Gab es einen Zusammenhang zwischen Sippenhaft und Befehlsnotstand?

Griffel

Mitglied
Dieses Thema, wollte ich schon lange einmal ansprechen! Im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg und, insbesondere mancher Verbrechen, wird und wurde ja immer vom sogenannten Befehlsnotstand gesprochen!
Wenn, ich es richtig verstanden habe, handelt es sich dabei ja um einen theoretischen Rechtsgrundsatz, welcher auch heute noch Geltung hat. Aber heute nicht angewendet oder akzeptiert wird.o_O
https://de.wikipedia.org/wiki/Befehlsnotstand
Speziell nach dem 2. Weltkrieg, haben ja auf deutscher Seite und von Menschen, welche mit dem Deutschen Reich kollaboriert haben, immer argumentiert, sie hätten Befehl oder Aufgabe X ausführen müssen, da ihnen ansonsten Strafe gedroht hätte. Dem hat man entgegengehalten, dass es zwar theoretisch, nach dem NS-Rechtssystem, möglich gewesen wäre, jemanden zu bestrafen, auch mit dem Tod. Dies aber nachweislich nicht passiert sei. Somit könne dies nicht als Rechtfertigung für die Teilnahme an Kriegsverbrechen dienen.

Neben dem Befehlsnotstand gab es aber auch im "zivilen Bereich", die sogenannte Sippenhaft. Und dieses spezielle Instrument der nationalsozialistischen Rechtsprechung, war ja durchaus dazu gedacht, die Leute bei der Stange zu halten. https://de.wikipedia.org/wiki/Sippenhaftung

Man kann also von einer gewissen Verbindung zwischen diesen Tatsachen sprechen. Wobei es für renitente Menschen im Militär, neben harmlosen Dingen wie Degradierung und Strafversetzung, auch noch Dienst in sogenannten Bewährungseinheiten gab! Hierbei nahm man ja die Verwundung oder den Tod eines Verurteilten billigenden in Kauf. https://de.wikipedia.org/wiki/Bewährungsbataillon

Wie gesagt, ich halte die Argumentation, nicht für stichhaltig. Bin aber auch kein Jurist.
 
Der Befehlsnotstand war eine Ausrede. Es war sogar Teil der verbrecherischen Befehle, Männer, die "zu weich" dafür seien, für andere Aufgaben, z.B. Schreibaufgaben, zurückzustellen. Wir wissen aus der Praxis, dass Polizisten und Soldaten davon mal Gebrauch machten, mal nicht. Sanktionen hatten sie nicht zu befürchten, allenfalls von den Kameraden, aber nicht von offizieller Stelle. Dass der Holocaust schließlich via Vergasung durchgeführt wurde, lag auch daran, dass es sowohl technische als auch psychisch-emotionale Probleme bei den Massenerschießungen gab.

Die Sippenhaft hat schon deswegen nichts mit dem "Befehlsnotstand" zu tun.
Zu schreiben, sie habe dazu gedient, "die Leute bei der Stange zu halten", geht an ihrem Sinn und Zweck vorbei und ist schon fast eine Verharmlosung. Die Sippenhaft war eine Bedrohung war alle, die aktiv Widerstand gegen die Diktatur leisteten, weil sie eben vermittelte, dass man nicht nur für sich und sein eigenes Leben die Verantwortung trug, sondern auch für die - ggf. nicht einmal eingeweihten - Familienmitglieder. Es war eine ernsthafte Bedrohung der Freiheit, der körperlichen Unversehrtheit und des Überlebens.
 
Dieses Thema, wollte ich schon lange einmal ansprechen! Im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg und, insbesondere mancher Verbrechen, wird und wurde ja immer vom sogenannten Befehlsnotstand gesprochen!
Wenn, ich es richtig verstanden habe, handelt es sich dabei ja um einen theoretischen Rechtsgrundsatz, welcher auch heute noch Geltung hat. Aber heute nicht angewendet oder akzeptiert wird.o_O
https://de.wikipedia.org/wiki/Befehlsnotstand
Speziell nach dem 2. Weltkrieg, haben ja auf deutscher Seite und von Menschen, welche mit dem Deutschen Reich kollaboriert haben, immer argumentiert, sie hätten Befehl oder Aufgabe X ausführen müssen, da ihnen ansonsten Strafe gedroht hätte. Dem hat man entgegengehalten, dass es zwar theoretisch, nach dem NS-Rechtssystem, möglich gewesen wäre, jemanden zu bestrafen, auch mit dem Tod. Dies aber nachweislich nicht passiert sei. Somit könne dies nicht als Rechtfertigung für die Teilnahme an Kriegsverbrechen dienen.

Neben dem Befehlsnotstand gab es aber auch im "zivilen Bereich", die sogenannte Sippenhaft. Und dieses spezielle Instrument der nationalsozialistischen Rechtsprechung, war ja durchaus dazu gedacht, die Leute bei der Stange zu halten. https://de.wikipedia.org/wiki/Sippenhaftung

Man kann also von einer gewissen Verbindung zwischen diesen Tatsachen sprechen. Wobei es für renitente Menschen im Militär, neben harmlosen Dingen wie Degradierung und Strafversetzung, auch noch Dienst in sogenannten Bewährungseinheiten gab! Hierbei nahm man ja die Verwundung oder den Tod eines Verurteilten billigenden in Kauf. https://de.wikipedia.org/wiki/Bewährungsbataillon

Wie gesagt, ich halte die Argumentation, nicht für stichhaltig. Bin aber auch kein Jurist.

Ein Soldat oder Offizier, der einen Befehl verweigert, macht sich der Insubordination schuldig. Im Krieg vor dem Feind wurde/wird das in den meisten Armeen vor einem Kriegsgericht drakonisch (oft mit dem Tod geahndet. Ein Offizier oder Soldat muss in der Regel auch unsinnige Befehle befolgen. Es sind Offiziere, die unsinnige Befehle nicht befolgten degradiert oder erschossen wurden. Es war grundsätzlich aber auch in der Wehrmacht dem Befehl Grenzen gesetzt. In der Kriegsschule lernten Offiziere, dass ihnen niemand befehlen konnte, aus dem Fenster zu springen.
Trotzdem war (nicht nur) in der Wehrmacht der Befehl heilig. Man erwartete, dass auch sinnlose Befehle befolgt wurden.

Etwas anderes waren Mordaufträge. Es gibt nicht einen einzigen dokumentierten Fall, dass ein Soldat, ein SS-Mann bestraft wurde, wenn er sich geweigert hätte, Frauen und Kinder umzubringen. Natürlich verweigerte auch niemand solche Befehle-man meldete sich krank, man lies sich versetzen, flüchtete sich in Krankheit, drückte sich darum. Das ging mancherorts durchaus problemlos, manche wurden danach von Kameraden gemobbt, bekamen eine miese Beurteilung. Aber keiner, nicht ein Einziger ist jemals dafür ins KZ gekommen, weil er sich geweigert hätte mitzumorden.

Es brauchte für Kriegsverbrechen keine Überzeugungstäter, ganz normale Männer genügen. Es brauchte für den Holocaust keinen Befehlsnotstand. Gruppendynamik, vorauseilender Gehorsam genügten. Zu den Ersten, die Juden ermordeten, gehörte das Reservebataillon 101 aus Hamburg. Das waren keine jungen Wilden, sondern alte Kriminalbeamte aus Hamburg. Ihr Kommandeur Major Trapp, "Papa Trapp" genannt. Trat mit Tränen in den Augen vor seine Männer und sagte er hätte furchtbare Befehle. Wer wolle, könnte sich befreien lassen. Darauf meldeten sich 10 Leute. Ein Unteroffizier schnauzte die an, Trapp verteidigte sie, worauf sich noch mehr meldeten. Keiner von denen, hatte etwas zu befürchten, die Kameraden mobbten sie aber-sagten, sie ließen die anderen die Drecksarbeit machen. Die Gruppendynamik sorgte dafür, dass im Laufe der Zeit die Meisten mitmachten.

In der Wehrmacht herrschte eine barbarische Disziplin. Die Militärjustiz war gnadenlos. In den "Bewährungseinheiten befanden sich mitnichten nur "Renitente". Viele waren wegen kleinsten Vergehen in Strafdivisionen wie 999. Die Zahl der von der deutschen Militärjustiz Exekutierten, war mehr als 10 Mal so hoch, als in der britischen oder amerikanischen Armee. Man konnte sich in der Wehrmacht darauf verlassen, das Befehle selbst sinnlose und Terror-Befehle befolgt wurden. Die deutsche Militärjustiz war gnadenlos. Noch in den letzten Tagen des Reichs wurden Soldaten und Zivilisten wegen der geringfügigsten Taten hingerichtet, weil sie einen Witz erzählt, Radio gehört, Schwarzgeschlachtet hatten.

Es gab aber nicht einen einzigen Fall, dass jemand bestraft wurde, weil er Exekutionen verweigert hat. Niemand wurde gezwungen, in Auschwitz zu arbeiten. Es war aber der Befehlsnotstand die Ausrede, der kleinen und größeren Tötungsarbeiter, die sich nicht mehr herausreden konnten, weil sie eigenhändig Menschen umgebracht haben. Himmler sprach rührselig davon, dass seine SS auch dieses "schwerste Opfer" auf sich genommen habe-und selbst wenn 10.000 Leichen dalagen-dabei anständig geblieben sei. Es war eine Lüge-und Himmler wusste das. Er behauptete seine SS habe das Vermögen der Opfer an den Staat abgeführt und sich keine Mark genommen. Eine schamlose Lüge!

Sippenhaft und Befehlsnotstand haben nicht viel miteinander zu tun. Sippenhaft war ein Instrumentarium einer Terrorjustiz. Sippenhaft traf nicht nur den "Täter", sondern seine ganze Familie. Im 3. Reich verweigerte man keine Befehle, es gab aber vielfältige Möglichkeiten, manche Tätigkeiten abzulehnen. Kein Soldat ist je dafür zur Rechenschaft gezogen worden, wenn er an einem Erschießungskommando nicht teilnehmen wollte. Bei Polizeibataillonen, Einsatzgruppen gab es zahlreiche Krankmeldungen, Versetzungsgesuche. Es gab viele Möglichkeiten, sich zu drücken. An der Ostfront wurden viele Soldaten Zeugen von Massakern. Es gab eine Reihe von Tätern, die damit nicht klar kamen. Es gab Selbstmorde, Nervenzusammenbrüche.
 
Dieses Thema, wollte ich schon lange einmal ansprechen! Im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg und, insbesondere mancher Verbrechen, wird und wurde ja immer vom sogenannten Befehlsnotstand gesprochen!
Wenn, ich es richtig verstanden habe, handelt es sich dabei ja um einen theoretischen Rechtsgrundsatz, welcher auch heute noch Geltung hat. Aber heute nicht angewendet oder akzeptiert wird.o_O
https://de.wikipedia.org/wiki/Befehlsnotstand
Speziell nach dem 2. Weltkrieg, haben ja auf deutscher Seite und von Menschen, welche mit dem Deutschen Reich kollaboriert haben, immer argumentiert, sie hätten Befehl oder Aufgabe X ausführen müssen, da ihnen ansonsten Strafe gedroht hätte. Dem hat man entgegengehalten, dass es zwar theoretisch, nach dem NS-Rechtssystem, möglich gewesen wäre, jemanden zu bestrafen, auch mit dem Tod. Dies aber nachweislich nicht passiert sei. Somit könne dies nicht als Rechtfertigung für die Teilnahme an Kriegsverbrechen dienen.

Neben dem Befehlsnotstand gab es aber auch im "zivilen Bereich", die sogenannte Sippenhaft. Und dieses spezielle Instrument der nationalsozialistischen Rechtsprechung, war ja durchaus dazu gedacht, die Leute bei der Stange zu halten. https://de.wikipedia.org/wiki/Sippenhaftung

Man kann also von einer gewissen Verbindung zwischen diesen Tatsachen sprechen. Wobei es für renitente Menschen im Militär, neben harmlosen Dingen wie Degradierung und Strafversetzung, auch noch Dienst in sogenannten Bewährungseinheiten gab! Hierbei nahm man ja die Verwundung oder den Tod eines Verurteilten billigenden in Kauf. https://de.wikipedia.org/wiki/Bewährungsbataillon

Wie gesagt, ich halte die Argumentation, nicht für stichhaltig. Bin aber auch kein Jurist.

Diese Seite ist vielleicht interessant für dich (und andere) :
Wanderausstellung der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Erfurt - Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
 
Neben dem Befehlsnotstand gab es aber auch im "zivilen Bereich", die sogenannte Sippenhaft. Und dieses spezielle Instrument der nationalsozialistischen Rechtsprechung, war ja durchaus dazu gedacht, die Leute bei der Stange zu halten. https://de.wikipedia.org/wiki/Sippenhaftung

Das ganze klingt sehr zynisch. Ich weiss nicht ob das die betroffenen Frauen und Kinder auch so sehen würden. Die wurden nicht bei der Stange gehalten, sondern getrennt. Beispiel die Familie Stauffenberg. Die Kinder wurden von der Gestapo nach Bad Sachsa gebracht. Sie durften ihren Namen nicht mehr nennen und wurden von einander getrennt. In Bad Sachsa gab es insgesamt 46 Kinder von Widerständlern, im Alter von 1 bis 15 Jahren.
Friedrich-Wilhelm von Hase, der Sohn von Paul von Hase (hingerichtet am 8.8.1944) wurde im September 1944 dorthin verschleppt. Seine Mutter und die älteren Geschwister kamen ins Gefängnis. Der siebenjährige war auf sich alleine gestellt.

Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg*, kam nach dem Attentat ins Konzentrationslager Ravensbrück als Sondergefangene.
Ihre Tochter Konstanze kam am 27. Januar 1945 Frauenentbindungsheim der Nationalsozialisten in Frankfurt an der Oder zur Welt. Danach wurde sie mit dem Kind von KZ zu KZ gebracht, bis sie schliesslich in Franken frei kam.

Ihre Kinder sollten vor Kriegsende von der Gestapo ins KZ Buchenwald gebracht werden. Dies gelang nicht, da die Zugstrecke bombardiert wurde. Sie kamen zurück ins Kinderheim und wurden dann von den Amerikanern befreit und sie bekamen ihre Namen wieder zurück.

Das ist nur ein Beispiel was die Sippenhaft bedeutet, das hat nichts damit zu tun die Leute bei der Stange zu halten.

* Buchtipp
Konstanze von Schulthess: Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg. Ein Porträt. Pendo Verlag Zürich und München. 2008. 223 Seiten
 
Das 3. Reich, war sicherlich kein Musterstaat! Da sind wir und doch wohl alle einig! Die Sache, mit dem Befehlsnotstand, wurde ja, wie ich geschrieben habe, häufig angeführt, um persönliche Verantwortung abzuwälzen.
Was insbesondere bei der SS, natürlich ein Witz ist bzw. war.:rolleyes: Da diese als Parteiarmee, natürlich mit den Befehlen der Führung einverstanden war bzw. sein musste.

Die Einsatzgruppen, sind ja ganz zu Recht ein eigenes Thema! Mir ging es einfach darum zu klären, ob es sich dabei um eine reine Ausrede handelte oder ob die Gefahr einer Bestrafung real gegeben war! Im damaligen Militärstrafgesetzbuch gab es entsprechende Paragrafen. Wenn, man sich die Eigenarten des NS-Staates anschaut, konnte man durchaus in Schwierigkeiten geraten. Speziell die Sippenhaft, war ein Mittel, um jede Form von unbotmäßigem Verhalten oder Widerstand zu unterdrücken! Es mag sein, dass ein Mensch alleine genug Mut hat, für etwas die Verantwortung zu übernehmen oder die Konsequenzen zu tragen. Es sieht aber ganz anders aus wenn, diese Konsequenzen, auch Brüdern, Schwestern, Onkeln oder Tanten drohen.:(:mad: Die Nazis, haben gezeigt, dass sie solche Dinge tun. Somit hatte die Sippenhaft schon mal ihren Zweck erfüllt.

Auch wenn, es Männer geschafft haben, sich für gewissen Dingen zu drücken, ist es schlimm genug, dass es genügend Leute gab, die dabei freiwillig und zum Teil sogar begeistert mitgemacht haben. Umso mehr verdienen diejenigen, unsere Anerkennung, die trotz der Risiken bereit waren, sich gegen das System zu stellen.:cool:
 
Das ganze klingt sehr zynisch. Ich weiss nicht ob das die betroffenen Frauen und Kinder auch so sehen würden. Die wurden nicht bei der Stange gehalten, sondern getrennt. Beispiel die Familie Stauffenberg. Die Kinder wurden von der Gestapo nach Bad Sachsa gebracht. Sie durften ihren Namen nicht mehr nennen und wurden von einander getrennt. In Bad Sachsa gab es insgesamt 46 Kinder von Widerständlern, im Alter von 1 bis 15 Jahren.
Friedrich-Wilhelm von Hase, der Sohn von Paul von Hase (hingerichtet am 8.8.1944) wurde im September 1944 dorthin verschleppt. Seine Mutter und die älteren Geschwister kamen ins Gefängnis. Der siebenjährige war auf sich alleine gestellt.

Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg*, kam nach dem Attentat ins Konzentrationslager Ravensbrück als Sondergefangene.
Ihre Tochter Konstanze kam am 27. Januar 1945 Frauenentbindungsheim der Nationalsozialisten in Frankfurt an der Oder zur Welt. Danach wurde sie mit dem Kind von KZ zu KZ gebracht, bis sie schliesslich in Franken frei kam.

Ihre Kinder sollten vor Kriegsende von der Gestapo ins KZ Buchenwald gebracht werden. Dies gelang nicht, da die Zugstrecke bombardiert wurde. Sie kamen zurück ins Kinderheim und wurden dann von den Amerikanern befreit und sie bekamen ihre Namen wieder zurück.

Das ist nur ein Beispiel was die Sippenhaft bedeutet, das hat nichts damit zu tun die Leute bei der Stange zu halten.

* Buchtipp
Konstanze von Schulthess: Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg. Ein Porträt. Pendo Verlag Zürich und München. 2008. 223 Seiten

Das klingt nicht nur so, das ist zynisch. In der Regel hält man jemanden mit Vergünstigungen, Belohnungen, Aufmerksamkeiten oder Geschenken "bei der Stange". Wenn man "jemanden bei der Stange halten" will, versichert man sich seiner Loyalität, seiner Solidarität, indem man ihm Gutes tut.

"Sippenhaft" ist aber ganz sicher kein Mittel, um Menschen bei der Stange zu halten. Wenn mich jemand mit einer Schusswaffe bedroht, versichert er sich nicht meiner Loyalität, meiner Solidarität- er hält mir wie ein Räuber eine Knarre an den Kopf- Sippenhaft ist nichts anderes als die vorgehaltene Pistole eines Räubers-nur dass dieser Räuber eine perfide Drohung noch perfider macht, indem er nicht nur damit droht, mich umzulegen-sondern meine ganze Familie.

Kein normaler Mensch wird jemandem, der so etwas tut, noch die Stange halten wollen. Eigenartige Wortwahl.
 
Das 3. Reich, war sicherlich kein Musterstaat! Da sind wir und doch wohl alle einig!
Nein, da sind wir uns nicht einig. Du könntest sagen: Die Bundesrepublik ist kein Musterstaat, weil es dieses oder jenes Defizit gibt. Das Dritte Reich war von seiner ersten bis zu seiner letzten Stunde eine verbrecherische Diktatur. Lesen zu müssen, es sei "sicherlich kein Musterstaat" gewesen tut schon fast körperlich weh.

Die Sache, mit dem Befehlsnotstand, wurde ja, wie ich geschrieben habe, häufig angeführt, um persönliche Verantwortung abzuwälzen.
Was insbesondere bei der SS, natürlich ein Witz ist bzw. war. Da diese als Parteiarmee, natürlich mit den Befehlen der Führung einverstanden war bzw. sein musste.
Ganz so simpel ist es nicht. Die SS wird zu Recht als verbrecherische Organisation eingestuft. Und doch gab es auch die Waffen-SS, zu der Leute im Krieg auch eingezogen wurden und es hat eben nicht jeder verweigert (das war möglich, stattdessen kam man zur Wehrmacht).

Die Einsatzgruppen, sind ja ganz zu Recht ein eigenes Thema! Mir ging es einfach darum zu klären, ob es sich dabei um eine reine Ausrede handelte oder ob die Gefahr einer Bestrafung real gegeben war! Im damaligen Militärstrafgesetzbuch gab es entsprechende Paragrafen. Wenn, man sich die Eigenarten des NS-Staates anschaut, konnte man durchaus in Schwierigkeiten geraten. Speziell die Sippenhaft, war ein Mittel, um jede Form von unbotmäßigem Verhalten oder Widerstand zu unterdrücken!
Noch mal:
1.) Die Sippenhaft hat mit der Militärgerichtsbarkeit nichts zu tun.
2.) In den entsprechenden Tagesbefehlen war die Zurückstellung von Personen, die "zu weich zum Töten" waren, eingerpreist.
 
Das wohl alle einig! Die Sache, mit dem Befehlsnotstand, wurde ja, wie ich geschrieben habe, häufig angeführt, um persönliche Verantwortung abzuwälzen.
Was insbesondere bei der SS, natürlich ein Witz ist bzw. war.:rolleyes: Da diese als Parteiarmee, natürlich mit den Befehlen der Führung einverstanden war bzw. sein musste.

Die Einsatzgruppen, sind ja ganz zu Recht ein eigenes Thema! Mir ging es einfach darum zu klären, ob es sich dabei um eine reine Ausrede handelte oder ob die Gefahr einer Bestrafung real gegeben war! Im damaligen Militärstrafgesetzbuch gab es entsprechende Paragrafen. Wenn, man sich die Eigenarten des NS-Staates anschaut, konnte man durchaus in Schwierigkeiten geraten. Speziell die Sippenhaft, war ein Mittel, um jede Form von unbotmäßigem Verhalten oder Widerstand zu unterdrücken! Es mag sein, dass ein Mensch alleine genug Mut hat, für etwas die Verantwortung zu übernehmen oder die Konsequenzen zu tragen. Es sieht aber ganz anders aus wenn, diese Konsequenzen, auch Brüdern, Schwestern, Onkeln oder Tanten drohen.:(:mad: Die Nazis, haben gezeigt, dass sie solche Dinge tun. Somit hatte die Sippenhaft schon mal ihren Zweck erfüllt.

.:cool:

Zur SS hat El Quichote schon das Wesentliche gesagt. Sie wurde nicht zu Unrecht zur kriminellen Organisation erklärt. Die SS, vor allem die Waffen SS wurde mit zunehmender Kriegsdauer immer mehr zu einer Massenorganisation. Seit 1943 konnten Wehrpflichtige statt zur Wehrmacht auch zur Waffen-SS eingezogen werden. Eine Reihe von jungen Männern ließ sich vom Elite-Charakter der SS blenden.
Zu sagen, die Soldaten der Waffen-SS waren ganz normale Soldaten ist eine Verharmlosung. Allerdings wäre auch die Schlussfolgerung, dass jedes Mitglied der SS Kriegsverbrecher war nicht zutreffend.

Teilweise gab es selbst in der SS Leute, die zum Widerstand fanden. Kurt Gerstein – Wikipedia

Arthur Nebe – Wikipedia
 
Wobei beide eher schwierige Charaktere sind, der Gerstein-Report ist eine wichtige Quelle, stammt aber erst aus 1945, als er in frz. Kriegsgefangenschaft war und Nebe ist ein Massenmörder. Ich sehe den Widerständler Nebe noch nicht.

Nebe war natürlich ein Massenmörder. Er hat schon 1941 mit einer Einsatzgruppe Zehntausende von Juden umgebracht. Es wird kolportiert, dass die Idee mit Kohlenmonoxid zu morden, u. a. auf ihn zurückgehen soll. Er hatte sich mal betrunken, und in der Garage weggedämmert, als der Moor seines Wagens noch lief. Er hatte "Kameraden" davon erzählt.

Nebe war auch maßgeblich an Mordaufträgen an Roma beteiligt.

An den Ereignissen des 20. Juli 1944 war Nebe allenfalls am Rande beteiligt. Er hatte Unterstützung zugesagt, bestimmte Reichsministerien zu verhaften, schickte aber letztlich keine Leute. Nebe wurde aber flüchtig, es wurde nach ihm gefahndet und er wurde deswegen vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.
 
Das 3. Reich, war sicherlich kein Musterstaat! Da sind wir und doch wohl alle einig! Die Sache, mit dem Befehlsnotstand, wurde ja, wie ich geschrieben habe, häufig angeführt, um persönliche Verantwortung abzuwälzen.
Was insbesondere bei der SS, natürlich ein Witz ist bzw. war.:rolleyes: Da diese als Parteiarmee, natürlich mit den Befehlen der Führung einverstanden war bzw. sein musste.

Speziell die Sippenhaft, war ein Mittel, um jede Form von unbotmäßigem Verhalten oder Widerstand zu unterdrücken! Es mag sein, dass ein Mensch alleine genug Mut hat, für etwas die Verantwortung zu übernehmen oder die Konsequenzen zu tragen. Es sieht aber ganz anders aus wenn, diese Konsequenzen, auch Brüdern, Schwestern, Onkeln oder Tanten drohen.:(:mad: Die Nazis, haben gezeigt, dass sie solche Dinge tun. Somit hatte die Sippenhaft schon mal ihren Zweck erfüllt.

Auch wenn, es Männer geschafft haben, sich für gewissen Dingen zu drücken, ist es schlimm genug, dass es genügend Leute gab, die dabei freiwillig und zum Teil sogar begeistert mitgemacht haben. Umso mehr verdienen diejenigen, unsere Anerkennung, die trotz der Risiken bereit waren, sich gegen das System zu stellen.:cool:

Die deutsche Militärjustiz war knallhart. Es sind in der deutschen Wehrmacht mehr als 40 mal (!) so viele Todesurteile gegen eigene Soldaten gefällt worden, als alle West-Alliierten zusammen.

Offiziere, die Befehle nicht befolgten, mussten damit rechnen, abgesetzt, degradiert oder gar hingerichtet zu werden.

Hans Graf von Sponneck hatte im Winter 1941/42 die Halbinsel Kertsch geräumt, weil seine Einheiten die Einkesselung drohte. Sponneck hatte die Räumung befohlen, ohne dazu die Erlaubnis von Manstein einzuholen, und er hatte nach Funkspruch die Funkstellen abgebaut, dass ihn kein Gegenbefehl erreichen konnte.

Sponnecks Ungehorsam hatte keinerlei negative Folgen-Im Gegenteil! Er konnte durch rechtzeitige Räumung der Einkesselung entgehen. Sponnecks Einheit blieb der Ostfront erhalten, sein Rückzug erleichterte Manstein einen erfolgreichen Gegenangriff. Graf Sponneck hat nach Lage der Dinge militärisch vollkommen richtig gehandelt. Hätte er den Haltebefehl befolgt, wäre seine Einheit aufgerieben worden. So hatte er seine Einheit gerettet und den erfolgreichen Gegenstoß ermöglicht- aber er hatte einen persönlichen Befehl Hitlers verweigert.

Dafür wurde er vor ein Kriegsgericht gestellt. Entlastende Beweismittel wurden nicht zugelassen, und Sponneck musste während der ganzen Verhandlungsdauer stehen. Er wurde zum Tode verurteilt, sein Vermögen beschlagnahmt und seine Familie in Sippenhaft genommen. Hitler wandelte das Todesurteil in 6 Jahre Festungshaft um.

Graf Sponneck saß jahrelang in einem Militärgefängnis. Obwohl es keinerlei Verbindungen zu den Verschwörern des 20. Juli 1944 gab, wurde Sponneck kurzerhand in Haft erschossen.

1943 drohte die Ostfront nach Stalingrad völlig zusammenzubrechen. Während der Kämpfe um Charkow verweigerte SS-Gruppenführer Paul Hauser den Haltebefehl und ließ die Stadt räumen. Hauser trug mit seinem Ungehorsam dazu bei, dass Manstein eine erfolgreiche Gegenoffensive starten konnte, und Charkow wurde zurückerobert und die Ostfront stabilisiert.

Hauser ließ Hitler aber seinen Ungehorsam durchgehen. Die Sippenhaft hielt niemanden "bei der Stange". Es wurde lediglich der Gehorsam von Offizieren dadurch erzwungen, dass das NS-Regime kurzerhand ihre Familien als Geiseln nahm. Sippenhaft war also purer Terror, reine Willkür!

In der deutschen Wehrmacht wurden Befehle befolgt, auch sinnlose Befehle, auch Terrorbefehle.
Die Wehrmacht sah sich in der Tradition der preußischen Armee. Auch in der preußischen Armee war der Befehl heilig, Befehle waren zu befolgen, nicht zu diskutieren. Der Befehlsnotstand hatte aber Grenzen, jeder Offizier lernte auf der Kriegsschule, dass der Befehlsnotstand dort seine Grenzen fand, wo der Befehl vollkommen unsinnig war. Von einem Offizier, dem ein Vorgesetzter befahl, aus dem Fenster zu springen, erwartete man nicht, ihn zu befolgen.
Eigeninitiative, Verantwortungsfreudigkeit und selbstständiges Denken hatten aber auch einen relativ hohen Stellenwert. Man ehrte bei Preußens Kommandeure, die genug Rückgrat hatten, notfalls einen Befehl zu verweigern: Da war das Beispiel des (literarischen) Prinzen von Homburg. Der hatte dem "Großen Kurfürsten" den Gehorsam verweigert, aber die Schlacht von Fehrbellin gewonnen.
Dann war da das Beispiel eines York von Wartenburg. Der hatte nicht erst den König vorher gefragt, sondern auf eigene Initiative 1813 die Konvention von Tauroggen mit dem russischen General Diebitsch geschlossen. Der Prinz von Homburg oder York von Wartenburg hatten den Gehorsam verweigert, aber gerade durch Eigeninitiative Brandenburg-Preußen gerettet.

Die Wehrmacht war recht modern geführt. Entscheidungs- und Verantwortungsfreudigkeit wurde gefördert, Offiziere hatten einen relativ hohen Ermessensspielraum, Offiziere und Unteroffiziere waren so ausgebildet, dass jeder grundsätzlich den nächst höheren Rang ausüben konnte.
Die Erfolge der Wehrmacht 1939-1941 waren nicht zuletzt darauf zurückzuführen.

An der Ostfront mischte Hitler sich ständig ein, seit Ende 1941 gab er nur noch starre Haltebefehle aus.
Selbstständig denkende Offiziere waren da nicht mehr gefragt- nur noch willige Befehlsempfänger.
Die Sippenhaft war nichts, als purer Terror. Familienangehörige wurden als Geiseln genommen, um dadurch noch radikaler und menschenverachtender zu garantieren, dass Befehle blind befolgt wurden, selbst wenn sie unsinnig oder verbrecherisch waren. In der Regel wurden Befehle auch befolgt.

Ein Offizier oder Soldat, der einen Befehl verweigerte, riskierte nicht nur sein eigenes Leben, Karriere und Vermögen, sondern auch das seiner Familie.

Vor diesem Hintergrund schien die Berufung auf Befehlsnotstand als perfekte Ausrede. In einem Staat wie dem 3. Reich musste man sich eben fügen. Hitler hatte mal gesagt, dass er für alles die Verantwortung übernimmt.

Der Befehlsnotstand war die Standard-Ausrede all der kleinen "Tötungs-Arbeiter", die sich nicht mehr herausreden konnten, weil sie mit eigenen Händen gemordet hatten. All die kleinen "Scharführer", Blockführer, Rapportführer sie hatten nur Befehle befolgt, wenn sie nicht Juden die letzten Habseligkeiten geklaut hätten, hätten es andere getan, die Juden brauchten sie nicht mehr, und wenn sie keine Juden umgebracht hätten, wären sie selbst ins KZ gekommen.

Die Berufung auf Befehlsnotstand war im Grunde nichts, als der erbärmliche Versuch sich herauszureden und jegliche Verantwortung zurückzuweisen.

Das Nazireich war vom ersten bis zum letzten Tag eine menschenverachtende Diktatur. Eine Diktatur, die auch gnadenlos gegen das eigene Volk vorging. Zuletzt wurden Menschen ins KZ verschleppt, weil sie einen Witz erzählt, "Feindsender" gehört oder am Endsieg gezweifelt hatten.

Es wird aber niemand zufällig Massenmörder, das eigene Gewissen musste jeder eigenhändig totschlagen. Viele Soldaten an der Ostfront wurden Zeugen von Verbrechen, wurden darin verwickelt. Alle die so etwas sahen, wurden indirekt zu Komplizen. Es ist ein verständliches Phänomen, dass man, wenn man Zeuge von großem Unrecht wird, das man nicht verhindern kann, das man das Unrecht verdrängt.

Der Holocaust war ein arbeitsteiliges Projekt, und es brauchte dazu keine "Überzeugungstäter".
Kriegsverbrecher und Massenmörder wurde und wird man aber nicht zufällig. Liest man Berichte von Tätern und Täterinnen wie Rudolf Höss, Maria Mandl oder Irma Grese könnte man den Eindruck haben, die Leute sind irgendwie durch tragische Umstände zur falschen Zeit, am falschen Ort gelandet und sie hatten nur Befehle befolgt.

Das waren aber Entschuldigungen von Tätern, die man bildlich gesprochen mit beiden Händen im Mustopf, mit der blutigen Tatwaffe in den blutbeschmierten Händen inflagranti auf frischer Tat erwischt hat.

Die Mittel, sie "bei der Stange zu halten" waren: Schnaps, Zigaretten, ein Anteil an der Beute, Macht, Beförderung, eine Uniform und das Recht über Leben und Tod.

Die erzählten aber der Welt, man habe sie durch Sippenhaft und Konzentrationslager "bei der Stange" gehalten. Hätten sie es nicht getan, dann wären sie selbst ins KZ gekommen, sie seien sozusagen mit vorgehaltener Pistole zum Mord genötigt worden.
 
Dieses Thema, wollte ich schon lange einmal ansprechen! Im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg und, insbesondere mancher Verbrechen, wird und wurde ja immer vom sogenannten Befehlsnotstand gesprochen!
Wenn, ich es richtig verstanden habe, handelt es sich dabei ja um einen theoretischen Rechtsgrundsatz, welcher auch heute noch Geltung hat. Aber heute nicht angewendet oder akzeptiert wird.o_O
https://de.wikipedia.org/wiki/Befehlsnotstand
Speziell nach dem 2. Weltkrieg, haben ja auf deutscher Seite und von Menschen, welche mit dem Deutschen Reich kollaboriert haben, immer argumentiert, sie hätten Befehl oder Aufgabe X ausführen müssen, da ihnen ansonsten Strafe gedroht hätte. Dem hat man entgegengehalten, dass es zwar theoretisch, nach dem NS-Rechtssystem, möglich gewesen wäre, jemanden zu bestrafen, auch mit dem Tod. Dies aber nachweislich nicht passiert sei. Somit könne dies nicht als Rechtfertigung für die Teilnahme an Kriegsverbrechen dienen.

Neben dem Befehlsnotstand gab es aber auch im "zivilen Bereich", die sogenannte Sippenhaft. Und dieses spezielle Instrument der nationalsozialistischen Rechtsprechung, war ja durchaus dazu gedacht, die Leute bei der Stange zu halten. https://de.wikipedia.org/wiki/Sippenhaftung

Man kann also von einer gewissen Verbindung zwischen diesen Tatsachen sprechen. Wobei es für renitente Menschen im Militär, neben harmlosen Dingen wie Degradierung und Strafversetzung, auch noch Dienst in sogenannten Bewährungseinheiten gab! Hierbei nahm man ja die Verwundung oder den Tod eines Verurteilten billigenden in Kauf. https://de.wikipedia.org/wiki/Bewährungsbataillon

Wie gesagt, ich halte die Argumentation, nicht für stichhaltig. Bin aber auch kein Jurist.

Zitat Griffel: Gab es einen Zusammenhang zwischen Sippenhaft und Befehlsnotstand?

In gewisser Weise gibt es schon einen Zusammenhang zwischen "Sippenhaft" und "Befehlsnotstand", und das ist die "Sprache des Nationalsozialismus".

Sprache des Nationalsozialismus – Wikipedia

Dabei handelte es sich um eine Sprache, die bestimmte rhetorische Formeln und Phrasen des NS aufgriff.
Besonders auffallend ist dabei eine verharmlosende, verschleiernde Tarn- und Tätersprache.

Als Kind und als Jugendlicher fiel mir auf, dass es bestimmte Stichworte gab, und plötzlich verbreitete sich beredtes Schweigen, fast so, als gäbe es eine stille, heimliche Übereinkunft, ein Wort, ein Thema wie eine gefährliche Klippe zu vermeiden.

Vordergründig war kaum zu erkennen, erst recht nicht für ein Kind zu erkennen, warum plötzlich alle still wurden, warum keiner mehr auf das Thema einging. Es war auch für Erwachsene keineswegs sofort zu erkennen, dass es um Kriegsverbrechen, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit ging.

Die Älteren aber, die noch die Nazizeit erlebt hatten, die konnten zwischen den Zeilen lesen, die hatten gelernt, in Zusammenhängen zu denken, und die begriffen sofort, was gemeint war und wer gemeint war.
Die hörten ein Wort, und sofort wussten sie, was gemeint war. Es genügte ein Wort, eine winzige Anspielung, und sie waren sofort im Bilde.

"Schutzhaft"- da war sofort klar, dass es um Zuchthaus, Gefängnis oder KZ ging,. Da war klar, um in Schutzhaft genommen zu werden, dazu brauchte es nicht einmal ein konkretes Vergehen, dass jemand inhaftiert wurde und ohne richterlichen Beschluss, ohne Anklage und Prozess in Gefängnissen oder KZs verschwand.

Wenn Leute "evakuiert" oder "sonderbehandelt" worden waren- da wusste man sofort, sie waren umgebracht worden.

Wenn einer sich auf "Befehlsnotstand" berief- da wusste man sogleich, dass man vermutlich einen subalternen Tötungsarbeiter vor sich hatte, den man inflagranti sozusagen auf frischer Tat, mit beiden Händen im Mustopf und mit der noch rauchenden Tatwaffe in der Hand erwischt hatte und der sich nun hinstellte und wenig originell versuchte, sich damit zu entschuldigen, dass er nur Befehle befolgt habe.

Charakteristisch für die Sprache des Nationalsozialismus war, dass verharmlosende, verschleiernde Tarnbezeichnungen gewählt wurden:

Psychisch Kranke, Geisteskranke, Behinderte- die wurden natürlich nicht umgebracht oder ermordet, sondern "gnädig erlöst". Es wurde so getan, als handele es sich um eine Art von humaner Sterbehilfe.

Juden wurden nicht umgebracht, deportiert und ausgeplündert, sie wurden "evakuiert", "entsprechend behandelt", einer "Sonderbehandlung unterzogen".

Statt von Gefängnis, Zuchthaus oder KZ war von "Schutzhaft" die Rede, ganz so, als würden Gefangene zu ihrem eigenen Schutz in Haft genommen.
 
Zurück
Oben