Charakterstudien in Gedichten

Traklson

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Hallo,
ich möchte das aus der Kunst bekannte Portrait in eine schreibübung umsetzen. Üblicherweise loiste ich auch eine Reihe von beispielgedichten. Jetzt habe ich zu Charakterstudien vor allem Prosa gefunden.

Kennt ihr Gedichte, die bestimmte Personen, vielleicht realexistierende oder auch erdachte, wie ein Portrait beschreiben?

Ich erinnere mich an eines von georg trakl über Karl Kraus. Das ist aber auch sehr kurz:

Karl Kraus

Weißer Hohepriester der Wahrheit,

Kristallne Stimme, in der Gottes eisiger Odem wohnt,

Zürnender Magier,

Dem unter flammendem Mantel der blaue Panzer des Kriegers klirrt.


Vielen Dank
 
Speziell in Gedichtform, da bin ich ratlos... Norwid und George haben jeder ein "Chopin Gedicht" verfasst, aber beide sind keine Chopinportraits, sondern in ihren Metaphern chiffriert sich deren symbolistische Deutung der Musik Chopins.
Möglich, dass du in der Barocklyrik fündig wirst, aber ich weiß es nicht.

In der literar. Prosa sieht es ganz anders aus: in der Charakteristik des Mynheer Peeperkorn im Zauberberg erkannten die Zeitgenossen sofort Gerhart Hauptmann, und der war schwer beleidigt...
 
Die Distanz von Cortes zu Heine ist ähnlich weit wie von Napoleon zu Böll - ich dachte bei der Fragestellung an eine zeitlich engere Verbindung (a la Eckermann Goethe oder Clara Schumann Johannes Brahms)
 
Bei Gedichten geht es mir mehr um die Textlänge. Es muss auch kein Zeitgenosse oder eine Berühmtheit sein. Es kann auch der eigene Vater oder Sohn sein. Kurze Prosa ist auch willkommen.

Ich habe noch mal bei Laske-Schüler etwas über Franz Marc gesucht, auch Prosa und etwas zu lang.

Franz Marc (Lasker-Schüler) – Wikisource

Werde ich aber wohl trotzdem verlinken.
 
Der Tod des Dichters
Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war / bleich und verweigernd in den steilen Kissen, / seitdem die Welt und dieses von-ihr Wissen, / von seinen Sinnen abgerissen, / zurückfiel an das teilnahmslose Jahr. // Die, so ihn leben sahen, wussten nicht, / wie sehr er Eines war mit allem diesen; / denn Dieses: diese Tiefen, diese Wiesen / und diese Wasser waren sein Gesicht. // O sein Gesicht war diese ganze Weite, / die jetzt noch zu ihm will und um ihn wirbt; / und seine Maske, die nun bang verstirbt, / ist zart und offen wie die Innenseite / von einer Frucht, die an der Luft verdirbt.
 
Speziell in Gedichtform, da bin ich ratlos... Norwid und George haben jeder ein "Chopin Gedicht" verfasst, aber beide sind keine Chopinportraits, sondern in ihren Metaphern chiffriert sich deren symbolistische Deutung der Musik Chopins.
Möglich, dass du in der Barocklyrik fündig wirst, aber ich weiß es nicht.

In der literar. Prosa sieht es ganz anders aus: in der Charakteristik des Mynheer Peeperkorn im Zauberberg erkannten die Zeitgenossen sofort Gerhart Hauptmann, und der war schwer beleidigt...

Historische Persönlichkeiten wurden und werden seit der Antike in Reim und Prosa verherrlicht wie in Plinius Panegyricus auf Trajan oder auch in Schüttelreimen durch den Kakao gezogen wie damals im Schröder-Steuersong.

So differenziert, um als Charakterstudie durchgehen zu können, sind aber wenige Elaborate.

Spontan fiel mir allerdings "King Leopolds soliloquy" Das Selbstgespräch Leopold II., von Mark Twain ein, ein Pamphlet, das 1905 erschien und satirisch die Zustände im Kongo-Freistaat aufs Korn nahm.

In Karl Kraus "Die letzten Tage der Menschheit" gibt es einige satirische Charakterstudien. In einer Szene trifft Ludwig Ganghofer in seiner Rolle als Kriegsberichterstatter auf Kaiser Wilhelm II. In einer anderen Szene trägt Kaiser Franz Joseph I. ein Couplet mit dem Titel "Mir bleibt doch nichts erspart" vor.
 
@Naresuan die berühmte Fontane-Ballade stellt Pflichterfüllung mit Selbstaufopferung in einer lebensbedrohlichen Grenzsituation dar am Beispiel des Steuermanns John Maynard - aber weder sieht man ihn, noch wird er beschrieben oder gar charakterisiert/porträtiert.
 
Hallo,
Kennt ihr Gedichte, die bestimmte Personen, vielleicht realexistierende oder auch erdachte, wie ein Portrait beschreiben?

Bertolt Brechts "Lob des Revolutionärs" ist ein (stark idealisiertes) Portrait, wie sich Kommunisten (oder zumindest Brecht) den archetypischen Berufsrevolutionär vorstellten.
 
Könnte zur interessanten Frage passen.

Marie von Ebner Eschenbach (1830 auf Schloss Kremsier/Mähren – 1916 Wien.)

Ich wär verschlossen, an Vertrauen arm? –
Dann bin ich´s unbewußt, daß Gott erbarm.
Nicht kluge Vorsicht ist mir angeboren,
Im Glauben nehm ich´s auf mit jedem Toren,
Zur Lüge fehlt mir Feigheit und Geduld.
Mein Denken, all mein Hassen und mein Lieben,
Es steht so klar auf meiner Stirn geschrieben –
Daß ihr nicht lesen lernt, ist eure Schuld.​

Johannes R. Bechers Gedicht „Er rührte an den Schlaf der Welt“ und ähnliche ("Im Kremel brennt noch Licht", Erich Weinert) die wir auswendig gelernt haben wollte ich nicht nehmen. "Er rüherte an den Schlaf der Welt" stammt von 1929 und wurde von Hans Eisler 1953 Vertont.
 
Zuletzt bearbeitet:
Noch ein Vorschlag, dann hör ich schon auf:

Die Wunderstunde. Nach Stefan George

Ich forschte blinden sinnes nach der pforte
der alten parks die sich im zwielicht ziehn
und fand sie nicht doch kreiste drüberhin
von dohlen eine drohende cohorte.

da eingebettet lag in halbverdorrte
waldnacht das tor das sich mir nie verliehn
ich trat hindurch dumpf duftete yasmin
und moder lohte auf besonntem orte.

Auf einem plane in gerader zahl
saß streng die ausgewählte schar der gäste
ein page reichte stumm das karge mahl
dann sprach ich meine schweren anapäste
und jeder schwieg und jeder auf dem feste
war von der bürde der gedanken fahl.
 
Auch wäre Carl Spitzweg eine Wahl.

Carl Spitzweg, 1808 in München – 1885 ebenda.

Der Maler der Spätromantik und des Biedermeier war nicht nur Maler, er war auch Dichter und da schrieb er einmal über sich:

Ich als Dichter

Wenn ich den Tag schon opfre doch
Rein nur Vergnügens Sachen,
So will ich wenigst’ abends noch
Ein klein Plaisir mir machen.

Ich bitt’, du mußt nur hier von all’n
Auf jeden Schmerz verzichten;
Am Täge nämlich tu ich mal’n,
Und abends tu ich dichten.

Ich glaube sieht man ihn so, versteht man noch besser so mansch seiner Bilder.
 
Theodor Fontane:

Robin Hood

Liebe Herrn, horcht auf und habt mal Geduld,
Und lauf mir keiner davon -
Ich will euch erzählen von Robin Hood,
Und vielleicht auch von Little John.

Zu Locksly, im lustigen Nottinghamshire,
Beginn' ich mit meiner Geschicht',
Da bracht' Robins Mutter den Robin zur Welt,
Und das andre - das weiß ich nicht.

usw.
Den Rest findet man im Internet alsbald.

Bei Balladen müsste man eigentlich fündig werden.
 
Vielen Dank. Ich denke ein paar werde ich auswählen können. Goethe hat noch über Schiller geschrieben:
Bei Betrachtung von Schillers Schädel. Lermontow hat über Puschkin geschrieben: Der Tod des Dichters.

@Ralf.M: Danke für deine Beispiele, aber die Dichter schreiben über sich selbst. Das wären diese Woche gute Beispiele gewesen, wo die Schreibübung über das Schreiben war. Aber die ist schon raus.

Celan war in Bachmann verliebt und Bachmann in Frisch. Vielleicht gibt es da noch etwas zu finden. Allerdings auf Liebesgedichte wollte ich eigentlich nicht hinaus.
 
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