1929 - Hitler vor Gericht

Mercy

unvergessen
Beim Entrümpeln meiner Bücher fiel mit heute nachstehender Text in die Hände.
Das Tagebuch war eine Zeitschrift, die von Leopold Schwarzschild herausgegeben wurde.
Konrad Heiden veröffentlichte 1932 ein Buch "Geschichte des Nationalsozialismus, die Karriere einer Idee", die als gut recherchierte Kampfschrift Wirkung hatte. Der Autor, ehemals Korrespondent und Redakteur der Frankfurter Zeitung und Mitarbeiter der Vossischen Zeitung, emigrierte im April 1933. Vom Saarland aus setzte er den Widerstand gegen den Nationalsozialismus fort, mit dem Buch "Geburt des Dritten Reiches" (1934) und den unter dem Pseudonym Klaus Bredow publizierten Schriften "Hitler rast" (1934) und "Sind die Nazis Sozialisten?" (1934). Heiden war auch der Verfasser der ersten großen und kritischen Biographie Hitlers, die 1936/37 in zwei Bänden in Zürich erschien (zugleich mit englischen, amerikanischen und französischen Ausgaben), geschrieben aus dem Geist des Widerstandes.

Konrad Heiden:
Hitler klagt

(Im)....... Münchener Amtsgericht Au..... finden jene Beleidungsprozesse statt, in die ein gut teil der politischen Händel Bayerns zu münden pflegt...
Die eine Prozeßpartei ist ziemlich regelmäßig Adolf Hitler. Er füllt mit seinen Mannen und zumal Frauen den Saal, ..... Adolf ist sehr leicht beleidigt, er regt sich furchtbar auf, wenn man ihm widerspricht. Im Gerichtssaal scheint es ihm dauernd zu kränken, daß er zuweilen den Mund halten soll. Er tut's auch nicht. Manchmal brütet er vor sich hin, dann fährt er plötzlich exaltiert in die Höhe und schreit dem Gegner, der gerade mit dem Richter oder einem Zeugen verhandelt, irgend etwas zu, was nicht unbedingt mit dem Prozeß etwas zu tun haben muß. Aber ihn freut's, daß er es losgeworden ist. Der Amtsgerichtsdirektor Frank, der sein Wohlwollen für ihn schwer verbergen kann, mahnt ihn äußerst behutsam. Prozeßgegenstand? Südtirol. Dem nationalen Adolf liegt merkwürdig wenig an den deutschen Südtirolern..... .....
Hitler ist durch den Vorwurf, er habe Geld von Mussolini bekommen, tief beleidigt....
Vor seinen eigenen Leuten hat er mit angeblichen Einladungen Mussolinis renommiert, die er bloß deshalb nicht ahnnehmen könne, weil er nicht mit genügend Autos nach Rom fahren könne. Da sitzt er, ein süßes Lächeln auf dem faltigen, schweißglänzenden Gesicht. Ironisch wiegt er das Köpfchen, währen der Gegner spricht, und macht sich eifrig Notizen. Meint man. In Wirklichkeit malt er, er strichelt ein Porträt von dem eindrucksvollen Kopf des Rechtanwalts Hirschberg aufs Blatt. Es ist bekannt, daß Herr Hitler in seiner Zeitung, dem "Völkischen Beobachter", nicht mehr viel zu sagen hat, wenn er auch noch so selbstbewußt mit der Hundepeitsche in der Hand als Gottesgeisel seines Volkes durch die Straßen Münchens stolziert. Seine Mitarbeit beschränkt sich auf sein illustriertes Wochenblatt. ......... .....Darum verzichtet Hitler auch gern auf Südtirol.....Herr Hitler, der als Agitator nur immer lautsprecherisch forderte, findet auf einmal, primitiv, wie er im politischen Denken ist, daß den Realpolitiker Erfüllen und Verzichten am sichersten kennzeichne.....


Das Tagebuch; Heft 19, Jahrg. 10, Berlin, 11. Mai 1929, p.816/7
 
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