Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Das "bleichende Gebein" hat es mir angetan. Das zeigt sich eigentlich nur auf trockenem Untergrund. Wir wissen leider nicht, wie es dort aussah. In einem, wie beschrieben, leicht sumpfigen Gebiet wären aber weit mehr Waffen und Ausrüstungen in den Boden getreten worden, als man bisher fand. Detektoren gab es noch nicht und man konnte sie also nicht wiederfinden. Außerdem konserviert der Sumpf organisches Gewebe. Einen Hinweis geben möglicherweise die entdeckten Knochengruben. Trockene, angefressene Knochen wurden, nach Jahren an der Luft, ohne Fleischteile, eingesammelt und anscheinend aufwändig bestattet. Die Geschichte mit dem Adlerträger, der sich im Sumpf versenkte, erscheint also etwas seltsam. Es sei denn, dass sich die Schlacht über Trockengebiet und Sumpf erstreckte. Dazu müsste der Kalkrieser Sumpf endlich mal etwas her geben.
 
Natürlich ist ein Vielfaches von dem, was man (in Kalkriese und anderen archäologischen Fundstätten) bisher gefunden hat und jemals finden wird, im Boden verschwunden - und zwar auf Nimmerwiedersehen.
Es werden leider immer mehr Flächen, insbesondere auch Sümpfe, zum Naturschutzgebiet erklärt. In der Kernzone ist sogar das Betreten verboten. Damit sind Zufallsfunde kaum noch zu erwarten. Dafür wird aber immer empfindlichere Suchtechnik verfügbar. Ein Schuppenpanzer, soweit nicht völlig in Rost umgewandelt, ist sogar problemlos in einer Tiefe von mehr als einem Meter nachweisbar. In Kalkriese ist deshalb noch einiges zu erwarten, sobald das Untersuchungsgebiet erweitert wird.
 
Die Sumpfseite wird aber nicht die Angriffsseite gewesen sein. Man wird also überwiegend römische Ausrüstungsgegenstände, zum Teil wohl in hervorragendem Erhaltungszustand finden können. Funde die sich als sicher germanisch bezeichnen lassen wohl nur wenige. Und wenn es sich bei den Clades Variana um einen Aufstand und Hinterhalt germanischer Hilfstruppen handelte, gar nicht.
 
Im Sumpf könnte rein theoretisch sogar ein konservierter Legionär, gut erhalten wie die bekannten Moorleichen, aufgefunden werden. Das wäre eine Weltsensation. Immerhin sind aber auch die Analysemethoden so weit entwickelt, dass man nun das Erdreich in und unter dem Schuppenpanzer untersuchen will, ob dort ein Verwesungsprozess stattgefunden hat. Wenn ja, lag tatsächlich eine Leiche in der Grube. Dann kann man weiter spekulieren.
 
Ich fand das Video in der ARD-Mediathek sehr anschaulich:

https://www.ardmediathek.de/ndr/vid...5YTQzMi05MmY0LTQ2OTUtODE3NS1hNzNhZGMxZDcyYWM/

Schienenpanzer komplett mit Beschlagteilen. Und dann die räumliche Nähe zum Halseisen, das wiederum in einer Grube unterhalb des damaligen Bodenniveaus. Und dieser Panzer nicht geplündert, sondern - möglicherweise - als Opfergabe von der Plünderung und Verwertung verschont.
Wenn die Beschreibung des Tacitus hier eine Bestätigung finden sollte, so wäre dies eine Einheit von bedeutendem historischem Ereignis, hervorragendem archäologischen Fund und literarischer Bewertung.
 
Zusammen mit der Schienenpanzer wurden ein Pilum und ein Pugio gefunden, aber wenn der Legionär zum Zeitpunkt des Todes gefesselt war, wurden die Waffen von den Germanen als religiöser Ritus in die Grube geworfen.
Es ist seltsam, dass nicht einmal der Helm gefunden wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Panzer stammt aus der Grabung von 2018 und 2018 wurde tatsächlich auch ein gut erhaltener Pugio vom Typ Mainz gefunden. Ob die wirklich zusammen gefunden wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Pugio war jedenfalls kein Teil des Blocks, der jetzt freigelegt wird.
 
Ist es möglich, dass das Schlachtfeld genau mit dem Ort der Menschenopfer übereinstimmt?
oder vielleicht gehören Pilum und Pugio zu einer Trophäe?
 
Ist es möglich, dass das Schlachtfeld genau mit dem Ort der Menschenopfer übereinstimmt?
Wer wollte das ausschließen?
Wir haben hier nur die taciteische Darstellung:

medio campi albentia ossa, ut fugerant, ut restiterant, disiecta vel aggerata. adiacebant fragmina telorum equorumque artus, simul truncis arborum antefixa ora. Lucis propinquis barbarae arae, apud quas tribunos ac primorum ordinum centuriones mactaverant. et cladis eius superstites, pugnam aut vincula elapsi, referebant hic cecidisse legatos, illic raptas aquilas; primum ubi vulnus Varo adactum, ubi infelici dextera et suo ictu mortem invenerit; quo tribunali contionatus Arminius, quot patibula captivis, quae scrobes, utque signis et aquilis per superbiam inluserit.

Mitten auf dem Feld die bleichenden Knochen, so wie sie geflohen oder Widerstand geleistet hatten, zerstreut oder in Haufen. Es grenzten daran die Fragmente der Wurfgeschosse und Glieder der Pferde, ebenso waren an den Baumstämmen die Gesichter befestigt (ÜS Sontheimer: zugleich befanden sich an Baumstämmen angenagelte Köpfe). Auf den benachbarten Lichtungen befanden sich die barbarischen Altäre (Sontheimer: Altäre der Barbaren), bei denen sie die Tribunen und die Zenturionen erster Ordnung geopfert hatten. Und die Überlebenden jener Niederlage, die aus der Schlacht und den Ketten entglitten waren, berichteten, hier fielen die Legaten, dort wurden die Adler geraubt, wo zuerst Varus die Wunde eingetrieben, wo er sich mit der unglücklichen Rechten und seinem den Todesstoß gab, wo Arminus Gericht hielt, welche Anzahl von Galgen für die Gefangenen, welche Gruben* [Sontheimer ergänzt: er habe herstellen lassen] und wie er durch Hochmut die Zeichen und Adler verspottete.​

oder vielleicht gehören Pilum und Pugio zu einer Trophäe?
Meinst du ein Tropaion?



*Sontheimer: Martergruben
 
Ja, ich meine ein militärisches Tropaion.
Wie ich kürzlich in einem Forumsbeitrag erwähnt habe, gehören die meisten in Kalkriese gefundenen Fragmente zu Schilden, einige der Lanzen- und Pilum-Fragmente, während einige Fragmente von Rüstungen und Helmen gefunden wurden und schließlich nur ein Schwert.
 
Rost hat ja die Fund kartiert und geht davon aus (zumindest tat er das vor einigen Jahren), dass der Südwall/Germanenwall (Ansprache je nach Lagertheorie oder Defileeschlachttheorie) nach der Schlacht als Tropaion genutzt wurde und später dort geschrottet wurde (zusammengefalteter Schildrandbeschlag, Schildrandbeschlagbruchstücke).
 
Interessant ist bei Tacitus folgende Mitteilung: "...auch Rüstungen (spolia) von der Niederlage des Varus wurden daher getragen, die den meisten von denen, die sich hier ergaben, als Beute zugefallen waren." (Tac. Ann. I-57)

Das ist ein klarer Widerspruch zur Opfertheorie Kalkrieses. Die Rüstungen waren viel zu wertvoll, um diese zu "opfern".

Die historischen Quellen (Tacitus, Strabon) geben sogar an, welche Opfer-Praktiken bei den Germanen angewandt wurden. Archäologisch lassen sich diese sogar in Oberdorla (Tier- und Menschenopfer) nachweisen. Selbst in der keltischen Münzprägung finden wir kein Tropaeum - die ersten waren die Griechen, dann die Römer. Warum sollte ein fremder, noch zudem verhasster Kult, übernommen worden sein???

Da es ja Gegenstempel (CA 58, TIB 193) aus dem Tiberius-Horizont (10-12 n. Chr.) in Kalkriese gibt, welche ja immer noch in Haltern und Waldgirmes fehlen, kann dieses Ereignis nur früher oder später in der Niewedder-Senke stattgefunden haben. Ich tippe immer noch auf das Gefecht des Tiberius gegen die Brukterer, welches bei Sueton beschrieben wird und bei dem der Caesar knapp einer Niederlage entronnen ist. Das ist aber meine persönliche Einschätzung.
 

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... Die Rüstungen waren viel zu wertvoll, um diese zu "opfern". ...

Aber ist es nicht das charakteristische bei vielen Opfergaben, dass sie etwas wertvolles darstellen (z.B. Tier- oder Menschenopfer)?

Angenommen es wäre der Ort (einer der Orte) der Varusschlacht, dann hätten die Germanen sicher genug Rüstungen gesammelt um auch ein paar davon opfern zu können!
 
Interessant ist bei Tacitus folgende Mitteilung: "...auch Rüstungen (spolia) von der Niederlage des Varus wurden daher getragen, die den meisten von denen, die sich hier ergaben, als Beute zugefallen waren." (Tac. Ann. I-57)

Das ist ein klarer Widerspruch zur Opfertheorie Kalkrieses. Die Rüstungen waren viel zu wertvoll, um diese zu "opfern".

In der Varusschlacht dürften um die 15.000 Menschen umgekommen oder in Gefangenschaft geraten sein. Vielleicht ein paar tausend mehr oder ein paar tausend weniger. Da dürften genug Rüstungen zur Verfügung gestanden haben, um auch mal ein paar zu opfern (das richtige Argument von Xander jetzt mal bewusst ignoriert). Dass man eine unbekannte Menge n an Rüstungen aus der Varusschlacht bei Segestes und seinen Leuten fand, besagt nichts darüber, wie man mit der Gesamtmenge erbeuteter Rüstungen verfuhr.

Selbst in der keltischen Münzprägung finden wir kein Tropaeum - die ersten waren die Griechen, dann die Römer. Warum sollte ein fremder, noch zudem verhasster Kult, übernommen worden sein???
Die keltische Münzprägung ist doch einigermaßen abstrakt, sie imitiert zunächst die griechisch-makedonische Münzprägung, aber die bildlichen Darstellungen lösen sich gerne mal auf, man kann den Abstraktionsprozess z.T. sogar nachverfolgen. Zu argumentieren, die Kelten hätten keine Tropäen gekannt, weil das auf ihren Münzen nicht abgebildet sei ist etwas seltsam. Als wäre nur das, was auf Münzen abgebildet ist, real. (Ich rede im Übrigen nicht über keltische Tropäen, sondern nur über die Argumentation, warum es sie nicht gegeben habe.)

Archäologisch lassen sich diese sogar in Oberdorla (Tier- und Menschenopfer) nachweisen.
Was gegen die Opferthese spricht - es sei denn, wir hätten es mit einem Menschenopfer zu tun - ist, dass der Panzer offenbar nicht unbrauchbar gemacht wurde. Zudem sind Waffenopfer tatsächlich eher aus späteren Zeiten (Thorsberg, Illerup, Vimose, Illemose, Gundestrup(?)), etwa 200 Jahre nach der Varusschlacht belegt.


Da es ja Gegenstempel (CA 58, TIB 193) aus dem Tiberius-Horizont (10-12 n. Chr.) in Kalkriese gibt,
Werz datiert CA 58 1/2 auf 9 - 14, TIB 193 auf spätaugustäisch (welches er mit 4 n. Chr. ansetzt).
TIB 193/13 - 24 (in Kalkriese 1x) könnte also bereits während des immensum bellum ausgegeben worden sein der auf Augustus verweisende CA 58 1/2 (ebenfalls nur einmal in K'riese) ist mit Werz bereits 9 anzusetzen, wenn die Datierung nicht auf einem Zirkelschluss basiert (Datierung 9,weil Fund in K'riese), dann ist gegen diese Münze in Kalkriese (vor der Hintergrund, dass man in K'riese die Varusschlacht sieht) nichts auszusetzen.

Ich tippe immer noch auf das Gefecht des Tiberius gegen die Brukterer, welches bei Sueton beschrieben wird und bei dem der Caesar knapp einer Niederlage entronnen ist. Das ist aber meine persönliche Einschätzung.
Eigentlich beschreibt Suteon, dass ein Brukterer sich Tiberius genähert habe, aber wegen seiner Nervosität aufgefallen sei und daher dann unter Folter zugab, dass er Tiberius habe ermorden wollen.
 
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