1964 und 1984: Isolierte Aborigines-Gruppen ohne erwachsene Männer

Maglor

Aktives Mitglied
In der Großen Sandwüste Australiens sollten 1964 Raketentests durchgeführt werden. Diese Wüste galt als unbewohnt. Trotzdem wurde die Gegend nach Menschen abgesucht, was zum Aufeinandertreffen von Steinzeit und Atomzeitalter führte. Entgegen der Erwartung wurde eine 20-köpfige Gruppe der Martu entdeckt, die noch nie Kontakt mit Weißen hatte. Die Gruppe wurde dann zwangsweise evakuiert und zu einer Missionsstation gebracht. (Etwas Bekanntheit erlangte die Geschichte durch die TV-Dokumentation Contact.)
Eigentlich ist das schon spektakulär genug, doch ich möchte darauf hinaus, dass diese Gruppe nur aus Frauen und Kindern bestand - keine erwachsenen Männer.

1984 wurde zufällig die letzte isoliert lebende Gruppe von australischen Ureinwohnern entdeckt: "Pentupi Nine".
Diese neunköpfige Gruppe bestand aus zwei Frauen und ihren Kindern, wobei der Älteste Junge auf ein Alter von 20 Jahren geschätzt wurde.

Über Geschlechterrollen in Jäger- und Sammler-Kulturen wird gerne spekuliert.
Beide Fälle aus Australien zeigen, dass Männer für das Überleben einer Jägerinnengruppe in der Wüste gar nicht notwendig sind. Beide Gruppen wurden von Frauen angeführt.
 
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Eigentlich ist das schon spektakulär genug, doch ich möchte darauf hinaus, dass diese Gruppe nur aus Frauen und Kindern bestand - keine erwachsenen Männer.
Ich hatte mal als Teenager ein Buch, das hieß "Evolution of Society" oder so ähnlich, aber sicher bin ich nicht, weil ich das Buch nicht mehr besitze. Darin wurde die These vertreten, dass in vorsintflutlicher Zeit die Menschen ohne gesellschaftliche Strukturen gelebt hätten, die Frauen mit ihren Kindern, während die Männer frei durch die Gegend gestreift wären, also vor jeglichen Familienverhältnissen. Wie in deinen Beispielen.

Das würde ja vielleicht implizieren, dass die Männer damals noch nicht wussten, dass die Kinder ihre waren. Oder weiß man darüber mehr in den aufgeführten Fällen?

Inwieweit sind solche Gesellungsmuster von woanders her bekannt, oder sind sie einzigartig?
 
Oder weiß man darüber mehr in den aufgeführten Fällen?

In der deutschen Wiki steht:

Der Vater der sieben Kinder und Ehemann der zwei Frauen war einige Monate vorher gestorben, vermutlich an verdorbenen Konserven, die er in einem aufgelassenen Bergarbeiterort gefunden hatte. Nach diesem Ereignis wanderte die Familie in den Süden, wo sie ihre Verwandten vermutete, weil sie in dieser Richtung Rauch aufsteigen sah.​

Pintupi Nine – Wikipedia

Die Informationen über die mögliche Todesursache findet sich aber nicht in der englischen Wiki und auch nicht in dem zitierten BBC-Artikel, falls ich beim Überfliegen nix übersehen habe.

Pintupi Nine - Wikipedia

The day the Pintupi Nine entered the modern world

Bei der ersten Gruppe (die mit dem Atombombenversuch) habe ich nicht nachgesucht.
 
Polygamie war verbreitet. In den Aborogines-Kulturen der Martu und Pintupi gibt es ein komplexe Verwandtschaftsverhältnisse. Die Zugehörigkeit zu "skin groups" legte ziemlich genau fest, wer wen heiraten darf.

Ursächlich für die Isolation dieser Familien war sicherlich die australische Umsiedlungspolitik. Die einen Verwandten lebten schon in fernen Missionsstation, während sie noch das Outback durchzogen, aber dort niemanden mehr treffen konnten.
 
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Da lag ich ja ganz schön daneben.

Trotzdem interessiert mich die alte These aus diesem Buch, das tatsächlich "Emergence of Society" heißt, 1977 veröffentlicht, und mich auf die falsche Fährte geführt hat: War es tatsächlich so, dass vor Etablierung "geordneter" Familien- bzw. Stammesstrukturen Männer und Frauen allein durch die Wälder gestreift sind, sich gelegentlich gepaart haben, dann aber wieder eigene Wege gegangen sind, die Frauen beladen mit den Kindern, die Männer allein? Gibt es dazu irgendwelche Anhaltspunkte oder ist das reine Spekulation?
 
Trotzdem interessiert mich die alte These aus diesem Buch, das tatsächlich "Emergence of Society" heißt, 1977 veröffentlicht, und mich auf die falsche Fährte geführt hat: War es tatsächlich so, dass vor Etablierung "geordneter" Familien- bzw. Stammesstrukturen Männer und Frauen allein durch die Wälder gestreift sind, sich gelegentlich gepaart haben, dann aber wieder eigene Wege gegangen sind, die Frauen beladen mit den Kindern, die Männer allein? Gibt es dazu irgendwelche Anhaltspunkte oder ist das reine Spekulation?

Selbst wenn es Gesellschaftsformen gegeben hätte, die solches praktiziert hätten, wäre das wohl kaum zu verabsolutieren. Allgemein gesehen ist der Mensch aber ein Wesen, das - gerade in einer menschenfeindlichen Umwelt - auf Kooperation angewiesen ist. Die Vorstellung, dass Männer - wie Löwenmännchen (aber selbst die bilden, wenn sie solitäre Geschlechtsgenossen finden, Rudel) - nach der Kopulation wieder das Weite suchten, um alleine durch die Gegend zu streifen, dürfte eher die Ausnahme, als die Regel gewesen sein. Eher ein Ausdruck von Kultur als von Verhaltensbiologie.
Wir sind langsam, wir haben einen miesen Geruchssinn, wir sind nackt, wir haben ein relativ hohes Schlafbedürfnis, wir haben unterentwickelte Zähne und Klauen. Ein Ausstoß aus der Gruppe ist ein mittelfristiges Todesurteil.

Wir haben Solidarität, Geist, filigrane Hände, die Möglichkeit so differenziert zu kommunizieren, wie kaum ein anderes Tier (Erdmännchen können z.B. ihren Artgenossen signalisieren, ob eine Gefahr aus der Luft oder vom Boden kommt: Adler oder Hyäne, aber sie können nicht sagen ob es drei Hyänen oder sieben sind, ob die aus Sonnenaufgang oder -untergang kommen oder wie nah die bereits sind).

Unsere Augen sind ziemlich gut (bei weitem nicht so gut, wie von Raubvögeln, aber verglichen mit vielen anderen Säugern doch einigermaßen passabel) und unsere Ohren sind auch ganz okay.
 
Unterschätzt nicht die menschlichen Sinne. Auch der Geruchssinn ist hoch entwickelt, uns aber oft nicht bewusst.
Wildschweine und Rotwild riechen wir z.B. recht gut.
Unsere Art der Landschaftswahrnehmung ist eine andere geworden. Der Fahrradfahrer im Wald achtet auf Äste, Steine und Pfützen, der Wanderer im Wald bleibt lieber auf dem trockenen Weg, achtet auf die Aussicht.
Streifst Du aber durch fremdes Gelände, vor allem wenn Du unerwünschte Begegnungen mit dem Wild vermeiden willst (wer mag schon Bären oder territoriale Rehböcke), dann merkst Du wie gut unsere Sinne sind und wie leicht wir sie wahrnehmen, wie sehr sie geschärft werden.
Wenn Du gelernt hast Schlangen zu vermeiden, merkst Du wie stark auf Handrücken, Handgelenk oder Wangen die Wahrnehmung von Wärmestrahlung und Luftbewegungen ist.
In unwegsamem Gelände bewegt man sich oft so geschmeidig und lautlos dass man Wildtiere überrascht.
Achtet man auf Vogelrufe wird die Landschaft zum akustisch vielfältig gegliederten dreidimensionalen Raum.
Unsere Fähigkeit nachts zu sehen ist sehr hoch. Pilze und viele Blüten fluoreszieren, geben uns eine räumliche Orientierung.
Wir sind unseren Vorfahren ähnlicher als wir glauben.
Aber, wie El Q schon andeutete: sie sind als Jäger nie Einzelwesen gewesen.
 
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In der deutschen Wiki
kann man auch erfahren, dass drei (!) aus dieser Gruppe zu Aborigines-Künstlern wurden, einer davon international renommiert (sogar bei der documenta Kassel Gemälde ausgestellt) --- die Kluft zw. moderner internat. Hightec-Kultur und isoliertem Wüstennomadendasein wirkt da nicht mehr so spektakulär... hinzu kommt, dass diese Neun offenbar vor ihrem jahrelangen wüstenwandern einem größeren Stamm angehörten und sich hernach dort auch wieder problemlos (?!) integrierten.
 
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