Ganz zu schweigen von Jochen Böhlers methodischem und inhaltlichem Höhenflug zum Polenfeldzug "Der Überfall". Da weint sich der Historiker Böhler seitenweise über ein Regiment aus das die Polen ohne ein ordentliches Kriegsgerichtsverfahren hinrichtet. Seit wann fängt die Kriegsgerichtsbarkeit bei einem Regiment an? Das ist doch wohl immer noch Sache der Division. Ein Regiment hat höchstens Standgerichte. Wie kann es sein, dass sich ein Böhler nicht mal bis zur Quelle Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) durcharbeiten kann um den Unterschied zwischen Standgericht und Kriegsgericht zu ermitteln? Genug vor ihm haben es geschafft oder, bezogen auf Böhler, schaffen wollen.
Das kann nicht so stehen bleiben. Der Sachverhalt ist falsch, und die Kritik an Böhler ist nicht berechtigt.
1. Hintergrund der Kritik von Böhler sind massenhafte Notgerichtsstände (später Nov.1939: Standgerichte) durch die Regiments-Kommandeure, die lediglich (Fassung August 1939) bei mangelnder "sofortiger Erreichbarkeit" des zuständigen Gerichtsherrn hätten handeln dürfen. Diese mangelnde Erreichbarkeit "nicht sofort" ist beim Verlauf des Polenfeldzugs nur in Ausnahmefällen anzunehmen, nämlich in den Fällen des mangelnden Kontakts des Regiments zum Divisionsgefechtsstand, was im Verlauf des Feldzugs kaum gegeben war. Bei den in Rede stehenden Aburteilungen war das nicht der Fall. Hier wären Ausnahme-Situationen wie an der Bzura oder Lemberg angesprochen, die sind aber nicht Gegenstand der Kritik. Bei den "Notgerichtsständen" handelt es sich somit übereilte Fälle, ganz abgesehen von den materiellen Verfahrensmängeln, Erklärung siehe unten.
Im August 1939 geltende Fassung der KStVO:
NB-ANNO+/Deutsches Reichsgesetzblatt Teil I 1867-1945
Auch damit ist noch nicht die Tiefe der Darstellung von Böhler erreicht. Ausgangspunkt der Freischärler-Phobie der Wehrmachtseinheiten und der Notgerichtsstände nebst Exekutionen ist ua. die Dienstanweisung des OKH vom August 1939 über die vermutete "Kriegsführung der Polen", angelehnt an Freischärler-Phobien aus Belgien 1914. U.a. diese Schrift, die Vorkriegshetze der Propagandapresse und die mangelnde Gefechtserfahrung der Einheiten, führte zu den Reaktionen, wie Böhler herleitet.
Zu den Begrifflichkeiten:
2. Das "Standgericht" wurde mit dieser Bezeichnung am 14.11.1939 eingeführt, nach dem Polenfeldzug.
NB-ANNO+/Deutsches Reichsgesetzblatt Teil I 1867-1945
Der § 13a KStVO ergänzte die Neufassung des § 13 KStVO, alte Fassung:
NB-ANNO+/Deutsches Reichsgesetzblatt Teil I 1867-1945
Es handelt sich in der alten Fassung um den "Notgerichtsstand". Selbstverständlich behält das Kriegsgericht der Division seine Zuständigkeit auch für die einzelnen Regimenter, Allgemeiner Gerichtsstand: § 12.
Der Einwurf liegt daher neben der Sache. Das Kriegsgericht der Division ist für behauptete Freischärlerfälle unverändert zuständig, "und kann das Verfahren jederzeit übernehmen" (§ 13a Abs. 3, § 13 Abs. 2 KStVO idF November 1939, ebenso die Vorfassung vom August 1939, siehe oben).
Nun kann man sich mal fragen, warum die Kriegsgerichte der Divisionen, in denen u.a. im Zivilleben hauptamtliche Richter tätig waren, die Fälle
nicht an sich gezogen haben.