Frage zur Organisation der US-Kräfte von KZ-Opfern nach 1945

Alex74

Aktives Mitglied
Hallo allerseits,

(vorab: wenn die Rubrik nicht stimmt, bitte einfach verschieben; zeitlich hats halt am ehesten gepasst)

ich habe eine Fragen die Organisation der Unterkunft von KZ-Opfern oder anderen Flüchtlingen (in Dokumenten meist DP genannt) betreffend;

Ich weiß, dass diese oft in Sammellagern der US-Armee untergebracht wurden, sofern sie nicht privat irgendwo unterkamen. Oft waren hier die Angaben der Opfer einzige Quelle für persönliche Daten, wie etwa das Alter.

Ich bin bei Aktendurchsicht auf Vermerke gestoßen, wie etwa dass "das Alter des Mannes zweifelhaft sei, er wirkt älter" und "Antworten auf Fragen nach seiner Schulzeit scheinen widersprüchlich" - dies bei Menschen von etwa 17-19 Jahren.

Daher würde ich gerne wissen, ob es für Flüchtende von Vorteil war, sich jünger (oder vielleicht älter) zu machen als sie tatsächlich waren, weil es beispielsweise für Minderjährige (unter 18) Vergünstigungen, Förderungen oder ähnliches gab.

Hintergrund ist, dass ich gerade über eine Person recherchiere und bei dieser exakt das der Fall ist (er selbst gab in den US Akten drei verschiedene Geburtsdaten an, die ihn dadurch zeitweise noch minderjährig gemacht hatten).

Danke und viele Grüße, Alex
 
Es ist wahrscheinlich, dass der Anteil von Kriminellen unter KZ-Häftlingen und DPs in etwa genau so hoch war, wie in der durchschnittlichen Bevölkerung. Also mag es sein, dass jemand aus dieser oder jener Begründung sein Alter falsch angab.

Allerdings halte ich es für möglich, dass der Überlebensstress im KZ zu frühzeitiger Alterung geführt hat.
 
Danke, den Punkt hatte ich noch nicht bedacht; die Bilder aus den befreiten KZ sind einem ja recht präsent und ich würde bei den am Rande des Lebens befindlichen Überlebenden keine Alterseinschätzung vornehmen wollen, auch wenn die fragliche Zeit dann 1-2 Jahre später (bis Oktober 1947) war.

Kriminalität scheidet im größeren Rahmen aus, hierüber ist nichts bekannt; ich kann übrigens sagen dass es sich um Commodore-Gründer Jack Tramiel handelt.
Auffällig ist unter anderem, dass er selbst den Tod seines Vaters in drei Quellen jeweils unterschiedlich angibt;
In einem Interview weit nach den Geschehnissen berichtet er, sein Vater wäre an Benzininjektionen gestorben; in den Zeugenaussagen nach der Befreiung gibt er Tod durch Schläge an; in einem weiteren Dokument gibt er Tod durch Erhängen an.

Ich glaube aber nicht, dass ich das auch noch zu fassen bekomme und hoffe, wenigstens das Geburtsdatum klären zu können indem es eine tatsächliche Motivation gibt, sich an irgendeinem Punkt jünger oder älter zu machen.

Es reiht sich übrigens in eine ganze Reihe widersprüchlicher Angaben von ihm ein, auch selbst lange nach dem Krieg in den USA - wobei ich immernoch keine böse Absicht unterstellen will, die Zeit war extrem hart und ich will darüber nicht urteilen.

Daher wäre mein Hauptanliergen hier tatsächlich am ehesten, jemanden zu finden, der mich zu dieser Zeit zu den Recherchen vielleicht persönlich beraten könnte. Ich kann leider nichts dafür zahlen, aber die öffentlichen Quellen und Wikipedia-Einträge sind für Tramiel sehr löchrig, es kursieren sehr viele Mythen (wie etwa dem angeblichen Geburtsnamen "Tramielsky", was nachweislich falsch ist), das Hauptanliegen wäre also die Geschichte eines der wichtigsten Menschen des Endes des 20.Jahrhunderts korrekt aufzubereiten.
Dank dem nun gefundenen Archivmaterial würde ich sehr gerne eine Dokumentation über dessen Leben machen (Kontakt mit dem jüngsten Sohn stelle ich her, dieser ist ebenfalls recht engagiert in der Geschichtsaufbereitung von Commodore, aber kann zur Zeit vor 1948 praktisch nichts beitragen weil sein Vater hierzu nie viel erzählte, oder dies einfach ebenfalls widersprüchlich ist); die multimedialen Kenntnisse, Erfahrung und Ausrüstung dafür besitze ich.

Also: wenn mir jemand mit Fachkenntnissen vor allem aus der Zeit 1945-1948 helfen möchte, schreibt mich bitte hier einfach an, ich gebe dann auch gerne weitere Informationen über meine bisherigen Funde.

Viele Grüße, Alex
 
Hallo Alex,

hast du es mal bei den Arolsen Archives versucht? Ich weiß nicht, ob die eine Statistik haben, inwiefern sich NS-Verfolgte in den Akten jünger (oder älter) dargestellt haben als sie wirklich waren.

Arolsen ist eine Kleinstadt in Nordhessen. Das internationale Archiv hat eine riesige Datenbank von NS-Verfolgten, hilft Angehörigen bei der Suche, leistet Hilfe bei Forschungen und will Debatten zur Erinnerung und Aufarbeitung des NS-Regimes anregen. Das Archiv ist inzwischen UNESCO-Welt-Dokumentenerbe. Vielleicht lohnt sich eine Anfrage dort. Wäre schön, wenn du uns auf dem Laufenden hälst, wenn du neue Erkenntnisse hast.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, die Arolsen Archive schrieb ich schon an; solche Anfragen über Statistiken sind also auch möglich?
Dann werde ich das direkt mal tun.

In Polen selbst habe ich bereits einen Kontaktmann, der mir hier vielfältige Informationen zum möglichen Geburtshaus geben konnte, eine endgültige Klärung wird aber erst stattfinden können, wenn er in das Stadtarchiv geht, was er wegen der derzeitigen Corona-Welle und notwendigen Familienkontakten trotz Impfung vorerst vermeiden will. (Die aktuelle Aktenlage grenzt es auf drei Adressen ein)
Daher eilt es aktuell nicht, ich habe das Projekt nun so angelegt dass die Informationen möglichst vollständig und nachprüfbar sein sollen.
Ein Ziel wäre es mit Sicherheit, dass an seinem Elternhaus dann vielleicht auch mal eine Plakette angebracht werden kann um an ihn zu erinnern.
 
Falsche Altersangaben oder das Zögern, falsche Altersangaben, die schon vorher im KZ gemacht wurden, richtig zu stellen, waren bei Kindern/Jugendlichen nach der Befreiung wohl häufig und ich sehe da mehrere Gründe:
Wie hier - Buchenwald - berichtet wird, gelang es kommunistischen Gefangenen im KZ Buchenwald, Blöcke für Kinder zu reservieren, in denen die Überlebenschance höher war als sonst.
England, Frankreich und die Schweiz nahmen 1945 die sog. Buchenwald-Kinder mit einer Altersbeschränkung auf. Nachdem die Ersten in der Schweiz angekommen waren, stellte man dort fest, dass nur etwa die Hälfte tatsächlich Minderjährige waren. Die anderen waren z.T. unter falschen Altersangaben älter.
Dazu können die Erinnerungen von Charlotte Weber – Wikipedia und jene der Buchenwald Boys aus Melbourne weiterhelfen, die das belegen.
Vom KZ-Buchenwald in die Schweiz: Der Bericht von Charlotte Weber – Sternenjäger
Where to go?

Sich nach dem Krieg älter als 18 auszugeben, war vielleicht für die Aufnahme in eines der in oder nahe den DP Camps errichteten Auswanderer-Kibuzzim für junge Erwachsene, wie das Kibbuz Buchenwald auf dem Gehringshof, zwingend gewesen, oder man wollte einfach nicht an einem der speziell für unter 18-Jährige vorgesehenen Programme teilnehmen.

Tramiel gab sich mit Jahrgang 1927 vielleicht älter aus, als er war.
Dies womöglich schon im Ghetto in Lodz oder im KZ Auschwitz, um bei seinem Vater bleiben zu können und/oder eher als Zwangsarbeiter ausgewählt zu werden. Was ja dann mit der Verlegung nach Hannover-Ahlem scheinbar gelang.
Wenn die im Internet zu findenden Dokumente echt sind, dann wurde er 1945 mit Jahrgang 1927 durch den ITS erfasst und hielt an diesem Geburtsdatum (13.12.1927) auch für seine Überfahrt in die USA am 20.10.1947 fest.

Wenn er wirklich zu den wenigen Kranken gehörte, die in Hannover-Ahlem zurückgelassen wurden und nicht auf den Todesmarsch nach Bergen-Belsen geschickt wurden, könnte er in ein Krankenhaus nach Schweden gelangt sein, so wie Benjamin Sieradzki mit Jahrgang 1927, der ein fast identisches Schicksal wie Tramiel erlitt.
http://media.offenes-archiv.de/ha2_2_12_bio_1483.pdf
Hannover-Ahlem oder Bergen-Belsen, ich meine, er befand sich so oder so im Zuständigkeitsbereich der Briten und nicht der US-Armee.
 
Ich habe jetzt Kontakt mit Leonard Tramiel hergestellt und ihn nach dem Geburtsdatum gefragt und ob er etwas darüber weiß wieso sein Vater das wechselnd als 1927 oder 1928 angegeben hatte.
Er kam nach der Befreiung jedenfalls über Braunschweig nach Bayreuth, wo er privat unterkam und einem Hilfsjob für die US-Armee nachging; mit den Briten hatte er nach Aktenlage nie Kontakt.
In welchem Jahr welche Dokumente mit welchem Geburtsdatum auftauchen werde ich noch ausarbeiten; dabei wird es wichtig sein festzustellen welches Dokument einfach von älteren abschrieb und welches auf Basis einer aktuellen Befragung erstellt wurde.
Aber vielleicht hilft Leonards Antwort hier ja auch etwas weiter.

Das Problem an solchen mündlichen Aussagen und Erinnerungen ist halt, dass Tramiel so viele nachprüfbar falsche Aussagen über die Zeit machte (also: völlig harmlose und eigentlich komplett unmotivierte, wie etwa die Angabe mit welchem Schiff er in die USA kam oder woher die Idee zum Firmennamen Commodore stammt), dass der Wert dieser Aussagen, auch über Familienmitglieder, sehr sehr gering ist.

"Sich nach dem Krieg älter als 18 auszugeben, war vielleicht für die Aufnahme in eines der in oder nahe den DP Camps errichteten Auswanderer-Kibuzzim für junge Erwachsene, wie das Kibbuz Buchenwald auf dem Gehringshof, zwingend gewesen, oder man wollte einfach nicht an einem der speziell für unter 18-Jährige vorgesehenen Programme teilnehmen."
Das würde mich eben interessieren, welche Programme gab es da denn?
 
Das Problem an solchen mündlichen Aussagen und Erinnerungen ist halt, dass Tramiel so viele nachprüfbar falsche Aussagen über die Zeit machte (also: völlig harmlose und eigentlich komplett unmotivierte, wie etwa die Angabe mit welchem Schiff er in die USA kam oder woher die Idee zum Firmennamen Commodore stammt), dass der Wert dieser Aussagen, auch über Familienmitglieder, sehr sehr gering ist.

Das Problem ist, dass wir Geschichten i.d.R. inhaltlich kohärent erzählen, aber unsere Erinnerung nicht kohärent ist. Sprich, wir bauen aus Erinnerungsfetzen unsere Erinnerung zusammen. Deshalb ist auch der ehrlichste Zeitzeuge - also einer, der überhaupt kein Interesse daran hat, etwas ins rechte Licht zu rücken - für den Historiker eine problematische Quelle.
Das Schlimme ist, dass unser Gehirn tw. gar nicht in der Lage ist, Erinnerungen zu sortieren. Da wird dann teilweise etwas was in einem Film oder auf einem Foto gesehen wurde, mit der eigenen Erinnerung zum eigenen Erlebnis verwoben. Es gibt das ein berühmtes Bsp. von einem Auschwitzüberlebenden. Der war in Monowitz. In seinen Zeichnungen tauchte aber immer wieder das Bild vom Lagertor von Birkenau auf, weil dieses emblematische Bild, das symbolhaft für Auschwitz und den ganzen Holocaust geworden ist, seine tatsächliche Erinnerung überlagert hat.
 
Das würde mich eben interessieren, welche Programme gab es da denn?
Drei davon erwähnte ich bereits: Jenes des Oeuvre de Secours aux Enfants in Frankreich, des Central British Fund in England und des Schweizerischen Roten Kreuzes. In den drei Ländern nahmen sich dann jüdische Gemeinden der Kinder an und bestimmten ihre weitere Zukunft.

Zu den Strukturen und Praktiken alliierter Hilfsorganisationen für Kinder aus DP Camps nach 1945 gibt dieses Buch Auskunft: Freilegungen. Rebuilding Lives - Max Mannheimer Studienzentrum
 
Er ist ja über die HIAS in die USA gekommen. Vermutlich bringt es also wenig alle möglichen Möglichkeiten abzustochern, sondern eher der Frage nachzugehen wie er zur HIAS kam und deren Organisation funktionierte.
 
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