Was sind die Folgen des Zerfalls der Sowjetunion für Europa?

Der zentrale Aspekt dreht sich um die Frage der "Polarität". Während der Zeit des "Kalten Krieges" ging man von einer bipolaren Weltstruktur im Bereich der Außen- und Militärpolitik aus.

Nach der relativ friedlichen Implosion der UdSSR gab es die Phase der militärischen Hegemonie der USA, die als unipolares Weltsystem bezeichnet worden ist.

Mit dem Anwachsen der Wirtschaftskraft von China und der Restrukturierung der Außenpolitik in Russland, inklusive der Anpassung der Armee an die aktuelle Situation, kann man zunehmend von einem multipolaren System sprechen.

Andere Akteure, wie die EG oder Indien, müssen in dieser neuen Weltordung in einer Mischung aus Koopration und Konfrontation ihre Rolle finden.

Das bedeutet für Deutschland die Frage zu beantworten, die eigentlich schon beantwortet ist, wieviel nationalistische Politik noch hilfreich ist, die Position im Weltsystem zu fördern.

Somit ist es eine große Herausforderung - als kollektives Lernen staatlicher Akteure - dass die Nationalstaaten in Europa, eine neue Form der supranationalen Interessenvertretung entwickeln. Und damit sich von dem klassischen - auch europäisch geprägten - Modell des traditionellen Nationalstaates verabschieden.


http://www.bpb.de/apuz/25572/deutsc...ewicht-der-grossen-maechte-und-regionen?p=all
 
Die direkte Folge war natürlich die Entstehung "neuer" unabhängiger Staaten in Europa wie Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Georgien usw. In der Rückschau erscheint es mir offensichtlich, dass die Auflösung der Sowjet-Union in ihre Teilrepubliken keine Lösung für die ethnischen Konflikte in Osteuropa und im Kaukasus brachte. Die Liste der bewaffneten Konflikte in den ehemaligen Sowjet-Republiken seit 1991 ist jedenfalls lang.

Indirekt wirkte die Auflösung der Sowjet-Union auch auf Jugoslawien. Dass sozialistische Vielvölkerstaaten aufgelöst werden können, konnte nach dem Präzedenzfall UdSSR als bekannt vorausgesetzt werden.
 
Die Gründe der Auflösung Jugoslawiens sind vielfältig, komplex, und langfristig angelegt.

Die Wirkmacht der Auflösung der SU besteht wohl weniger in Signalwirkung, Vorbild oder Blaupause oder nur Impulsgeber,
als vielmehr darin,
dass eine ökonomische Abstützung des jugoslawischen Vielvölkerstaates während des Kalten Krieges in Gestalt der SU durch deren eigene massive ökonomischen Probleme und der beginnenden politischen Auflösung schlicht wegfiel.
 
Um mal aus dem Zentraleuropäischen Raum heraus zu gehen, würde ich auch perspektivisch die Unabhängigkeit des südlichen Kaukausus und vor allem die der heutigen zentralasiatischen Staaten unbedingt noch thematisiert haben wollen, einfach weil sich dadurch völlig neue Globalpolitische Konfrontationszonen aufgetan haben oder es in naher Zukunft tun werden.
Im Fall Abchasiens und Südossetiens ließe sich sicherlich darüber diskutieren ob man von einer dezidierten Fortsetzung der imperialistischen Politik des Zarenreiches und der Sowjetunion in diesem Raum reden kann.

Zentralasien finde ich demgegenüber hochspannend, weil dieser Raum eigentlich prädestiniert ist, im Rahmen imperialer Konkurrenz zu einem "neuen Balkan" zu werden, der sich als außenpolitischen Spielfeld sowohl Russlands, als auch Chinas eignet, während man die USA, so lange sich diese mit Pakistan gut stehen in diesem Raum auch nicht vollständig abschreiben sollte.
Bedenkt man allein die natürlichen Ressourcen Kasachstans, wäre ich nicht unbedingt überrascht, verlagerte sich der außenpolitische Schwerpunkt des heutigen Russlands mit zunehmendem erstarken Chinas wieder etwas von Europa weg, in diesen Raum hinein.
Auch wenn es bereits in der späten Sowjetunion, mit der Besetzung Afghanistans wieder eine Schwerpunktbildung in diesem bzw. dem unmittelbar angrenzenden Raum gab, kann man, denke ich im Bezug auf das Ende der Sowjetunon auch behaupten, dass aus russischer Sicht Europa als politische Priorität (Seit 2014 sieht dass natürlich etwas anders aus) und auch Fernost in Form von Nordkorea zunächst mal weitgehend erledigt hatte, mindestens was die Geltendmachung des eigenen außenpolitischen Einflusses betrifft und sich der Fokus weitgehend auf die südliche Region richtete.
 
Der Zusammenbruch der UdSSR beendete die direkte Rivalität mit der USA in Bezug auf die Frage, welches System überlegen sei.

Noch in den sechziger und siebziger Jahren wurde eine ernsthafte Diskussion über die Konvergenz beider politischer Systeme geführt (vgl. u.a. Brezinski u. Huntington, Kerr, Rose oder Sorokin). Dieses auch vor dem Hintergrund der im Westen intensiv geführten Diskussion um die "Technokratie" als politisches System.

Mit dem von Fukuyama ausgerufenen "Ende der Geschichte" oder von Bender vermuteten "Ende des ideologischen Zeitalters" fiel auch die ideologische Rivalität im Bereich des Wirtschafts- und Sozialsystems weg.

Diese Form der Rivalität, wie bei Kaelble beschrieben hatte, war aber ein zentraler Motor des sozialen Wandels vor allem an der Schnittstelle zwischen den Systemen. Das Ergebnis dieses Systemwettbewerbs war u.a., dass die BRD und da auch West-Berlin (vor allem das KaDeWe) das "Schaufenster" des Kapitalismus waren und die Überlegenheit der Sozialen Marktwirtschaft dem Ostblock zu signalisieren hatten.

Im Ergebnis fühlte sich der "demokratische Kapitalismus" in seiner US-Prägung als der Systemgewinner und rückwirkend als die "politische und wirtschaftliche Software" die sich als überlegen herausgestellt hatte. Und forcierte als Resultat in den neunziger Jahren das Tempo der Umgestaltung des ehemaligen Ostblocks nach seinen ideologischen Vorstellungen.

Für das vereinigte Deutschland bedeutete es in den alten Bundesländern den Rückbau des ursprünglichen Sozialstaates und in den neuen Bundesländern die brutale Sanierung der Wirtschaftsstruktur durch die Treuhand in Zusammenarbeit mit Consulting-Unternehmen.

Es ist somit kein reiner Zufall dass sich der Neo-Liberalismus in dieser Phase massiv auf der politischen Agenda festsetzte und die Politik vor sich her trieb. Einer, bei dem man nicht genau sagen kann, ob er "Getriebener" oder "Treiber" war, war Schröder . Aber "sein Reformwerk" aus dieser Hochphase des Neo-Liberalismus beschäftigt uns noch heute. Und die Spätfolgen der brachialen "Sanierung" der neuen Bundesländer kann man u.a. auch an Wahlergebnissen ablesen.

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass eine Wirtschaftsform überlebt hat, die den Wettbewerb zum zentralen Motor einer Optimierung von Marktmechanismen erklärt hat, aber ihrerseits - als Ideologie - keinen Wettbewerber neben sich dulden will.

Ob diese Entwicklung auch zu den Fehlentwicklungen einer globalisierten "Risikogesellschaft" geführt hat, mag jeder für sich beantworten.

Bender, Peter (1981): Das Ende des ideologischen Zeitalters. Die Europäisierung Europas.
Brzezinski, Zbigniew Kazimierz; Huntington, Samuel P. (1967): Politische Macht USA/UdSSR. Ein Vergleich. Frankfurt a. M, Wien, Zürich: Büchergilde Gutenberg.
Fukuyama, Francis (2006): The end of history and the last man. New York, N.Y., London: Free Press.
Kaelble, Hartmut (2011): Kalter Krieg und Wohlfahrtsstaat. Europa 1945-1989. München: C.H. Beck
Kerr, Clark (1983): The future of industrial societies. Convergence or continuing diversity? Cambridge u.a.: Harvard Univ. Press.
Rose, Günther (1974): Industriegesellschaft und Konvergenztheorie. Genesis Strukturen Funktionen. Berlin: VEB Deutscher Verl. d. Wiss.
Sorokin, Pitirim Aleksandrovich (1964): The basic trends of our times. New Haven: College & University Press.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was sicher wichtig war für die 90er Jahre, aber auch die Nullerjahre ist das es keine Alternative gab und in gewisser weise konnte auch niemand mehr drohen.

Japan und Südkorea konnten mit der Drohung sie würden kommunistisch werden, immer wieder bei den USA Sonderrollen erhalten.

So konnten beide Staaten obwohl die USA für sie offen war, ihre eigene Industrie durch Zölle schützen und aufbauen.

Heute mit dem Washingtoner Konsens geht dies nicht mehr.
 
Zurück
Oben