichen Gehalt. Er beschränkt sich nicht auf gewisse rechtlich erhebliche Feststellungen und Rechtsverwahrungen, die bei der Auslegung des Grundgesetzes beachtet werden müssen. Vielmehr ist aus dem Vorspruch für alle politischen Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland die Rechtspflicht abzuleiten, die Einheit Deutschlands mit allen Kräften anzustreben, ihre Maßnahmen auf dieses Ziel auszurichten und die Tauglichkeit für dieses Ziel jeweils als einen Maßstab ihrer politischen Handlungen gelten zu lassen. Dabei ist offensichtlich, daß auf dieses Gebot nicht das Verlangen gestützt werden kann, die Organe der Bundesrepublik müßten bestimmte Handlungen zum Zwecke der Wiedervereinigung Deutschlands vornehmen. Denn den zu politischem Handeln berufenen Organen der Bundesrepublik muß es überlassen bleiben zu entscheiden, welche Wege sie zur Herbeiführung der Wiedervereinigung als politisch richtig und zweckmäßig ansehen.“
DFR - BVerfGE 5, 85 - KPD-Verbot

Diese Feststellung erfolgte im Rahmen des fünfjährigen KPD-Verbotsverfahrens von 1951-1956.
Die KPD hatte argumentiert, dass ihr Verbot deshalb verfassungswidrig sein müsse, weil es auf absehbare Zeit das Ziel der Wiedervereinigung unerreichbar machen würde, ebenso wie die Politik des Westintegration Adenauers.

Vorgeworfen wurde ihr der Missbrauchs des „Gedanken der Wiedervereinigung“, während das Ziel der KPD insgesamt dem GG widerspreche:
- 102 „Für die Erlangung dieses Zieles mißbrauche die KPD den Gedanken der Wiedervereinigung. Das ergebe sich insbesondere aus dem Programm der Nationalen Front, das von der KPD statutarisch übernommen worden sei; die Nationale Front werde von der SED organisatorisch beherrscht. Das folge auch aus dem Programm der nationalen Wiedervereinigung. Danach fordere die KPD den Sturz des "Adenauer-Regimes" durch Mittel revolutionären gewaltsamen Kampfes, wobei sie unter "Regime" nicht nur die Regierung, sondern den gesamten Staatsapparat verstehe. In diesem Kampfe vertraue sie auch auf die Unterstützung durch die sog. Deutsche Demokratische Republik (im folgenden abgekürzt: DDR), die Volksdemokratien und die Sowjetunion.“

Wurde tatsächlich zum ersten, und womöglich zum letzten Mal(?), aus der Präambel eine durchaus etwas wächserne Verpflichtung zur Wiedervereinigung, ausgerechnet in einer verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung mit der KPD, vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, festgestellt?


Wir feiern ja jetzt 70 Jahre Grundgesetz, und das mit gutem Grund.
 
Einwandfrei hergeleitet.

Der eigentliche ("grenz"wertige) Testfall für die Auslegung (=Reichweite) des Wiedervereinigungsgebotes war der Grundlagenvertrag und damit das Urteil von 1973.

Dies brachte die verfassungsgerichtliche Bestätigung vom Rahmen, der anhand von politischen Realitäten - flexibel - auszufüllen sei. Adenauers Politik bewegte sich auf dem Boden des Grundgesetzes.

Dions "Interpretation" hat mit dem seit Jahrzehnten gültigen Rechtsverständnis nichts zu tun (wie an anderer Stelle auch seine Ausführungen zur angeblich uneingeschränkten Kunstfreiheit, oder die abwegigen Ausführungen zur US-Constitution).
 
Einwandfrei hergeleitet.
(...)
Dions "Interpretation" hat mit dem seit Jahrzehnten gültigen Rechtsverständnis nichts zu tun ...
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Westintegration als mit der Präambel des GG vereinbar betrachtet, weil damals Kalter Krieg herrschte. Konkret: Eine Nichtvereinbarkeit hätte Deutschland isoliert und damit gefährdet.

Es gab und gibt immer Urteile, die nur aus der jeweiligen Zeit zu verstehen sind. So urteilte 1957 das Bundesverfassungsgericht, die Strafbarkeit männlicher Homosexualität (§ 175 StGB) sei verfassungskonform, d.h. mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Der 175er wurde 1994 ersatzlos gestrichen, und das nicht, weil sich in der Zwischenzeit im GG etwas geändert hätte, sondern weil sich die Zeit gewandelt hatte.

Wer sich heute noch auf ein Urteil aus der Zeit des Kalten Krieges beruft, der verkennt, dass auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts meistens der Zeit entsprechen, in der sie gefällt werden.
 
Du hattest Adenauer vorgworfen, dass er dem Wiedervereinigungsgebot zuwidergehandelt habe. Jetzt, wo noch mal geklärt ist, dass das Gebot ein Gebot war und keine Handlungsanweisung für die Regierungspolitik bis zum (aus damaliger Sicht hypothetischen) Vollzug der Wiedervereinigung berufst du dich auf den zeitlichen Kontext der Gerichsturteils. Also entweder hast du dich in einen Widerspruch verstrickt oder aber, du siehst Adenauer außerhalb eines zeitlichen Kontextes.
 
Dass Adenauer dem Wiedervereinigungsgebot zuwidergehandelt hatte, ist aus meiner Sicht eine Tatsache, und dass das Bundesverfassungsgericht das durchgehen ließ, auch. Konkret: Herrschte damals kein kalter Krieg und Adenauer hätte das gleiche getan, sprich dem Wiedervereinigungsgebot zuwidergehandelt, wäre das Gericht wohl zu einer anderen Auffassung gelangt. Das ist alles.
 
Auch in diesem "Durchgehenlassen" steckt ja wieder eine Wertung, die angesichts der Zeitumstände unpassend ist.
 
Ja, El Quijote, denn jede Zeit beurteilt/interpretiert Gesetze anders. Das ist einfach so und daher nicht zu vermeiden. Deswegen sollten Gesetze so formuliert sein, dass möglichst wenig Interpretierbares drin steckt.

Es gibt im GG kaum nicht Interpretierbares, und wenn es doch Solches gibt, wird dennoch gemutmaßt, dass die Väter des GG das sicher nicht so gemeint haben, wie es da geschrieben steht. silesia weiß, was ich meine, weil silesia das in diesem Thread mit einer Bemerkung, die als Seitenhieb gemeint war, wieder thematisiert hat.

Aber weil wir diese Diskussion schon hatten, will ich darauf nicht eingehen – zumindest nicht in diesem Thread. :)
 
ist aus meiner Sicht eine Tatsache,

Deine Sicht ist Deine Sicht. Sie sei Dir als persönliche Sicht gegönnt. Hat aber wenig mit der historischen Diskussion zu tun, die allgemein zu dem Thema vorhanden ist. Und auf die ich zumindest teilweise abgestellt habe.

Die differenzierte Darstellung der komplexen innen- und außenpolitischen Situation, unter der Adenauer agierte, läßt sich nur anhand der Sichten unterschiedlicher Arbeiten von Historikern darstellen.

Zudem ist von Dir weder:
- zur Außenpolitik der UdSSR etwas kompetentes gekommen, noch
- zur Frage der Innen- und Außenpolitik bei der Wiederbewaffnung

Und das sind ebenfalls zentrale Aspekte, auf die die Beurteilung der damaligen Handlungsalternativen eingewirkt haben. Und gerade die Frage der Wiederbewaffnung hatte eine hohe eigene Dynamik und wurde "dynamisch" verfolgt. Auf entsprechende Literatur wurde bereits verwiesen. (vgl. zusätzlich beispielweise die Darstellungen bei Schmid)

Von mir wurden die zwei zentralen Anforderungen im Rahmen der Präambel bereits benannt. Und somit stand die deutsche Außenpolitik immer in einem Prozess der Abwägung, aber so lange sie eines der Ziele verfolgte, stand sie immer auf dem Boden des GG.

Auf diesen Aspekt weist Langguth ebenfalls explizit hin: "Das Grundgesetz verankerte indes zwei miteinander konkurrierende Grundtendenzen, da in der Präambe das deutsche Volk aufgefordert wurde, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen." (S. 249).

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Kontrastierung des GG mit der Richtungsentscheidung der Westintegration durch Adenauer auch nicht der historischen Abfolge der Agenda entspringt. Zu Recht weist Colschen (S. 122) darauf hin, dass die innenpolitische Diskussion über den zukünftigen Kurs der Außenpolitik und somit auch die Frage der Gewinnung der nationalen Souveränität und der Vereinigung der einzelnen Zonen bereits im Jahr 1946 massiv einsetzte. Und somit die Formulierung des GG beeinflußt hatte und auch seiner Präambel.

Und die Frage der Westintegration, trotz eine massiven innenpolitischen Kontroverse, der einzige gangbare Weg war, den Sicherheitsinteressen der Alliierten, vor allem von Frankreich und der UdSSR, zu entsprechen.

Der Kurs der Westintegration durch Adenauer war die Voraussetzung für den "Deutschlandvertrag" (1952), der der BRD - exklusive West-Berlin - die Souveränität zurück gab.

Und in diesem Kontext kam es zum Scheitern der EVG im August 1954 und unterbrach den europäischen Einigungsprozess, in dessen Kontext die Westintegration der BRD stand. "Mit Recht hat Adenauer den 30. August deshalb als schwarzen Tag für Europa ...bezeichnet." (Schöllgen, S. 34).

Und fährt fort: "Das unrühmliche Ende von EVG und EPG bedeutete aber nicht nur einen Rückschlag für Europa, sondern auch für Deutschland. Wie wollte man jetzt noch den Westmächten die Wiedervereinigung schmackhaft machen." (Schöllgen, S. 35)

https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschlandvertrag

Es waren somit die externen Rahmenbedingungen, die den Handlungsspielraum Adenauers einengten. Nicht zuletzt weil die USA vom Containment zum Rollback über gingen und somit der Handlungsspielraum der BRD-Regierung im Zeichen des Beitritts zur Nato eingeengt wurde.

Und mit Schöllgen möchte ich abschließend resümieren: "Die Totalintegration hatte ihr Teilsouränität beschert. Anders sah es mit der Gleicherechtigung und der Wiedervereinigung aus. .... Damit warn zwei Hauptziele der Bonner Außenpolitik nach 1955, Wiedervereinigung und Gleichberechtigung, gerade auf Grund ihrer gegenseitigen Bedingtheit nicht erreichbar, jedenfalls nicht aus eigener Kraft und nicht auf absehbarer Zeit." (S. 41)

Und diese objektiv vorfindbaren Beschränkungen der deutschen Außenpolitik hatte auch ein Verfassungsgericht in der Interpretation des GG zu beachten. Und bisher hat sich - so mein Kenntnisstand - auch kein Senat des Verfassungsgerichts angemaßt, selber Politik zu formulieren. Was sie hätten tun müssen, wenn sie das Primat der Westintegration durch das Primat einer Wiedervereinigung ersetzt hätten. Und somit automatisch, vor dem Hintergrund der bipolaren Zielsetzung der Präambel, ihrerseits gegen den "Geist des GG" hätten verstoßen müssen.

Es waren somit allgemeine außenpolitsche Zielsetzungen die das GG vorgab, aber definitiv keine Anleitung oder einen Fahrplan für deren Umsetzung. Und deswegen hat Adenauer auch nicht dagegen verstoßen.

Colschen, Lars (2010): Deutsche Außenpolitik (UTB).
Langguth, Gerd (1991): Die deutsche Frage und die Europäische Gemeinschaft. In: Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke und Hans-Peter Schwarz (Hg.): Deutschland zwischen Krieg und Frieden. Beiträge zur Politik und Kultur im 20. Jahrhundert. Festschrift für Hans-Adolf Jacobsen. Unter Mitarbeit von Hans-Adolf Jacobsen. Düsseldorf: Droste, S. 246–276.
Schmidt, Gustav (2003): Strukturen des Kalten Krieges im Wandel. In: Vojtech Mastny und Gustav Schmidt (Hg.): Konfrontationsmuster des Kalten Krieges 1946-1956. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH , S. 3–382.
Schöllgen, Gregor (2004): Die Aussenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: Beck
 
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