Einkreisung des Deutschen Reiches?

Es war ja von 1898 bis 1901/1902 bekanntermaßen zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich zu Bündnissondierungen gekommen ist.
Der Staatssekretär Richthofen hatte dazu eine recht eigenwillige Sicht der Dinge, um es einmal vorsichtig auszudrücken, und legte diese in einem Promemoria an seinem Chef Bülow im Februar 1901 nieder. Richthofen führte aus, das eine Allianz mit England zwei Vorteile gewähre; einen großen und einen nebensächlichen. Der große Vorteil sei, das die Briten eben nicht auf Seiten der gegnerischen Koalition zu finden seien. Der nebensächliche sei, das die britische Flotte, "die Flotten unserer Gegner vom Meere wegfegen würde." Aber das würden die Engländer höchstwahrscheinlich auch ohne Allianz tun, wenn es zum Konflikt zwischen Berlin, Paris und Petersburg käme. Ach ja. Und Richthofen meinte darüber hinaus, das die britische Armee nicht groß zählen würde.
Richthofen meinte zu Bülow man solle die Briten kommen lassen. Was für eine überhebliche Einstellung!, die sich später rächen sollte.

Der britsche Staatssekretär des Äußeren Lansdowne hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon der Allianz mit Japan verschrieben. Als die Vereinbarung dann 1902 zustande gekommen war, bestand im Osten keine Notwendigkeit mehr für eine Hilfe des Deutschen Reichs!

Lansdowne nennt in einem Memo Gründe, weshalb er ein Bündnis nicht in Erwägung gezogen hatte. Lansdowne sah die Gefahr, das der Kaiser Wilhelm II. England in eine Politik verstricken und gegen die USA richten könnte. Das meinte Lansdowne aus den Ansichten Kaiser Wilhelms II. über die USA entnehmen zu können.
Des Weiteren sah Lansdowne aber auch die Gefahr einer Entfremdung zu Russland und Frankreich!. Die Beziehungen waren zu jenem Zeitpunkt ohnehin nicht sonderlich gut.
Und das Problem, das Parlament zugunsten eines Bündnisses mit Berlin mit fortreißen zu können.

Balfour sah die Dinge anders. Er meinte, wenn wir (England) für die mitteleuropäischen Mächte zu kämpfen hätten, würde man für die eigenen Interessen kämpfen und für die der Zivilisation, was man nicht im gleichem Maße bei Japan behaupten könne. Er forderte Lansdowne auf, die Dinge von der anderen Seite zu betrachten. In einem Kriege mit Rußland würden die englischen Kräfte aufs äußerte beansprucht werden. Balfour meinte, ein Streit mit Russland über irgendetwas und irgendwo würde die Sicherheit Indiens bedrohen und dann würde man ohne Verbündete dastehen. Und er sah die Gefahr, das Frankreich in so einen Kriege dann gegen England eintreten würde. Das Bündnis mit Japan sei hier nicht hilfreich.
 
Interessant ist auch, das deutsche Bemühungen zu einer Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen zu gelangen, beispielsweise die Offerte von Kiderlen Wächter aus dem Jahre 1919 oder die von Bethmann aus dem Jahre 1910 immer gleich negativ betrachtet wurden. Frei nach dem Motto, das Deutsche Reich trachtet nur nach der Hegemonie usw.usw.. Und da war sich die antideutsche Fraktion in Foreign Office immer ganz schnell einig. Ein Korrektiv in der Person von Sandersen wurde schnell aussortiert und durch Hardinge ersetzt. Man könnte fast schon meinen, das diese Gruppe der antideutschen Fraktion in gewisser Weise paranoid war.
 
Der Beginn der Isolierung des Deutschen Reiches kann man wohlauf das Jahr 1902 terminieren. England und Japan hatten ihre Vereinbarung zur gegenseitigen Neutralität getroffen und Friedrich von Holstein stellte fest: „Für uns liegt, soweit sich jetzt erkennen lässt, die Politik der freien Hand aufzugeben.“ (1)

Ganz offenkundig übersah Holstein dabei so ein paar Kleinigkeiten. Immerhin ist England seit Ewigkeiten aus seiner selbstgewählten Isolation herausgetreten und darüber hinaus brachte die Abmachung mit Japan Entlastung in östliches Asien. In der Praxis bedeutet dies, England benötigte das Deutsche Reich nicht mehr in dem Ausmaße wie vorher; die englische Unabhängigkeit von Berlin hatte sich ein Stücken vergrößert.

Das Werben Russlands um Begründung eines Dreierverbanden Russland, Frankreich und Deutsches Reich wurde von Berlin zurückgewiesen.

Eine Vereinbarung mit den Engländern, sofern sie denn überhaupt erreichbar war, wurde durch die vollkommen unrealistische Forderung, London solle den Dreibund beitreten, endgültig zum Scheitern gebracht.

1902 wurde nach einigen Verrenkungen der Dreibund verlängert, aber nur ein halbes Jahr danach machte sich Italien gewissermaßen mehr oder weniger vom Acker. Es wurde eine Entente mit Frankreich abgeschlossen, die zur gegenseitigen Neutralität verpflichtete; auch wenn Frankreich , durch das Deutsche Reich provoziert, diesem den Krieg erklärten würde. Da ist natürlich viel Interpretation. Formal betrachtet kein Widerspruch zum Dreibund; gegen Buchstabe und Geist sehr wohl.




(1) Holstein, Geheime Papiere, Band 4, S.230, herausgegeben von N.Rich
 
Jedenfalls waren es die Japaner, die an London herangetreten sind. Japan empfand das russische Agieren in China und bezüglich Korea als Bedrohung seiner Interessen. Baron Hayashi, der japanische Botschafter in London ging "angeblich ohne von seiner Regierung hierzu autorisiert zu sein" entsprechend auf Lansdowne im April 1901 zu. Anfangs meinten die Japaner auch, die Deutschen mit ins Boot holen zu können.
 
Als das Abkommen im Jahre 1902 schließlich geschlossen wurde, fand es in Berlin eine positive Resonance.
Ob man in Berlin diesen bedeutenden Schritt des Foreign Office, nämlich die Aufgabe der Splendid Islolation, begriffen hat. Immerhin ist London handfeste Verpflichtungen eingegangen.

Japan hatte durchaus auch den Gedanken gehabt, Deutschland zum Beitritt einzuladen, aber London wollte nicht so wirklich. In Petersburg war man nicht so begeistert und zwar vor allem bezüglich der Beistandsklausel im Artikel 3 des Bündnisvertrages. Allerdings sieht der Artikel 3 vor, das Hilfe zu leisten ist, wenn einer der Vertragspartner von mehr als einer Großmacht angegriffen wird. Im Klartext, hatte London hier vorgebaut in einer möglichen militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und Japan hineingezogen zu werden. England müsste erst eingreifen, wenn Russland von Frankreich unterstützt werden würde.

Für Japan ein guter Deal, denn man konnte sicher sein, wenn eine Großmacht Russland unterstützen würde, das konnte nach Lage der Dinge eigentlich nur Frankreich sein, das saß auch England mit im Boot.

London hatte sich vergeblich darum bemüht gehabt, das Indien mit in das Abkommen einbezogen werde; das war aber 1901/02 noch nicht zu erreichen. Dies ist dann bei der Verlängerung des Vertrages im Jahre 1905 gelungen.
 
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Interessant ist auch, das deutsche Bemühungen zu einer Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen zu gelangen, beispielsweise die Offerte von Kiderlen Wächter aus dem Jahre 1919 oder die von Bethmann aus dem Jahre 1910 immer gleich negativ betrachtet wurden. Frei nach dem Motto, das Deutsche Reich trachtet nur nach der Hegemonie usw.usw.. Und da war sich die antideutsche Fraktion in Foreign Office immer ganz schnell einig. (...)

Es gibt ja diese These, die "deutsche Gefahr" wäre von britischer Seite nur erfunden worden, um von der Gefährdung durch Russland abzulenken.

Κ. M. Wilson: The Policy of the Entente. Cambridge 1985, S. 100 ff
 
Richtig ist, das England Russland enorm viel in Asien, erinnert sei beispielsweise nur an Persien, durchgehen ließ. Es ging letzten Endes schlichte um die Sicherung Indiens. Die "deutsche Gefahr" war schon deshalb "nützlich" um die Marinerüstung innenpolitisch durchzusetzten. Darüber hinaus benötigte man auch Gründe für die militärischen Verabredungen erst mit Frankreich und am Ende mit Russland; wo, das muss man klar sagen, von Petersburg massiver Druck ausgeübt worden war, um Grey zu veranlassen den Unterhandlungen zuzustimmen. Nur war die projektierte Konvention durch Spionage Bethmann bekanntgeworden. Das hatte Auswirkungen.


Frankreich hatte großes Interesse an den Beitritt Londons zu dem Bündnis zwischen Paris und Petersburg. Das versprach maximale Sicherheit und darüber hinaus eine wichtige Stellung in der Triple Entente als Mittler. Und in diesem Sinne wurde Frankreich auch aktiv.
 
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Ich frage mich manchmal, was hätte das deutsche Reich stattdessen tun können?
Man muss das ja auch aus der Sicht der damaligen Akteure verstehen.
Um die Russen im Hinblick auf die Bosnienkrise zu besänftigen und insbesondere die Slawophilen zu besänftigen, was wäre denn ein gangbarer Weg gewesen? Ein paar Ideen für einen Ausgleich, der einen Versuch darstellt, die Denke der damaligen Entscheidungsträger zu berücksichtigen.

Nur mal ins Blaue hinein:
Russ: Galizien zu Rußland, dafür Rückgabe der im Frieden von Tilsit gewonnen Gebiete Neuostpreußen und Südpreußen an Dtl.
OE: Eingliederung Bosniens, dafür Verlust Galiziens und Entschädigung in Schlesien, Umsetzung des trialistischen Vorschlags von Heinrich Hanau (Aufwertung der Slawen).
Dtl. Verlust von Schlesien, dafür als Ausgleich Neuostpreußen und Südpreußen, evtl. Eingliederung Luxemburgs als Vollendung der dt. Einheit. In den alten Konversationslexika wird ja stets darauf hingewiesen, dass Luxemburg fehlen würde.
 
Ganz spontan folgende Überlegungen:

Die ursprüngliche Idee Bismarcks, den Balkan in Interessensphären zwischen Petersburg und Wien aufzuteilen, war gar nicht so schlecht. Das hatte der Ballhausplatz aber entschieden abgelehnt.

Nur war das in den letzten paar Jahren vor dem Weltkrieg nicht mehr so ohne Weiteres umsetzbar. Der Hass der Russen auf Österreich war sehr ausgeprägt.

Deutschland hätte sich um mehr Vertrauen in seine äußere Politik bemühen müssen; die Deeskalationsstrategie während der Balkankrieg eines Bethmann im Verbunde mit Grey war ein erster guter Schritt. Hatte aber Vertrauenskapital in Wien gekostet.

Und durch das projektierte Marineabkommen zwischen England und Russland wurde, so meine ich, das Zutrauen Bethmanns in Grey schwer beschädigt, das Grey sowohl gegenüber Bethmann als auch dem Unterhaus in dieser Frage ziemlich gewunden antwortete und nicht klipp und klar die Wahrheit gesagt hatte.

Die Liman-von-Sanders-Krise war geradezu katastrophal für das deutsch-russische Verhältnis. Sasonow wollte jetzt verbindliche Abmachungen mit England; siehe Marinekonvention.

Ob man sich Gedanken machte, wie diese, wenn wie geschehen, auf die Staatsmänner wie Berlin wirken musste?

Aber für den Prozess, das man sich wieder vertraut, wäre sicher viel Zeit nötig gewesen und Monarchen wie Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. oder ein französischer Staatspräsident Poincaré waren dafür sich nicht die Idealbesetzungen.

Es war in den 10 Jahren vor Ausbruch des Weltkrieges unglaublich viel Porzellan auf beiden Seiten zerschlagen worden. Deutschland war nicht schuldlos, aber auch nicht der allein Schuldige.
 
Der französische Geschäftsträger machte im Sommer 1903, also noch vor der schweren Marokkokrose, gegenüber den englischen Außenminister Lansdowne eine sehr interessante Ausführung:

Er, Herr Etienne, glaube, dass die ernsteste Bedrohung des europäischen Friedens von Deutschland ausgehe, dass ein gutes Einvernehmen zwischen Frankreich und England das einzige Mittel sei, die deutschen Absichten in Schach zu halten und dass, wenn solches Einvernehmen erzielt werden könne, England finden würde, das Frankreich imstande sein werde werde, einen heilsamen Einfluß auf Russland auszuüben und uns dadurch von vielen Mißhelligkeiten mit diesem Land zu befreien.
 
Am 27.12.1890 führte der französische Botschafter Herbette mit Wilhelm II. ein Gespräch. Hinterher notierte er dazu das Folgende:

"Wie all seine Landsleute macht er sich nicht klar, daß wir Grund haben, Deutschland zu verabscheuen, weil es 1870 siegreich gewesen ist und uns zu seiner Sicherheit ehemals deutsche Provinzen wieder nehmen mußte." (1)

Das ist in der Tat auch schwer zu verstehen. Immerhin erkennt Herbette an, das es sich um ehemaliges deutsches Territorium handelte und das die Annexion aus militärpolitischen Gründen erfolgte.



(1) DDF, Band VIII, Dokument Nr.225
 
Der gleiche Herbette war auch bemüht ein paar Jahre zuvor beide Bismarcks über die französischen Revancheabsichten zu täuschen und führte aus, "Der Gedanke an der Revanche sei verjährt." (1) Ziel war es die außenpolitische Unterstützung Deutschlands für die französische Mittelmeerpolitik insbesondere in Bezug auf Ägypten zu erhalten.


(1) DDF, Band V, Dokument 475
 
Die 40-jährige Entwicklung der Abkehr Russlands vom DR wesentlich an dem nichtverlängerten Rückversicherungdingens festzumachen, bereitet mir ehrlich gesagt ziemliche Bauchschmerzen. Im Grunde setzt die Entwicklung nämlich schon früher ein und der von Bismarck abgeschlossene Zweibund-Vertrag, tendeziell gegen Russland gerichtet, war viel entscheidender als der Rüchversicherungsvertrag. Im Grunde ein Versuch Bismarcks die Russen zu erpressen, den "DreiKaiserBund" wieder zu erneuern. Da liegt der Ausgangspunkt der schiefen Bahn, die Bündnisse schon in Friedenszeiten schriftlich zu fixieren und Stellung gegen Russland zu beziehen.
Und der Versuch den Russen den Geldhahn abzudrehen war doch auch noch auf Bismarcks Mist gewachsen, oder der Berliner Kongress. War Bismarck wirklich so viel geschickter im Umgang mit den Russen als seine Nachfolger?

Ja, das war Bismarck ganz sicher, da er eben die überragende Rolle Russlands im Mächtekonzert Europas niemals unterschätzt hatte. Ganz im Gegenteil. Für Bismarck war es ein grundsätzlich ein zentrales außenpolitisches Grundbedürfnis, zum Zarenreich gute Beziehungen zu unterhalten und zu pflegen.

Nur dieses hat ihm ein Herr Gortschakow nicht gerade einfach gemacht. Gortschakow hatte Bismarck am Ende der Krieg-in-Sicht-Krise öffentlich gedemütigt und damit geprahlt, es wäre Russland, also ihm (Gortschakow) zu danken, das der Frieden gesichert sei.

Gortschakow war bestrebt nach dem Berliner Kongress, der als Niederlage betrachtet wurde, zuzusehen, das er seinem Kopf rettet und lastete alle "Schuld" Bismarck für die weitgehende Revision des Vorfrieden von San Stefano an. Nur hatte Bismarck in Rahmen des Möglichen die Russen durchaus unterstützt. Und die Russen haben schon vorher in London gegenüber den Engländern ein weites Entgegenkommen signalisiert gehabt. Und nun soll auf einmal Bismarck an allen Schuld gewesen? Der Zar ließ sich sogar dazu herab seinem Onkel Kaiser Wilhelm I. aus Enttäuschung über den Berliner Kongress den berühmten Ohrfeigenbrief zu schreiben, in dem u.a. Deutschland Undankbarkeit für die russische Haltung 1870 vorgeworfen wurde. Es kam zu militärischen Drohgebärden an der Grenze in Form von einer höheren Anzahl russischer Truppen als üblich.

Bismarck sah sich durch das russische Agieren gezwungen das Deutsche Reich abzusichern und gleichzeitig Russland auch wieder "heranzuziehen". Das Mittel der Wahl war der Zweibund von 1879.

Und dieses Mittel funktionierte schließlich, da das Drei Kaiserabkommen 1881 erneut zwischen den drei Kaiserreichen abgeschlossen worden war.

Ich kann hier nicht eine beginnende Auskreisung konstatieren.
 
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Am 27.12.1890 führte der französische Botschafter Herbette mit Wilhelm II. ein Gespräch. Hinterher notierte er dazu das Folgende:

"Wie all seine Landsleute macht er sich nicht klar, daß wir Grund haben, Deutschland zu verabscheuen, weil es 1870 siegreich gewesen ist und uns zu seiner Sicherheit ehemals deutsche Provinzen wieder nehmen mußte." (1)

Vielleicht lohnt sich der ganze Abschnitt, DDF, übrigens 1. Seriè, Band VIII, Dok. 225 (hier S. 316):

Ich hoffe, dass Wilhelm II. diese Ansicht teilt; dennoch muss er im Grunde seines Herzens ein wenig überrascht sein, dass seine friedlichen Erklärungen, seine sozialen Interessen, sein Bruch mit dem Fürsten von Bismarck und der eifrige Empfang, den er im vergangenen Jahr so bekannten Republikanern wie Jules Simon, Tolain und Burdeau bereitet hat, die französische Meinung nicht besser auf seine Seite gezogen haben. Wie alle seine Landsleute kann er sich nicht vorstellen, dass wir Grund haben, Deutschland zu verabscheuen, weil es 1870 siegreich war und weil es zu seiner Sicherheit ehemalige deutsche Provinzen von uns übernehmen musste. Er weiß übrigens, dass er keine persönliche Verantwortung für diese Ereignisse trägt und hält sich für unvoreingenommen, weil er keinen Groll gegen uns hegt, die gerne als die Erbfeinde seines Landes dargestellt werden.
(via www.DeepL.com)​

Bekanntlich war Bismarcks Außenpolitik nach dem preussisch-deutsch-französischen Krieg mit seinem überraschenden bis unerwarteten großen Sieg über die Truppen Frankreichs - ein global bemerktes und beachtetes Ereignis großer Bedeutung - wesentlich davon geprägt, zu verhindern, dass die Pariser Politik/Administrationen mit den russ. Regierungen ein militärisches Bündnis eingehen würde, um sich gegen das nun militärisch überstarke Dt. Reich soweit abzusichern, dass es nicht mehr im Alleingang jederzeit Frankreich angreifen und besiegen könne.

Die militärische Überlegenheit des Dt. Reiches im Vergleich nur mit Frankreich wuchs ja weiter und stand zu keinem Zeitpunkt mehr in Frage nach dem beeindruckenden militärischen Sieg Berlins 1870.

Das ist in der Tat auch schwer zu verstehen.
Jau, hier zeigt sich schon die später noch deutlicher werdende selbstbezogene Naivität KWII. Er konnte sich nicht vorstellen, welche Außen-Wirkungen die Flottenrüstung haben würde, er stolperte in Marokko 2 hinein, die Liman-Sanders-Krise ist vor allem seiner großen außenpolitischen Naivität zu verdanken usw. usw.

Und er ignorierte schlicht das zentrale sicherheitspolitische Momentum Bismarcks für das Deutsche Reich nach dem demütigenden Sieg Preussens im Alleingang gegen Frankreich, zu verhindern, dass Frankreich einen militärischen Bündnispartner findet, vor allem in Russland.

Immerhin erkennt Herbette an, das es sich um ehemaliges deutsches Territorium handelte
Das war im 17. Jh. Da gab es noch kein Dt. Reich und knapp 200 Jahre später war das Dt. Reich wahrlich auch nicht der Rechtsnachfolger (mehr).

Der gleiche Herbette war auch bemüht ein paar Jahre zuvor beide Bismarcks über die französischen Revancheabsichten zu täuschen und führte aus, "Der Gedanke an der Revanche sei verjährt." (1) Ziel war es die außenpolitische Unterstützung Deutschlands für die französische Mittelmeerpolitik insbesondere in Bezug auf Ägypten zu erhalten.
Umgekehrt...Bismarck war der Anreger/Initiator und band damit beide Großmächte in Ägypten. Das hatte ich bereits irgendwo angemerkt...und ist auch recht gut belegt.
 
Nur hatte Bismarck in Rahmen des Möglichen die Russen durchaus unterstützt.
Also praktisch gar nicht, beim Berliner Kongress.

Gortschakow hatte Bismarck am Ende der Krieg-in-Sicht-Krise öffentlich gedemütigt und damit geprahlt, es wäre Russland, also ihm (Gortschakow) zu danken, das der Frieden gesichert sei.
Öffentlich? gedemütigt? In Gorcakov's Runderlass vom 13.5.1875 an die Russ. Bot- und Gesandtschaften notiert jene bekannte Formulierung mit:

L'Empereur [Alexander II.] quitte Berlin parfaitement convaincu des dispositions conciliantes qui y régnent et qui assurent le maintien de la paix.
(via deepl: Der Kaiser [Alexander II.] verlässt Berlin vollkommen überzeugt von den versöhnlichen Gesinnungen, die dort herrschen und die Aufrechterhaltung des Friedens gewährleisten.)​

Reinhard Wittmann, Bismarcks Rußlandpolitik nach der Reichsgründung, in Historische Zeitschrift, Band 186 (1958), Heft 1, S. 261-284, hier S. 267, notiert u.a. dazu:

Die Verstimmung zwischen Bismarck und Gorcakov führte seit der Unterredung, die am 10. Mai beim Besuch des russischen Kaisers in Berlin zwischen ihnen stattfand, zu einem persönlichen Zerwürfnis. Der Inhalt dieses Gesprächs, das größtenteils unter vier Augen geführt wurde, ist so widerspruchsvoll überliefert, daß man sich nur schwer ein zutreffendes Bild davon machen kann.

Bismarcks Darstellung in den „Gedanken und Erinnerungen" ist in keinem Fall aufrechtzuerhalten.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß der selbstsichere und selbstgefällige, aber immer höflich-glatte und oft auch geistvolle alte Gorcakov den erregten und entrüsteten deutschen Kanzler in Gegenwart des britischen Botschafters Lord Odo Russell gesprächsweise überspielt und in die Enge getrieben hat.

Keinesfalls ist im bekannten Runderlaß Gorcakovs an die russischen Missionen vom 13. Mai der Anlaß für Bismarcks Beschwerden zu sehen; er war ein erst später hinzugetretenes und — wie sich nachweisen läßt — mit der Zeit vergrößertes und in den Vordergrund gerücktes Moment. Gorcakovs Zirkulardepesche war nicht ungeschickt redigiert, zurückhaltender und vorsichtiger, als sie in Bismarcks irrtümlichen Wiedergaben erscheint, auch durchaus in Übereinstimmung mit den Eindrücken des Kaisers Alexander.
Die Leerzeilen stammen von mir.

Der Zar ließ sich sogar dazu herab seinem Onkel Kaiser Wilhelm I. aus Enttäuschung über den Berliner Kongress den berühmten Ohrfeigenbrief zu schreiben, in dem u.a. Deutschland Undankbarkeit für die russische Haltung 1870 vorgeworfen wurde.
Ohrfeigenbrief.....das war ein Jahr nach dem Berliner Kongress, Briefdatum vom 15. August 1879 - KongressEnde 13. Juli 1878, hat also mit dem Berliner Kongress eher wenig zu tun. Dazwischen lagen Zollerhöhungen und eine von Bismarck im Frühjahr 1879 entfesselte Pressekampagne gegen Gorcakov.

Bereits im Juli 1879 gelang es ihm [Bismarck, Anm. von mir], im Reichstage eine Zweidrittelmajorität für seinen neuen Zolltarif zu erlangen, mit dem eine Ära der Schutzzollpolitik eingeleitet wurde. Der Tarif des Jahres 1879 brachte zunächst einen allgemeinen, nicht allzu hohen Industrieschutz, so wurden die Zölle auf Eisen und Eisenwaren bedeutend erhöht und nach der Feinheit abgestuft. [...] Als wichtigste Änderung aber brachte der neue Zolltarif die Wiedereinführung von Eingangszöllen auf Getreide, Holz, Vieh und tierische Produkte. Zwar waren die Zölle nur mäßig, sie betrugen für Getreide 1 M. per Scheffel, für Holz 0,25 M., für Talg 2 M. per 100 kg, für Pferde 10 M., Ochsen 20 M., Kühe 6 M., Schweine 2,50 M., Schafe 1 M. per Stück (95), aber dennoch erregten sie in Russland, gegen welches sie ja auch in erster Linie gerietet waren, großes Aufsehen.

Quelle: Die deutsch-russischen Handelsbeziehungen von 1870 bis 1893. | Lexikus

Ansonsten erinnerte der Zar KWI. an die russ. diplomat. Unterstützung KWI.s im preussisch/deutsch-franz. Krieg [in Verbindung mit den Ergebnissen des Berliner Kongress] und bemerkte, Bismarck führe eine persönliche, politisch gefährliche Fehde gegen Gorcakov.
 
Der heikelste Punkt für Russland auf dem Berliner Kongress dürfte das Thema Bulgarien auf der 4., 5., 6. und schließlich der 7.Sitzung gewesen sein. Gortschakow hatte es sich persönlich recht einfach gemacht, in dem unter Vorschiebung einer angeblichen "Diplomatenkrankheit" sich auf diesen Sitzungen einfach nicht sehen ließ. Er überließ Schuwalow die Drecksarbeit und distanzierte sich damit von diesem. Die Konzessionen hatte Russland ja übrigens schon vorher zugestanden; das wird komischerweise übersehen. Hier konnte Bismarck ja wohl kaum russischer als die Russen sein.

Gortschakow erschien wieder zur 7.Sitzung und akzentuierte, diplomatisch verpackt, die Differenz zu Schuwalow, den er auf dem Kongress quasi als Verräter an der russischen Sache behandelte. Abgesehen von der Theatralik Gortschakows trug auf russischer Seite eben Schuwalow die Hauptlast der Kongressarbeit und somit auch die politische und moralische Verantwortung. Schuwalow sah auch keinen Grund zur Kritik an Bismarck und dessen angeblich fehlender Unterstützung. Er sollte es ja wohl wissen. Radowitz führte später dazu aus: "In der Berliner Kongreßzeit war die Rolle, die Schuwalow spielte, nächst der von Bismarck die bedeutendste. Jeder Begriff, welche Last er auf sich genommen hatte, und jeder bewunderte die Kraft und Elastizität, mit der er sie trug." So weit ein anderer Teilnehmer des Kongresses.

Zum Ohrfeigenbrief: Wichtig ist nicht der Zeitpunkt, sondern der Inhalt. Und die Enttäuschung über die Ergebnisses des Kongresses haben da sicher reingespielt. Alexander III. erwartete Dankbarkeit für 1870. Diese wurde von deutscher Seite auch anerkannt. Es bestanden aber erhebliche Differenzen über Ausmaß und Umfang. Und Gortschakow war zur Reziprozität nicht bereit, er erwartete Gefolgschaft. Das wurde ja schon im Vorfelde des Kongresses deutlich. Es wurde deutsche Unterstützung angemahnt, es wurde aber nicht exakt gesagt wofür eigentlich.

Zu den Schutzzöllen: Da stand Deutschland ja in Europa nicht allein da. Die seit 1873 andauernde Wirtschaftskrise löste einen erheblich Fall der Preise Industrie- und Agrarprodukte aus. Deshalb führt die Reichsregierung 1879 die Schutzzölle ein.

Zu den Provinzen: Sie waren nun einmal ehemals deutsch, die Frankreich sich Stück für Stück angeeignet hatte. Die eigentlichen und tatsächliche Gründe für die Annexion brauche ich ja sicher nicht weiter zu erläutern.

[mod]Meta entfernt. Hat hier wirklich nichts zu suchen.[/mod]
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Nicht zu vergessen sind die russischen Goldzölle, mit denen Finanzminister Reutern die Auslandszahlungen begleichen und die Einfuhr reduzieren wollte. Natürlich war man in Deutschland und anderswo nicht begeistert. Eugen Richter fragte Im Reichstag, was denn der Reichskanzler dagegen tun wolle. In Deutschland hielt man aber zunächst an dem Freihandel fest. Erst als die Agrar- und Industriekrise einsetzte, trat man den Gedanken der Schutzzölle näher.
 
Aus einer Denkschrift des Jahres 1883 des deutschen Botschafters von Schweinitz geht das Folgende hervor:

„Als er ( Graf Peter Schuwalow) nun durch uns in Berlin viel mehr erreichte, als er zu ertrotzen imstande gewesen wäre, wurde teils durch Fürst Gortschakow, teils durch die Presse, welche durch Erregung von Unzufriedenheit die Regierung zu liberalen Reformen drängen wollte, dasjenige was ein Erfolg Rußlands war, zur Niederlage gestempelt.

Seit jener Zeit steht am Hofe, im Heer und in allen Schichten der russischen Gesellschaft das Axiom fest, daß Rußland in Berlin geschädigt und gedemütigt wurde, und – weil dieses gerade in Berlin geschah – so schiebt man alle Schuld auf uns; ebenso sinnlos und nicht minder allgemein wie einst in Frankreich der Ruf nach „revanche pour Sadowa“ ist in Rußland der Wunsch, den Berliner Vertrag zu rächen. Diese Stimmung wurde künstlich erzeugt in den Wochen nach dem Kongreß, als der greise Kanzler (Gortschakow) von Berlin zurückkehrend, beim Kaiser in Zarskoje Selo wohnte; gesteigert und genährt wurde sie während des ganzen folgenden Jahres.“
 
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