Oral History über eine thüringische Prinzession 2023?

Swantewit

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Bevor ich auf mein Hauptanliegen komme, möchte ich etwas ausschweifen. Kennt ihr ja von mir... Es war ca 1987, also mindestens zwei Jahre vor der Wende in der DDR. Ich wohne noch immer im Landkreis Weimar und musste damals im Ort Niedergrunstedt arbeiten. Die Auftraggeberin hatte mich damals angesprochen wegen meines Nachnamens. Ich erwiderte darauf, dass mein Opa aus diesen Ort kam vor 50 Jahren. Sie meinte, dass ein Mann mit meinem Nachnamen im 12. Jahrhundert ein Grundstück in diesem Ort gekauft hat und die Urkunde im Landesmuseum Weimar einsehbar ist. Ich habe nicht weiter nachgeforscht, aber es ist schon krass, wenn einer deiner Vorfahren vor 800 Jahren erwähnt wird, vorrausgesetzt, alle weiblichen Vorfahren waren ihren Partnern treu. Wer kann sich schon auf einen Arier-Nachweiß von 800 Jahren berufen ? War Spaß ! Aber trotzdem sehr "krass" ! Jetzt kommt aber mein Hauptanliegen: Vor einigen Wochen musste ich wieder im Landkreis arbeiten: Ort Buchfart. Na ja, wie es bei Handwerkern üblich ist, hinterher eine "Baubesprechung". Der Nachbar kam auch dazu. Er ca. 67 Jahre -also Rentner- und nach ein paar Nebensächlichkeiten (+Bier) habe ich ihn auf die "steinzeitlichen Höhlen" in Buchfart angesprochen. Ohne eine Andeutung hat er mir dann erzählt, dass die letzte thüringische "Prinzessin" in den Höhlen Zuflucht gesucht hatte, bevor sie weiter nach Osten floh. Irgendwo hätte sie auch den Königsschatz versteckt auf der Flucht. Hallo ! Der Typ hatte absolut keine Ahnung von Geschichte und thüringer Königsreich. Der erzählt aber etwas, was auf Tatsachen beruht, was 1500 Jahre her ist ! Also mindestens vor 75 Generationen ! Von einer Geration zur nächsten... Das ist doch total "krass"! Ich völlig perplex. Ich konnte nix darauf antworten. 1500 Jahre, in einem Dorf mit nicht mal 1000 Einwohnern ! Habt ihr schon einmal etwas ähnliches erlebt ?! Die Schlacht bei Scheidungen (Ende des thüringer Königreiches) liegt etwa nördlich bis nord-östlich von Buchfart - also auf der anzunehmenden Fluchtroute Richtung Byzanz !
 
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Ohne eine Andeutung hat er mir dann erzählt, dass die letzte thüringische "Prinzessin" in den Höhlen Zuflucht gesucht hatte, bevor sie weiter nach Osten floh. Irgendwo hätte sie auch den Königsschatz versteckt auf der Flucht. Hallo ! Der Typ hatte absolut keine Ahnung von Geschichte und thüringer Königsreich. Der erzählt aber etwas, was auf Tatsachen beruht, was 1500 Jahre her ist ! Also mindestens vor 75 Generationen ! Von einer Geration zur nächsten... Das ist doch total "krass"! Ich völlig perplex.

Woher weißt du, dass der "Typ absolut keine Ahnung von Geschichte und Thüringer Reich" hatte? Vielleicht hat er sich öfter mal mit anderen Einwohnern von Buchfart oder Umgebung auf ein paar Nebensächlichkeiten (+Bier) getroffen, die ihm dann eben diese Legende der Thüringer Prinzessin erzählt haben.
Gibt es denn eigentlich tatsächlich Belege dafür, dass sich in den Buchfarter Höhlen die "letzte Thüringische Prinzessin" aufhielt? Gibt es handfeste Hinweise auf einen "versteckten Königsschatz" in oder bei Buchfart? Oder könnte das ganze nicht auch "keine 1500 Jahre alte Tatsache" sondern eine sehr viel jüngere Legende sein?
Die schriftliche Ersterwähnung von Buchfart datiert auf 1348.
 
Sie meinte, dass ein Mann mit meinem Nachnamen im 12. Jahrhundert ein Grundstück in diesem Ort gekauft hat und die Urkunde im Landesmuseum Weimar einsehbar ist. Ich habe nicht weiter nachgeforscht, aber es ist schon krass, wenn einer deiner Vorfahren vor 800 Jahren erwähnt wird,
Nachnamen im 12. Jhdt. waren noch nicht fix, es handelte sich meist um Patronyme, Berufsbezeichnungen oder Herkunftsbezeichnungen, manchmal auch um Hinweise auf die engere Umgebung des Wohnhauses oder äußerliche Eigenschaften. Berufsbezeichnungen und Herkunftsbezeichnunen dürften wohl als erste fossilisiert oder eingefroren und zu generationsübergreifenden Familiennamem geworden zu sein. So ab dem 14. oder 15. Jhdt.
Also, es kann natürlich sein, dass die Dame Recht hatte, aber ich halte das für nur bedingt wahrscheinlich, den Zufall würde ich - in Unkenntnis des Namens und der deiner familiären Genealogie - für wahrscheinlicher halten.

Ort Buchfart. Na ja, wie es bei Handwerkern üblich ist, hinterher eine "Baubesprechung". Der Nachbar kam auch dazu. Er ca. 67 Jahre -also Rentner- und nach ein paar Nebensächlichkeiten (+Bier) habe ich ihn auf die "steinzeitlichen Höhlen" in Buchfart angesprochen. Ohne eine Andeutung hat er mir dann erzählt, dass die letzte thüringische "Prinzessin" in den Höhlen Zuflucht gesucht hatte, bevor sie weiter nach Osten floh. Irgendwo hätte sie auch den Königsschatz versteckt auf der Flucht. Hallo ! Der Typ hatte absolut keine Ahnung von Geschichte und thüringer Königsreich. Der erzählt aber etwas, was auf Tatsachen beruht, was 1500 Jahre her ist ! Also mindestens vor 75 Generationen ! Von einer Geration zur nächsten... Das ist doch total "krass"! Ich völlig perplex. Ich konnte nix darauf antworten. 1500 Jahre, in einem Dorf mit nicht mal 1000 Einwohnern ! Habt ihr schon einmal etwas ähnliches erlebt ?! Die Schlacht bei Scheidungen (Ende des thüringer Königreiches) liegt etwa nördlich bis nord-östlich von Buchfart - also auf der anzunehmenden Fluchtroute Richtung Byzanz !

Hm... ein Archäologe erzählte uns (ein neuzeit-historischer Kurs auf Exkursion im archäologischen Museum Herne) mal die Geschichte von einer Pferderennbahn, die laut den Bauern der Region von den Geistern irgendwelcher Könige verwendet würde (ich krieg die Geschichte nicht ganz korrekt hin). An einem der Punkte, welche diese Rennbahn markierten, sollen die Archäologen nach Aussage dieses Archäologen (dessen Namen ich leider nicht mehr weiß, ich habe ihn aber zu einem Workshop in Haltern wiedergetroffen) ein sächsisches (?) Reitergrab gefunden haben. Ich habe zu diesem Grab nie wissenschaftliche Literatur gefunden. Wenn ich ihn noch mal träfe, würde ich ihn noch mal gezielt drauf ansprechen, aber beide Treffen sind schon über 15 Jahre her. Wenn er uns keine Räuberpistole aufgesetzt hat (dieses Verdachtes konnte ich mich nie ganz entledigen), scheint es durchaus möglich zu sein, dass Informationen über die Generationen zu Legenden werden und so durchaus anderthalb Jahrtausende transportiert werden können.

Spätestens bei dem versteckten Königsschatz dürfte es sich dann aber tatsächlich um ein Produkt der Phantasie handeln, welches im Verlauf der Geschichte hinzugedichtet wurde, auch wenn die Erinnerung an die Prinzessin tatsächlich in der oralen Tradition überdauert haben sollte.
 
"Oral history" ist ein wenig wie "Stille Post", und wenn man mündlichen Auskünften nachgeht, ist es oft wie bei Radio Eriwan.

Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass Iwan Iwanowitsch in der Lotterie ein rotes Auto gewonnen hat?
Antwort: Im Prinzip ja, aber es war nicht Iwan Iwanowitsch, sondern Pjotr Petrowitsch. Und es war kein rotes Auto, sondern ein blaues Fahrrad. Und er hat es nicht gewonnen, sondern es ist ihm gestohlen worden.

Ich wohne noch immer im Landkreis Weimar und musste damals im Ort Niedergrunstedt arbeiten. Die Auftraggeberin hatte mich damals angesprochen wegen meines Nachnamens. Ich erwiderte darauf, dass mein Opa aus diesen Ort kam vor 50 Jahren. Sie meinte, dass ein Mann mit meinem Nachnamen im 12. Jahrhundert ein Grundstück in diesem Ort gekauft hat und die Urkunde im Landesmuseum Weimar einsehbar ist.

Stimmt das? Im Prinzip ja, nur befindet sich die Urkunde ist auch nicht im Landesmuseum, sondern im Hauptstaatsarchiv. Sie ist auch nicht aus dem 12., sondern aus dem späten 13. Jahrhundert. Und erworben hat das Grundstück nicht ein Mann, sondern ein Nonnenkloster.

Aus dem Jahre 1289 findet man zwei Diplome, die beide die Übereignung von Gütern in „Grunstete“ und Possendorf an das Neuwerkskloster in Erfurt durch Graf Hermann von Orlamünde-Weimar bestätigen. Das ältere Diplom vom 8. Juli 1289 (Originaldiplom im Thüringer Hauptstaatsarchiv Weimar) stellt somit die bisher erste urkundliche Aufführung des Ortes Grunstedt dar.
Geschichte

(Ehrlicherweise traue ich den Angaben der Homepage auch nicht zu 100%; nicht alles, was ein Ortsteilrat zur Geschichte des Ortes veröffentlicht, muss deswegen schon stimmen.)
 
Nun, in Paderborn wurde erzählt, dass sich unter der Pfalz ein Bad befände. Der Kaiser sei unterirdisch "im Domberg" geschwommen.

Die Archäologen schauten dumm, als sie ein großes Quellbecken zur Wasserversorgung mit Gewölben versehen unter der ottonischen Pfalz fanden.

Allerdings wurde das 'Bad' in der mündlichen Überlieferung mit Karl dem Großen assoziiert. Und allenfalls an sehr heißen Tagen käme jemand auf die Idee, darin zu schwimmen.

Sagen über einen solchen Ort unter dem Dom, können sich theoretisch ursprünglich auf die Pfalz bezogen haben, sind aber ganz typisch für Sagen über Verbindungsstellen zur Unter-, Götter- oder Anderswelt, um nicht lange zu erklären. Und damit sind sie eher generell den Paderquellen zuzuordnen.

Das Quellbecken kann über eine Treppe in der Kaiserpfalz besichtigt werden.
 
"Oral history" ist ein wenig wie "Stille Post", und wenn man mündlichen Auskünften nachgeht, ist es oft wie bei Radio Eriwan.

Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass Iwan Iwanowitsch in der Lotterie ein rotes Auto gewonnen hat?
Antwort: Im Prinzip ja, aber es war nicht Iwan Iwanowitsch, sondern Pjotr Petrowitsch. Und es war kein rotes Auto, sondern ein blaues Fahrrad. Und er hat es nicht gewonnen, sondern es ist ihm gestohlen worden.



Stimmt das? Im Prinzip ja, nur befindet sich die Urkunde ist auch nicht im Landesmuseum, sondern im Hauptstaatsarchiv. Sie ist auch nicht aus dem 12., sondern aus dem späten 13. Jahrhundert. Und erworben hat das Grundstück nicht ein Mann, sondern ein Nonnenkloster.

Zumindest haben die Nonnen das Grundstück erworben und es wurde ihnen nicht gestohlen. ;)
 
Sehr geehrte Fachleute, leider war es mir als einfacher Klempner nicht möglich, zeitnah zu antworten und auch aus aktuellen "politischen Gründen". Außerdem wollte ich allen aktiven Mitgliedern hier die Gelegenheit bieten auf meine Fragestellung zu antworten. Ich dachte zuerst, dass mein Text gelöscht wurde. Ich danke sehr El Quichote, dass er ihn als Thead hier hin verlegt hatte -wohin er wohl am meisten passt- und ich ihn noch gefunden habe. Ich kann euren teilweisen "Spott" verstehen, da ich nicht alle Zusammenhänge dargelegt habe. Es lag mir aber fern, mit meiner Abstammung zu prahlen. Die Intension für meinen Text war eher der "Zufall des Lebens". Wenn ich nicht zufällig Ende der 80er Jahre im ehemaligen Heimatort meiner Vorfahren Fensterbleche bei dieser "betagten" Dame montiert hätte und sie meinen Nachnamen kannte, weil er im Ort bekannt war (mein Opa hatte sieben Geschwister) und sie nicht zufällig im "Museum Weimar" (genaue DDR-Bezeichnung google ich jetzt nicht) gearbeitet hätte, dann würde mir wohl niemand das mit der Urkunde aus dem 12. Jahrhundert erzählt haben. Ja, hätte, hätte, Fahrradkette... eben ein Zufall des Lebens. Dazu noch: Mein Nachname endet auf "-mann" und die Vorsilbe ist auch typisch deutsch. Aber weder Lehmann, noch Mehrmann, noch Biermann, die ich aus dem Bekanntenkreis kenne. Anfang der neunziger Jahre hatten meine Eltern einen Familienstammbuch bestellt. Im ganzen deutschsprachigen Raum gibt es keine tausend Namensträger meines Nachnamens. Falls jemand trotzdem auf meinen Nachnamen kommt... bitte aus Diskretionsgründen hier nicht veröffentlichen ! Jeder kennt (persönlich) eigentlich nur zwei Generationen zurück (Eltern, Großeltern) und maximal zwei Generationen vor (Kinder, Enkel). Wenn jeden von uns ein Foto seines Urgroßvaters gezeigt würde, dann würde jeder reagieren : hmmm, gut zu wissen, aber den kenne ich nicht und er bedeutet mir nix. Bei unseren Eltern wäre das wahrscheinlich anders, weil sie ihn noch kannten. Dann kommt aber eine Frau daher und erzählt dir was von einer Urkunde von einem Vorfahren, den man nicht kennt. Irgendwie ist das schon etwas beeindruckend, wenn im Nebel der Vergangenheit ein Vorfahre von dir urkundlich genannt wird, aber eben auch ein Zufall des Lebens. Bevor ich zum nächsten "Zufall im Leben" komme (Nachbar in Buchfart und Überlieferung fast doppelt so alt, wie mein Vorfahre): "Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren, von grôzer arebeit,..." Das Nibelungenlied. Es hat einen wahren Kern, aber auch viele "fantasievolle Auschmückungen". Warum der Nachbar wenig Ahnung von Geschichte hatte? Weil er von der letzten thüringischen Prinzessin sprach und nannte sie Radegunde. Beides falsch, weil es die letzte thüringer Königin Amalaberga war, die nach der Entscheidungsschlacht mit ihrem Sohn erst zu den Ostgoten geflohen ist und dann nach Byzanz. Radegunde, die heilige Radegunde, war die Tochter des vorletzten thüringer Königs und wurde nach der Schlacht nach Gallien "verbracht". Außerdem soll es auch eine Radegunde gegeben haben, die eine Schwester der letzten drei thüringer Könige war. All diese Fehler und das mit dem vergrabenen thüringer Königsschatz halte ich für spätere "fantasievolle Ausschmückungen" ähnlich wie beim Nibelungenlied. Meiner Meinung nach macht dieses aber die Überliefung von der Flucht nicht unglaubwürdig. Ich kann mir vorstellen, dass dieses eingeflossen ist vom zufälligen hören-sagen und wenn beim erzählen an die nächste Generation nachgefragt wurde, und was noch? Auch die Fluchtroute ist nachvollziehbar. Etwas östlich gelegen vom fränkischen Gebiet, durch das (wahrscheinlich) dicht bewohnte Ilmtal, wo Thüringer bei der Flucht helfen konnten. Dann bei Saalfeld in das Saaletal und in den Flusstälern über Kronach, Bamberg und Nürnberg zu den Ostgoten in Italien. Meine Ausführungen bringen keine neuen wissenschaftliche Erkenntnisse und Geschichtsbücher müssen auch nicht umgeschrieben werden. Wie ich schon sagte, es ging mir nur um die Zufälle im Leben und dass ein Ereigniss vor 1500 Jahren im Bewußtsein einer kleinen Dorfgemeinschaft soviel Eindruck hinterlassen hatte, dass es von Generation zu Generation weiter erzählt wurde.
 
Weil er von der letzten thüringischen Prinzessin sprach und nannte sie Radegunde. Beides falsch, weil es die letzte thüringer Königin Amalaberga war, die nach der Entscheidungsschlacht mit ihrem Sohn erst zu den Ostgoten geflohen ist und dann nach Byzanz. Radegunde, die heilige Radegunde, war die Tochter des vorletzten thüringer Königs und wurde nach der Schlacht nach Gallien "verbracht". Außerdem soll es auch eine Radegunde gegeben haben, die eine Schwester der letzten drei thüringer Könige war.
Also wäre die eine Radegunde die Tante der Heiligen Radegunde gewesen? (Ich kenne mich mit der thüringischen Geschichte nicht aus). Das wäre nicht ungewöhnlich, dass innerhalb der Verwandtschaft bestimmte Namen mehrfach auftauchen und manche auch an einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr verwendet werden (weil ein Namensträger in Ungnade gefallen ist). Den Gebrauch bestimmter Namen nennt man Leitnamenkontinuität. Also ohne, dass ich mich mit der thüringischen Stammesgeschichte auskenne, würde ich es für plausibel halten, dass der Name Radegunde in der Familie mehrfach vorkam und wenn dem so war auch, dass sich in der oralen Überlieferung Personen miteinander vermischten, was besonders dann besonders leicht geschieht, wenn sie auch noch denselben Namen haben. Also womöglich sind da beide Radegundes und Amalaberga zu einer Person zusammengeflossen.

Allerdings bin ich skeptisch:

Wie ich schon sagte, es ging mir nur um die Zufälle im Leben und dass ein Ereignis vor 1500 Jahren im Bewusstsein einer kleinen Dorfgemeinschaft soviel Eindruck hinterlassen hatte, dass es von Generation zu Generation weiter erzählt wurde.
Das ist gar nicht zwingend notwendig. Ich kann das natürlich auch nicht ausschließen, dass das Histörchen seit 1500 Jahren in den Dörfern der Region erzählt wird. Ich vermute aber eher, dass ein historisch interessierter Pfarrer, Dorfapotheker oder Volksschullehrer im 18. oder 19. Jhdt. die Geschichte irgendwo ausgegraben hat und dann - ähnlich, wie sich 500 Jahre lang Leute Gedanken über die Örtlichkeit der Varusschlacht gemacht haben und ca. 700 verschiedene Hypothesen entwickelt wurden, in wessen Vorgarten sie denn nun wirklich stattfand - dieses Histörchen verarbeitet und in der ihm bekannten Umgebung verortet hat. Dann wäre die Überlieferung nicht 1500, sondern 200 oder 300 Jahre alt. Das scheint mir plausibler. Aber - wie schon gesagt - ich kann nicht ausschließen, dass du Recht hast. Ich habe oben nicht von ungefähr von der Rennbahn des Königs erzählt. Das konnte der Bauer - wenn der Archäologe das korrekt erzählt hat und ich mich einigermaßen korrekt erinnere (schon zwei unsichere Bedingungen) - nicht wissen, es sei denn, die Existenz des Pferdegrabes ist ca. 1500 Jahre lang tradiert worden.
 
Ich kann euren teilweisen "Spott" verstehen, da ich nicht alle Zusammenhänge dargelegt habe.
Der Vergleich mit der Stillen Post oder Radio Eriwan war nicht als Spott gedacht, er zeigt, dass schon bei einer "Überlieferung" von wenigen Jahrzehnten gravierende Fehler auftauchen.

Es gibt keine Urkunde des 12. Jahrhunderts aus Niedergrunstedt. Und falls die älteste Urkunde aus dem 13. Jahrhundert gemeint sein sollte, da hat kein XY-Mann ein Grundstück gekauft. Vielleicht hat sich die alte Dame nicht richtig erinnert, vielleicht erinnerst auch Du Dich nicht mehr richtig. (Wie Du an der Geschichte mit @El Quijotes Rennbahn sehen kannst, sind auch 15 Jahre schon eine sehr lange Zeit, um die Details noch richtig zusammenzubekommen.)

Und wie schon @El Quijote sagte: Im 12. Jahrhundert gab es noch keine Familiennamen im heutigen Sinne. Bei dem ...mann, den die Dame genannt hat, wird es sich (falls sie sich bei dem Namen nicht geirrt hat) um einen Vornamen gehandelt haben. Solche Vornamen gab (und gibt es) wie Sand am Meer, z. B. Hermann, Karlmann, Friedemann, Tilmann, Hartmann, Erdmann, Dietmann, Trautmann, Bermann, Betmann, Wichmann...

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Namensgleichheit auf purem Zufall beruht, beträgt also ziemlich genau 100,00%.

Das Nibelungenlied. Es hat einen wahren Kern, aber auch viele "fantasievolle Auschmückungen".
Das Nibelungenlied hat nicht "einen wahren Kern", sondern würfelt bunt historische Personen aus verschiedenen Jahrhunderten mit erfundenen Gestalten durcheinander. Da trifft Dietrich von Bern (Theoderich von Verona) mit dem Burgunderkönig Gunther zusammen, dabei war der reale Gunther schon zwanzig Jahre tot, als der reale Theoderich geboren wurde.
Bei diesen Überlieferungen handelt es sich nicht um Stoffe, die in den Bauernhöfen von Generation zu Generation weitererzählt wurden, sondern diese Stoffe gehörten zum Handwerkszeug der professionellen höfischen Dichter/Sänger: Begriff Angel-Sachsen

Warum der Nachbar wenig Ahnung von Geschichte hatte? Weil er von der letzten thüringischen Prinzessin sprach und nannte sie Radegunde. Beides falsch, weil es die letzte thüringer Königin Amalaberga war, die nach der Entscheidungsschlacht mit ihrem Sohn erst zu den Ostgoten geflohen ist und dann nach Byzanz.
Nun, wir wollen doch auch dem Nachbar zugestehen, dass er die Geschichte, die er etliche Jahre zuvor gehört oder gelesen hat, nicht mehr ganz richtig zusammenbekam.

Amalaberga war übrigens keine thüringische Prinzessin, sondern eine ostgotische Prinzessin, die Nichte des eben erwähnten Theoderich / "Dietrich von Bern".
Die letzte thüringische Prinzessin war die Tochter der Amalaberga. Ihr Name ist nicht überliefert, sie heiratete den Langobardenkönig Audoin (falls Wikipedia sich nicht irrt).

Ich kann mir vorstellen, dass dieses eingeflossen ist vom zufälligen hören-sagen und wenn beim erzählen an die nächste Generation nachgefragt wurde, und was noch?
Ich kann mir vorstellen, dass nach spätestens drei bis vier Generationen überhaupt nichts mehr weitererzählt oder nachgefragt wurde. Über meine acht Ururgroßmütter und meine acht Ururgroßväter wüsste ich rein gar nichts, weder Namen noch Lebensdaten noch Wohnort, wenn nicht der eine oder andere Familienforscher aus meiner Verwandtschaft schriftliche Unterlagen zusammengetragen hätte. (Einer meiner Urgroßväter wurde sehr alt, an den habe ich noch eigene Erinnerungen.)
Und wenn schon die eigenen Vorfahren nach hundert Jahren vergessen sind, wer wird da noch Geschichten über Promis weitererzählen, denen die Ururgroßmutter mal leibhaftig begegnet ist?
 
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Die Grabung war 1964.
Da würde mich interessieren, was genau vor 1964 erzählt wurde.

Vielleicht hätte ich erwähnen sollen, dass die Überlieferungslücke, wenn überhaupt, wohl nur so ca.160 oder 170 Jahre beträgt. Allerdings war das nicht bekannt.

Kennst du die hydrographische Situation? Wer vor Ort war und auch die heute versteckteren oder in den letzten 30 Jahren versiegten Quellen gezeigt bekommen hat, versteht, dass es Geschichten über das Wasser unter dem Domberg gibt. Das reichte auch für tausend Jahre mündlicher Überlieferung.
 
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Vielleicht hätte ich erwähnen sollen, dass die Überlieferungslücke, wenn überhaupt, wohl nur so ca.160 oder 170 Jahre beträgt. Allerdings war das nicht bekannt.

Kennst du die hydrographische Situation? Wer vor Ort war und auch die heute versteckteren oder in den letzten 30 Jahren versiegten Quellen gezeigt bekommen hat, versteht, dass es Geschichten über das Wasser unter dem Domberg gibt. Das reichte auch für tausend Jahre mündlicher Überlieferung.

Mich interessiert ganz einfach, was genau vor 1964 erzählt wurde. Haben diese Erzählungen irgendwo einen schriftlichen Niederschlag gefunden?
 
Es ward übrigens einst untersucht und festgestellt, dass der 30jährige Krieg in Deutschland eine Überlieferungsschranke war. Das hatten wir sogar schon einmal im Forum besprochen.

In vormodernen Gesellschaften wurden maximale Überlieferungszeiträume von so ca. 300 Jahren festgestellt. Nur bei besonderen Umständen, etwa besonderen Formen der Dichtung oder ausgebildete "Erinnerer" gibt es ältere Überlieferungen. Aufgrund der anderen Verarbeitung der Vergangenheit muss das dann aber nicht in unserem Sinn korrekt sein.

Hierzulande haben in aller Regel Schulleute und Pfarrer teils schon im 18., meist im 19. Jahrhundert lokale Traditionen festgehalten und mit Geschichtskenntnissen verwebt. In Städten und per Zufall konnte das schon früher der Fall sein. Entsprechend läge die Überlieferungsgrenze ohne 30jährigen Krieg und bei günstigsten Umständen, also in den seltensten Fällen am Ende des Mittelalters.

Allerdings gab es die Schrift. Und nachdem jemand Älteres ans Tageslicht gezerrt hatte, entstanden, begünstigt durch die Schule, oft neue halbmündliche Traditionen über die Zeit vor ca. 1650.

Im 19. Jahrhundert haben dann oft Autoren neue Sagen erfunden und teils mit der Geschichte verwoben. Oft ist das nur schwer zu erkennen.

Auf der anderen Seite gibt es Überraschungen, wie in Paderborn. Oder auch in meinem Heimatort, wozu ich die zeitgenössische Erwähnung eines meist als Legende betrachteten Ereignisses aus dem 30jährigen Krieg fand, zufällig in einem Inventar als Erklärung für einen Verlust. Natürlich wurde das Ereignis von einem Lehrer an seine Vorstellung angepasst und dementsprechend ausgeschrieben, was in diesem Fall gut zu rekonstruieren ist. Aber es liegt jetzt eben auch eine Quelle vor, die sicheren Boden gibt.

Eine Quelle ist ein Überrest aus der Vergangenheit, aus dem Informationen aus der Vergangenheit zu gewinnen sind. Sagen sind meist nur dann auswertbar, wenn die Geschehnisse aus anderen Quellen bekannt sind. Es gibt Ausnahmen, aber die sind sehr selten und genau so selten ohne weiteres zu erkennen.

Soviel allgemein.
 
Mich interessiert ganz einfach, was genau vor 1964 erzählt wurde. Haben diese Erzählungen irgendwo einen schriftlichen Niederschlag gefunden?

Hm, nach dem schriftlichen Niederschlag vor '64 müsste ich suchen, wenn ich mal Zeit habe. Meinem Vater wurde es von seinem Großvater erzählt, der '46 starb. Ich habe nur den Kern wiedergegeben, da ich kaum auseinanderhalten kann, was mir mein Vater dazu erzählt hat und was ich später hörte.

Wie ich oben schrieb, wird auch diese Überlieferung im 19. Jahrhundert verändert worden sein, Ich bin eher noch hinter anderen Zusammenhängen her, habe aber auch dazu etwas im Sinn. Nur kann ich das hier noch nicht erläutern, da das noch in ganz anderer Hinsicht interessant ist und daher der genauen Belege bedarf. Vieles dazu ist leider nur als Manuskript vorhanden, teils nicht in öffentlicher Hand. Das dauert also noch, zumal ich wenig Zeit habe und es zu einem ganzen Komplex gehört.
 
Das Problem ist, dass abgesehen von ganz lakonischen Stellen, alle Überlieferung zum Thema verfälscht ist.

Schon das Datum 531 ist indirekt erschlossen. Ein Aufstand in der Auvergne soll stattgefunden haben, während der Feldzug stattfand. Aber welcher? Und waren es zwei oder drei? Amalaberga floh nach Italien und wurde von Belisar 540 in Ravenna gefangengenommen und mit ihren Kindern* nach Byzanz gebracht. Es wird vermutet, dass sie zu ihrem Bruder Theodahad floh, als er König war, also 534-536.

Es wird daraus geschlossen, dass ihr Mann, König Herminafried / Irminfried spätestens 534 zu Tode stürzte. (sic!)

Da er seinen Widerstand nach verlorenem Krieg fortführte, wird das genannte Datum 531 für den siegreichen fränkischen Feldzug angenommen.

Kurz zuvor soll es einen weiteren Feldzug gegeben haben, der auf 528 (oder 529) gelegt wird, also ein paar Jahre nach Theoderichs Tod, mit dem sein Bündnissystem brüchig wurde und ein paar Jahre vor 531.

König Berthachar, Vater der hl. Radegundis, soll in einer Schlacht gegen die Franken gefallen sein. Das wird auf 528 datiert, da sie und ihr Bruder am Hof Herminafrieds Zuflucht fanden.

Auch König Baderich soll vor Herminafried gestorben sein.

531 (oder doch später?) gefangengenommen, setzte König Chlothar durch, sie zu heiraten. Als er 550 ihren Bruder tötete floh Radegundis ins Kloster und wurde zur Diakonin geweiht.

Nun besagt eine Nachricht, dass dem unglücklichen Prinzen zur Zeit seiner Ermordung erst der erste Flaum auf den Lippen spross, also im Alter von 22, was auch von Autoren, die die Nachricht akzeptieren, akzeptiert wird. Doch was mit 18 noch passend zum Ausdruck der Jugend sein mag, passt mit 22 nicht mehr. Sein Vater kann, wenn die Nachrichten so stimmen, nicht vor 532 gestorben sein. Nun, gehen wir besser davon aus, dass der Autor den Bartwuchs so beschrieb, um Mitleid zu erwecken.

Dann entfällt allerdings die Notwendigkeit, dass sein Vater nicht früher gestorben sein kann. Andererseits spricht auch nichts dagegen, die Ereignisse mit 531 beginnen zu lassen. Nicht erfolgreiche Feldzüge rufen schließlich eher Aufstände hervor als erfolgreiche. Amalaberga kann auch dann gut bis 536 (oder 540) nach Ravenna gelangt sein.

Ein Großteil des Rests ist unbekannt oder verfälscht.

Ludwig Schmidt dröselt 4 Traditionen auf. Neben kurzen Nachrichten steht eine fränkische Tradition (Gregor von Tour), in der der erste Angriff von den Thüringern ausging und die königlichen Brüder sich gegenseitig umbringen. Dann sind da zwei "sächsisch-thüringische" Traditionen (Rudolf von Fulda und Widukind von Corvey). Die Schuld wird Iring zugeschrieben, vielleicht um eine Sippe mit dem Leitnamen zu diskreditieren Der Name ist im thüringischen Adel des 10. Jahrhunderts nachgewiesen, siehe den Wikipediaartikel zur Iringsage. Schließlich hatten die Liudolfinger Thüringen übernommen und schon Karl der Große hatte da Probleme. Da die uns bekannten Heldenlieder von moralischen Zwickmühlen handeln, kann auch vermutet werden, dass Iring sich, wenn es das Lied denn gab, was ja eine bloße Vermutung ist, in einer solchen befand, was dann von der Geschichtsschreibung ignoriert worden wäre. Rudolf von Fulda bindet bei der Eroberung Thüringens kurzerhand die Ursprungssage der Sachsen in die Geschichte ein.

Die Teilnahme der Sachsen an der Eroberung ist umstritten. Die Tatsachen lassen zwei Schlüsse zu: Die Franken überließen ihren sächsischen Verbündeten den Norden des Reichs oder ein Rest-Thüringen schloss sich sächsischen Gruppen an. (Vereinfacht, um es nicht zu weit zu treiben.)

Also:

Die Thüringer wurden in den Jahren um 531 von den Franken besiegt, der weiter Widerstand leistende König Herminafried wahrscheinlich bei Verhandlungen in Köln ermordet. Seine Frau floh ins Gotenreich, Radegundis musste Chlothar heiraten und floh, vielleicht nachdem der ihren Bruder ermordete ins Kloster. Die Rolle von Sachsen ist unklar.

Schön wird oder wurde auch diskutiert, ob die Eroberung schrittweise erfolgte. Doch bekanntlich ist die Ausdehnung des Thüringerreichs unbekannt. Nur im Süden ist bekannt, dass es zeitweise bis an die Donau reichte.

*Ihre Tochter heiratete den Langobardenkönig Audoin, ihr Sohn wurde byzantinischer Feldherr.
 
Und ich habe mal herausgesucht, wie das im heutigen Thüringen erzählt wird:

Nach dem Tod von Bisinus teilen seine 3 Söhne das Reich. Seine Witwe heiratet den Vater des Langobardenkönigs Auboin. Eine Tochter, die ältere Radegundis ist mit Wacho, dem König der Langobarden verheiratet.

Um 517 fällt Berthachar gegen die Franken. Die hl. Radegundis und ihr Bruder werden am Hof des Herminafried erzogen, sein Herrschaftsgebiet unter den Brüdern verteilt.

529 werden angreifende Franken verjagt, Baderich fällt "vermutlich".

531 bringen die Franken verbündete mit. König Wacho greift seinen Schwager an und auch die Sachsen überfallen Thüringen. Zudem haben sich mit Theuderich, Chlothar und auch Theudebert mehrere Merowinger zusammengetan. Klar, nur eine NATO kann Thüringen besiegen.

Radegundis samt Bruder wird gefangen, der Königsschatz sei verschollen.

534 Ermordung des Herminafried. ...

(nach Wilfried Warsitzka, Kleine illustrierte Geschichte Thüringen, Taucha 1997, S. 15-18.)
 
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