Der Raubzug ins Wehntal

Naresuan

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Anfangs 15. Jh. verfassten verschiedene Zürcher Chronisten Handschriften, die allgemein als Chronik der Stadt Zürich https://www.geschichtsquellen.de/werk/1232 bezeichnet werden. Darin wird für den 16. August 1386, also im Jahr der Schlacht bei Sempach, ein Raubzug der Zürcher ins benachbarte Wehntal beschrieben, bei dem angeblich 1000 Kopf Vieh entwendet und nach Zürich geführt wurden. Das Wehntal gehörte rechtlich gesehen damals noch zum habsburg-österreichischen Amt Regensberg unter einem Landvogt.
Und fuoren also wol zwo mile von ünser statt in das Wental und namen da ainen großen rob, bi tusent höbten, und fuorten den mit üns dannan und wuosten und branden, was wir funden. e-Helvetica Access , Seite 187
Anschliessend kam es dann noch zu einem 5-stündigen Gefecht am Kråienstain bei Buchs (ZH) zwischen den Zürchern und etwa 300 Berittenen und viel Fussvolk auf der Habsburger Seite.
Andere Handschriften sprechen von 1200-1500 Stück geraubtem Vieh und 1500 Rittern bei der "Schlacht" am Krähenstein (heute: Krähstel)

Das Wehntal umfasst heute eine landwirtschaftlich genutzte Fläche von ca. 1000 ha. Laut einer Angabe des lokalen Tierarztes lebten 2016 darauf 1200 Kühe, Rinder, Schafe und Schweine. Es scheint mir unmöglich, dass 1386 dort auch soviel Vieh zu finden war. Die konsultierte Fachliteratur sieht für das ländliche Gebiet um Zürich bis ins 15. Jh. noch keine intensive Viehzucht. Man kann sogar davon ausgehen, dass überwiegend Ackerbau betrieben wurde und Vieh nur zur Selbstversorgung und/oder als Zugtiere gehalten wurde.
Die Zahl 1000 kann eigentlich nur eine masslose Übertreibung des Chronisten sein, es sei denn im Wehntal gab es damals eine bisher noch nicht entdeckte Viehzuchts-Ranch oder der Raubzug ging viel weiter als nur bis ins Wehntal. Beides ist sehr unwahrscheinlich.
Andererseits berichtet diese Chronik auch von anderen Raubzügen und gibt dabei nie eine Zahl an, sondern spricht höchstens von einem grossen Raub.
Raubzüge lassen sich durch zahlreiche Neuverleihungen in Lehensbüchern belegen. Die Grundbesitzer erliessen oft für einen gewissen Zeitraum einen Teil des abzuliefernden Zinses und ersetzten die gestohlenen Tiere, welche durch Ratenzahlungen der Lehensbauern zurückbezahlt werden mussten.
https://www.zuerich-geschichte.info/pdfs/Spaetmittelalterliche_Agrarkrise.pdf

Einige der Bauern, aber auch Grundbesitzer wurden durch solche Überfälle in den Ruin getrieben, spätestens nach einem weiteren Raubzug zwei Jahre später. Reiche Zürcher stellten Überbrückungskredite zur Verfügung und so kam dann immer mehr Grundbesitz und schliesslich auch die richterliche Gewalt über das Wehntal in Stadt-Zürcher Hände (1409).
Ich frage mich jedoch, wie man sich einen solchen Raubzug vorstellen soll. Angesichts der unübersichtlichen Lehensverhältnisse und unter dem Gesichtspunkt, dass auch Bürger der Stadt Zürich bzw. der dort ansässige Adel und Klöster Grundbesitz im Wehntal besassen (z.B. das Zürcher Grossmünsterstift in Oberweningen), wird die Auswahl des zu raubenden Viehs nicht ganz einfach gewesen sein. Planmässiges Vorgehen oder unkontrolliertes Plündern inklusive Schädigung "eigener" Betriebe? Oder haben wir es hier mit zwei Lagern auch innerhalb der Stadt zu tun, die beide das gleiche taten, aber die Chronisten berichten nur einseitig?
Leider kann ich aus den Einträgen in den Lehensbüchern nicht erkennen, wer die Täter waren, städtische Opfer (z.B. der Konvent St. Verena) jedoch schon.

Die Spiezer Chronik des älteren Diebold Schilling (zweite Hälfte des 15. Jh.) benennt übrigens die Zahl der geraubten Tiere auch mit 1000 und stellt uns sogar eine Illustration mit einigen davon zur Verfügung.
e-codices – Virtuelle Handschriftenbibliothek der Schweiz
Nebenbei: Weiss zufällig jemand, was die blaue Fahne mit den Buchstaben (EI oder F.I) auf österreichischer Seite zu bedeuten hat?
 
Ich glaube dass es sich dabei um einen "Tunierkragen mit 3 Lätzen" handelt, der in der seitlichen Ansicht wie eine Brücke wirkt.
Also kein "EI", zumal die Strichstärke unterschiedlich ist.
Sehr schöne Illustration.
 
Ich glaube dass es sich dabei um einen "Tunierkragen mit 3 Lätzen" handelt, der in der seitlichen Ansicht wie eine Brücke wirkt.

Das ist durchaus eine Möglichkeit. So wie z. B. im Wappen der Engelbrecht (elsässisches Adelsgeschlecht) – Wikipedia

Ich ging von Buchstaben aus, weil sie der Illustrator der Chronik auch an anderen Stellen zu benutzen scheint:
Seite 463 e-codices – Virtuelle Handschriftenbibliothek der Schweiz
Seite 452 e-codices – Virtuelle Handschriftenbibliothek der Schweiz

Reiterfahnen im 15./16. Jh. konnten manchmal abgekürzte Texte enthalten. So wie diese aus dem Cronicon Alsatiae:
strass.JPG

Die Initialen I.T.G.J.A.N. für "Ich Traue Gott Jn Aller Noth".

Man darf auch über ein Bilderrätsel spekulieren, vielleicht über die ganze Chronik verteilt. Ähnlich dem, was sein Neffe, der jüngere Diebold Schilling, in seiner Bilderchronik machte:
Eine kabbalistische Inschrift in Diebold Schillings Bilderchronik von 1513. OttoLauffer, Hamburg, 1936
 
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