Homo Erectus dachte noch nicht wie moderne Menschen?

El Quijote

Moderator
Teammitglied
Die ältesten Formen unseres Vorfahren Homo erectus haben aus Afrika heraus die ganze Welt besiedelt. Ihr Gehirn ähnelte dabei aber zumindest am Anfang weniger dem eines modernen Menschen als dem eines Menschenaffen. Dies schließen zumindest Forscher um Marcia S. Ponce de León von der Universität Zürich und Kollegen, nachdem sie Schädel einiger besonders alter Exemplare von H. erectus mit modernsten Verfahren analysiert haben, um die Gehirnstruktur der Hominiden exakter zu modellieren.

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Die OriginalÜS bei Spektrum lautet:
Älteste Menschen dachten noch nicht wie Menschen

Das ist vielleicht ein wenig zu sehr darauf ausgerichtet, Aufmerksamkeit zu erregen, meine ÜS ist aber auch doof, weil es eigentlich logisch ist, dass der H. erectus nicht dachte, wie wir. Auf der anderen Seite werden uns im Forum ja immer wieder gerne Schimpansen oder wahlweise Bonobos vorgeführt, um daraus (fragwürdige?) Rückschlüsse auf den Menschen zu ziehen.


 
Die Frage betrifft zwei Aspekte, die interaktiv sind.

Zum einen wird man im Rahmen der Evolution eine biologische Veränderung erkennen können. Die im physiologischen Sinne ein "größeres Gehirn" erkennen läßt, das eine erhöhte Leistungsfähigkeit aufweist.

Diese erhöhte Leistungsfähigkeit schlägt sich im materiellen Sinne in der Fähigkeit nieder, komplexere soziale Strukturen zu erzeugen. Diese komplexeren Strukturen wirken dann allerdings als Prozess der Zivilisation zurück auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns.

Damit verbunden ist die Fähigkeit der zunehmenden Abstraktionsfähigkeit und der ethisch moralischen Bewertung von uns selbst, als Reflektion, und unserer Umwelt.

Den vorläufig letzten Teil der Veränderung in Richtung neuzeitlicher Identität hat beispielsweise Taylor beschrieben.

Und weiter ausgearbeitet wurde es u.a. über die Arbeiten von Piaget & Kohlberg im Rahmen einer entwicklungspsychologischen Sicht auf das "moralische Urteil".

Taylor, Charles (2012): Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität. Unter Mitarbeit von Joachim Schulte. 8. Auflage. Frankfurt am Main, Frankfurt am Main: Suhrkamp
 
@thanepower Du romantisierst. Ich seh nicht, wie die komplexe soziale Struktur der Bonobos, zu immer mehr Hirnvolumen führte.

Die Frage ist doch, welche genetische Veränderung am Anfang stand, die letztendlich zu mehr Hirnvolumen, Sprache und aufrechtem Gang führte.

Da sag ich mal: Am Anfang war der Daumen. Oder besser gesagt, die Beweglichkeit des Daumensattelgelenks.
Erst dadurch waren filigrane Bearbeitungen und kraftvoller Werkzeuggebrauch möglich.
Erst dadurch wurde ein Stock zur Pike oder Speer, was Verteidigung oder Angriff erst ermöglichte und die Ernährunglage extrem verbesserte.
Und je aufrechter der Gang, desto besser der "Daumen".

no front.
 
Ich seh nicht, wie die komplexe soziale Struktur der Bonobos, zu immer mehr Hirnvolumen führte.
Das verstehe ich nicht. Bonobos sind mit dem homo sapiens in etwa so verwandt wie Geschwister, stehen aber in der Entwicklungskette des Menschen nicht vor ihnen wie ein Vater oder eine Mutter.
 
@thanepower Ich seh nicht, wie die komplexe soziale Struktur der Bonobos, zu immer mehr Hirnvolumen führte.

Das kommt darauf an, was man bei der Entwicklung der menschlichen Intelligenz als bestimmenden Faktor ansieht. Ist das der Werkzeuggebrauch, kommt die soziale Struktur va ins Spiel, wenn es um die Weitergabe dieser Fertigkeiten geht. Es gibt aber auch andere Sichtweisen. Ich halte die menschliche Intelligenz (und die menschliche Imagination, vgl Signatur) va für ein Produkt der sexuellen Selektion. Dh es waren die anderen Menschen, die darin ein attraktivers Merkmal sahen, dass sich dann via Evolution durchsetzte. Das funzt nicht ohne komplexes soziales Verhalten und eine entsprechende Sozialstruktur.
 
Die Frage betrifft zwei Aspekte, die interaktiv sind.

Zum einen wird man im Rahmen der Evolution eine biologische Veränderung erkennen können. Die im physiologischen Sinne ein "größeres Gehirn" erkennen läßt, das eine erhöhte Leistungsfähigkeit aufweist.

Ist es denn zwingend, dass ein grösseres Gehirn eine grössere Leistungsfähikgeit bedingt ? Meines Wissens hatte der Neandertaler sogar ein grösserers Gehirn als der heutige Durschnittsmensch.
 
Ist es denn zwingend, dass ein grösseres Gehirn eine grössere Leistungsfähikgeit bedingt ?

Ich bin kein Evolutionsbiologe, aber die Antwort ist aus meinem Kenntnisstand, ja. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der evolutionären Anpassung unseres Körpers an unser Verhaltenspotential. Das betrifft unsere Sinne, unsere Nahrungsaufnahme, unsere motorischen Möglichkeiten und unsere Fähigkeit der Verarbeitung von Informationen.
 
Diese erhöhte Leistungsfähigkeit schlägt sich im materiellen Sinne in der Fähigkeit nieder, komplexere soziale Strukturen zu erzeugen. Diese komplexeren Strukturen wirken dann allerdings als Prozess der Zivilisation zurück auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns.
Führt eine solche Betrachtung nicht zum Sozialdarwinismus?
 
Nein, wieso? Diejenigen, die sich in der biologischen Evolution gegenüber anderen besser an ihre Umwelt angepasst haben, konnten die Biotope erfolgreich besetzen und haben andere Wesen symbiotisch akzeptiert, gezielt als Beute betrachtet oder als "Jäger" verdrängt.

Diese Anpassung erfolgt als zufälliger genetischer Anpassungsprozess, indem durch Mutationen Organismen erzeugt werden, die sich als anpassungsfähiger für bestimmte Überlebensformen in bestimmten Biotopen erwiesen haben.

Sozialdarwinismus bezeichnet dagegen eine gezielte, ideologisch begründete Präferenz angeblich überlegenen Merkmalen und der damit zusammenhängenden Vorstellung einer Über- oder Unterordnung unter eine "natürliche Hierarchie".
 
Wenn sich "komplexere soziale Strukturen" "auf die Leistungsfähigkeit des Gehirns" auswirken, wieso sollte das nicht zum Sozialdarwinismus führen?

Zumal es ja eben nicht so ist, wie Du anschließend schreibst: "Diese Anpassung erfolgt als zufälliger genetischer Anpassungsprozess, indem durch Mutationen Organismen erzeugt werden, die sich als anpassungsfähiger für bestimmte Überlebensformen in bestimmten Biotopen erwiesen haben."
Mutationen mögen wohl sehr selten einen Anstoß geben, doch den überwiegenden Anteil an der biologischen Anpassung hat die Sexualität.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mutationen sind nicht zielgerichtet sondern rein zufällig.
Zwar ist deren Auftreten zahlreich, doch nahezu immer zerstörerisch.
Das ist ungefähr so, als würdest Du mit einem Hammer auf den Computer schlagen, und wenn Du das oft genug machst, kommt irgendwann was Besseres raus, meistens aber ist er kaputt.
Sexualität (Gates lässt sich von Jobs befruchten, auch das ist Sexualität) kann eine ungleich höhere Dynamik entfalten,
und auch den schädlichen Einfluss der Mutationen in Schach halten.
Genforschung: Sex schützt vor Mutanten .
 
Hallo

1. Ich hbae da so meine Zweifel an der These im Artikel,nicht so sehr was die Folgerungen angeht,aber in Bezug auf die statistische Relevanz (1 datierter Schädel aus der fraglichen frühen Zeit nach der Auswanderung aus Afrika ist halt arg wenig).
2. Viel spannemder finde ich die Frage warum diese Veränderung (es geht ja primär nicht um die Vergrößerung des Gehirns an sich,sondern um die Vergrößerung einens bestimmten Areals), erst nach der Auswanderung erfolgte. Was war in Afrika anders als in Europa um dieses Areal zum Wachstum "anzuregen " ? Hat es etwas mit den veränderten, ev. schwierigeren Umweltbedingungen zu tun. Verlangte Europa andere Strategien zum Überleben als Afrika ?

mfg
schwedenmann
 
Mutationen sind nicht zielgerichtet sondern rein zufällig.
Zwar ist deren Auftreten zahlreich, doch nahezu immer zerstörerisch.
Das weiß ich doch. Ein interessantes Beispiel habe ich mal in anderem Zusammenhang angeführt:
Aussterben der Neandertaler
Eine Mutation bei der Blumenart Mimulus guttatus, die unter "normalen" Umweltbedingungen schädlich ist, kann sich unter anderen Umweltbedinungen (hier kupferverseuchte Böden) als Vorteil erweisen.
Ohne Mutationen hätten wir keinen Daumen, kein Gehirn, wir hätten es noch nicht einmal zum Einzeller geschafft. Von Sex ganz zu schweigen.

EDIT: Der Link im verlinkten Beitrag funktioniert nicht mehr.
Mimulus is an emerging model system for the integration of ecological and genomic studies | Heredity
 
Ohne Mutationen hätten wir keinen Daumen, kein Gehirn, wir hätten es noch nicht einmal zum Einzeller geschafft. Von Sex ganz zu schweigen.
Ganz meine Meinung.

Sex ist sehr wichtig, weil er viel Verschiedenes zusammenbringen und vermischen kann. Die Vielzahl der Varianten, die sich aus dieser Vermischung ergeben, machen wohl den Erfolg der sexuellen Fortpflanzung aus.

Auch bin ich der Ansicht, dass die relative Große des Gehirns schon etwas über seine potentielle Kapazität aussagt. Das Gehirn ist auch nur ein Organ, und wie alle Organe wächst es mit seinen Aufgaben. Will sagen: Ein untrainiertes Gehirn ist wie ein untrainiertes Herz oder Lunge oder Muskel: Sie alle bringen weniger Leistung als sie es bringen könnten.

Es dürfte klar sein: Auch ein relativ kleines Gehirn kann durch Training zur Höchstleistung bzw. an seine Leistungsgrenze getrieben werden. Das gleiche Training brächte ein größeres zwar auch zur gleichen Leistung, aber nicht an seine Leistungsgrenze.

Wenn das stimmte, dürfte der Neandertaler mit seinen größeren Gehirn gegenüber Homo Sapiens nicht aussterben. Aber er starb aus. Es könnte sein, dass das mit der mangelnden Diversität im Genpool des Neandertalers zusammenhing, weil es wohl zu wenig Gelegenheiten zu sexueller Vermischung gab. Auch lebte er sehr lange in gleicher Umgebung, was u.U. intellektuell wenig herausfordernd sein dürfte. Das im Gegensatz zum Homo Sapiens, der sich auf seiner Reise out of Africa immer neuen Herausforderungen stellen musste. Sie zu bewältigen erforderte Innovation, was mit intellektueller Anstrengung verbunden war. Intellektuelle Anstrengung kann man mit Gehirntraining übersetzen.

Man könnte auch sagen: Der auch körperlich überlegene Neandertaler machte zu wenig aus seinem intellektuellen Potential, während der Homo Sapiens sein Potential ausschöpfte. Eine klassische David und Goliath Konstellation.

Was meinen die Forumsexperten auf diesem Gebiet dazu?
 
Die Forumsexperten meinen, dass hier überwiegend unreflektierte Frühlingsgefühle die Debatte umwehen. Andererseits Sex ist immer wichtig, da bin ich ganz bei Euch. Und den Forumsexperten.
:p
 
Sachlich möcht ich nachtagen, dass bei Gehirnen nicht die Frage der Masse im Vordergrund steht, sondern die Effizienz der Benutzung, die sich nach aktueller Lehrmeinung am Ehesten an der Zusammensetzung der Hirnmasse ablesen lässt.
Stichwort Verhältnis Graue gegen Weisse Hirnmasse. Da sich die genaue Zusammensetzung aber an den fossilen Fundobjekten in der Regel nicht bestimmen lässt, möchte ich bittschön zur Vorsicht raten.

Es scheint mir angezeigter, andere Hinweise als nur den Schädel für die Frage der eigenen Ahnenreihe in Betracht zu ziehen. Von daher ist die Debatte hier ja schon auf einem guten Weg, alldieweil sie in Richtung Hüfte zu zielen schien. Heuristisch wäre es sehr empfehlenswert, die eigene Postion genauer zu hinterfragen.

WIE wichtig genau (Angabe bitte hier in Prozent eintragen) ist es für die Kulturelle Evolution der Menschheit, ob Werkzeuge hergestellt oder nur genutzt werden, ob gemeinsam getanzt wird, ob jemand das Rad erfindet? Hat es im 21. Jahrhundert noch eine hohe Relevanz, ob die Spezies Tote Artverwandte wie Müll beseitig oder ihnen Blumen ins Haar bindet und gemeinsam deren Ableben feiert?

Und auch, wenn ich es bereits vor einigen Jahren selbst hier schrieb: Bei der Sesshaftwerdung könnten standorttreue Obstbaumwiesen mit ihren gärenden Alkaloiden eine viel größere Rolle gespielt haben, als die Zusammensetzung des Gehirns oder die sexuelle Orientierung.

Solche Fragen und Ansätze wirken anfangs nebensächlich, liefern aber in Sachen Evolution überraschend logische Lösungen in letzter Zeit.
Wenn wir vorher in uns gegangen sind und die Frage etwas genauer definiert haben.
Die Debatte um die genaue Funktion von kulturellen Memen bzw. die menschliche Evolution verfolge ich am Liebsten bei Richard Dawkins, aber die breite Debatte zu diesen Fragen erreicht hier und in der Öffentlichkeit leider selten diese gebotene Tiefe.

Abschliessend noch etwas @edgar Mit einer statistischen Relevanz von annähernd 100 Prozent war am Anfang entweder die Henne oder das Ei. Capice?
 
Was ist ein Homo erectus?
In der Vergangenheit wurde diese Menschenart anhand ziemlich oberflächlicher physiologischer Merkmale konstruiert, insbesondere Überaugenwülste, Kinn und Zähne, spielten eine wichtige Rolle. Der Evolutionsbiologie Ernst Mayr fasste 1950 schließlich Java- und Peking-Mensch unter dem Begriff Homo erectus zusammen und seither firmieren Vormenschen unter dieser Bezeichnung.
Wenn jetzt Forscher die Hirnstrukturen von Homo erectus rekonstuieren, erforschen sie an einem Merkmal, dass Paläontologen u.a. vor ein paar Jahrzehnte noch gar nicht kannte. Bzgl. der Menschwerdung ist dieses Merkmal sicherlich wichtiger als z.B. die Gesichtsform. Das könnte zur Dekonstruktion des Homo erectus führen.

Zwichen frühen und späten Formen des Homo erectus liegen mehr als eine Millionen Jahre. In dieser Zeitspanne hat sich evolutionbiologisch offensichtlich mehr getan als man an der Gesichtsform ablesen konnte. Dieser Blick auf rekonstruierteHirnstrukturen mag neue Antworten geben.
Eine Untersuchung der Werkzeuge des Homo erectus wäre als Intelligenznachweis einfacher und zielführender, aber das macht man ja schon seit 100 Jahren.

Und auch, wenn ich es bereits vor einigen Jahren selbst hier schrieb: Bei der Sesshaftwerdung könnten standorttreue Obstbaumwiesen mit ihren gärenden Alkaloiden eine viel größere Rolle gespielt haben, als die Zusammensetzung des Gehirns oder die sexuelle Orientierung.
Diese Form des Sesshaftwerderung bedeutet eigentlich eine Rückkehr zur standorttreuen Lebensweise großer Menschenaffen wie Schimpansen und Bonobos.;)
 
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