Thesen zur Hexenverfolgung

Es dürfte ziemlich ambivalent sein, welche Gründe im Einzelnen für Hexenverfolgung vorlagen. Echte Hexenhysterie, geschürte Hysterie, welche Leute dazu veranlasste, andere anzuzeigen, um sich selbst vielleicht unverdächtig zu machen, Kalkül (dies unterstelle ich etwa Johann Georg II. von Bamberg; ob der an Hexen glaubte, weiß ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass er die Hexenverfolgung gezielt benutzte), politisch-konfessionelle Gegnerschaft etc.
 
Vielleicht sollte man im Zusammenhang mit dem Hexenglauben auch die damals benutzten Drogen erwähnen. Insbesondere die hauptsächlich aus Bilsenkraut und Stechapfel bestehende "Hexensalbe" führte zu äußerst aktiven Traumerlebnissen, zumeist erotischer Natur, aber auch vom "Fliegen". Leichtgläubige Menschen konnten schnell die Grenze zwischen Traum und Wahrheit verwischen. Erzählten sie davon, war damit eine Verurteilung vorprogrammiert.
 
Es gibt Vermutungen, dass der Gebrauch von Schmerz-, Schlaf- und Betäubungsmitteln in einem Zusammenhang steht.
Begründet wird das mit Plausibilitäten. Die hervorgerufenen Effekte gleichen eben Beschreibungen in Zusammenhang mit Hexen (Hexenflug etc.).

Belegt worden sind mE solche Zusammenhänge aus dokumentierten Prozessen nicht. Umgekehrt ausschließen lässt sich das auch nicht. Welche Qualität das insgesamt für so ein Phänomen hat, wenn man solche Fälle als plausibel annimmt, lässt sich nicht abschätzen.
 
In eine ähnliche Richtung wie der Drogengebrauch gehen Überlegungen, entsprechende Erlebnisse mit einer Störung der Schlaflähmung zu erklären. Mit dem gleiche physiologische Phänomen erklären manche Wissenschaftler heute Erlebnisse, von Außerirdischen entführt worden zu sein (wenn nicht doch Marvin the Martian dafür verantwortlich ist...).

ME kann man damit nicht das Phänomen "Hexenverfolgung" erklären, dafür ist das zu komplex, aber es könnte ein Teil der Erklärung sein, warum sich solche Vorstellungen überhaupt entwickelt haben und für plausibel gehalten wurden.
 
Nur zur "Erweiterung": Hexenverfolgung in Salem, Nordamerika, 1692. Das waren dann Puritaner. Verhältnis männlich - weiblich bei den Hingerichteten ca. 2:1 (also doppelt so viele Frauen wie Männer).
Gerade für die erste These finden sich hier einige interessante Aspekte.
 
Eine überwältigende Mehrheit der Menschen, die der Hexerei beschuldigt und verurteilt wurden, waren Frauen (etwa 78%). Insgesamt war der puritanische Glaube und die vorherrschende New-England-Kultur, dass Frauen von Natur aus sündhaft und anfälliger für Verdammnis waren als Männer. Während ihres täglichen Lebens versuchten die Puritaner, insbesondere die puritanischen Frauen, aktiv, Versuche des Teufels zu verhindern, sie und ihre Seelen zu überholen. Tatsächlich glaubten die Puritaner, dass Männer und Frauen in den Augen Gottes gleich sind, aber nicht in den Augen des Teufels. Die Seelen der Frauen galten in ihren schwachen und verletzlichen Körpern als ungeschützt. Mehrere Faktoren können erklären, warum Frauen eher die Schuld an Hexerei zugeben als Männer. Die Historikerin Elizabeth Reis behauptet, dass einige wahrscheinlich glaubten, sie hätten dem Teufel wirklich nachgegeben, und andere hätten glauben können, dass sie dies vorübergehend getan hätten. Da jedoch diejenigen, die gestanden haben, wieder in die Gesellschaft integriert wurden, könnten einige Frauen gestanden haben, um ihr eigenes Leben zu schonen.
Streitigkeiten mit Nachbarn führten oft zu Hexenvorwürfen. Ein Beispiel dafür ist Abigail Faulkner, die 1692 angeklagt wurde. Faulkner gab zu, dass sie "wütend auf das, was die Leute sagten", war, und der Teufel könnte sie vorübergehend überholt haben, was ihren Nachbarn Schaden zugefügt hat. Frauen, die nicht den Normen der puritanischen Gesellschaft entsprachen, waren eher das Ziel einer Anschuldigung, insbesondere diejenigen, die unverheiratet waren oder keine Kinder hatten.


Salem witch trials - Wikipedia
 
Frauen, die nicht den Normen der puritanischen Gesellschaft entsprachen, waren eher das Ziel einer Anschuldigung …
Das galt nicht nur für die Frauen damals, sondern galt und gilt für alle Menschen in (vermutlich) allen Gesellschaften: Wer die meist nicht kodifizierten Normen verletzt, der wird den übrigen Menschen suspekt und gerät im Falle eines Falles schneller in Verdacht als andere. Das hat Patrick Süskind in seinem historischen Roman „Das Parfum“ sehr schön gezeigt.
 
Nur zur "Erweiterung": Hexenverfolgung in Salem, Nordamerika, 1692. Das waren dann Puritaner. Verhältnis männlich - weiblich bei den Hingerichteten ca. 2:1 (also doppelt so viele Frauen wie Männer).
Gerade für die erste These finden sich hier einige interessante Aspekte.
Nach dieser Quelle waren es 14 Frauen, 5 Männer und 2 Hunde, die infolge angenommener übernatürlicher Verbrechen zu Tode gebracht wurden.
What Caused the Salem Witch Trials? | JSTOR Daily
Mithin betrüge also das Verhältnis nicht ca. 2/1 sondern ca. 3/1.
(ohne Berücksichtigung der zwei Hunde, denen man offenkundig auch die Fähigkeit zusprach mit dem Teufel im Bunde stehen zu können.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Sorcières de Salem — Wikipédia

Nach dieser Quelle wurden von 150 bis 300 Angeklagten schlußendlich gehängt:
15 Frauen
6 Männer

Ertränkt:
1 Frau

In Gefangenschaft gestorben;
3 Frauen
1 Säugling einer Gehängten
1 Mann

Und ein tapferer Giles Corey, 80jährig, der sich standhaft weigerte zu gestehen und durch immer mehr aufgehäufte schwere Steine langsam erstickte.
 
Ok, dann mal aus meinen Unterlagen ganz genau:
10.6.1692: Hinrichtung von Bridget Bishop
19.7.1692: Hinrichtung von Sarah Good, Rebecca Nurse, Susannah Martin, Elizabeth Howe and Sarah Wildes
19.8.1692: Hinrichtung von Martha Carrier, John Willard, George Burroughs, George Jacobs, John Proctor
22.10.1692: Hinrichtung von Mary Eastey, Martha Corey, Ann Pudeator, Samuel Wardwell, Mary Parker, Alice Parker, Wilmot Redd, Margaret Scott.

Giles Corey wurde wegen seiner Weigerung auf "schuldig oder unschuldig" zu plädieren, so lange mit Steinen beschwert, bis er starb - den würde ich durchaus auch zu den "Hingerichteten" zählen.

Das ergäbe 13 Frauen und 7 Männer ... und eher 2:1

Es starben 3 Frauen und ein Mann in Gefangenschaft (Sarah Osborne, Ann Foster, Lydia Dustin, Roger Toothaker).
Ein weiterer Mann (John Durrant) wird in einigen Quellen noch genannt, ebenso wie zwei (!?) Säuglinge (von Sarah Good und Elizabeth Scargen).

Aber: Roger Toothaker starb vor einer Gerichtsverhandlung, wäre also nicht unbedingt hingerichtet worden, ebenso Sarah Osborne. Lydia Dustin wurde für unschuldig befunden, wurde aber nicht entlassen, weil sie nicht eine Gebühr für ihren Aufenthalt im Gefängnis konnte, sie blieb inhaftiert und verstarb in Haft.
Nur Ann Foster wäre sicher hingerichtet worden.

vgl. auch hier: The Salem Witch Trials Victims: Who Were They?

The “Witches” of Massachusetts – D – Legends of America

Edit: Interessant, dass die franz. Wiki im Vergleich zur englischen, die sich mit meinen Unterlagen deckt, noch zwei weitere Frauen als Hingerichtete nennt: Sarah Brenet und Elisabeth Gilbert, die finde ich aber sonst nirgends ...
Elisabeth Gilbert wurde nach der franz. Wiki ertränkt, evtl. taucht sie deshalb nicht bei den anderen auf, die alle gehängt wurden?
 
Zuletzt bearbeitet:
Nach dieser Quelle waren es 14 Frauen, 5 Männer und 2 Hunde, die infolge angenommener übernatürlicher Verbrechen zu Tode gebracht wurden.
...
(ohne Berücksichtigung der zwei Hunde, denen man offenkundig auch die Fähigkeit zusprach mit dem Teufel im Bunde stehen zu können.)

Um den beiden Hunden post mortem Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sei hier noch nachgetragen, daß eine gewisse Mary Sibly Hexenkuchen backen ließ. Aus Roggenmehl und Urin der verhexten Mädchen. Verfüttert an die Hunde löste er Schmerzensschreie bei Frauen aus und entlarvte diese als Hexen. - Die „infizierten“ Hunde konnte man leider nicht am Leben lassen.
 
Das Thema ist nicht mehr ganz aktuell, aber ich möchte trotzdem gerne meine Überlegungen zur Frage "Hexenverfolgung und Frauenhass" beitragen. :)

Wissen tun wir ja eigentlich recht wenig. Vieles ist mehr oder weniger spekulativ und sagt einiges aus über unser heutiges Denken, vielleicht sogar mehr als über das damalige.

Es ist ziemlich gesichert, dass latenter und expliziter Frauenhass vorhanden war (und bis heute ist); damals v.a. von Seiten der Priester und Mönche - bestimmt auch, weil diese mit ihren eigenen sexuellen Trieben geplagt waren.

In Bezug auf die Hexenverfolgung denke ich, dass schlicht die Schwächsten* der Gemeinschaft zum Opfer wurden. Dort, wo wenig oder kein erfolgreicher Widerstand zu erwarten war. Wenn unter den Schwächsten überproportional viele Frauen waren (und das ist anzunehmen, weil eine Frau es schon rein rechtlich ohne männlichen Beistand schwerer hatte als umgekehrt), dann werden logischerweise mehr Frauen als Männer als Hexen angeklagt.

Das würde bedeuten: Der Zusammenhang zwischen Hexenverfolgung und Frauenhass ist da, aber indirekt: Frauen waren gesellschaftlich benachteiligt - und wurden deshalb häufiger Opfer. Ein lüsterner, geifernder Priester (der die heilige Jungfrau verehrt und reale Frauen hasst) hat das Ganze dann nur noch befeuert.

Was ich nicht weiß, mich aber sehr interessieren würde: Waren die sozialen Verhältnisse für protestantische Frauen prekärer als für katholische? Wurden dort deshalb mehr Frauen als Männer angeklagt?

Der Hinweis auf die lutherische Übersetzung ("die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen") ist in meinen Augen zwar überzeugend, aber alleine nicht ausreichend. Solche Worte müssen auf fruchtbaren Boden fallen um zu wirken. (Immerhin gibt es auch genügend Zitate aus der Bibel, bei denen Frauen eine besonders positive Stellung bescheinigt wird - aber die wurden überlesen. Das ist kein Zufall. Das ist selektive Wahrnehmung.)

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* Das müssen nicht zwingend die Ärmsten sein. Es sind die mit dem geringsten sozialen Rückhalt. (Das kann man an den Judenverfolgungen sehr gut erkennen.)
 
Vieles ist mehr oder weniger spekulativ und sagt einiges aus über unser heutiges Denken, vielleicht sogar mehr als über das damalige.
Das hast du schön gesagt und führst es gleich im fortfolgenden auch vor.

Es ist ziemlich gesichert, dass latenter und expliziter Frauenhass vorhanden war (und bis heute ist); damals v.a. von Seiten der Priester und Mönche - bestimmt auch, weil diese mit ihren eigenen sexuellen Trieben geplagt waren.
Machismus/Sexismus und Misogynie sind zwei verschiedene Dinge, wenn auch ähnlich unappetitlich. Dass allerdings die Hexenverfolgung auf misogyne Einstellung zurückginge oder auf den Zölibat, wie zwar nicht explizit ausgesprochen, aber doch angedeutet, kann man ausschließen. Wie du schon im Thread gelesen hast, ist die Hexenverfolgung ein regional relativ begrenztes Phänomen, dass nichts mit der konfessionellen Zugehörigkeit zu tun hat und zwar vorwiegend Frauen betraf, aber keineswegs ausschließlich. 20 - 35 % waren Männer, eine Minderheit aber keineswegs eine zu vernachlässigende. Regional konnten Männer sogar die bevorzugt verfolgte Gruppe sein.

Ein lüsterner, geifernder Priester
Siehe oben, deine eigenen Ausführungen über „mehr über heutiges Denken“ etc. pp. Nebenbei: häufig waren es nicht die Kirchen, welche aktiv verfolgten, sondern vielmehr vom Mob gedrängt wurden, zu verfolgen (und dann nicht stark genug waren, dem Mob zu widerstehen). Der Bischof von Bamberg auf der anderen Seite dürfte eher an Geld interessiert gewesen sein, denn korrekt als „lüstern“ und „geifernd“ beschrieben.

Was ich nicht weiß, mich aber sehr interessieren würde: Waren die sozialen Verhältnisse für protestantische Frauen prekärer als für katholische? Wurden dort deshalb mehr Frauen als Männer angeklagt?
Es gibt keinen Grund für eine Annahme, dass die sozioökonomische Situation jener Zeit konfessionell bedingt war. Cuius regio, eius religio.
Du musst bei der Hexenverfolgung an verschiedene Motive denken, die durcheinander gehen: der Glaube an die Existenz des Bösen in Form von Teufeln und Dämonen und eben auch Menschen, die sich diesen anschlossen, außerdem Habgier und Missgunst.
 
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