Warum ist die Aufarbeitung der Nazizeit gescheitert?



Diese Prozentwerte offenbaren den wahren Geist der AfD - und damit auch die Tatsache, dass der Geschichtsunterricht in den Schulen gescheitert ist: Es wird viel vom Mittelalter und dem Deutschen Reich, aber wenig vom sog. III. Reich erzählt, weil er meist am Ende des Schuljahres erfolgt, als die Zeugnisse schon geschrieben sind und auch sonst wenig Interesse besteht, Negatives aus deutscher Geschichte zu erfahren.

Was also tun? Zeigen, wofür Rechtsextreme stehen, was rechtsgerichtete (und linksgerichtete) Diktaturen angerichtet haben, warum Nationalismus und Chauvinismus gefährlich sind, und warum Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit nur 2 Bezeichnungen für ziemlich das Gleiche sind.

Dazu wäre z.B. notwendig, die Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ nicht nur zu erwähnen, sondern Punkt für Punkt durchzunehmen und darauf mit Beispielen belegen, was davon die Nazis verwendet haben, um die Verfolgung der Juden zu rechtfertigen und zu realisieren. Ob das ihm Rahmen des Geschichts- oder des Religionsunterichts geschieht, ist gleichgütig - am besten bei beiden.

PS:Was denn nun, @Shinigami?

Ich habe durchaus nicht den Eindruck, dass an deutschen Schulen die NS-Diktatur nicht ausreichend thematisiert wird. Es gibt doch wohl keine oder kaum eine Schule, die das nicht thematisiert. Fast jede Oberstufen-Klasse besucht zumindest wenigstens einmal eine Gedenkstätte.
Vielerorts wird moniert, dass das Dritte Reich überproportional im Geschichtsunterricht behandelt wird, dass sich Übersättigung und Überdruss einstellt, wenn nur noch oder kaum etwas Anderes darüber gesprochen wird.

Man kann kritisieren, dass das Dritte Reich didaktisch ungeschickt im Unterricht thematisiert wird, aber sicher nicht, dass es überhaupt nicht oder zu wenig thematisiert wird.

Inwieweit eine Damnatio memoriae Luthers Vorbedingung sein kann, die AfD zu neutralisieren, kann ich nicht nachvollziehen. Luthers Pamphlet "Wider die Juden und ihre Lügen" ist tatsächlich sehr ekelhaft. Luther bewegt sich mit seinen Forderungen aber innerhalb des traditionellen mittelalterlichen Antijudaismus. Sein Ziel war nicht die Ausrottung der Juden, sondern deren Bekehrung. Als sie auch seine Variante der Lehre Christi verwarfen, reagierte er mit einem hasserfüllten Pamphlet, in dem er u. a. die Verbrennung von Synagogen und Zwangsarbeit für Juden forderte.
Das macht Luther aber nicht zum Proto-Nazi, und die Damnatio memoriae für ihn zu fordern, heißt nichts Anderes, als zu verlangen, dass Geschichtsklitterung zur offiziellen Lehrmeinung und zum verbindlichem Lehrinhalt erhoben wird.
 
Mitunter würde man sich allerdings wünschen, dass die Ergebnisse dieser Forschung über die Medien auch der Öffentlichkeit näher gebracht würden. Das werden sie oft leider nur in Ausschnitten, während dann andere Dinge in den Medien kursieren, bei denen ich mich immer wieder frage, ob sowas sein muss.
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In der Lokalpresse wird schon darüber berichtet, wenn etwa ein Buch vorgestellt wird, das sich mit der Geschichte des NS in einer Region wie dem heutigen Schwalm-Eder Kreis oder dem Luftkrieg in Nordhessen beschäftigt.

Solche Bücher leisten wertvolle Aufklärungsarbeit, liefern eine Fülle von Details, die man in keiner Überblicksdarstellung finden würde, aber es stoßen solche lokalhistorischen Darstellungen außerhalb der Region, mit der sie sich beschäftigen auf einen begrenzten Leserkreis, der sich dafür interessiert.

In überregionalen Tageszeitungen, zumal im Boulevard wird man dazu kaum Artikel finden, was durchaus bedauerlich ist.
 
In der Lokalpresse wird schon darüber berichtet, wenn etwa ein Buch vorgestellt wird, das sich mit der Geschichte des NS in einer Region wie dem heutigen Schwalm-Eder Kreis oder dem Luftkrieg in Nordhessen beschäftigt.[...]

Alles richtig. Mir geht es eher darum, dass ich die Arbeitsweise von zentralen Stellen, die eigentlich die Aufgabe hätten, Forschungsergebnisse dem Publikum auch wirklich näher zu bringen, als antiquiert empfinde.

Hier mag mit die Problematik eine Rolle spielen, dass Bildung und Kultur in Deutschland Ländersache sind, was die Zusammenarbeit verkompliziert.
Ich komme aber nicht umhin zu bemerken, dass etwa die Bundeszentrale für politische Bildung oder die Kultus- und Bildungsministerien der Länder mMn viel zu wenig auf die Möglichkeiten zurückgreifen, die durch das Internet zur Verfügung stehen.

Hinweise auf Bücher in Lokalzeitungen in allen Ehren, mein Problem ist, vor allen Dingen auch, dass relativ wenig von der Möglichkeit gebrauch gemacht wird, Forschungsergebnisse visuell darzustellen und damit ein Gegenbild zu diversen verzerrenden Darstellungen schaft, die auf diversen Privatsendern kursieren und die mittlerweile auch über diverse Videoplattformen eine ganz enorme Reichweite erreicht haben.
Es ist ja durchaus nicht einmal so, dass es nicht auch ganz gute Dokumentationen oder Dokumentarspiele auch älteren Datums gäbe, aber die gehen leider in der Flut von weniger gutem Material mittleerweile einfach unter.
 
Ich denke an die private Initiative der Stolpersteine, die eine Erinnerung an das Schicksal einzelner Opfer wachhält, und die Beschäftigung mit der Geschichte meiner Stadt anregt.

Krieg und Nationalsozialismus waren in meiner Heimatstadt keine Tabuthemen. Nicht möglich war es mir aber zu erfahren wer unter den Bürgern meiner Stadt den Nationalsozialismus unterstützt hatte.
 
Diese Prozentwerte offenbaren den wahren Geist der AfD - und damit auch die Tatsache, dass der Geschichtsunterricht in den Schulen gescheitert ist

Mal davon ab das die AfD ein tagespolitisches Thema ist , dass hier nicht hingehört, würde mich ja interessieren, wie Prozentwerte in der Lage sein sollten den Geist von irgendwas zu "offenbaren", oder reden wir von Alkohol?

Es wird viel vom Mittelalter und dem Deutschen Reich, aber wenig vom sog. III. Reich erzählt, weil er meist am Ende des Schuljahres erfolgt, als die Zeugnisse schon geschrieben sind und auch sonst wenig Interesse besteht, Negatives aus deutscher Geschichte zu erfahren.

Ich weiß ja nicht, wann und wo du zur Schule gegangen bist, mit meinen Erlebnissen im Schuluntericht hat das so wenig zu tun.
Ich habe sowohl auf der Realschule, als auch später der gymnasialen Oberstufe der Gesamtschule recht ausgiebigen Unterricht zur Weimarer Republik und zur NS-Zeit gehabt, (der Kalte Krieg fiel danach etwas rüber), während zum Mittelalter eigentlich ziemlich wenig erzählt wurde, das hat jeweils 1,5-2 Monate oder was in dem Dreh eingenommen.
Einsätzend von der Französischen Revolution bis zum NS-Staat ist die Neuzeit eigentlich recht ausführlich behandelt worden, es wurde im schulischen Kontext auch das Dokumentationszentrum in Nürnberg besucht.

und warum Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit nur 2 Bezeichnungen für ziemlich das Gleiche sind.

Was genau haben Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus miteinander zu tun?
Der neuzeitliche Antisemitismus traf ja gerade Personen, die in der Gesellschaft in der sie lebten alles andere als Fremd waren.
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit können sich sicherlich überschneiden, dennoch sind sie weit davon entfernt synonym oder das Gleiche zu sein.

Dazu wäre z.B. notwendig, die Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ nicht nur zu erwähnen, sondern Punkt für Punkt durchzunehmen und darauf mit Beispielen belegen, was davon die Nazis verwendet haben, um die Verfolgung der Juden zu rechtfertigen und zu realisieren

Die Diskussion hatten wir mittlerweile auch schon x-mal.

Es liegt sicherlich jedem in diesem Forum fern irgendetwas von dem, was Luther in einen "Judenschriften" fabriziert hat zu rechtfertigen oder gutzuheißen, dass kann man nur als unaufgeklärte, menschenverachtende Ansichten betrachten.
Nur die Verbindung, zum NS, die du da konstrierst, ist da einmal nicht gegeben. Weder war Luther ein "Rasseantisemit" im Sinne des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts, noch gibt es irgendwelche näheren Hinweise darauf, dass die Nazis sich von Luthers Schriften in irgendeiner Form zu ihrem Tun hätten inspirieren lassen.

Im Besonderen bei Personen wie Hitler, Himmler oder Goebbels, die aus den katholischen Millieus Österreichs, Süddeutschlands und des Rheinlands kamen, wird man kaum voraussetzen können, dass sie diese Schriften Luthers oder überhaupt irgendwelche Schriften Luthers näher kannten.
Die ganze NS-Bewegung, mit ihrem "rasseantisemitischen" Kern ist, auch wenn sie später unter den Protestanten im Osten viele wähler fand, in Bayern in einem Millieu herangewachsen, in dem Luther gesellschaftlich keine Rolle spielte.
Gegen diese Verbindung, die du da immer wieder zu konstruieren versuchst, spricht so ziemlich alles und jedes.
 
Zuletzt bearbeitet:
So sind rassistsiche narrative normal in Deutschland und Antifeminismus ist keine Ausnahme.
...sondern kümmere mich um Gayrights oder das Klima

Liebe Andrea-Ulrike,
bitte schärfe dein Feindbild nach. So unangenehm mir persönlich auch patriachale Paschas, Homophobe, Verbreiter rassistischer Narrative oder "Klimaleugner" (schräges Wort eigentlich) sind, so ist das alles doch etwas anderes als nationalsozialistische Gesinnung.
Ich gehe davon aus, dass viele Personen mit solchen Ansichten sich berechtigterweise selbst als Antifaschisten bezeichnen können bzw. es sind. Um ein persönliches Beispiel zu nennen: Mit meinem eigenern Papa - mäßiger Patriarch mit chronischer Abneigung gegen Hausarbeit und homophoben Allüren - hab ich darob zwar oft gestritten; seine antifaschistische Einstellung aber nie im geringsten bezweifelt.Darüber hinaus sind solche Einstellungen auch in anderen Weltgegenden ohne prägende faschistische/nationalsozialistische Vergangenheit leider ebenfalls häufig verbreitet.
Ich bitte daher, das - trotz allem mir durchaus symphatischen Furor - auseinanderzuhalten.

Zum Kernthema antifaschistische Aufarbeitung:
Ja sicher war diese in Deutschland und in Österreich, wo ich herkomme, nicht annähernd perfekt. Allzuschnell galt das Motto "Mein alter Nazi ist mir immer noch lieber wie jeder hergelaufende Bolschewik" und Aufarbeitung wurde häufig von der neuen Frontstellung im "kalten Krieg" überlagert. Man kann berechtigterweise beklagen, dass sie zu langsam, zu inkonsequent und nur lückenhaft durchgeführt wurde, daß alte Nationalsozialisten noch jahrzehntelang in Führungspositionen verblieben bzw. erst nach 45 in solche gelangten. Man kann auch den Nebel des Schweigens, aufgrund dessen niemand jemals irgendwas gewußt hatte, Österreich nur ein Opfer des NS-Regimes war und einer sogar den Abtransport der Juden aus Thessaloniki versehentlich übersah (tschuldigung für dieses österreichische Spzifikum) anprangern, fehlende oder zu spät erfolgte Restitutionen beklagen.
Dennoch ist in Deutschland und Österreich antifaschistische Aufklärung nicht "gescheitert" oder komplett folgenlos geblieben. Wiederbetätigung ist in beiden Ländern nachwievor eine Straftat, die selten aber doch noch Verurteilungen führt. JedeR kann und sollte - da es u.a. ja in den Schulen entsprechende Aufklärungsarbeit gibt - zumindest grob über die faschistischen Verbrechen informiert sein; man kann sich recht einfach - in Film, Funk oder Büchern - informieren.
Dieses Angebot wird zweifellos von manchen (bewußt) nicht angenommen, als verstaubtes Geschichtswissen abgetan und/oder durch neue nationale Überlegenheitsphantasien überlagert. Eine Tendenz, die mMn. in den letzen Jahren - wie in ganz Europa - unter dem Motto "man wird doch noch sagen dürfen" wieder zugenommen hat.
Es wäre gerade deswegen auch falsch antifaschistische Aufklärungsarbeit als etwas Fertiges, Gewordenes zu betrachten. Leider werden wir uns da noch zumindest Jahrzehnte - hoffentlich erfolgreich - abplagen müssen.
 
Ein Hans Globke, unter Adenauer Chef des Kanzleramtes, hatte 1936 einen Kommentar zu den "Nürnberger Rassegesetzen" verfasst.

Hans Filbinger, Ministerpräsident Baden Württembergs von 1966 bis 1978, Mitglied der NSDAP und Marinerichter, der Soldaten zum Tode verurteilte.

Oder das hier hat auch einen üblen Beigeschmack:

https://www.deutschlandfunkkultur.d...lige-nazis-wie-die-bundesrepublik-ns-100.html

Kanzler Kiesinger war ab 1933 Mitglied der NSDAP.

Bundespräsident Carsten war ebenfalls Mitglied der NSDAP.

Bundespräsiden Heuss stimmt im Jahre 1933 im Reichstag für das Ermächtigungsgesetz, was die Abschaffung der Demokratie bedeutete.

Auch Bundespräsident Lübke ist nicht unumstritten. Er soll in der Nazizeit den Bau von Baracken für KZ Häftlinge geleitet haben.

Waldemar Kraft, Hauptsturmführer der SS, stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister des Landes Schleswig Holstein. Ab 1953 Bundesminister für besondere Aufgaben.

Theodor Oberländer, Vertriebenenminister unter Adenauer, in der DDR zum Tode verurteilt, seine Rolle beim Massaker an die jüdische Bevölkerung von Lemberg ist undurchsichtig.

Die Liste läßt sich beliebig fortsetzten. Das waren sicher alles andere als "glückliche" personelle Entscheidungen
 
Inwieweit eine Damnatio memoriae Luthers Vorbedingung sein kann, die AfD zu neutralisieren, kann ich nicht nachvollziehen.

Du weißt offensichtlich nicht, wovon du sprichst, denn ich verlange eben nicht, dass Luther verflucht und sein Name für die Nachwelt getilgt wird, sondern dass man sich an ihn nicht nur als Erneuerer der Kirche erinnert, sondern auch als einen Judenhasser par excellence. Schau bitte nach bei Damnatio memoriae.

Solche Bücher leisten wertvolle Aufklärungsarbeit, liefern eine Fülle von Details, die man in keiner Überblicksdarstellung finden würde, aber es stoßen solche lokalhistorischen Darstellungen außerhalb der Region, mit der sie sich beschäftigen auf einen begrenzten Leserkreis, der sich dafür interessiert.
Ja, sie leisten wertvolle Arbeit, aber der Preis für diese Arbeit kann hoch sein.

Es gibt viele engagierte junge Menschen, die wissen wollen, was in ihrem Heimatort während der Nazizeit geschah, aber sie treffen nach wie vor auf eine Mauer des Schweigens - siehe dazu auch den Beitrag von @Pardela_cenicienta.

Und wenn es ihnen doch gelingt, etwas herauszubekommen und zu publizieren, werden sie als Nestbeschmutzer bezeichnet und öffentlich gemieden. Hier ein Artikel darüber, wie selbst Historiker es schwer haben können – Zitat:

Bereits vor zwanzig Jahren kamen also Zweifel an der Integrität Bauers auf. Dittlmann wurde als Nestbeschmutzer beschimpft, sah sich persönlichen Angriffen ausgesetzt. Die Dorfener waren empört.
(…)
Schnee von gestern, werden viele sagen. „Wer die Vergangenheit ruhen lässt, läuft Gefahr, dass sie sich wiederholt“, sagt Wiesmaier. „Es war eine schreckliche Zeit, und es ist wichtig zu wissen, wie es dazu kommen konnte.“ Die Aufarbeitung über die Spitzenfunktionäre in der NS-Zeit habe es gegeben, doch auf lokaler Ebene sei die Auseinandersetzung mit dem Regime nach wie vor tabuisiert: „Weil eben ganz viele Familien davon betroffen sind.“


Und vorgestern las in der Süddeutschen Sätze wie diese – Zitat:

Als der Mann 1956 wieder in seiner Heimatstadt Wien war, das erste Mal nach den Jahren der Verfolgung und Vertreibung, fuhr er zu der Wohnung, in der er bis 1938 mit seiner Familie gelebt hatte. Er klingelte, eine fremde Frau öffnete. Sie wurde blass und rief: "Der Jud' is wieder do!" Kurz bevor sie dem Mann die Tür vor der Nase zuknallte, konnte der noch einen Blick auf die Möbel in der Wohnung werfen. Sie stammten von seinen Eltern und ihren früheren jüdischen Nachbarn.
(…)
Sobald sie vor einem nicht-jüdischen Publikum steht, sind die Leute geschockt von der Niedertracht der Nachkriegsjahre.


Bei einem jüdischen Publikum ist die Reaktion immer: Ach ja, das war in unserer Familie genauso. Und dann bekommt sie die Geschichten dazu erzählt. Von der Frau etwa, die ihr Haus nach der Rückkehr aus dem Exil leergeräumt vorfand. Sie rief einen Polizisten und ging mit ihm von Nachbar zu Nachbar, um ihren Besitz zusammenzusuchen. Der eine hatte ihr Bett, der andere ihren Tisch, der dritte ihre Stühle.

Die Unschuld der Dinge, die ist Deutschland seltener zu finden als woanders, denn ca. eine halbe Million Menschen mussten während der Nazizeit emigrieren, ein Zehntel davon waren Juden. Ihren Besitz mussten sie zu einem lächerlichen Preis „verkaufen“ – und wenn nicht, dann haben sich die Nachbarn genommen, was in den Wohnungen nicht niet- und nagelfest war.
 
Du weißt offensichtlich nicht, wovon du sprichst, denn ich verlange eben nicht, dass Luther verflucht und sein Name für die Nachwelt getilgt wird, sondern dass man sich an ihn nicht nur als Erneuerer der Kirche erinnert, sondern auch als einen Judenhasser par excellence. Schau bitte nach bei Damnatio memoriae.
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Ich weiß, was eine Damnatio memoriae ist.

Ich glaube dir auch, dass du Luther nicht vom Sockel stürzen willst. Im Ikonoklasmus-Thread hast du vor einem Jahr sehr gegen den Ikonoklasmus gewettert, der einem Bristoler Sklavenhändler und Philanthropen galt und die Meinung geäußert, dass es schlicht Hybris sei, wenn spätere Generationen Edwad Coltons Geschäftsmodell kritisieren, das zu seinen Lebzeiten völlig legal und anerkannt war, und hast den Ikonoklasmus mit Pogromen verglichen.

In einem anderen Thread haben dich andere Diskutanten auch darauf aufmerksam gemacht, dass Luthers Antisemitismus bereits mehrfach zum Thema gemacht wurde, dass u. a. die EKD im "Lutherjahr" 2017 eine eigene Ausstellung allein diesem Thema gewidmet hat.
 
Ich weiß, was eine Damnatio memoriae ist.

Ich glaube dir auch, dass du Luther nicht vom Sockel stürzen willst.
Echt? Das las sich aber hier
Inwieweit eine Damnatio memoriae Luthers Vorbedingung sein kann, die AfD zu neutralisieren, kann ich nicht nachvollziehen.
anders an.

Und was du jetzt über Sklavenhändler und Ikonoklasmus schreibst, hat in diesem Faden nichts zu suchen, ist aber ein durchsichtiges Manöver, um von deinem faux pas abzulenken.
 
...ein erster Anfang wäre: offensichtlichen Unsinn korrigieren:
Zeigen, (...) warum Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit nur 2 Bezeichnungen für ziemlich das Gleiche sind.
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine Synonyme!
Es wird nicht sehr schwierig, das an zwei ganz einfachen Wikipedia-Erläuterungen wahrzunehmen, indem man sie vergleicht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Fremdenfeindlichkeit
https://de.wikipedia.org/wiki/Antisemitismus
 
Selbst wenn es in anderen Ländern auch faschistische Parteien gibt, ist das keine Entschuldigung für eine Partei wie die AfD bei uns, die die Herrschaft der Nazis als „Fliegenschieß in der Geschichte“ Deutschlands bezeichnet und damit mehr als 10 Prozent bei den letzten 2 Bundestagwahlen erhielt.

Das erscheint verhältnismäßig wenig, aber dahinter gibt es (erschreckende) Gründe für dieses Wahlverhalten – Zitat (Fettschreibung durch mich):

Im Vorfeld zur Bundestagswahl 2021 veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung im Februar 2021 die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage von YouGov vom Juni 2020. An der Befragung nahmen 10.055 Menschen teil. Demnach haben 29 Prozent der AfD-Wähler eine „manifeste rechtsextreme“ Einstellung und weitere 27 Prozent vertreten eine „latente rechtsextreme“ Einstellung. 15 Prozent der Befragten befürworten eine rechtsgerichtete Diktatur, 13 Prozent verharmlosen den Nationalsozialismus, 13 Prozent vertreten Antisemitismus, 54 Prozent Chauvinismus, 65 Prozent Fremdenfeindlichkeit und 8 Prozent Sozialdarwinismus.

Diese Prozentwerte offenbaren den wahren Geist der AfD - und damit auch die Tatsache, dass der Geschichtsunterricht in den Schulen gescheitert ist: Es wird viel vom Mittelalter und dem Deutschen Reich, aber wenig vom sog. III. Reich erzählt, weil er meist am Ende des Schuljahres erfolgt, als die Zeugnisse schon geschrieben sind und auch sonst wenig Interesse besteht, Negatives aus deutscher Geschichte zu erfahren.

Was also tun? Zeigen, wofür Rechtsextreme stehen, was rechtsgerichtete (und linksgerichtete) Diktaturen angerichtet haben, warum Nationalismus und Chauvinismus gefährlich sind, und warum Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit nur 2 Bezeichnungen für ziemlich das Gleiche sind.

Dazu wäre z.B. notwendig, die Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ nicht nur zu erwähnen, sondern Punkt für Punkt durchzunehmen und darauf mit Beispielen belegen, was davon die Nazis verwendet haben, um die Verfolgung der Juden zu rechtfertigen und zu realisieren. Ob das ihm Rahmen des Geschichts- oder des Religionsunterichts geschieht, ist gleichgütig - am besten bei beiden.
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Woran willst du eigentlich das Scheitern des Geschichtsunterrichts festmachen? Björn Höcke ist Geschichtslehrer. Dieser Mann weiß ziemlich genau was er tut und was er sagt. Wenn er ziemlich offen auf Versatzstücke von NS-Rhetorik zurückgreift, dann liegt das sicher nicht daran, dass er einfach zu wenig von der NS-Geschichte weiß, dass nur sein Geschichtsunterricht hätte besser sein müssen.

Alexander Gauland sprach übrigens von einem "Vogelschiss". Er sagte: "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte."

Ich habe jedenfalls erhebliche Zweifel, dass Alexander Gauland und Björn Höcke weniger schlimme Reden halten würden, wenn sie in ihrer Schulzeit nur Luthers Pamphlet "Wider die Juden und ihre Lügen" durchgenommen hätten, wenn sie nur jemand darüber aufgeklärt hätte, dass in Wirklichkeit Luther der Vordenker des Holocaust war und die Nazis lediglich auf einen fast 500 Jahre alten Masterplan Luthers zurückgriffen.
 
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine Synonyme!
Natürlich sind sie keine Synonyme. Insofern war meine Formulierung „2 Bezeichnungen für ziemlich das Gleiche” etwas forsch.

Was ich meinte: Antisemitismus* gibt es, weil Juden eine andere Religion haben, (früher) sich anders kleideten und aussahen, andere Kultur pflegten und sich nicht an die Mehrheitsbevölkerung anpassten. Das meiste davon gilt auch für die Fremdenfeindlichkeit, wobei die größten Vorbehalte die Religion und damit auch die Kultur betreffen, was man schon daran sieht, wie unterschiedlich man hierzulande Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Ukraine behandelte und behandelt.

Ich habe jedenfalls erhebliche Zweifel, dass Alexander Gauland und Björn Höcke weniger schlimme Reden halten würden, wenn sie in ihrer Schulzeit nur Luthers Pamphlet "Wider die Juden und ihre Lügen" durchgenommen hätten, wenn sie nur jemand darüber aufgeklärt hätte, dass in Wirklichkeit Luther der Vordenker des Holocaust war und die Nazis lediglich auf einen fast 500 Jahre alten Masterplan Luthers zurückgriffen.
Das ist klar. Aber es geht hier nicht um Gauland und Höcke, sondern um diejenigen, die ihnen folgen, weil sie kaum Ahnung haben, was Luther über Juden geschrieben; bis zum Jahr 2017 war in den Schulen diese Seite Luthers kein Thema.

* Antisemitismus ist ein falscher Begriff, weil er suggeriert, es gehe gegen Semiten, zu denen auch Araber gehören; es gehe beim Antisemitismus aber ausschließlich gegen Juden. Antijudaismus bezeichnet den Sachverhalt besser, aber weil er diesen zu direkt benennt, wird er gemieden.
 
Woran willst du eigentlich das Scheitern des Geschichtsunterrichts festmachen?

Offenbar an einer Mischung aus Erinnerungen an die eigene Schulzeit, die mutmaßlich einige Jahrzeehnte zurückliegt und nicht näher durchdachtem Aufkochen eigener Sentiments.

Das sich @Dion schon seit längerer Zeit nicht mehr damit beschäftigt hat, wie Geschichtsunterricht heute aussieht und strukturriert ist, zeigt sich schon in der Behauptung, der NS käme im Geschichtsunterricht ja quasi nicht vor, weil er am Ende des Schuljahres stattfände, wo die Zeugnisse schon geschrieben seien und es niemanden mehr interessiere.

Das deckt sich in etwa mit dem, was ich so von meinen Eltern aus deren Erzählungen über den Schulunterricht kenne, allerdings sind die beide Ende der 1970er Jahre in dem entsprechenden Alter gewesen, dass sie das in der Schule hätten durchnehmen sollen.
Und genau von diesem Stand geht Dion aus. Das das schon dswegen nicht mehr hinkommen kann, weil sich die welt inzwischen so 40-50 Jahre weiter gedreht hat, die alte BRD, die DDR und der kalte Krieg keine Tagespolitik mehr sind, sondern im Geschichtsunterricht behandelt werden müssen und daher der NS heute nicht mehr am Ende des Schuljahres steht, sondern mitten drinn, darüber scheint er sich keine Geddanken zu machen.
Die aktuellen Kernlehrpläne der Bildungsministerien für die verschiedenen Bundesländer scheint er sich auch nie zu Gemüte geführt zu haben, obwohl die offen zugänglich und für jeden einsehbar sind.


In den anderen Punkten kann ich da nur zustimmen.
Bei Leuten, die heute < 40-50 Jahre alt sind und was die problematische Klientel, was das Thema NS angeht, reden wir ja einmal vorwiegend von jüngeren Männern liegt es nicht an Versäumnissen des Geschichtsunterrichts.
Sondern daran, dass die betreffenden Personen aus welchen Gründen auch immer sich sehr bewusst dafür entschieden haben, aus der Geschichte nichts lernen zu wollen.
Und dem wird man ganz sicher nicht beikommen, würde man anfangen im Geschichtsunterricht Luthers Ergüsse auseinander zu nehmen oder nicht näher belegbare Kontinuitäten von Luther zu Hitler zu konstruiren.
 
Ja, sie leisten wertvolle Arbeit, aber der Preis für diese Arbeit kann hoch sein.

Es gibt viele engagierte junge Menschen, die wissen wollen, was in ihrem Heimatort während der Nazizeit geschah, aber sie treffen nach wie vor auf eine Mauer des Schweigens - siehe dazu auch den Beitrag von @Pardela_cenicienta.

Und wenn es ihnen doch gelingt, etwas herauszubekommen und zu publizieren, werden sie als Nestbeschmutzer bezeichnet und öffentlich gemieden.
Wenn es einzelne Menschen gibt, die Leute, die historisch etwas aufarbeiten, nach dem Motto, dass der Überbringer der Nachricht hingerichtet wird, als Nestbeschmutzer diffamieren, kann man daraus nicht herleiten, dass die Person öffentlich gemieden wird, das ist dem zitierten Artikel auch nicht zu entnehmen.* Im Ggt.: Wiesmaier hat ja aufgrund Dittlmeiers Veröffentlichungen weitergeforscht und im Publikationsorgan des Heimatvereins veröffentlicht.

So eine Geschichte aus dem Jahr 2001 zu hören, ist eigentlich erstaunlich. Man hörte solche Geschichten Mitte der 1980er immer mal wieder. Aber seit den 90er Jahren eigentlich nicht mehr.

*Das ist im Übrigen keine auf Nazi-Geschichte beschränkte Verhaltensweise. Ein Bekannter von mir, bekennender Anarchist, PD an einer deutschen Hochschule, hat über Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg geforscht und dabei auch etwas über anarchistische Kriegsverbrechen geschrieben, das ist ihm in der anarchistischen Szene von einigen (nicht von allen) übel genommen worden. Nestbeschmutzer.
 
Was ich meinte: Antisemitismus* gibt es, weil Juden eine andere Religion haben, (früher) sich anders kleideten und aussahen, andere Kultur pflegten und sich nicht an die Mehrheitsbevölkerung anpassten.

Wir haben die Gemengelage Antisemitismus-Antijudaismus wirklich oft genug durchgekaut.

Du versuchst mal wieder den Begriff Antisemitismus dem Mittelalter überzustülpen um dein Postulat Luther sein ein Proto-Nazi gewesen zu legitimieren.

Um das ganz kurz abzubügeln:

Die Nazis interessierten sich in ihrem Antisemitismus relativ wenig für die tatsächliche Religion der Personen, die sie verfolgten (die einzige Ausnahme ist die Figur des sogenanntn "Geltungsjuden"), ansonsten hätten sie ja keine Personen als "Halbjuden" verfolgen dürfen, die ihrer Religion nach Katholiken oder Protestanten waren, nur weil Teile von deren Großeltern sich ihrerzeit zum jüdischen Glauben bekannt hatten.

Religion ist für neuzeitlichen Antisemitismus kein zwingendes Kriterium.

Deine Einlassungen über das Aussehen, sind genau so Unfug. Es gab im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Kleidervorschriften, die Juden aufnötigten entsprechende Kennzeichen ihrer Religion zu tragen.

1. Hätte man ihnen diese Kennzeichen nicht aufgenötigt, wenn sie ohne dem zweifellos als Juden erkennbar gewesen wären.
2. Beweist das, dass es sich realiter gegenteilig zu deinem Postulat verhält. Nicht anderes Aussehen führte zu Ressentiments, sondern Ressentiments führten zu diskriminierenden Kleidungsvorschriften, die die Gruppe erst kennzeichneten.

Auch für das 19. Jahrhundert und das beginnende 20. in dem die Diskriminierung der Juden in den deutschsprachigen Territorien aufgehoben wurden/waren, glit ähnliches.

Es gab einen beachtlichen, durchaus assimilationswilligen Teil unter der jüdischen Bevölkerung, der sich außer in der ausgeübten Religion in allen Belangen des kulturellen Lebens, der Kleidung etc. durchaus anpasste.
Diese Leute hätte kein Unbekannter vom bloßen Erscheinungsbild her von einem katholischen oder evangelischen Einwohner des Landes unterscheiden können.
Die Vorstellung, diese Leute hätten durch ein auffälliges Äußeres oder eine sonstige Unangepasstheit das Missfallen ihrer Umgebung erwecken können, trifft einfach nicht zu.
Und dem trug der Antisemitismus, im Besonderern derjenig der Nazis ja auch insofern Rechnung, als dass er unterstellte, dass die Juden sich anschickten die Gesellschaft zu unterwandern, womit er im Besonderen die tatsächlich bis auf die Religion völlig ihrer Umgeebung angepassten Juden und Personen, die sich religiös längst andarweitig orientiert hatten und möglicherweise lediglich jüdische Vorfahren hatten besonders angriff.

Es wäre wirklich schön, wenn du dich mit historischen Begebenheiten über die du andere belehren möchtest, vielleicht selbst einmal auseinandersetztest.
Im Übrigen wäre es schön, wenn man sich zur Abwechslung einmal an die Forenregeln halten und Tagespolitik hier außen vor halten würde, was Einlassungen zur gegenwärtigen Lage in der Ukraine und ihre Konsequenzen beetrifft.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn es einzelne Menschen gibt, die Leute, die historisch etwas aufarbeiten, nach dem Motto, dass der Überbringer der Nachricht hingerichtet wird, als Nestbeschmutzer diffamieren, kann man daraus nicht herleiten, dass die Person öffentlich gemieden wird, das ist dem zitierten Artikel auch nicht zu entnehmen.*
Ja, es sind einzelne Personen, die rufen: Nestbeschmutzer!, doch die gibt es im ganzen Land, in jeder Stadt. Und es gibt andere, die das zwar nicht rufen, aber beim Bäcker plötzlich verstummen, wenn ein „Nestbeschmutzer“ den Laden betritt. Die Welt kann klein sein in solchen Fällen.

Nestbeschmutzer werden nicht nur diejenigen genannt, die in ihrem Ort Nachforschungen über das Verhalten der Bürgen in der Nazizeit anstellen, sondern auch jene, die über die sog. Neonazis berichten – Zitat aus der Zeit (Fettschreibung durch mich):

Von der Göppinger Zeitung bis zur New York Times war Wurzen bereits Thema.
(…)
Als der Verfassungsschutz seine Stadt schon lange als "Schwerpunkt rechtsextremistischer Tätigkeiten" bezeichnete, verkündete Oberbürgermeister Anton Pausch (CDU) immer noch: "Mir ist nicht bekannt, dass es bei uns Rechtsradikale gibt."
(…)
Und es gibt das Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK), das Daniel und Alexander und ein Dutzend Freunde im Herbst 1999 gegründet haben. Die meisten von ihnen waren zuvor in einer kleinen Umweltgruppe aktiv. In den Augen der Glatzen gehörten sie damit zu "den Zecken", den Linken, den Feinden. "Irgendwann merkt man, dass was passieren muss", sagt Frank Schubert, 22, Student, Nickelbrille, Spaghettihaare. Er war eines Samstagnachts von Springerstiefeln in der S-Bahn zusammengetreten worden.
(…)
Sie sind ganz normale Jugendliche: fast alle Gymnasiasten, viele aus kirchlichen Elternhäusern. In ihrer Stadt werden sie als linksradikale Nestbeschmutzer beschimpft. Für das schlechte Image der Stadt wird verantwortlich gemacht, wer über rechte Gewalttaten berichtet, und nicht, wer sie begeht. Der oberste Nestbeschmutzer heißt Markus Zeeh. Sein Geografiestudium hat er abgebrochen und ist jetzt so etwas wie der Geschäftsführer des NDK. Sitzt der 23-Jährige in der Pizzeria am Fenster, schneiden die Babyskins, die draußen vorbeiziehen, Grimassen. Reißt jemand die Restauranttür auf, schreckt er hoch und taxiert die Leute, die eintreten.


Annelies Friedrich, die städtische Jugendsozialarbeiterin, explodiert, wenn sie auf Zeeh angesprochen wird: "Wenn's nach mir ginge, würd' ich den aus Wurzen verweisen. Der zieht die Stadt nur in den Dreck!"

Die Stimmungsmache gegen das NDK erreichte einen Höhepunkt, als nach einem HipHop-Konzert im April, das vom NDK mitveranstaltet wurde, eine Tourbegleiterin in einer E-Mail aus Wurzen berichtete. Maike, eine behütete westdeutsche Bürgertochter, hatte dort zum ersten Mal in ihrem Leben echte Angst gespürt. So schrieb sie von ausländerfeindlichen Polizisten und aufmarschierenden Glatzen, ihr Brief gipfelte in dem Satz: "Es leben dort nur Nazis!" Zehntausendfach schwirrte die Horror-Mail durch die Welt, im Zeitalter des Internet lassen sich Kettenbriefe mit einem Mausklick auslösen.

Ganz Wurzen reagierte mit einem Aufschrei, wie er bisher bei all den ungezählten rechten Übergriffen ausgeblieben war. Und das NDK war schuld, weil es die HipHopper nach Wurzen geholt hatte. Der Jugenddezernent des Landkreises fragt allen Ernstes, "ob so ein Konzert vielleicht nur deshalb stattfindet, damit hinterher jemand so eine Mail schicken kann".

Es ist stiller geworden in Wurzen. Die Nazikader haben es inzwischen nicht mehr nötig, in öffentlichen Jugendclubs zu agitieren. Ein Gastwirt hat ein leer stehendes Haus für ein "nationales Jugendzentrum" zur Verfügung gestellt. Dort hält der NPD-Stadtrat Schulungsabende ab und mahnt seine Gefolgsleute, wenn sie bei Straftaten erwischt werden, sei das schlecht für die "nationale Sache".

Da waren keine einzelne Braune am Werk, sondern so viele, dass sie sich beinahe alles erlauben konnten. Und wäre die überregionale und internationale Presse nicht auf Wurzen aufmerksam geworden, die Zustände wären heute immer noch so wie vor 20 Jahren. Man kann jetzt nur raten, wie viele ähnliche Orte es in Deutschland gibt, die aber nicht so im Fokus stehen, um überregional bekannt zu werden.

Ich denke, wir sind uns in einem Punkt einig: Keiner, der in Österr. oder Dtld. eine normale Schulbildung genossen hat, kann sich damit rausreden, dass er nichts über den Nationalsozialismus wisse oder aus Unwissenheit agiere.
So wie du das schreibst, verstehe ich als den heutigen Zustand, dem ich auch zustimme – ja, es wurde in letzter Zeit besser. Aber das Problem ist ohnehin nicht, dass sie es nicht wissen, das Problem ist, dass sie es leugnen.

Ich möchte nicht wissen, was Björn Höcke als Studienrat für Sport und Geschichte bis 2014 seinen Schülern über die Nazizeit wie erzählt hat. Seitdem ist er Politiker, aber er könnte jederzeit in seinen Beruf zurückkehren. Und ich bin mir sicher: Es gibt mehr Geschichtslehrer, die ähnlich denken und weiter im Staatsdienst geduldet werden, weil sie erstens nicht so exponiert sind, und zweitens, weil es Lehrermangel gibt. Seit Jahrzehnten gibt.

Ich könnte jetzt auch auf Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard verweisen, und in Deutschland auf Jutta Ditfurth, die von rechten Journalisten und der Justiz fertiggemacht wurde, weil sie auf ihrer eigenen Meinung bestand, z.B. Jürgen Elsässer (Combat, Neue Rechte) als Antisemiten bezeichnete, und auch in Adelskreisen aneckte, weil sie deren Standesdunkel nicht ertrug. Berühmt berüchtigt war ihr Auftritt bei Maischberger, als ihr das Mikro einfach abgedreht wurde, so dass sie nichts mehr sagen konnte. etc.
 
Da waren keine einzelne Braune am Werk, sondern so viele, dass sie sich beinahe alles erlauben konnten.

Dir ist aber klar, dass du dich da auf einen Zeitungsartikel von vor über 20 Jahren berufst, der sich mit der speziellen Situation einer ca. 15.000-Einwohner-Stadt in Sachsen in der Nachwendezeit befasst?

Das lässt sich schwerlich für Deutschland generalisieren und daraus eine insgesamt gescheiterte Aufarbeitung oder gewohnheitsmäßige Behinderung der Aufarbeitung ableiten.

Man kann jetzt nur raten, wie viele ähnliche Orte es in Deutschland gibt,

Ach man kann nur raten? Vielleicht schaut man sich einfach mal an, wie die kommunalen Wahlergebnisse so ausgfallen sind.
Soll mitunter helfen sichtbar zu machen, wie die Bevölkerung politisch tickt.

Aber das Problem ist ohnehin nicht, dass sie es nicht wissen, das Problem ist, dass sie es leugnen.

Wenn wir uns darüber einig sind, warum behauptst du, es läge am Unterricht oder daran, dass nicht hinreichend Luther besprochen würde?

Und ich bin mir sicher: Es gibt mehr Geschichtslehrer, die ähnlich denken und weiter im Staatsdienst geduldet werden, weil sie erstens nicht so exponiert sind, und zweitens, weil es Lehrermangel gibt. Seit Jahrzehnten gibt.

Was Lehrermangel betrifft, den gibt es durchaus nicht in allen Fachbereichen.
Jemand aus meinem Familienkreis hat Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert, ist vor einiger Zeit mit druchaus passabler Benotung fertig geworden und hatte es mit dieser Kombination nicht leicht überhaupt eine feste Stelle zu finden.

Ich kann dir versprechen, dass untragbare Geschichtslehrer sicherlich nicht aus Gründen von Lehrermagel geschützt werden, für das Fach gibt es gegenwärtig genügend ausgebildete Lehrer, die sich mit befristeten oder halben Stellen über Wasser halten müssen, weil kaum offene Stellen vorhanden sind, wenn sie kein anderes Fach mitbrigen, wie etwa Mathe oder Physik, wo es tatsächlich einen Mangel und entsprechend viele freie Stellen gibt.
 
Das so etwas vorkommt - ohne den Einzelfall bagatellisieren zu wollen -, heißt nicht, dass das der Normalfall sei. Ein guter Historiker findet die Spezialfälle, ein besserer weiß sie richtig einzuordnen.
 
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