Flaggenfarben Schwarz-Rot-Gold in der Weimarer Republik

Ekaterina

Mitglied
Guten Tag,
ich würde mir gern Klarheit über den folgenden Vorgang verschaffen, der mir in der Familie erzählt worden ist:
mein Großvater, verstorben 1961 in Berlin, war, wie man mir sagte, zeitlebens Mitglied der SPD.

Nun gibt es eine Begebenheit, die ich nicht einordnen kann. Und zwar erzählte mir meine Großmutter, in den 20er Jahren hätten sie und ihr Mann, mein Großvater, eine Freundin gehabt, die sei eine "richtige Berolina" gewesen, also groß und kräftig und hätte nicht Tod und Teufel gefürchtet. Die sei eines Tages bei ihnen erschienen mit blauen Flecken am ganzen Körper, hätte kaum noch laufen können und hätte erzählt, in einer Kneipe, wo sie ihr Bier getrunken hätte, seien Burschen hereingekommen, hätten eine schwarz-rot-goldene Fahne geschwenkt und gerufen: Was sind das für Farben? - Woraufhin sie gesagt hätte: Schwarz, Rot, Scheiße. Daraufhin hätten die Burschen diese Fahne auf einem Tisch ausgebreitet, diese Freundin entkleidet, auf den Tisch gepackt, sich mit ihren Knüppeln um sie herum aufgestellt und gefragt: Was sind das für Farben? - Und sie hätte immer gesagt: Schwarz, Rot, Scheiße, und dann hätten die zugeschlagen. Irgendwann hätten sie aufgehört und sie weggeschickt, und dann sei sie zu meinen Großeltern gegangen und hätte gelacht und gesagt: Denen hab ich's aber gegeben!

Wenn ich nun im Netz recherchiere, finde ich eigentlich nur Hinweise, dass die Diffamierung Schwarz-Rot-Scheiße in den 20er Jahren von den Rechten gebraucht wurde. Man hat mir doch aber erzählt, mein Großvater sei zeitlebens bei der SPD gewesen. Für meine Lebenszeit ab 1946 trifft das auch zu, das weiß ich, aber vorher?
Das weiß ich nicht. Gab es denn auch Linke, sei es SPD, sei es KPD, die in gleicher Weise die Farben der deutschen Flagge diffamiert haben, und wenn ja, aus welchen Gründen?

Ich danke schon mal für Eure Aufmerksamkeit!
 
Wenn ich nun im Netz recherchiere, finde ich eigentlich nur Hinweise, dass die Diffamierung Schwarz-Rot-Scheiße in den 20er Jahren von den Rechten gebraucht wurde.

1. Auf diesen Befund bin ich nicht gestoßen. "Schwarz, Rot, Mostrich [Senf]" wird in der Regel als Diffamierung genannt. Soweit zumindest die seriöseren Darstellungen zum "Flaggenstreit" in der Weimarer Republik. "Scheiße" muss auf anderen Seiten genannt werde.

2. Diese Diffamierung wurde von den Monarchisten und von den Nationalsozialisten vorgenommen.

3. Die demokratischen, republiktragenden "Parteien der Weimarer Republik" bekannten sich in Anlehnung an die "48er-Revolution" zu den Farben Schwarz, Rot, Gold für die Flagge der Weimarer Republik.

4. Die USPD und in der Folge die KPD präferierten die "revolutionäre rote Flagge". Wobei der Konflikt zwischen USPD/KPD vs SPD an diesem Punkt nicht so symbolisch überhöht war wie die Gegnerschaft der Monarchisten bzw. Nationalsozialisten gegenüber der Flagge der Republik.

Ergo: Die Geschichte hört sich dubios an und es erscheint fragwürdig, ob Anhänger der Parteien von Weimar derartige Straftaten begangen hätten, im Namen der "Flagge". Ansonsten: Die Freundin war offensichtlich eine ideologisch indoktrinierte Monarchistin oder frühe Nationalsozialistin mit einer hohen Distanz zur Demokratie von Weimar.
 
Du hast da sicherlich etwas falsch aufgeschnappt, Ekaterina, zumal die Sozialdemokraten Mitbegründer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold waren. Kann es vielleicht sein, dass die Bekannte deines Großvaters sich stattdessen weigerte die Nationalfarben in der gewünschten Weise zu verunglimpfen?
 
Vielen Dank für die guten Antworten! Ich bin noch nicht drauf gekommen, dass ich eine Erzählung der Großmutter falsch verstanden haben könnte, aber diese Sichtweise würde die Sache logisch machen.

Bloß: Kann es denn wirklich so gewesen sein, dass junge Leute - Rowdys, wie wir heute wohl sagen würden, oder eben ganz einfach Schlägertypen - mit einer Schwarz-Rot-Goldenen Flagge in eine Kneipe gekommen sind, um in provokativer Absicht zu fragen, was für Farben das sein sollen? Solche Leute suchen Streit, weil sei Lust zum Prügeln haben. Aber ist es dann für die Psychologie solcher Schläger nicht einfacher, sich andere und näherliegende Anlässe zu suchen, als noch extra eine Fahne von Kneipe zu Kneipe zu schleppen?

Der Punkt, über den ich bei dieser Sache nicht hinwegkomme, ist folgender: Von seiner Persönlichkeit her war der Großvater keineswegs ein SPD-"Mensch", sondern ein Nazi durch und durch, Rassist, Nationalist, stets gewaltbereit. Ich weiß positiv aus meiner Lebenszeit, dass er in der SPD war, aber nicht, was vorher war. Darüber wurde geschwiegen, wie üblich. Und ich habe den Verdacht, dass sich meine Großmutter mit dieser "Anekdote" verplappert hat, und sie konnte das auch gefahrlos tun, weil ich als Kind natürlich die näheren Umstände nicht hinterfragt habe. Das ist mein Verdacht. Dieser Verdacht wird genährt durch eine Bemerkung meiner Tante nach dem Tod der Großmutter 1983: Ich soll bloß nicht den Quatsch mit der SPD glauben, den sie mir immer aufgetischt hätte, hat die Tante gesagt, die Großmutter hätte ihre Töchter mit Fäusten verprügelt, wenn die nicht ihre Jungmädel-Uniformen getragen hätten. Ich war zu schockiert, als dass ich weiter hätte fragen können, und die Tante wollte auch nicht mehr erzählen.
 
Dann hast du es mit dem Phänomen zu tun, dass nach 1945 keiner Nazi und alle Widerstandskämpfer waren.
 
Ja, siehst Du, Quijote, die erste Erklärung - ich hätte was falsch aufgeschnappt - ist mir viel lieber, aber die zweite ist wohl die zutreffende. Ich wünschte, es wäre anders rum. Danke schön für die Aufmerksamkeit!
 
Wie u.a. hier beschrieben die kollektive Verarbeitung bzw. Verdrängung.

Welzer, Harald; Moller, Sabine; Tschuggnall, Karoline (2015): "Opa war kein Nazi". Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Unter Mitarbeit von Olaf Jensen und Torsten Koch. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch Verlag
 
Ohne tiefer einsteigen zu wollen, in Anlehnung an Winkler, etwas zum Kontext des "Flaggenstreits".

Es ging in dieser Phase um die Deutungshoheit, welche Kontinuität und welche Brüche nach 1918 stattgefunden haben. Die monarchistischen, deutschnationalen Kräfte hatten sich im Rahmen der "Dolchstoßlegende" nicht mit dem Untergang des Kaiserreichs abgefunden. In der Wahl der Nationalflagge wollten sie diese Kontinuität unterstreichen, was die demokratischen Parteien - mehrheitlich - deutlich ablehnten.

Die verfassungsgebende Nationalversammlung war mit einer Reihe von Themen im Jahr 1919 beschäftigt, die hochkonfliktträchtig waren.

1. Sollte die Verfassung entweder "Verfassung des Deutschen Reiches" oder Verfassung der Deutschen Republik heißen.

2. Bei der Wahl der Flagge standen "Rot", "Schwarz, Rot, Gold" oder "Schwarz, Weiß, Rot" gewählt werden.

3. Neben diesen "symbolischen" fragen kamen die religiösen politischen Trennungslinien sehr deutlich zur Geltung. Die Sozialdemokraten wollten durch eine Neuordnung des Schulsystem die deutlich schlechteren Bildungschancen von Kindern aus der Arbeiterschicht verbessern, während das Zentrum für die Zulassung von konfessionellen Schulen sich massiv einsetzte.

Und vor allem dieser letzte Punkt war wesentlich kritischer wie die anderen. Und nur der Kompromiss der Sozialdemokratie und des Zentrums sicherte die Verabschiedung der Weimarer Verfassung am 31.7.1919 mit einer breiten Mehrheit von 262 gegen 75 Stimmen.

Gegen die Verfassung stimmten USPD, DNVP und DVP.

Winkler, Heinrich August (2018): Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. 1. Auflage im C.H. Beck Paperback. München: C.H. Beck
 
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