Die Zeit nach Augustus und der Cäsarenwahnsinn in der julisch-claudischen Dynastie

ein Historiker, der sich in einer Dokumentation falsch oder verkürzt dargestellt sieht, hat immer die Möglichkeit, seinen Auftritt löschen zu lassen oder zu verlangen, ihn ganz zu zitieren.
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Ja, falls der Produzent den Mitwirkenden einen Vertrag aufsetzt, wonach sie verlangen können, dass ihre Redebeiträge ungeschnitten übernommen werden. Wie bescheuert müsste dieser Produzent sein?


Wieso weiß praktisch jeder, dass Caligula sein Pferd zum Konsul machen wollte, obwohl das angeblich nur ein Gerücht gewesen?
Weil das so schön skurril ist, dass man sich das gut merken kann. Welcher Kaiser das gewesen sein soll, ist da schon wieder egal, Nero, Domitian, Commodus, Caracalla, Elagabal... Nero ist halt der "populärste": Die Zeit nach Augustus und der Cäsarenwahnsinn in der julisch-claudischen Dynastie


Ob ein Gerücht gern geglaubt wird oder nicht, hat nicht unbedingt etwas mit seinem Wahrheitsgehalt zu tun.
 
Ich möchte hier an die Schilderung der Varusschlacht erinnern, wo mitunter ausgiebig auf Cassius Dio zurückgegriffen wird, weil anderes nicht zur Verfügung steht.
Es stehen Manilius, Ovid, Strabon, Frontinus, Sueton, Seneca, Florus und als Hauptquellen Tacitus und Velleius Patervulus zur Verfügung. Nur sind das halt, anders als Cassius Dio keine ausformulierten Narrative (also Florus und Tacitus schon, Tacitus allerdings zur Schlachtfeldbegehung und zu Parallelen zwischen Varusschlacht und Schlacht an den langen Brücken).
Weshalb eben so gerne auf Cassius Dio zurückgegriffen wird ist, weil der uns ein plastisches Bild mal. Florus ist zu unzuverlässig, Velleius vertröstet uns auf ein noch zu schreibendes späteres Werk, von dem, außer der Ankündigung, dass er es schreiben wolle, nie etwas gehört wurde und Tacitus sagt halt: da wurden die Adlerträger erschlagen, dort die Legionslegaten und dort stürzte sich Varus ins Schwert, dann hielt Arminius eine Rede und dort sind die Martergruben, in denen die Gefangenen gefoltert oder zu Tode gemartert wurden.

Ich finde, man sollte in solchen Sendungen zumindest das erzählen, was auch im Geschichtsunterricht den Schülern erzählt wurde und werde, die dann zu sogenannten Bildungsbürgern wurden und werden. Ich weiß, was zu meiner Zeit über die Varusschlacht erzählt wurde, aber was wird heute darüber erzählt, weiß ich nicht – ich vermute nur: ziemlich das gleiche, nämlich die Cassius Dios Version.
Die Varusschlacht ist kein regulärer Inhalt des Schulgeschichtsunterrichts (es kann natürlich immer sein, das ist die Freiheit eines jeden Geschichtslehreres, dass dies aufgegriffen wird). „Deutsche Heldengeschichte“ ist kein Inhalt des Geschichtsunterrichts mehr. Im Geschichtsunterricht der 6. Klasse wird die Entwicklung der Menschheit, Entwicklung der Frühen Hochkulturen (i.d.R. exemplarisch an Ägypten), attische Demokratie und römische Republik behandelt, außerdem die Entwicklung Deutschlands im FrühMA aus der Konkursmasse des römischen Reiches und der Germanenmission, was sehr oberflächlich behandelt wird. In der Oberstufe wird dann meist noch mal detaillierter die attische Demokratie behandelt (hier geht es aber vor allem um das Verständnis politischer Systeme (Aristokratie, Oligarchie, Demokratie) und ihrer Mischformen, sowie um das Einüben der Quellenanalyse.

Historisches Fachwissen ist im Geschichtsunterricht allerdings nicht die alleinige Hauptsache: Neben der Fach- und Sachkompetenz stehen gleichrangig Sozialkompetenz, Methodenkompetenz und Handlungskompetenz.
 
Das gilt für alles. Zum Beispiel auch für römische Kaiser, von denen hier die Rede ist. Wieso weiß praktisch jeder, dass Caligula sein Pferd zum Konsul machen wollte, obwohl das angeblich nur ein Gerücht gewesen? Weil das etwas Wahres aussagt über diesen Kaiser und die Zeit der damaligen Gesellschaft. Will sagen: Selbst wenn Caligula das nicht gesagt hat, die Geschichte charakterisiert ihn ganz gut als Diktator, der er war.

Das ist doch ein Zirkelschluss. Unser Bild von Caligula ist doch gerade von solchen Geschichten wie die mit dem Pferd als Konsul geprägt. Sie erzählen uns also nur dann etwas Wahres über den Kaiser und die damalige Zeit, wenn sie auch wahr sind. Wenn sie nicht wahr sind und man das nachweisen könnte, sollte sich unser Caligula-Bild entsprechend ändern, wahrscheinlich nicht um 180 Grad, aber es würde wohl doch etwas differenzierter ausfallen.

Im Übrigen war Caligula natürlich in gewissem Sinne ein Diktator, genau wie die anderen römischen Kaiser auch und schon Cäsar. Letzterer trug ja sogar den Titel Diktator.

Es ist ja auch so ähnlich mit Marie-Antoinette und dem Spruch mit dem Brot und dem Kuchen, den man ihr in den Mund gelegt hat und der nachweislich nicht von ihr stammt. Da gibt es auch das Argument, dass diese Geschichte trotzdem gut darlege, wie abgehoben vom Volk sie (und damit auch gleich die ganze herrschende Klasse) gewesen sei. Nur speist sich unsere Vorstellung von ihrer Abgehobenheit ja gerade maßgeblich aus diesem angeblichen Zitat. Mag sein, dass sie tatsächlich nicht besonders volksnah war, aber dann sollte man das vielleicht besser mit einem Zitat belegen, das tatsächlich von ihr stammt.
 
(Spaßbremsenmodus on)
Die Gepflogenheiten des Fernsehens sind selten bis nie Quellen zur julisch-claudischen Dynastie.
(Spaßbremsenmodus off)

Bei all den vielen ex posteriori Beurteilungen der römischen Kaiser, seien sie in den eigentlich nie partei- und absichtslosen Quellen (Tacitus, Sueton etc), seien sie in historischer Fachliteratur zur Kaiserzeit: ich vermisse oft Darstellungen, welche alles ex posteriori Wissen, welches keiner der Kaiser haben konnte (!), ausblenden und das Wirken des jeweiligen Kaisers bezogen auf den jeweiligen Erfahrungshorizont darstellen.

Das ist aber wirklich schwierig, eben weil wir den Ausgang schon kennen. Wenn wir über Claudius' vierte Ehe reden, wissen wir eben, dass nicht zuletzt durch sie Nero auf den Thron gelangte. Auch unsere Quellen aus der Zeit sind davon beeinflusst, sei es weil ihre Autoren Nero schon als Tyrannen ansahen, dessen Mutter man einen Giftmord ohne weiteres zutraute, sei es weil sie wie Seneca den toten Herrscher verspotten wollten.

Was konnte Claudius von alldem wissen? Er wusste sicher nichts über die späteren Ereignisse unter Nero, aber hätte er vielleicht nach den ganzen Schwierigkeiten um Messalina auf eine vierte Ehe verzichten müssen, wie er es angeblich den Prätorianern zugesagt hatte? Hätte er ahnen können, dass ein Kaiser Nero den Britannicus als Bedrohung ansehen musste? Da spielen auch unsere Wertungen und unser Weltbild eine gewisse Rolle. Ein Historiker des 19. Jh. dachte über die "Weiberherrschaft" zur Zeit des Claudius vermutlich anders als eine Historikerin des 21. Jh., und zwar nicht bloß über die Beurteilung der Tatsachen, sondern wohl auch über die Quellen selbst.
 
Das ist aber wirklich schwierig, eben weil wir den Ausgang schon kennen.
Nicht nur das: wir haben andere, modernere Beurteilungsmaßstäbe und besagtes Wissen um den Ausgang - z.B. über allerlei militärische Maßnahmen oder Vorgehensweisen wird geurteilt (Tiberius oder Varus oder sonstwer hätte besser dies berücksichtigen und jenes einleiten sollen) und mir ist bei solchen "Ratschlägen" an Leute, die kein Feldtelefon, keine Feuerleitung, keine Luftaufklärung etc hatten ein wenig unwohl.
Mein Verdacht ist: ein Tiberius, ein Claudius waren in ihren Zeit- und Wissensumständen weitaus fähiger als ihnen 2000 Jahre später "bescheinigt" wird.
 
Mein Verdacht ist: ein Tiberius, ein Claudius waren in ihren Zeit- und Wissensumständen weitaus fähiger als ihnen 2000 Jahre später "bescheinigt" wird.

Zudem haben auch diese Alleinherrscher nicht so alleine geherrscht. Da kommen diverse Legaten, Tribunen und andere Würdenträger hinzu, die das Gesamtergenis (mit-)entscheidend beeinflussen.

Auch ein Alexander hat Persien nicht alleine erobert, das war vor allem die makedonische Militärelite (zu der er natürlich auch zählte).
 
Nicht nur das: wir haben andere, modernere Beurteilungsmaßstäbe und besagtes Wissen um den Ausgang - z.B. über allerlei militärische Maßnahmen oder Vorgehensweisen wird geurteilt (Tiberius oder Varus oder sonstwer hätte besser dies berücksichtigen und jenes einleiten sollen) und mir ist bei solchen "Ratschlägen" an Leute, die kein Feldtelefon, keine Feuerleitung, keine Luftaufklärung etc hatten ein wenig unwohl.
Mein Verdacht ist: ein Tiberius, ein Claudius waren in ihren Zeit- und Wissensumständen weitaus fähiger als ihnen 2000 Jahre später "bescheinigt" wird.

Das ist sehr gut möglich, ja. Es gibt auch immer wieder Biographen, die antike Kritik an Caligula, Tiberius, Nero oder Claudius relativieren oder sie zum Teil sogar verwerfen. Wie Stilicho sagte, haben wir zudem normalerweise keine genaueren Informationen darüber, wie eine bestimmte politische Entscheidung überhaupt zustande kam. Manchmal fehlt es sogar überhaupt an einer Einordnung. Was genau ist etwa der Hintergrund der "religionspolitischen" Maßnahmen des Claudius? Ließ er wirklich alle Juden aus Rom ausweisen? Bekämpfte er tatsächlich Kulte, die wir als orientalische Mysterienkulte zusammenfassen? Was genau hatte es mit den strengen Gesetzen gegen das Druidentum auf sich, die er angeblich erließ?

Häufig wird uns nicht mehr überliefert als eine bestimmte Maßnahme, und wenn wir Pech haben, gibt es dann sogar noch eine andere Quelle, die etwas ganz anderes berichtet. Es ist nicht selten schwer genug, die Ereignisse an sich plausibel zu rekonstruieren. Das gilt dann natürlich desto mehr für die Beurteilung dieser Maßnahmen oder gar der Politik eines Kaisers ganz allgemein.
 
Guten Morgen,

gibt es eigentlich wissenschaftlich fundierte Ekenntnisse über den Tod des Agrippa Postumus im Jahre 14 n.Chr?
WP schreibt:
Unmittelbar nach dem Tod des Augustus wurde er von einem Offizier getötet, damit Tiberius’ Anspruch auf den Thron nicht in Frage gestellt werden konnte. Tacitus erwähnt dies als „erstes Verbrechen der neuen Regierung“. Bereits in der Antike war umstritten, ob der Befehl noch von Augustus oder bereits von Tiberius gegeben worden war.
Der Sklave Clemens, der sich danach für Agrippa ausgab und in Italien eine beachtliche Schar an Anhängern um sich sammelte, wurde auf Befehl des Tiberius im Jahr 16 in Rom getötet.

Für mich nicht ganz verständlich. Ich ging davon aus, dass spätestens im Jahre 14 n.Chr. die Thronfolge des Augusuts geregelt war. Warum also noch dieses Drama um den Postumus? Inwiefern konnte dieser dem Tiberius noch gefährlich werden? Es war doch schon alles in Tüten. Man hätte Postumus auf Planasia (?) lassen können und alles wäre gut gewesen. Warum also diese Gewalttat? Habt Ihr eine gute Erklärung dafür?
 
Diese Verwechslungsgeschichte mit dem Sklaven Clemens mag ein Mythos sein, da es ingesamt absolut unstimmig ist.

Das Testament des Augustus wurde ja in der Tat erst nach einer Senatssitzung eröffnet. Wahrscheinlich war die Thronfolge bis zu diesen Moment tatsächlich noch unklar.
 
gibt es eigentlich wissenschaftlich fundierte Ekenntnisse über den Tod des Agrippa Postumus im Jahre 14 n.Chr?
Wie sollen diese wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse aussehen? Für eine Cold Case-Mordermittlung gibt es kein hinreichendes Material. Wir können in so einem Fall den Quellen entweder Glauben schenken oder das sein lassen und anhand dieser Quellen plausibel begründen, warum wir ihnen glauben schenken oder es lassen.
Wir wissen etwa, dass Tacitus kein Interesse hatte, Augustus oder Tiberius gut darstehen zu lassen.

Für mich nicht ganz verständlich. Ich ging davon aus, dass spätestens im Jahre 14 n.Chr. die Thronfolge des Augusuts geregelt war. Warum also noch dieses Drama um den Postumus? Inwiefern konnte dieser dem Tiberius noch gefährlich werden? Es war doch schon alles in Tüten. Man hätte Postumus auf Planasia (?) lassen können und alles wäre gut gewesen. Warum also diese Gewalttat? Habt Ihr eine gute Erklärung dafür?
Es scheint so, als habe es eine Partei von Leuten gegeben, die - aus welchen Motiven auch immer - sich eine andere Thronfolge wünschten, als die claudische (also Tiberius). In diesem Zusammenhang ist auch der Versuch zu sehen, Iulia und Agrippa von Pianosa zu befreien (entführen?).

Tumultus posthac et rerum nouarum initia coniurationesque complures, prius quam inualescerent indicio detectas, compressit alias alio tempore: Lepidi iuuenis, deinde Varronis Murenae et Fanni Caepionis, mox M. Egnati, exin Plauti Rufi Lucique Pauli progeneri sui, ac praeter has L. Audasi falsarum tabularum rei ac neque aetate neque corpore integri, item Asini Epicadi ex gente Parthina ibridae, ad extremum Telephi, mulieris serui nomenculatoris. nam ne ultimae quidem sortis hominum conspiratione et periculo caruit. Audasius atque Epicadus Iuliam filiam et Agrippam nepotem ex insulis, quibus continebantur, rapere ad exercitus, Telephus quasi debita sibi fato dominatione et ipsum et senatum adgredi destinarant. quin etiam quondam iuxta cubiculum eius lixa quidam ex Illyrico exercitu, ianitoribus deceptis, noctu deprehensus est cultro uenatorio cinctus, imposne mentis an simulata dementia incertum; nihil enim exprimi quaestione potuit.
Also Asinius Epicadus und Lucius Audasius wollten die Tochter Julia und den Enkel Agrippa von der Insel zum Heer entführen. Mehr steht bei Sueton (Aug. 19) nicht. Zumindest Lucius Audasius wird auch sonst als windiger Typ dargestellt, von Asinis Epicadus weiß Sueton nur schlecht zu berichten, dass er nur ein halber Römer sei (ex gente Parthina ibridae).
Wollten sie nun Iulia und Agrippa (damals etwa 18) entführen, damit diese das Heer anführten? Also waren sie Parteigänger Postumus'? Oder hatten sie eher vor die beiden als Marionetten zu benutzen? Wie dem auch sei: Wenn es eine solche Partei gab - worauf auch die Clemens-Episode hindeutet -, dann war Postumus eine potentielle Gefahr.
Es ist kein Einzelfall in der Geschichte, dass innerfamiliäre Konkurrenten um die Macht ermordet wurden und im Osmanischen Reich war das sogar institutionalisiert, weswegen Mütter, die einen potentiellen Thronfolger geboren hatten, abgelegt wurden, damit sich nicht die Söhne der gleichen Mutter gegenseitig umbrachten. (Süleyman der Prächtige und seine Frau Roxelande haben versucht mit dieser Tradition Schluss zu machen, mit dem Erfolg, dass ihre Söhne sich in Bürgerkriege verstrickten.)
 
Hallo Quijote, ja, das weiß ich doch, dass man im Nachhinein niemanden eines Mordes überführen kann.
Das ist doch vollkommen klar. Eduard von Tunk in dem Artikel von 1961 mutmaßt, dass es Augustus noch kurz vor seinem Tod, Tiberius oder Livia getan haben bzw. den Mordbefehl erteilt haben könnte. Wer hätte denn am meisten davon profitiert?
Immerhin ist es ja Thema und es gibt Menschen, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen.

Agrippa Postumus, ein leiblicher Enkel des Augustus also theoretisch schon ein möglicher "Thronnachfolger".
Die Tatsache, dass solche Unklarheiten teilweise mit Gewalt gelöst wurden, bestreitest Du ja auch nicht.

Hier finde ich folgendes:
GRIN - Tiberius und sein Umgang mit potentiellen Rivalen Theodor Serbul: Tiberius und sein Umgang mit potentiellen Rivalen
„Julia Minor war die Schwester des Agrippa Postumus und fühlte sich durch die Nachfolgeordnung des Augustus gleich ihrem Bruder politisch zurückgesetzt."
„Da aber Tiberius nicht zu übergehen war [...], sollten Germanicus und Agrippa Postumus fest in die neue dynastische Ordnung eingefügt werden, um einer möglichen Opposition keine Kristallisationspunkte zu bieten." Vermutlich sollte auch damit einem ausartenden Machtkampf zwischen luliern und Claudiern die Grundlage genommen werden.
Des Augustus Blutsverwandte, wie beispielsweise seine Tochter lulia, „erschien nicht im Testament; [...] neben der Beseitigung des Agrippa Postumus ein zweiter Beweis dafür, wie hart Augustus aus Staatsraison selbst gegen sein eigenes Fleisch und Blut handeln konnte"
Die Tatsache, dass die Erb- und Nachfolgeregelungen des Augustus nur durch den Einfluss durch Gewalt veränderbar war sowie der Umstand, dass Augustus aus Gründen der Staatsraison sich gezwungen sah, sogar eigene Blutsverwandte verbannen zu lassen, beweist, dass der Vorwurf der Grausamkeit, welcher Tiberius anlastet, ein Resultat der Nachfolgepolitik seines Vorgängers ist und eine Person in Form des „Dynastic Dissident" sich überhaupt erst konstituieren konnte.

Also ich persönlich finde das Thema sehr spannend, möchte aber auch niemand damit langweilen.
 
Immerhin ist es ja Thema und es gibt Menschen, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen.
Das musst du nicht rechtfertigen. Aber du fragst halt, ob es „wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse“ gebe. Solange wir nicht einen Autographen von Augustus, Livia oder Tiberius (extrem unwahrscheinlich, aber nicht vollkommen unmöglich) mit dem Mordbefehl finden (dann müssten wird die Handschrift auch noch identifizieren können, was, da wir keine handschriftlichen Zeugnisse haben, wiederum nicht möglich ist), können wir allenfalls mehr oder weniger fundiert spekulieren. Das ist auch legitim, führt aber nicht zu „Erkenntnissen“, nach denen du fragtest. Du kannst es mit dem Tod von Barschel vergleichen, wo bis heute nicht klar ist, ob es sich um Mord oder Selbstmord handelte, Indizien alles mögliche indizieren. Da gibt es auch mehr oder weniger plausible Darstellungen über den Ablauf.
 
Das musst du nicht rechtfertigen. Aber du fragst halt, ob es „wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse“ gebe. Solange wir nicht einen Autographen von Augustus, Livia oder Tiberius (extrem unwahrscheinlich, aber nicht vollkommen unmöglich*) mit dem Mordbefehl finden (dann müssten wird die Handschrift auch noch identifizieren können, was, da wir keine handschriftlichen Zeugnisse haben, wiederum nicht möglich ist), können wir allenfalls mehr oder weniger fundiert spekulieren. Das ist auch legitim, führt aber nicht zu „Erkenntnissen“, nach denen du fragtest. Du kannst es mit dem Tod von Barschel vergleichen, wo bis heute nicht klar ist, ob es sich um Mord oder Selbstmord handelte, Indizien alles mögliche indizieren. Da gibt es auch mehr oder weniger plausible Darstellungen über den Ablauf.

*die Wahrscheinlichkeit, dass du diese Woche den Jackpot gewinnst und nächste Woche vom Blitz getroffen wirst, ist vermutlich höher.
 
Quijote, ja Du hast recht.
Die Erklärung, die ich gerne hätte, die gibt es natürlich nicht. Vielleicht stelle ich meine Fragen auch nicht richtig oder es ist absolut müßig nach Antworten zu suchen, die es einfach nicht gibt.
Okay, dann lege ich den Fall Postumus zu den Akten, wenn man da nicht weiter kommt.

Es ist jetzt kein neues Faß, aber zum Thema Cäsarenwahnsinn (Dichotomie zwischen Fakt und Fiktion) wollte ich noch folgendes nachschieben.

Literatur:
- Thomas Blank, Christoph Catrein, Christine van Hoof: Caesarenwahn. Ein Topos zwischen Antiwilhelminismus, antikem Kaiserbild und moderner Populärkultur (Beiträge zur Geschichtskultur, Band 41). Böhlau, Köln 2021, ISBN 978-3-412-52090-8. Rezension im Deutschlandfunk von Michael Kuhlmann
- Ludwig Quidde: Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn. Friedrich, Leipzig 1894
Gut, die entsprechenden Werke sind den meisten wohl bekannt.

Meine Erklärung ist, dass Cäsarenwahnsinn|Caesarenwahn eine vielleicht absolut notwendige oder zumindest nachvollziehbaren Folge der Hybris eines Alleinherrschers war.
Wenn Augustus sich dem Senat gegenüber noch als Primus inter Paris erklären musste, nahm dies bei seinen Nachfolger anscheinend kontinuierlich ab. Mehr Selbstverständnis einer autokratischen Herrschaft, mehr Selbstübersteigerung und immer weniger Kritikfähigkeit, weil die Notwendigkeit, seine Taten zu rechtfertigen, anscheinend nicht mehr erforderlich war.
Welches Leben führten die römischen Kaiser nach Augustus? Sie befanden sich in einer eigenen Resonanzkammer mit eingebauter Echoverstärkung. In einer ausschließlich sich selbst verstärkenden Blase, die keinerlei Kritik von außen zuläßt.
Wer sich ausschließlich nur noch mit Hofschranzen, bezahlten Jublern und Ja-Sagern umgibt, der fühlt sich darin natürlich bestärkt und bekommt eines Tages das Selbstverständnis, die Inkarnation eines Gottes zu sein. Ist das so abwegig?

Die Aussagem dass die uneingeschränkte Macht diejenigen verdirbt, der sie ausübt.
Also weniger eine vererbbare Geisteskrankheit, die in der julisch-claudischen Familie grassierte, sondern eine bombastische Ausuferung der Machtausübung.
Also kein Sadismus als sexuelle Entartung, sondern ein herangezüchteter Narzissmus, eine familiär geförderte Selbstüberhöhung, die ihresgleichen suchte. Also ihr merkt schon, ich suche krampfhaft nach Argumenten, um in der senatorischen Geschichtsschreibung doch noch ein Fünkchen Wahrheit zu finden.

Ist es nicht also eine Folge der Apotheose des Augustus, welche dazu führt, dass sich schon ein Tiberius als eine Art gottähnliches Wesen empfindet. Das Leben im Palatinpalast, der Jubel der Bürger bei Zirkusspielen, der überbordende Prunk bei Triumphzügen ...
Da musste ein unwahrscheinlich starker Reiz der Macht gewesen sein, wenn schon der Lorbeerträger ständig sagen muss: Memento mori. Respice post te, hominem te esse memento. Sieh dich um und bedenke, dass auch du nur ein Mensch bist.
Kann ein Mensch darüber nicht den Verstand verlieren, wie heute ein Popstar? Michael Jackson, Madonna, Kim Kardashian ...

Gut, ich kann das nicht im Ansatz nachvollziehen, da ich mich nicht in den Sphären dieser Menschen/Halbgötter bewege.
 
Für mich nicht ganz verständlich. Ich ging davon aus, dass spätestens im Jahre 14 n.Chr. die Thronfolge des Augusuts geregelt war. Warum also noch dieses Drama um den Postumus? Inwiefern konnte dieser dem Tiberius noch gefährlich werden? Es war doch schon alles in Tüten. Man hätte Postumus auf Planasia (?) lassen können und alles wäre gut gewesen. Warum also diese Gewalttat? Habt Ihr eine gute Erklärung dafür?

Wie El Quijote schon andeutete, die "Thronfolge" musste gar nicht unbedingt unklar sein, damit man jemanden wie Postumus für eine potentielle Gefahr hielt. Rein rechtlich gesehen vererbte Augustus Tiberius ja ohnehin "nur" ein beträchtliches Vermögen und die Klientelbeziehungen, die er aufgebaut hatte. Formal wurden dem neuen Princeps sämtliche Vollmachten im amtlichen Bereich vom Senat übertragen, wobei sich Tiberius - aus welchen Gründen auch immer - nach außen hin recht lange sträubte und auch nicht alle Ehrungen annahm. So lehnte er etwa den Titel des pater patriae ab.

Faktisch hätte Postumus aber ein Prätendent für Tiberiusgegner werden können, sei es sofort, sei es auch erst nach einigen Jahren. Augustus ließ beispielsweise den Kaisarion hinrichten, der sicherlich keine unmittelbare Gefahr im Jahr 30 v. Chr. darstellte, aber wegen seiner Herkunft vielleicht künftig von seinen Gegnern hätte instrumentalisiert werden können.

Insofern ist es durchaus möglich, dass Augustus noch selbst den Befehl gab, und es könnten natürlich genauso Livia oder Tiberius den Befehl gegeben haben. Es wäre sogar denkbar, dass jemand im Sinne des neuen Herrschers zu handeln dachte und sich vielleicht eine Belohnung erhoffte, es also gar keinen direkten Befehl gab. Es dürfte den Zeitgenossen jedenfalls klar gewesen sein, dass ein Sohn des Agrippa und ein leiblicher Enkel des Augustus eine potentielle Bedrohung für Tiberius darstellen würde.
 
Hi Stradivari,
vielen Dank für die Aufklärung! Kann es sein, dass man über Agrippa Postumus außer seiner familiären Herkunft so gut wie gar nichts weiß. Person, Charakter, war er einfach nur eine Person der julisch-claudischen Familie? Hatte er irgendwelche Ämter inne oder irgendwelche Aufgaben? Er wurde ja nur 26 Jahre alt und hatte in der Zeit wohl noch keine große Karriere gemacht oder zumindest nichts, was bekannt gewesen wäre.
 
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