Ja, es handelt sich um ein Vermutung, zu erkennen an der Formulierung "näher liegender ist".
Argumente für einen Triumphzug:
- Gaius Rutilius Gallicus war ein Vertrauter Vespasians, außerdem Pontifex Maximus.
- Die zitierte Stelle aus der Germania (VIII): Vidimus - wir sahen.*
- Eine weitere Stelle aus der Germania (XXXVIII) in der Tacitus klagt:
"... inde proximis temporibus triumphati magis quam victi sunt - von da an hat man bis in jüngster (wörtlich nächst(liegend)er) Zeit mehr Triumphe (über sie) gefeiert, als sie besiegt".




*Die Übersetzungen sind sich relativ uneinig, wie die zitierte Stelle eigentlich zu interpretieren ist:
"Ja, die Germanen meinen sogar, den Frauen sei eine gewisse Heiligkeit und eine seherische Gabe zu eigen [...] Wir haben unter dem göttlichen Vespasian die Veleda gesehen..."
(Arno Mauersberger)
„Die Germanen glauben sogar, Frauen wohne etwas Heiliges und Seherisches inne. Daher achten sie auf ihren Rat und hören auf ihren Vorschläge. Wir erlebten es zur Zeit des verewigten Vespasian, wie Veleda bei vielen lange als göttliches Wesen galt. Doch schon vorher haben sie Albruna und mehrere andere Frauen verehrt, aber nicht aus Unterwürfigkeit und als ob sie erst Göttinnen aus ihnen machen müssten.“
(Übersetzung aus dem Wikipediaartikel "Schicksalsfrau")
Eine englische Übersetzung sieht das genauso:
"We saw that, under the deified Vespasian, Veleda was for a long time considered a divinity by many"
(Herbert W. Benario)
Wenn man diese Variante der Übersetzung zugrunde legt - die unterschiedlichen Möglichkeiten werden sich durch die fehlende Interpunktion ergeben - dann ist diese Stelle als Argument dafür, dass Tacitus die Veleda gesehen habe, oder dass sie in einem Triumphzug vorgeführt worden sei, natürlich völlig fehlinterpretiert.
 
Gaius Rutilius Gallicus war ein Vertrauter Vespasians, außerdem Pontifex Maximus
Moment! Er war zwar Pontifex, aber nicht Pontifex maximus. Pontifex maximus war der Kaiser selbst.

Eine weitere Stelle aus der Germania (XXXVIII) in der Tacitus klagt:
"... inde proximis temporibus triumphati magis quam victi sunt - von da an hat man bis in jüngster (wörtlich nächst(liegend)er) Zeit mehr Triumphe (über sie) gefeiert, als sie besiegt".
Diese Stelle wird normalerweise als Seitenhieb auf die Germanenkriege des Domitian interpretiert, der bekanntlich erst 81 Kaiser wurde und etwas später mit seinem Krieg gegen die Chatten begann. Möglich wäre es aber natürlich, dass Veleda nach ihrer Gefangennahme 77 mehr als 5 Jahre aufbewahrt und dann im Triumphzug vorgeführt wurde, derartiges war auch in der Vergangenheit schon vorgekommen (Vercingetorix). Seltsam wäre es freilich gewesen, dass Domitian eine Frau mitschleppt, die zur Zeit seines Vaters und Vorvorgängers gefangen wurde.
Leider liegen uns für die Kaiserzeit keine Triumphalfasten vor, sodass wir nicht sagen können, ob Vespasian oder Titus nach 77 noch über Germanen triumphierten. Ich halte das aber nicht für wahrscheinlich, der Bataveraufstand war lange vorbei, und die Besetzung des Dekumatlandes scheint nicht so sonderlich spektakulär gewesen zu sein.
 
Wie ausgeführt, das vidimus ist eh unsicher zu interpretieren. Das einzige was sicher ist, ist, dass Tacitus i.d.R., wenn er von sich selber spricht, nicht den Plural benutzt.
 
Man kennt weder den Geburtstermin noch ihre Abstammung, nur dass sie dem Stamm der Brukterer entstammte.
Der Name ist, wie ich bei Roland Schuhmann lese, keltisch zu deuten. Die Zusammenfassung lautet:

"Es hat sich gezeigt, daß die Namen der bei Tacitus, 'Germania' c. 8,2 genannten Seherinnen Aurinia (so die korrekte Namensform) und Veleda nicht aus dem Germanischen zu erklären sind. Der Personenname Aurinia besteht aus einem Erstglied Aur-, das in mehreren Personennamen vorkommt und mit lat. aurum 'Gold' gleichzusetzen ist, während -inia ein gallisches, Personennamen bildendes Suffix darstellt. Veleda dagegen ist wahrscheinlich ein rein keltischer Name, der genau mit a[lt]ir[isch] fili- 'Dichter' (< 'Seher') übereinstimmt, dessen problematisches -d- ist dabei entweder lautlich aus dem Germanischen infolge einer Lenisierung bedingt durch die Akzentposition oder rein graphisch aus dem Lateinischen zu erklären.
Was die Namenträgerinnen angeht, so ist festzuhalten, daß nach Ausweis dieser beider Namen, in älterer Zeit in der Germania Frauen mit keltischen Namen bei germanischen Stämmen als Seherinnen wirkten."

Roland Schuhmann, Aurinia und Veleda - zwei germanische Seherinnen? In: Beiträge zur Namenforschung Band 34 Heft 2 (1999), S.131-143
 
Das schonmal erwähnte keltische Vellaunos wird auch oft in die Reihe gestellt.Das ganze hängt wohl mit "Sehen" zusammen, daher ist die Übersetzung als Seherin ganz treffend.Ist das ganze jetzt ein keltisches Lehnwort oder ein verwandtes germanisches Wort das möglicherweise durch gallo-römische Vermittlung "keltisiert" wurde? Lässt sich das überhaupt noch feststellen?
 
Das ethnografische Bild, dass wir meist vom Gebiet zwischen Rhein und Weser haben, entstand erst nach der Eroberung Galliens.

Vorher lebten hier Gesellschaften, deren materielle Hinterlassenschaft sowohl von keltischen als auch von germanischen Einflüssen zeugt, ohne einem davon zugeordnet werden zu können. Da muss also für einen Priesterinnentitel (oder einen Eigennamen) keine römische Vermittlung gesucht werden.
 
Bei eurer Fragestellung fiel mir ein Text ein, den ich leider nicht mehr direkt im Internet gefunden habe, ersatzweise stelle ich den Forschungsbericht der gleichen Autorin Corinna Scheungraber ein. Sie untersucht etymologisch altgermanische Theonyme, als erstes hier das Heiligtum der Baduhenna, bei Tacitus in den Annalen 4,73,4 als Ort einer Schlacht lokalisiert. Sie referiert die historischen bisherigen Untersuchungen, entscheidet sich dann dafür, dass Baduhenna ein "verschleierter Keltizismus" des Germanischen ist:"sowohl das Bezeichnete (das Konzept der Göttin der Schlacht) als auch die Bezeichnung selbst (Etymologie und Wortbildung des Namens) ist auf keltischer Seite kulturhistorisch und etymologisch gut verankert".
Zudem kommt sie dann zu einer überraschenden ethnischen Feststellung: "Die Annahme, im Gebiet der antiken Frisii seien keltischsprachige Stämme ansässig gewesen, ist nicht neu. Die diesbezügliche Forschung der letzten Jahrzehnte (Schrijver 1995a, 1995b, 1999, 2000; Toorians 2003, 2006; Beekes 2000; zustimmend Zimmer 2012, 210) legt nahe, dass die Kelten auch in den Niederlanden siedelten und dort an den Küsten ein Substrat hinterließen; demnach seien die Friesen germanisierte Kelten. So könnte auch der keltische Name *Boduā lautlich germanisiert und dabei mit germ. *badwa- ‘Kampf’ und den germ. Walküren assoziiert worden sein. Eine Ableitung in germanischem Lautstand von jenem kelt. Theonym *Boduā stellt die „friesische Göttin“Baduhenna dar."

Auch für die weiter südlich liegende Rhein-Maasregion wird ein kultureller und sprachlicher Mix konstatiert:
The combination of both the archaeological information and the linguistic interpretation of the names (Hercules) Magusanus / Magusenus leads to the following hypothesis about the linguistic situation in the Lower Rhine area and Rhine-Meuse delta during the late Iron Age and the Roman period: when the Romans reached this area around the middle of the first century B.C. the local language was Celtic [...]. The Batavians who entered the area from the East after the defeat of the Eburones, seem linguistically mixed, which might mean that they had shifted from Celtic-speaking to Germanic-speaking in recent times. Most probably the elite language of the Batavians was Germanic, which caused them to germanicise the names they took over in the new areas in which they settled or took over power.” (Toorians 2003, 22f.)" Forschungsbericht „Altgermanische Theonyme“: Zur Germanisierung keltischer Götternamen
Corinna Scheungraber: Baduhenna – keltische Göttin in germanischem Gewand? In: Elisabeth Gruber, Irina Windhaber (Hrsg.): Tagungsakten der Sektion "Onomastik und Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft" der 39. Österreichischen Linguistiktagung (26.-28.10.2012)
 
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