lend-lease: die US-Lieferungen an die Sowjetunion 1941-45

"Trotz des raschen deutschen Vormarschs hatten die Sowjets 1941 einen Großteil ihrer Rüstungsbetriebe in den Ural und nach Sibirien in Sicherheit verlagert. "
Gerade auf LeMO gesehen: LeMO Kapitel: Zweiter Weltkrieg
Es wäre interessant zu wissen wie groß der Umfang war.

Denn eine solche Aktion: Dokumentation einer Fabrik sichern und ergänzen, Abbauen, Verladen, Transportieren Ausladen, wieder Zusammensetzen und mit teilweise neuem Personal wieder in Betrieb nehmen, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Vor allem dann wenn es sehr schnell gehen muss.
Qualitätsfördernd ist ein solcher Umstand in keiner Weise.

Kennt jemand Zahlen zum Ausmaß der Aktion?

Ich hab leider noch nichts gefunden, was zitierfähig wäre.

Ich hab es (wieder) gefunden. Overy - The Bombing War- S. 201ff – nennt folgende Zahlen:
„In den sechs Monaten von Juli bis Dezember [1941] wurden 2.593 Firmen zusammen mit 25 Millionen Arbeitern und ihren Familien verlagert. Die industrielle Arbeitnehmerschaft im Gebiet des Urals wuchs um 36% und die in Westsibirien um ein Viertel. Diese Umzüge fanden unter den schwierigsten Bedingungen statt....
dennoch wurden zwischen Juli und Dezember 5.173 moderne sovietische Kampfflugzeuge produziert, gegenüber einer deutschen Produktion von lediglich 1.619. Im Folgejahr wurden 9.918 sovietische Kampfflugzeuge hergestellt, alle neuester Hochleistung, gegenüber 4.542 deutschen.“

(Übersetzung durch mich)

Man versuche sich das vorzustellen: Fabriken mit 25 Millionen Arbeitern werden in einer Zeit höchster Anspannung und Gefahr innerhalb eines halben Jahres über ein paar tausend Kilometer verlagert um dann in höchster Eile wieder den Betrieb aufzunehmen.
Es übersteigt meine Vorstellungskraft, dass ein derartiges Unterfangen nicht mit Qualitätsdefiziten der Produktion einherging.
Ob das lend-and-lease in diesem Halbjahr bereits erhebliche Wirkung entfaltete weiß ich nicht.
Es wäre aber eine interessante Frage.
 
Am wichtigsten waren wohl die Aliminiumlieferungen und hochoktanige Flugbenzin, ohne die die russische Luftwaffe nicht aufgebaut worden wäre. Nach Beginn des deutschen Angriffs hat der amerikanische Botschafter in Moskau, Harry Hopkins, Stalin gefragt, was das dringendste für die russische Kriegsindustrie sei. Aluminium und Hilfe beim Aufbau der Luftwaffe hatte die höchste Priotität. Bei dem Treffen hat Stalin auch geäußert, dass die größte Bedrohung von der deutschen Luftwaffe ausgeht.

Ca. 75% aller Maschinen der Luftwaffe gingen im Kampf gegen die Westallierten verloren. Dabei waren es meistens die besten Piloten und die neusten Maschinen, also grob geschätzt ca. 85% der Gesamtstärke der Luftwaffe, dabei sind die Flakgeschütze nicht berücksichtigt. Durch die Bindung des Großteils der Ressourcen der Luftwaffe im Westen und Mittelmeer und materielle und technische Hilfe beim Aufbau der russischen Luftwaffe, war es für die Russen überhaupt möglich, Krieg in der Luft zu führen und die deutsche Luftunterstützung für die Bodeneinheiten zu verhindern.

Irgendwo habe ich gelesen, dass gewalzter Stahl, der über Lend Lease kam, für die Panzerherstellung von Bedeutung war. Laut dem Artikel konnte die heimische Produktion den eigenen Bedarf langfristig nicht decken. Zhukov hat einmal in den 60ern in einem Interview erzählt, dass ohne die materielle Hilfe der Amerikaner der Krieg nicht zu gewinnen war. Dabei hat er die Menge an Stahl und ihre Bedeutung für die Panzerproduktion hervorgehoben. Ich nehme an, mit Stahl meinte er an der Stelle eben diesen gewalzten Stahl.

Die Lend Lease Liste ist sehr lang. Der Nutzen der Lieferungen lag nicht nur in der Menge, sondern auch in der Art der Lieferungen, da es sich um technisch hochwertiges und zuverlässiges Material handelte, das in der Sowjetunion nicht oder nur in geringen Mengen hergestellt werden konnte. Z.B. hochwertige elektrische Motoren und Kupfer für die Industrie und andere Ausrüstung und Chemikalien, die sie braucht. FM Radios, die die Sowjetunion in dieser Menge und Qualität nicht bereitstellen konnte oder Kabeln. Zahlreiche Fahrzeuge, die im Bezug auf Außenschutz, Belastbarkeit, Schnelligkeit und vor Allem technische Zuverlässigkeit allem, was die sowjetische Industrie bereitstellen konnte(und falls sie es überhaupt konnte, weil Kautschuk fehlte), weit überlegen war. Im Rahmen des ersten Lend Lease Protokolls sollte die UdSSR bis Ende 1942 100.000 Fahrzeuge erhalten. Zwar bekam sie in dieser Zeit nur ca. 33.000, aber konzentriert an den Hotspots der Front mussten sie die Armeen bei der Schlacht um Stalingrad im Bezug auf Nachschubeffizienz und Aufklärung enorm gestärkt haben.

Dann war ja auch noch die Nahrung da, wie der Kommentator vor mir bereits sagte. Nicht nur durch den Verlust der Ukraine, sondern durch den Abzug der Bauern aus der Landwirtschaft für die Kriegsindustrie war die Lend Lease Nahrung wichtig. Hier muss wieder die Hochwertigkeit hervorgehoben werden. Es handelte sich um Fleisch, Fette und Gemüse, die die Arbeiter der Kriegsindustrie und Soldaten nicht nur mit Kalorien versorgte, sondern Vitamine und Proteine bereitstellte, die sie gesund und stark hielt.

Auch die Waffen waren nicht unwichtig, weil sie zuverlässig waren. Die Panzer z.B. waren im Bezug auf die Stahlqualität, motorische und technische Zuverlässigkeit den russischen überlegen. Dass der Turm nicht richtig dreht, der Motor nicht richtig gefiltert wird und an Leistung verliert oder dass der Laufwerk durch zu viel Erde zwischen den Laufrollen ausfällt usw., musste man sich bei ihnen nicht sorgen.


Ich möchte am Rande noch hervorheben, dass die größte Hilfe der Allierten nicht durch Lend Lease, sondern durch Bindung deutscher militärischer Ressourcen an anderen Kriegsschauplätzen geleistet wurde. Allein was die Marine an Ressourcen verschlang, übetraf die Panzerproduktion, oder all die Flakgeschütze außerhalb der Ostfront, die an Anzahl wahrscheinlich höher waren als die Paks und Artillerie dort. Auch die Bindung der Bodenkräfte war nicht unwichtig. Während der Schlacht um Stalingrad war die 5. Panzerarmee z.B. in Tunesien gebunden. Sie war praktisch vollkommen frisch und an Ausrüstung und Ausbildung jeder deutscher Armee zu der Zeit überlegen. Wäre sie im Kaukasus zu der Zeit, wäre der Russe bei Stalingrad nicht durchgekommen. Am allerwichtigsten war aber die Bindung der Luftwaffe im Westen. Ohne Luftüberlegenheit, Lufttransport, Luft-zu-Boden Unterstützung und Angriffe gegen den Nachschub des Feindes hatte das Ostheer viel schlechtere Karten. Es war auch dieser Waffenteil, der am meisten Industriekapazität absorbierte. Über die Hälfte der deutschen Industrie war auf Produktion von Flugzeugen ausgerichtet. Als Stalin sagte, dass die größte Bedrohung für die Sowjetunion die deutsche Luftwaffe darstellt, lag er vollkommen richtig.
Das die Aluminiumlieferungen von herausragender Bedeutung waren ist richtig und wurde hier schon in dem Thread "Boris Sokolov und die Rolle des Lend und Lease" diskutiert. Obwohl die Russen anfingen beim Flugzeugbau viel mit Holz zu substituieren, begrenzte das verfügbare Aluminium den Output. Silesia hat in dem Zusammenhang geschrieben, daß die sowjetische Flugzeugproduktion zu 60 Prozent von alliierten Aluminiumlieferungen abhängig war. Das der See und Luftkrieg mit den Alliierten enorme Ressourcen verschlang ist ein interessanter Aspekt. Laut Adam Tooze konnte Deutschland deswegen während des gesamten Krieges nur ca 50 Prozent seines militärischen Potenzials gegen die SU mobilisieren. Hast du eine Quelle, das bis Ende 1942 nur 30000 LKWs geliefert wurden? Auf der ersten Seite dieses Threads steht doch, das bis zum Ende des 1 Moskauer Protokolls August 1942 schon 85000 LKW geliefert wurden.
 
Eine neue Publikation zum Thema Nahrungsmittelversorgung. Ein Beitrag geht auf die Lend-Lease-Anteile in der Nahrungsversorgung der Roten Armee ein.

Nur unwesentliche Teile der gelieferten Nahrungsmittel entfielen auf die Zivilbevölkerung (Reservierung für die Rote Armee), während allerdings bei den kalorischen Kalkulationen im Beitrag sicher noch eine Marge von evt. 1/4 oder mehr abgezogen werden muss (die auf dem Transportweg in der Bürokratie versickert sein dürfte - das übersehen die Autoren):

„During the first twelve months following the German invasion, Allied food aid, which „during this early period came mostly from Britain and Canada, would have provided each Soviet soldier the equivalent of around 760 calories a day, .... This rose to 1,160 calories a day (29 percent of all calories) between July 1942 and June 1943; then to 2,010 calories a day (50 percent of all calories) between July 1943 and June 1944; and finally fell to 1,620 calories a day (40 percent of all calories) from July 1944 to June 1945.“

Goldmann/Filtzer: Hunger and War - Food Provisioning in the Soviet Union during World War, 2015.

Die Aussage ist klar: agroökonomisch war der Verlust der Westgebiete eine Katastrophe. Massive Hungerprobleme beherrschten den verbliebenen Osten, sogar kriegswichtige Rüstungsindustrie, die miserabel "versorgt" wurde. Die Masse der Kalorienversorgung der Roten Armee erreichte die SU 1943/44, aber auch schon die Anteile 1942 sind kausal nicht wegdenkbar:

„Without a spoon, just as without a rifle, it is impossible to wage war.
Aleksandr Lesin, Tagebucheintrag 29.3.1942
Was hätte ein Wegfall dieser Lieferungen konkret für Auswirkungen gehabt? Absinken der Industrieproduktion wegen Mangelernährung? Nach 1941 hatten die Sowjets aber auch nur noch rund 140 Millionen Menschen zu versorgen wegen der Gebietsverluste? Hätte der Bedarf für diese nicht mit dem restlichen russischen Gebiet gedeckt werden können?
 
Was hätte ein Wegfall dieser Lieferungen konkret für Auswirkungen gehabt? Absinken der Industrieproduktion wegen Mangelernährung? Nach 1941 hatten die Sowjets aber auch nur noch rund 140 Millionen Menschen zu versorgen wegen der Gebietsverluste? Hätte der Bedarf für diese nicht mit dem restlichen russischen Gebiet gedeckt werden können?

Welche Auswirkungen das konkret gehabt hätte, lässt sich schwer abschätzen, weil es darauf ankommt, wie die sowjetische Führung die verfügbaren Ressourcen verteilt hätte, wenn die Unterstützung durch die Westmächte ausgeblieben wäre.

Im Hinblick auf die verbliebenen Versorgungskapazitäten geht es ja nicht nur um vorhandenes Gebiet, sondern auch um die klimatischen Bedingungen, die Zeit Flächen so zu bearbeiten, dass sie landwirtschaftlich überhaupt zu bewirtschaften gewesen wären, Mangel an Arbeitskräften, durch die Einziehung der jungen Männer in die Armee, Verlust von landwirtschaftlich benötigtem Nutzvieh und Maschinen und nicht zulestzt auch der Saatgetreides für das kommende Jahr und auch das Eisenbahnsystem, das benötigt wurde um die Nahrungsmittel zu verteilen, dass für eine Ausrichtung auf andere Produktionsregionen hätte umgebaut werden müssen.

So kurzfristig wäre es wahrscheinlich nicht möglich gewesen, die Versorgung von Bevölkerung UND Armee aus anderen Gebieten zu bestreiten.
 
Das die Aluminiumlieferungen von herausragender Bedeutung waren ist richtig und wurde hier schon in dem Thread "Boris Sokolov und die Rolle des Lend und Lease" diskutiert. Obwohl die Russen anfingen beim Flugzeugbau viel mit Holz zu substituieren, begrenzte das verfügbare Aluminium den Output. Silesia hat in dem Zusammenhang geschrieben, daß die sowjetische Flugzeugproduktion zu 60 Prozent von alliierten Aluminiumlieferungen abhängig war.

Hallo,

Ich entschuldige mich für die Wiederholung. Habe die älteren Kommentare nicht richtig gelesen, sondern sie nur überflogen. Mein Fehler.

Das der See und Luftkrieg mit den Alliierten enorme Ressourcen verschlang ist ein interessanter Aspekt. Laut Adam Tooze konnte Deutschland deswegen während des gesamten Krieges nur ca 50 Prozent seines militärischen Potenzials gegen die SU mobilisieren. Hast du eine Quelle, das bis Ende 1942 nur 30000 LKWs geliefert wurden? Auf der ersten Seite dieses Threads steht doch, das bis zum Ende des 1 Moskauer Protokolls August 1942 schon 85000 LKW geliefert wurden.

Ich würde sogar spontan sagen, dass es noch weniger als 50 Prozent waren. Wenn man alle Industriekapazitäten Deutschlands aus der Zeit des 2.WK unter Lupe nähme, sprich alle Ressourcen, die an die Ostfront und die Westfront gingen, fielen vielleicht um die 60 bis 65% auf die Fronten außerhalb der Sowjetunion. Allein die Kosten der V1 und V2 Programme, der U-Bootbau, der Bau der FlaK, die ab einem bestimmten Zeitpunkt mehr Geschütze hatte als die PaK und Artillerie zusammen, der Atlantikwall, die Verluste der Luftwaffe, die hohen Entwicklungskosten all der verschiedenen Flugzeuge, und auch die Verluste der Bodenkräfte der Wehrmacht im Westen. Ich sehe häufig das Argument, Die Sowjets haben 80% aller Kräfte der Wehrmacht vernichtet. Dies könnte höchstens für die Bodenkräfte der Wehrmacht stimmen, aber auch da bin ich skeptisch. Allein der Afrikakrieg kostete die Wehrmacht 200.000 Soldaten. An der Westfront gerieten bis Kriegsende zwischen drei bis vier Millionen in Kriegsgefangenschaft. Einige kamen aus dem Osten natürlich, aber selbst bei einer bis zwei Millionen wäre die Zahl schon hoch. Spontan würde ich sagen, dass auf die Ostfront 65 bis 70 Prozent der Verluste der Bodenkräfte fielen.

Wie ich auf die die Zahl von 30.000 LKWs im Rahmen des ersten Lend-Lease Protokolles kam, weiß ich nicht mehr. Vielleicht habe ich mich auch geirrt. Evtll waren es 85.000, die bestellt oder versendet wurden, aber nur 30.000, die rechzeitig oder überhaupt ankamen. Ich muss nochmal schauen, wo ich das herhatte.


Was hätte ein Wegfall dieser Lieferungen konkret für Auswirkungen gehabt? Absinken der Industrieproduktion wegen Mangelernährung? Nach 1941 hatten die Sowjets aber auch nur noch rund 140 Millionen Menschen zu versorgen wegen der Gebietsverluste? Hätte der Bedarf für diese nicht mit dem restlichen russischen Gebiet gedeckt werden können?


Die Nahrungsmittel aus dem Westen waren in erster Linie deshalb wichtig, weil sie leicht transportabel und lange haltbar waren, konnten daher selbst bei Frontenverschiebungen weitertransportiert werden. Was ich mich frage ist, ob die Sowjetunion die Mittel hatte, nahrhafte Nahrungsmittel aus eigener Produktion in ausreichender Menge an die Front zu bringen, bevor sie verdarben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben